Vor dem Hintergrund seiner historischen Vorbilder aus der BRD und der DDR hatte der Landtag von Sachsen-Anhalt am 30. Januar 1992 das „Gesetz über Hilfen für psychisch Kranke und Schutzmaßnahmen des Landes Sachsen-Anhalt“ (PsychKG LSA) beschlossen und damit auch den Grundstein für einen Ausschuss für Angelegenheiten der psychiatrischen Krankenversorgung gelegt. Dieser Ausschuss für Angelegenheiten der psychiatrischen Krankenversorgung nahm mit seiner Konstituierung am 12. Mai 1993 seine Arbeit in Sachsen-Anhalt auf und feierte folglich am Freitag, 12. Mai 2023, mit einer Festveranstaltung im Landtag sein 30-jähriges Bestehen. Den Festvortrag hielt Prof. Dr. Harald Karutz (Fachgebiet Psychosoziales Krisenmanagement). Er sprach zum Thema „Kinder und Jugendliche in Krisenzeiten“.
Erkrankungen mehr Aufmerksamkeit schenken
In Vertretung von Landtagspräsident Dr. Gunnar Schellenberger ergriff Landtagsvizepräsidentin Anne-Marie Keding das Wort und stellte die Arbeit des Ausschusses lobend heraus: Eine Mischung aus Fachleuten, Betroffenen und Abgeordneten hätten die 1 281 Einrichtungen im Zuständigkeitsbereich des Ausschusses des Landes im Blick, darunter auch den Maßregelvollzug, und setzten sich für das Wohl von nicht weniger als 58 243 Patientinnen und Patienten ein. In einem kürzlich stattgefundenen Internationalen Jugendforum sei die Stärkung von psychischer Gesundheit eines der acht Themen der jungen Menschen gewesen, betonte Keding. Sie hätten bemängelt, dass es zu wenig Kenntnisse und zu wenig Akzeptanz für die Bedarfe von psychisch Erkrankten gebe. Wichtig sei, wie man mit einer Erkrankung umzugehen lerne und welche Hilfsmöglichkeiten es bereits gebe. „Die Gesellschaft ist generell bereit, psychischen Erkrankungen mehr Aufmerksamkeit zu schenken“, meinte die Vizepräsidentin. Man müsse „mehr Selbstverständlichkeit erreichen“, um sich über Krankheitsverläufe ein Bild zu machen. Einen wesentlichen Teil würde der Psychiatrieausschuss beitragen.
„Medizinische Versorgung vernetzter denken“
Für sie sei der Ausschuss eine wichtige fachliche Stütze, die Empfehlungen und Hinweise ausspreche, lobte Sozialministerin Petra Grimm-Benne. Er leiste zudem einen wichtigen Beitrag zur Information der Bevölkerung und trage zum Abbau von Stigmatisierung psychischer Erkrankungen bei. Mit dem neugestalteten PsychKG sei das Land gut aufgestellt, es stelle den Schutz und die Selbstbestimmung der Patientinnen und Patienten in den Fokus. Wichtige Impulse hierfür seien vom Psychiatrieausschuss gekommen. Die künftige medizinische Versorgung müsse generell „vernetzter gedacht werden“, konstatierte die Ministerin. Die psychiatrische Versorgungslandschaft in Sachsen-Anhalt stehe weiterhin vor großen Herausforderungen, insbesondere im ländlichen Bereich. Glücklicherweise sei die Gesundheit von Kindern und Jugendlichen ein Thema von großer gesellschaftlicher Relevanz.
