In den Monaten Juni bis August nutzten viele Millionen Menschen in Deutschland das von der Bundesregierung initiierte 9-Euro-Ticket. Es fungierte als Teil eines Entlastungspakets für alle Bürgerinnen und Bürger in Zusammenhang mit den deutlich gestiegenen Verbraucherpreisen. Die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN wollte in einer Aktuellen Debatte über ein preisgünstiges bundesweites ÖPNV-Ticket als Freiheitsgarant, Klimaschutzmaßnahme und zur Sicherung sozialer Teilhabe diskutieren und fragte: „Was soll nach dem 9-Euro-Ticket kommen?“
Auch zukünfig Neues wagen
Cornelia Lüddemann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) erklärte: „Das 9-Euro-Ticket wird als Sommermärchen in Erinnerung bleiben.“ Die Zahlen belegten, dass es ein echter Erfolg gewesen sei und eine nennenswerte CO2-Einsparung erreicht wordens sei. Das Ticket sei eine sozialpolitisch und klimapolitisch positive Maßnahme gewesen und dies trotz der relativ spontanen Einführung. Ebenfalls positiv sei die schnelle Überwindung der Kleinstaaterei der Tarifverbünde gewesen. „Wir müssen den Mut haben, neuen Ideen eine Chance zu geben!“ Natürlich müsste bei einer Fortsetzung des Tickets darauf geachtet werden, dass auch einkommensschwache Bürger sich ein solches leisten könnten und nicht in ihrer Mobilität eingeschränkt würden.
Forsetzung ist nicht finanzierbar
Verkehrsministerin Dr. Lydia Hüsken (FDP) sagte, es sei wichtig, den Menschen eine Infrastruktur zur Verfügung zu stellen, mit der sie überall im Land mobil sein könnten. Für sie ginge es nicht darum, „gute und schlechte Mobilitätsformen“ zu benennen, sondern die beste Lösung für jede Region zu finden. Das 9-Euro-Ticket sei in Sachsen-Anhalt auf einen ÖPNV getroffen, der insbesondere auf dem Land schlecht ausgebaut sei. Dieser Ausbau wäre jedoch der erste Schritt, bevor über irgendeinen Nachfolger nachgedacht werden könne, so die Verkehrsministerin. Wenn man sich am Vorschlag des Bundes über den Nachfolger des 9-Euro-Tickets beteiligen möchte, bedeutete dies, dass Sachsen-Anhalt etwa 60 Millionen Euro zusätzlich ausgeben müsste. Dieses Geld gebe es einfach nicht, konstatierte Hüskens.
Gute Idee, aber Umsetzung verbessern
Ein günstiges ÖPNV-Ticket für Bus und Bahn sei sicher eine „sexy Idee“ gewesen, die man nicht einfach verwerfen sollte, man müsste sie allerdings vernünftig umsetzen, unterstrich Detlef Gürth (CDU). Aus seiner Sicht sei das 9-Euro-Ticket eine „Paradebeispiel für nicht zu Ende gedachten Aktionismus“ gewesen und ein „Feldversuch auf dem Rücken der Bahnmitarbeiter“. Zudem hätte sich die Pünktlichkeit der Züge weiter verschlechtert, so der CDU-Abgeordnete. Der Feldversuch sei zu einem denkbar schlechten Zeitpunkt gestartet worden, bei dem der ländliche Raum am wenigsten oder fast gar nicht profitiert hätte. Auch das Ziel, dass viele Menschen auf die Bahn umstiegen, sei nicht erreicht worden. Bei der Suche nach einem Nachfolgemodell warb Gürth für ein konzertantes Vorgehen von Bund und Ländern.
Erstmal ÖPNV besser ausbauen
Matthias Büttner (AfD) stellte fest: „Das 9-Euro-Ticket war für unser Bundesland eine denkbar schlechte Entscheidung gewesen, eigentlich eine Notlösung.“ Die Grünen müssten anfangen, in ihrer Politik mal die Realitäten anzuerkennen. Die einzig richtige Lösung sei, jeden Cent in die Senkung der Spritpreise zu stecken, damit die Menschen sich vernünftig fortbewegen könnten. Natürlich müsste der ÖPNV im Land besser ausgebaut werden. Solange dies jedoch nicht der Fall sei, brauche man nicht über eine Fortsetzung des 9-Euro-Tickets zu sprechen, meinte der AfD-Abgeordnete.
