Cookies helfen uns bei der Weiterentwicklung und Bereitstellung der Webseite. Durch die Bestätigung erklären Sie sich damit einverstanden, dass Cookies gesetzt werden.

Plenarsitzung

Zeuge der Geschichte und Anwalt der Zukunft

Als die Jerusalem Post am 18. Februar 2022 um 16:43 Uhr über ihre Online-Dienste die Nachricht verbreitet, der frühere Richter am Obersten Gerichtshof Israels Gabriel Bach sei im Alter von 94 Jahren in Jerusalem verstorben, halten viele Menschen weltweit in Respekt inne. Das gilt sowohl für jene, die um seinen Platz in der Geschichte wissen, wie auch für diejenigen, denen es vergönnt gewesen ist, ihn persönlich kennenzulernen. Auch der Landtag trauert um den im heutigen Sachsen-Anhalt geborenen beeindruckenden Juristen, überzeugten Brückenbauer und großartigen Menschen Gabriel Bach.

Kindheit in Halberstadt und Berlin

Gabriel Bach kommt am 13. März 1927 in Halberstadt als zweites Kind von Victor und Erna Bach, in Köthen geborene Benscher, zur Welt. Bereits im Alter von zwei Monaten verlässt er mit seiner Familie Halberstadt in Richtung Berlin, als sein Vater Generaldirektor einer der damals größten deutschen Kupferfabriken in Eberswalde-Finow wurde.

Seine Kindheit in Berlin ist zunächst unbeschwert. Die seit der Machtergreifung der Nationalsozialisten 1933 zunehmende Ausgrenzung der jüdischen Bevölkerung und die gegen sie gerichteten antisemitischen Hetz- und Verfolgungskampagnen nimmt er bereits sehr bewusst wahr und fasst sie später mit der ihm eigenen Ironie in dem Bild zusammen, er sei in Berlin in die Theodor-Herzl-Schule am Adolf-Hitler-Platz gegangen.

Die Familie verlässt Deutschland

Seine Familie reist zwei Wochen vor den Pogromen im November 1938 in die Niederlande aus. Sie verlässt die Niederlande einen Monat vor der deutschen Invasion 1940. Auf der „Patria“, die auf ihrer nächsten Überfahrt versenkt werden sollte, gelangen sie nach Palästina. Sie seien, so betont er im Januar 2008 gegenüber dem ihn portraitierenden Parlamentskorrespondenten der Mitteldeutschen Zeitung, stets einen Schritt voraus gewesen. Zumeist nur einen, möchte man ergänzen.

Juristenlaufbahn in Israel

Bach geht in Palästina zur Schule, studiert in England Jura und wird Rechtsanwalt. Er dient in der israelischen Armee zunächst als Verteidiger vor Militärgerichten und dann als Staatsanwalt. 1960 – David Ben Gurion hat gerade in der Knesset bekanntgegeben, der NS-Verbrecher Adolf Eichmann sei gefasst und solle in Israel vor Gericht gestellt werden – findet Bach die Aufgabe seines Lebens und seine Berufung findet ihn: Er wird als 33-Jähriger zum stellvertretenden Ankläger im Prozess gegen Eichmann bestellt.

Redner am Holocaustgedenktag 2008

Auf Einladung des damaligen Landtagspräsidenten Dieter Steinecke nach Sachsen-Anhalt gekommen, berichtet er in seiner fesselnden Rede zum Gedenktag an die Opfer des Nationalsozialismus am 27. Januar 2008 im Plenarsaal auch über den Prozess. Er erzählt die inzwischen weltberühmte Geschichte über das Mädchen im roten Mantel, mit der der ungarische Jude Martin Földi im Eichmann-Prozess die Deportation seiner Familie am 21. April 1944 nach Auschwitz bezeugte. Mit dem immer kleiner werdenden roten Punkt beschrieb er den Moment, in dem seine Familie nach der Selektion in Auschwitz für immer aus seinem Leben verschwand. Für Gabriel Bach markiert dies einen Schlüsselmoment des „Prozesses seines Lebens“. Dass Bach auch schildert, dass er seiner damals zweieinhalbjährigen Tochter Orli etwa zwei Wochen vorher einen ebensolchen roten Mantel gekauft hatte, was ihn beim Hören der Aussage von Martin Földi sehr mitgenommen habe, bewegt das vollbesetzte Plenum.

Im Plenarsaal wie bei seiner anschließenden Rundreise, die ihn vor allem mit Jugendlichen zusammenkommen lässt, und auch bei späteren Zusammentreffen in Israel und in Sachsen-Anhalt zeichnet Bach vor allem zweierlei aus: Sein unbestechlich-genaues Erinnern an die Verbrechen der Vergangenheit und an ihre Ursachen sowie sein unermüdlich-versöhnendes Brückenbauen in die Zukunft. Und so sehr ihn die rechtsextremistischen, auch antisemitischen Vorfälle in Deutschland belasten, so sehr vertraut er in all seinen Gesprächen darauf, dass wir Deutschen so etwas wie die Shoa nie wieder zulassen würden.

Warmherzige und freie Offenheit

Gabriel Bach ist am 18. Februar 2022 im Alter von 94 Jahren in Jerusalem verstorben. Was bleibt neben seinem Platz in unserer gemeinsamen Geschichte? Bleiben wird die Erinnerung an seine warmherzige, völlig von Ressentiments freie Offenheit, mit der er allen deutschen Gesprächspartnern trotz der Shoa begegnete. Bleiben wird auch das Geschenk seiner mit jedem Besuch in Sachsen-Anhalt wachsenden emotionalen Bindung zu seiner Geburtsregion. Und bleiben wird nicht zuletzt die Erinnerung an die ihm und seiner Frau Ruthie eigene herzliche Gastfreundschaft, die jeder und jedem in Jerusalem zuteilwurde, die sie besuchten – unabhängig davon, ob man zu den Großen der Zeit gehörte oder zu den Unbedeutenden, die es für Gabriel Bach ohnehin nicht gab.

Torsten Gruß
Direktor beim Landtag von Sachsen-Anhalt