„Wie geht es den Bussen und Bahnen im Land?“, formulierte im April 2022 die Fraktion von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eine Große Anfrage an die Landesregierung. Deren Antwort liegt nun vor, in der sie zur Situation der Verkehrsunternehmen, der Entwicklung der Angebote im Bereich des ÖPNVs und zu den Herausforderungen für einen zukunftsfesten und gestärkten Öffentlichen Nahverkehr in Sachsen-Anhalt Auskunft erteilt. Zudem wurden zwei Entschließungsanträge beraten: die Grünen fordern die Erstellung eines Mobilitätsgesetzes durch die Landesregierung, die Koalition plädiert dafür, dass sich die Landesregierung in Gesprächen mit Bund, Ländern und Gemeinden für eine angemessene Mittelausstattung im ÖPNV einsetze.
Grüne werben für Mobilitätsgesetz
Wer im Land verlässlich, günstig und klimafreundlich unterwegs sein wolle, der müsse sich auf einen guten ÖPNV verlassen können, erklärte Cornelia Lüddemann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN). Ziel der Grünen sei, ohne eigenes Auto gut, schnell, sicher, bezahlbar, flächendeckend und klimafreundlich von A nach B zu kommen. Es handle sich schlichtweg um die Umsetzung von Daseinsvorsorge. Öffentliche Mobilität sei eine Grundvoraussetzung von Teilhabe. So erhielten die Menschen im Land eine echte Alternative zum individuellen Verkehr. Das Land brauche eine ambitionierte Mobilitätspolitik und in diesem Zusammenhang ein verbindliches Mobilitätsgesetz, betonte Lüddemann. Doch diesbezüglich stoße man bei der Landesregierung nur auf Desinteresse. Derzeit würden die Ziele im ÖPNV nicht mit konkreten Arbeitsprozessen untersetzt, ein Monitoring sei nicht erkennbar. Den Grünen schwebt ein „Sachsen-Anhalt-Takt“ vor, also die stündliche Einbindung von Ortschaften ab 1 000 Einwohnern (324 im Land) in den ÖPNV – beispielsweise über flexible Bedienformen bzw. On-Demand-Angebote. So solle ein Netz von virtuellen Haltestellen geschaffen werden, wo man vorher eine Nachricht absetzt und dann aufgenommen wird. „Das geht nicht von jetzt auf sofort“, räumte Lüddemann ein, aber man brauche klare Ziele, auf die man Schritt für Schritt hinarbeiten könne.
„Ohne Individualverkehr geht es nicht“
Es sei natürlich das Vorrecht der Opposition, sich einfach Dinge zu wünschen, sagte Dr.Lydia Hüskens (FDP), Ministerin für Infrastruktur und Digitales. Sie wunderte sich, dass die Grünen das Mobilitätsgesetz nicht schon in deren eigener Regierungszeit umgesetzt habe. „Ohne Individualverkehr wird es im ländlichen Raum auch in Zukunft nicht gehen“, darüber herrsche großer Konsens, so Hüskens, auf dieser Grundannahme werde auch der ÖPNV behandelt. Die Landesregierung arbeite daran, die Mobilität im ländlichen Raum weiter zu verbessern. Vor dem Hintergrund des 49-Euro-Tickets aus dem Bund werde das Projekt „365-Tage-Ticket“ der Landkreise zunächst ad acta gelegt werden müssen, kritisierte die Ministerin.
Keine Entlastung im ländlichen Raum
Die Antworten auf die Anfrage der Grünen müssten differenziert betrachtet werden, sagte Elke Simon-Kuch (CDU). Die in den ÖPNV investierten Mittel müssten zunächst entkoppelt von den Fahrgastzahlen aufgeschlüsselt werden. Im vergangenen Jahr hätten 27 Prozent weniger Fahrgäste den ÖPNV genutzt, der ÖPNV aber werde teurer, ohne tatsächlich mehr leisten zu können. Der Ausbau und die Modernisierung des ÖPNVs setzten eine angemessene Mittelausstattung voraus. Wer günstig unterwegs sein wolle, könne aber nicht erwarten, in jedem Fahrzeug mit Klimaanlage und WLAN unterwegs zu sein. Um die Angebote, also die Taktungen von Bussen und Bahnen zu erweitern, müsse mit den Trägern und den Kommunen umfänglich verhandelt werden. Auch Synergieeffekte sollten zwischen den Verkehrsverbünden genutzt werden. Die Einführung des Deutschlandtickets durch die Bundesregierung könne dazu führen, dass der Ausbau und die finanzielle Absicherung des Verkehrsnetzes ins Stocken gerate, mutmaßte die CDU-Abgeordnete. Es fehle schlichtweg das Angebot, um ein solches Ticket sinnvoll zu nutzen. In den Großstädten werde es Entlastung bringen, im ländlichen Raum werde es jedoch nicht zum Ersatz des Individualverkehrs führen.