Ehrenamt mit viel Engagement
Ohne die Arbeit der Geschäftsstelle sei das Wirken des Ausschusses in den letzten dreißig Jahren gar nicht denkbar gewesen, sagte der Ausschussvorsitzende Univ.-Prof. Dr. Hans-Henning Flechtner. Gleiches gelte für alle anderen Beteiligten – in den meisten Fällen ein Ehrenamt, das sehr viel Engagement beanspruche. „Elementar für die Erfüllung unseres Auftrags sind unverändert die Besuche in den Einrichtungen der psychiatrischen Versorgung durch die regionalen Besuchskommissionen. Diese ermöglichen ein sehr differenziertes Bild der Versorgungslandschaft und begrenzen unseren Blick bewusst nicht – wie in anderen Bundesländern – auf die nach PsychKG untergebrachten Patienten“, erklärte Flechtner. Zweites Kernmerkmal der Arbeit sei der jährliche Tätigkeitsbericht an den Landtag und das zuständige Ministerium. „Unser Engagement hat somit Modellcharakter und ist bisher nahezu einzigartig in der Bundesrepublik.“
Festvortrag zum Jubiläum
Im Festvortrag von Prof. Dr. Harald Karutz, Diplom-Pädagoge und Professor für Psychosoziales Krisenmanagement an der MSH Medical School Hamburg, ging es um „Kinder und Jugendliche in Krisenzeiten“. Kinder und Jugendliche seien in ganz besonderer Weise von den Krisen, Kriegen und Katastrophen unserer Zeit betroffen, so Karutz. Zum zeigte er deren aktuelle Lebenssituation auf (Ist Deutschland ein kinderfreundliches Land?). Zum anderen legte er den Fokus auf bestehende Handlungsbedarfe. Im Vordergrund seiner Ausführungen standen die Fragen: Was können wir tun, um Kinder und Jugendliche zu unterstützen? Wie können wir ihre Resilienz und Krisenfestigkeit stärken, und wie können wir sie dabei begleiten, in und mit Krisen – allen Widrigkeiten zum Trotz – gut aufzuwachsen?
Hintergrund: Landespsychiatrieausschuss
In den 1970er Jahren wurden in der alten Bundesrepublik mit der Psychiatrie-Enquete, einer Expertenkommission, entscheidende Grundlagen für neue Wege in der psychiatrischen Krankenversorgung gelegt. Aber auch in der DDR hatte es Reformgedanken fortschrittlich denkender Ärzte, Therapeuten und Fürsorger/innen gegeben; so hat das Rodewischer Symposium im Mai 1963 mit seinen „Rodewischer Thesen“ wichtige Impulse für eine Neuorientierung in der medizinischen Versorgung und sozialen Betreuung psychisch kranker Menschen gegeben.
Geschichtlicher Hintergrund für die Entscheidung des Landes Sachsen-Anhalt, einen solchen Ausschuss neu einzurichten, waren die 1990 vorgefundenen Versorgungs- und Behandlungsbedingungen für psychisch kranke Menschen und Menschen mit geistigen und seelischen Behinderungen in den Krankenhäusern und Heimen und die mit der Schaffung der deutschen Einheit gegebene Chance, die Forderungen der Psychiatrie-Enquete auch in Sachsen-Anhalt umzusetzen.
Aufgaben von Ausschuss und Besuchskommissionen
Wesentlicher Bestandteil der Arbeit des Ausschusses ist die Entsendung von Besuchskommissionen in die jeweiligen betreuenden Einrichtungen. Arbeitsauftrag und Arbeitsweise der Besuchskommissionen leiten sich aus dem gesetzlichen Auftrag des Ausschusses ab. Die Mitglieder sind berechtigt, Gespräche mit Betroffenen ohne Anwesenheit Dritter zu führen.
- Ausschuss und Besuchskommissionen sollen möglichst jährliche Besuche in allen Einrichtungen im zugewiesenen Zuständigkeitsbereich, Gespräche mit Betroffenen, Bewohnern, Patienten, Beschäftigten, Fürsprechern, Angehörigen und weiteren Interessenvertretern, Einrichtungsmitarbeitern, Vertretern der Träger und der kommunalen Gebietskörperschaften vornehmen.
- Dabei soll es zur Prüfung der allgemeinen Bedingungen der Versorgung, Behandlung und Unterstützung Betroffener und der Prüfung von Einzelfällen kommen.
- Anschließend müssen die Besuchsberichte anhand des Prüfleitfadens, Stellungnahmen zu Reaktionen und Beiträge zu den jährlichen Ausschussberichten an den Landtag erarbeitet werden.
Die Mitglieder und Vertreter/innen des Ausschusses und der Besuchskommissionen arbeiten ehrenamtlich, d. h. unentgeltlich. Sie erhalten eine Aufwandsentschädigung gemäß JVEG.