ÖPNV-System wiederaufbauen
Das 9-Euro-Ticket sei preislich attraktiv, einfach zu erwerben und leicht verständlich gewesen. Und es habe dem Tarifdschungel ade gesagt. Und hier zeige sich im Anschluss schon eine dringende ÖPNV-Hausaufgabe: der Tarifdschungel muss weg, sagte Dr. Falko Grube (SPD). Das Ticket habe preiswerte Mobilität ermöglicht und eine Alternative für sonstige Pendler per Pkw geboten. Deswegen sei es gut, dass es ein Folgeprodukt geben werde.
Zwanzig Prozent der Nutzer hätten den ÖPNV zuvor nicht genutzt, der Erfolg hätte allerdings noch größer sein können, meinte Grube. Mit einer Einsparung von gut 1,8 Millionen Tonnen CO2 habe sich das Ticket auch hinsichtlich des Klimaschutzes – im Bezug zu den Kosten – zumindest rein rechnerisch leider nicht gelohnt. Vor allem im ländlichen Raum gehe es nicht allein um die Verbesserung des ÖPNV, sondern schlichtweg um den Wiederaufbau eines ÖPNV-Systems. Das Nachfolgeticket dürfe demnach nicht allein durch einen günstigen Preis bestechen, es müsse zu einem deutlichen Ausbau des Angebots führen.
Streckennetz deutlich ausbauen
Der Anreiz, den Menschen im Alltag eine mobile Alternative zu bieten, sei aufgrund der Urlaubszeit nur bedingt zum Zuge gekommen, meinte Kerstin Eisenreich (DIE LINKE). Dennoch habe das kostengünstige Ticket vielen Menschen eine Möglichkeit der Teilhabe geboten. Die simple Handhabung des Tickets habe den Menschen die Nutzung sehr vereinfacht, lobte Eisenreich, dies müsse bei künftigen Tickets berücksichtigt werden.
Für die Menschen im ländlichen Raum habe sich das Ticket nur bedingt gelohnt – denn wo nichts fahre, könne auch kein günstiges Ticket genutzt werden. Das Streckennetz sei in den letzten Jahren bedauerlicherweise deutlich verkleinert worden, kritisierte die Linken-Abgeordnete. Sie wies zudem auf die Überlastung des (zu wenigen) Personals hin. Den Linken schwebt ein Anschlussprodukt „365-Euro/Tage-Ticket“ ab 1. Januar 2023 vor.
„Willkommen in der Lebensrealität“
Kathrin Tarricone (FDP) wolle die Grünen in die Pflicht nehmen, wenn sie sich demnächst mal wieder gegen das Autofahren und das Fliegen aussprächen, wenn für sie doch laut Titel der Aktuellen Debatte „Mobilität ein Freiheitsthema“ sei. Nichtsdestotrotz sei das Ticket ein Erfolg gewesen, räumte Tarricone ein, auch wenn gerade den Menschen im ländlichen Raum wenig geholfen gewesen sei. Ein Missstand sei in den Sommermonaten besonders deutlich geworden: Das Angebot muss stimmen, damit der Preis eine Rolle spiele.
Die FDP-Politikerin könne sich unter Umständen auch ein Deutschlandticket vorstellen, das über die Verbundgrenzen hinweg gelte. Allerdings müsse man von dem Begriff „kostenloser ÖPNV“ wegkommen, denn es sei klar, dass jemand – nämlich der Steuerzahler – dafür bezahlen müsse. Das Sommermärchen sei zu Ende, willkommen in der Lebensrealität, so Tarricone. Entscheidend seien nun gute Konzepte, die auch Angebote im ländlichen Raum berücksichtigten.
Ergebnis und Dokumente
Beschlüsse zur Sache wurden am Ende der Aktuellen Debatte nicht gefasst.