ÖPNV nicht attraktiv genug
Die statistischen Werte belegten, dass unsere Wahrnehmung nicht täusche. Busse und Bahnen seien wochentags oft halbleer, die Schulbusse dagegen überfüllt. Hier müsste man ansetzen, erklärte Daniel Rausch (AfD). Der ÖPNV sei einfach nicht attraktiv, insbesondere für den täglichen Arbeitsweg. Selbst bei einer zukünftig engeren Taktung wären viele Wege mit Bus und Bahn deutlich länger als mit dem Auto. „Ich glaube nicht, dass ein größeres Angebot zu mehr Nutzung führen wird“, besonders nicht im ländlichen Raum, meinte Rausch. „Der Antrag der Grünen ist nicht an der Praxis orientiert und geht an der Realität vorbei.“ Daher lehne seine Fraktion den Entschließungsantrag ab.
Entscheidende Faktoren: Preis und Lebenszeitverbrauch
Die Frage der Mobilität hänge vor allem an zwei Dingen: dem Preis und dem Lebenszeitverbrauch, konstatierte Dr. Falko Grube (SPD). Er zeigte sich überzeugt, dass man mit einer höheren Taktung auch im ländlichen Raum etwas erreichen könnte. Ziel seiner Fraktion sei es, einen ÖPNV anzubieten, bei dem die Menschen die Wahl zwischen Auto und ÖPNV hätten. Das bedeute allerdings nicht, dass man den Menschen das Auto wegnehmen wolle, fügte Grube hinzu. Das Thema „autonomes Fahren“ werde insbesondere im ländlichen Raum zukünftig eine Option sein. Den Entschließungsantrag der Grünen lehnte er ab und verwies auf den Entschließungsantrag der Koalitionsfraktionen.
ÖPNV muss für alle bezhalbar sein
Kerstin Eisenreich (DIE LINKE) zeigte sich konsterniert, wie wenig gehaltvoll die Antworten der Landesregierung auf die Große Anfrage teils gewesen seien. Der Entschließungsantrag der Grünen hätte gute Ansätze, könne jedoch nicht vollständig überzeugen. Laut Eisenreich sei ein 49-Euro-Ticket für manche Menschen immer noch zu teuer. Zudem fehlten im Grünen-Antrag beispielsweise Forderungen zum Ausbau des ÖPNVs hinsichtlich Sauberkeit, Barrierefreiheit und Sicherheit. Der Entschließungsantrag der Koalitionsfraktionen sei dagegen eher ein „zahnloser Tiger“. Ihre Fraktion fordere einen für alle Menschen bezahlbaren ÖPNV, die Aufnahme einer Mobilitätsgarantie und die Fortsetzung des Modellprojektes 29-Euro-Tickets, so die Linken-Abgeordnete.
Besserer ÖPNV kostet mehr Geld
Mit der Großen Anfrage habe man eine Rückschau auf vor und mit Corona erhalten, so Kathrin Tarricone (FDP), viele aktuelle Aspekte fehlten. Gerade im ländlichen Raum sei der ÖPNV kein mehrheitlich genutztes Verkehrsangebot, in den Großstädten sehe dies anders aus. Nur 22 Prozent des gesamten Kilometeraufkommens im Land würden mit dem ÖPNV gefahren, zwei Drittel kämen auf den Pkw. Mit dem Deutschlandticket verzichte man nun auf einen guten Teil zahlbereiter Fahrgäste. Wolle man ein besseres ÖPNV-Angebot, werde dies mehr Geld kosten. Dieses aufzubringen, sei Inhalt des Entschließungsantrags der Koalition, so Tarricone.
Im Anschluss an die Debatte wurde der Entschließungsantrag der Grünen abgelehnt, der der Koalition angenommen.