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Plenarsitzung

Politische Strafjustiz in neuer Ausstellung

„Politische Strafjustiz in der Sowjetischen Besatzungszone und frühen DDR – Sachsen-Anhalt“ heißt eine neue Ausstellung der Stiftung Gedenkstätten Sachsen-Anhalt, die heute im Landtag von Landtagsvizepräsident Wulf Gallert eröffnet wurde. Die Ausstellung theamtisiert das Agieren der sowjetischen Geheimdienste und der Militärjustiz für die Jahre 1945 bis 1952 in Mittel- und Ostdeutschland. Erstmals werden für ein gesamtes Bundesland die #Massenverhaftungen und Aburteilungen deutscher Zivilistinnen und Zivilisten anhand lokaler Fallbeispiele veranschaulicht. Die Ausstellung  ist bis zum 9. Januar 2023 zu sehen.

Zu den bei der Stiftung Gedenkstätten Sachsen-Anhalt vorgehaltenen und pädagogisch betreuten Leihausstellungen ist im Jahr 2021 ein neues Angebot hinzugekommen: die Wanderausstellung „Politische Strafjustiz in der Sowjetischen Besatzungszone und frühen DDR – Sachsen-Anhalt“. Die Ausstellung ist seit dem 29. November 2022 im Landtag von Sachsen-Anhalt in Magdeburg zu sehen. Die Vorbereitungen für dieses Ausstellungsprojekt in Kooperation der Gedenkstätten Roter Ochse Halle (Saale), Moritzplatz Magdeburg und Deutsche Teilung Marienborn liefen bereits seit 2014. Die Präsentation im Landtag hatte sich aufgrund der Corona-Pandemie um ein Jahr verzögert.

Lesen Sie hier einen Gastbeitrag von Dr. Daniel Bohse, Leiter der Gedenkstätte Moritzplatz in Magdeburg:

Die Ausstellung thematisiert für die Jahre von 1945 bis 1952 das Agieren der sowjetischen Geheimdienste und der Militärjustiz, die nach Kriegsende in den von der Roten Armee besetzten Gebieten Mittel- und Ostdeutschlands, darunter auch im heutigen Sachsen-Anhalt, die politische Strafjustiz verantworteten. Das Territorium der im Juli 1945 auf sowjetischen Befehl gegründeten Provinz Sachsen, ab Ende 1946 Sachsen-Anhalt, die bis zur Aufteilung der DDR in Bezirke im Juli 1952 Bestand hatte, bildet den Bezugsrahmen für die neue Ausstellung.

Diese kann für sich in Anspruch nehmen, erstmals für ein gesamtes Bundesland die Massenverhaftungen und Aburteilungen deutscher Zivilistinnen und Zivilisten zu veranschaulichen, die auf Beschlüssen der alliierten Siegermächte basierten, aber auch aus der Absicherung der sowjetischen Besatzungsmacht und der von ihr betriebenen gesellschafts- und wirtschaftspolitischen Umgestaltung der Verhältnisse in Mitteldeutschland resultierten.

Fast 300 Todesurteile verhängt

Immerhin sind allein für die Massenverhaftungen der Jahre 1945/46 mehr als 12 000 im Gebiet des damaligen Sachsen-Anhalts betroffene Männer, Frauen und Jugendliche dokumentiert. Etwa 2 600 weitere Fälle betreffen Menschen, die von sowjetischen Militärtribunalen (SMT) zu in der Regel mehr als zehn Jahren Lagerhaft abgeurteilt wurden, davon in mindestens 289 Fällen zum Tode. Die Exposition besteht aus einführenden Themen- sowie Biografietafeln, die Personen vorstellen, die von den sowjetischen Sicherheitsapparaten inhaftiert sowie zu Opfern der sowjetischen Militärjustiz wurden.

Die Thementafeln stellen nicht nur die Grundzüge der sowjetischen Besatzungsherrschaft in Mitteldeutschland vor. Sie geben ebenfalls einen Überblick über das von den verschiedenen Sicherheitsapparaten und Geheimdiensten etablierte und ganz Sachsen-Anhalt überziehende Netz von Haftorten, darunter auch die sowjetischen Speziallager, in denen mehr als ein Drittel der 120 000 Insassen die unsäglichen Haftbedingungen nicht überlebte.

Plakat zur Ausstellung.

Plakat zur Ausstellung mit einer Liste aller beteiligten Institutionen.

