Tagesordnungspunkt 26
Housing First - Kommunen unterstützen bei Bekämpfung von Wohnungslosigkeit
Antrag Fraktion DIE LINKE - Drs. 8/1852
Alternativantrag Fraktionen CDU, SPD und FDP - Drs. 8/1894
Einbringerin des Ursprungsantrags ist die Abg. Frau Hohmann. - Frau Hohmann, Sie haben das Wort, bitte sehr.
Monika Hohmann (DIE LINKE):
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Thema Armut, besonders unter dem Aspekt der Obdachlosigkeit, rückt alljährlich in den Wintermonaten in den Fokus. Menschen erfrieren auf der Straße. Im Jahr 2021 gab es in Sachsen-Anhalt 2 192 Zwangsräumungen von Wohnraum. Umgerechnet auf die 255 Arbeitstage im Land entspricht das 8,6 Räumungen - ich runde das einmal auf neun Räumungen auf - pro Tag. Wir haben heute einen Tag hier gesessen - neun Räumungen.
Ebenfalls rücken die aktuellen Probleme von Inflation und Preissteigerungen für Lebensmittel und Energie in den Fokus. Allein die Preise für Wohnen, Wasser, Strom, Gas und andere Brennstoffe sind in Sachsen-Anhalt im Vergleich zum letzten Jahr um 14,2 % gestiegen. Daran können Sie sehen, dass diese Themen wohl leider längerfristig und breiter auf der Agenda stehen werden. Hier im Haus ist das Thema Obdachlosigkeit gerade Teil einer aktuellen Ausstellung. Im B Flügel in der ersten Etage kann man sich das anschauen.
Sehr geehrte Damen und Herren! Nach der Resolution des EU-Parlaments von 2020, mit der die Obdachlosigkeit in der EU bis 2030 bekämpft werden soll, und den Beschlüssen der Konferenz der Arbeits- und Sozialminister im Dezember 2021 dazu muss sich auch in Sachsen-Anhalt mehr bewegen.
(Zustimmung bei der LINKEN)
Im September 2022, also erst vor Kurzem, erschien erstmals eine seit vielen Jahren von sozialen Trägern geforderte bundesweite Wohnungslosenstudie. Für den Forschungsbericht 605 des Bundessozialministeriums, in dessen Auftrag die GISS eine umfangreiche empirische Untersuchung vorgelegt hat, wurden in 151 deutschen Städten wohnungslose Menschen befragt, wie, ob und wo sie Notunterkünfte nutzen. In Sachsen-Anhalt waren Halle, Dessau-Roßlau, Wittenberg und Nebra an dieser Befragung beteiligt.
Mit dieser Studie liegen erstmals Zahlen dazu vor, wie viele Menschen in Deutschland kein Dach über dem Kopf haben oder sich behelfsmäßig bei Bekannten und Verwandten durchschlagen. Im Ergebnis wird die Gesamtzahl der erwachsenen Wohnungslosen ohne Unterkunft in Deutschland auf ca. 37 400 Personen geschätzt und die Zahl der erwachsenen verdeckt Wohnungslosen auf ca. 49 300. Hinzu kommen rund 6 600 minderjährige Kinder und Jugendliche, von denen 1 100 gemeinsam mit ihren Eltern auf der Straße leben und ca. 5 500 in verdeckter Wohnungslosigkeit.
Eine eigene Wohnung stellt einen elementaren Schutzraum dar, insbesondere für Frauen und Kinder. Sie können sich den Bericht gern ansehen. Ich zitiere von Seite 54:
„Die Zahl der wohnungslosen Frauen, die sexualisierte Gewalt erfahren, ist besorgniserregend hoch.“
(Zustimmung bei der LINKEN und von Olaf Meister, GRÜNE)
Ich habe mir die heutige Gedenkveranstaltung angesehen und denke mir, so schließt sich der Kreis auch wieder.
Ein weiteres Problem ist der schlechte Gesundheitszustand vieler wohnungsloser Menschen. In der Untersuchung heißt es, dass das Leben auf der Straße und in verdeckter Wohnungslosigkeit einhergeht mit körperlichen, psychischen und oftmals Suchterkrankungen. Niedrigschwellige Gesundheitshilfen stünden kaum zur Verfügung. Des Weiteren wird in dem Bericht darauf hingewiesen, dass zielgruppenspezifische Hilfsangebote, z. B. für Migranten, Frauen mit Kindern oder junge Männer, Prävention und eine dauerhafte Wohnungsversorgung die wichtigsten Instrumente bleiben, um Wohnungslosigkeit zu beenden. Das heißt, gerade diese Gruppe hat es schwer, wieder Fuß zu fassen.