Besatzungsmacht „spricht Recht“

Sie rücken auch jene Personengruppen und Aspekte in den Fokus, bei denen die Besatzungsmacht strafrechtliche Ermittlungen führte, die Betroffenen anklagte und von Militärtribunalen aburteilen ließ. Darunter fielen aber auch Formen von vermeintlich und tatsächlich widerständigem sowie nonkonformem Verhalten, im Kontext des heraufziehenden Kalten Krieges auch Kontakte in die westlichen Besatzungszonen sowie pauschal unterstellte Verbindungen zu den Westmächten und deren Geheimdiensten. Die sowjetische Rechtsaufassung bezüglich der Zuständigkeit ihrer Militärjustiz glich der deutschen im Hinblick auf die der Wehrmachtjustiz: Sie betraf auch sämtliche im Kriegszustand befindlichen besetzten Gebiete. Das galt aus sowjetischer Sicht bis 1955 auch für die DDR. Ab Oktober 1949 standen diese Verfahren aber im Widerspruch zum DDR-Recht.

Lokale Bezüge in der Ausstellung

Die für die Ausstellung ausgewählten Fallbeispiele bieten lokalhistorische Bezüge für sämtliche Regionen in Sachsen-Anhalt. Zudem stehen die Porträtierten, insbesondere jene auf den Biografietafeln, exemplarisch für die maßgeblich von Internierung bzw. Aburteilung betroffenen Personengruppen. Sie stellen unter anderem Männer und Frauen vor, die nach Kriegsende unter die Internierungskriterien des sowjetischen Geheimdienstes NKWD fielen und von diesem, ohne verurteilt worden zu sein, über Jahre in den sowjetischen Speziallagern festgehalten wurden. Mehrheitlich waren das niedere Funktionäre nationalsozialistischer Organisationen sowie Angehörige des öffentlichen Dienstes, aber auch zahlreiche Jugendliche, die verdächtigt wurden, als Mitglieder von sogenannten Werwolf-Gruppen Widerstandshandlungen gegen die Besatzungsmacht vorzubereiten.

Anhand der ausgewählten Fallbeispiele zeigt die Ausstellung auf, dass die Bandbreite der als „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ zur Anklage gebrachten Tatvorwürfe sehr groß war, mehrere Hundert an NS- und Kriegsverbrechen oder an der Misshandlung ausländischer Arbeitskräfte Beteiligte, aber auch diesbezüglich Unschuldige umfasste.

Bekämpfung demokratischer Kräfte

Weitere in der Wanderausstellung dargestellte Themenfelder betreffen die Bekämpfung der Sozialdemokratie sowie von selbstbewussten Vertretern der als bürgerliche Oppositionsparteien angesehenen Liberaldemokratischen Partei und der CDU. Schließlich betrachtete es die sowjetische Besatzungsmacht als vordringliches Ziel, die Etablierung eines durch das sowjetische Vorbild geprägten Gesellschafts- und Wirtschaftssystems abzusichern, indem die SED als kommunistische Kaderpartei allumfassend unterstützt wurde. Sozial-, Liberal- und Christdemokraten, die dieser vorbestimmten Entwicklung im Weg standen, mussten mit Verhaftungen sowie Aburteilungen rechnen, in der Regel wegen antisowjetischer Propaganda und Gruppenbildung sowie oftmals pauschal unterstellter Spionage für westliche Geheimdienste.

Dass es vielerorts tatsächlich zu Widerstandsaktionen bzw. zu Zusammenschlüssen von Kritikerinnen und Kritikern und erklärten Gegnerinnen und Gegnern der Sowjetisierung und SED-Herrschaft kam, wird in der Ausstellung in einem größeren Part thematisiert: Viele dieser als illegal betrachteten Gruppierungen wurden vom sowjetischen Geheimdienst, zum Teil in Kooperation mit der deutschen Kriminalpolizei und ab Anfang 1950 auch mit dem DDR-Ministerium für Staatssicherheit (MfS), aufgedeckt. Hieraus resultierten Hunderte Aburteilungen durch Militärtribunale. Die Tatvorwürfe betrafen in vielen Fällen das Verbreiten von zumeist über West-Berlin eingeschleusten Flugblättern verschiedener Organisationen, die die Unterdrückungspraxis in der sowjetischen Zone anprangerten.

Urteil stand schon vor Verhandlung fest

Alle in der Ausstellung porträtierten Opfer der sowjetischen Militärjustiz eint, dass sie in der Regel aufgrund pauschal erhobener und oftmals lediglich unterstellter Vorwürfe sowie unter Folter erpresster „Geständnisse“, die keiner ausreichenden Beweissicherung unterzogen wurden, angeklagt und auch verurteilt worden waren: ohne Verteidigung in auf Russisch geführten Schnellverfahren, bei denen das Strafmaß bereits feststand. Zahlreiche SMT-Verurteilte wurden ab den 1990er Jahren durch die Militärstaatsanwaltschaft der Russischen Föderation aufgrund der nun getätigten Feststellung, dass die Verteilungen zu Unrecht erfolgt waren, strafrechtlich rehabilitiert.

Die ungekürzte Erstveröffentlichung des Beitrags erschien in: Erinnern! Aufgabe, Chance, Herausforderung, hrsg. von der Stiftung Gedenkstätten Sachsen-Anhalt, Nr. 1-2021, S. 146–152.