Das Durchschnittsalter von Wohnungslosen liegt bei 44 Jahren, aber bei verdeckter Wohnungslosigkeit liegt das Durchschnittsalter bei 35 Jahren. Wenn man eine Unterteilung in Männer und Frauen vornimmt, dann sieht man, dass es sehr viele Frauen im Alter von bis zu 30 Jahren gibt, die in der verdeckten Wohnungslosigkeit stecken. Im Ergebnis ist die verdeckte Wohnungslosigkeit, insbesondere auch von jungen Frauen, auffällig. Zunehmend wird auch hierzulande medial vom sogenannten Sofahopping und von schwierigen Zeiten für Obdachlose berichtet.
„Housing First“ ist für uns wie für viele Wohlfahrtsverbände ein vielversprechender Ansatz, um Wohnungslosigkeit zu verhindern. Das Konzept stammt aus den USA, wird in Finnland derzeit erfolgreich eingesetzt und mittlerweile auch deutschlandweit in Kommunen erprobt. Es soll präventiv, niedrigschwellig, nachhaltig und schnell Menschen ein Zuhause geben, die nach einem Wohnungsverlust keine Chance auf dem regulären Wohnungsmarkt haben. Die kommunale ordnungsrechtliche und temporäre Unterbringung in Obdachlosenheimen ist keine Lösung, zumal die Betroffenen Notunterkünfte laut oben erwähnter Studie meist scheuen.
Die Landeshauptstadt Magdeburg hat Mitte dieses Jahres ein Projekt zu „Housing First“ gestartet, das bis 2024 von der Uni Magdeburg wissenschaftlich begleitet wird. Hierin zeigt sich jedoch ein Problem. Begleitende Fachkräfte wie Sozialarbeiter und selbst Sachbearbeiter sind schwer zu finden. Die vielschichtigen Problemlagen obdachloser Menschen sind komplex und das Angebot muss sich wahrscheinlich erst herumsprechen.
Zur Bekämpfung der Obdachlosigkeit brauchen die Kommunen personelle und finanzielle Unterstützung, um solche Modellprojekte wie in Magdeburg tatsächlich umsetzen zu können. Hier soll ein Förderprogramm helfen, da die Bundesmittel des Wohnraumfördergesetzes im Land bisher kaum abgeflossen und an den Bund zurückgegangen sind. Das Thema hatten wir schon mehrfach hier im Hohen Haus. Die Mietwohnungsbaurichtlinie soll dafür deshalb kurzfristig angepasst werden. Die Landesregierung soll in Zusammenarbeit mit den verschiedenen Trägern das Konzept „Housing First“ etablieren, um langfristig Wohnraum für alle Menschen im Land zu gewährleisten.
Derartige Modellprojekte zum Housing First sind bereits in sieben Bundesländern gestartet - das Land Sachsen-Anhalt ist diesbezüglich kein Vorreiter, sondern hinken hinterher , in Bremen gibt es dieses Modellprojekt seit vielen Jahren, in Baden-Württemberg steht das Konzept im Koalitionsvertrag, auch Berlin arbeitet sehr erfolgreich nach diesem Konzept und auch Sachsen hat für das Housing-First-Konzept 150 000 € in den aktuellen Haushalt eingestellt und in dieser Größenordnung würde das auch uns vorschweben.
Das Erstellen einer Landesstatistik zu Wohnungslosigkeit soll helfen, den konkreten Bedarf, die Situation und die Probleme der betroffenen Menschen einzuschätzen und niederschwellig zu beheben. Deshalb finde ich es schwierig, dass sich diese Forderung nicht im Alternativantrag der Koalitionsfraktionen wiederfindet; denn ich denke, auch für das Land Sachsen-Anhalt wäre das ein gutes Instrument, hier nachzuschauen.
(Beifall bei der LINKEN)
Nordrhein-Westfalen hat es bereits gemacht. Wie gesagt, schade, dass dies im Land Sachsen-Anhalt noch nicht gemacht wird, aber wir werden an dem Thema dranbleiben.
Es wäre uns sehr schön, wenn dieser Antrag zur federführenden Beratung in den Sozialausschuss und zur Mitberatung in den Ausschuss für Infrastruktur und Digitales überwiesen würde. Aber ich habe schon mitbekommen, dass das so nicht geht. Na ja, wir werden schauen, wie wir das Thema trotzdem weiter besetzen können. - Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
(Beifall bei der LINKEN)