Henriette Quade (DIE LINKE):
Herr Präsident, vielen Dank. - Meine Damen und Herren! Ist der Verfassungsschutz noch in guter Verfassung? Das fragt, wie immer vermeintlich voller Sorge um die Demokratie, die rechtsextreme Fraktion hier im Hause. Die Antwort auf diese Frage ist aus der Sicht meiner Fraktion recht simpel: Nein, der Verfassungsschutz ist nicht in guter Verfassung. Er war es im Übrigen auch noch nie. Es ist kein Geheimnis, dass meine Fraktion und meine Partei die Auflösung des Verfassungsschutzes als Geheimdienst fordern.
(Beifall bei der LINKEN - Zuruf: Na, klar!)
Das „noch“ in der Frage der AfD-Fraktion ist hierbei das entscheidende Wort. Ich werde später darauf zurückkommen.
Die Befugnisse und Aufgaben der Inlandsgeheimdienste von Bund und Ländern sind seit Jahren zu kritisieren. Ganz grundsätzlich ist die Konstruktion eines Inlandsgeheimdienstes ein Fremdkörper im demokratisch verfassten Staat. Wissenschaftlich hat diese Kritik etwa der Politikwissenschaftler Claus Legewie immer wieder formuliert, der das Konzept des Republikschutzes dem Skandalbetrieb Verfassungsschutz entgegenstellte. Der Verfassungsschutz schützt nicht die Werte der Verfassung. Er kann dies schon seiner Konstruktion nach gar nicht tun.
(Zuruf: Warum nicht?)
Die seinen Bewertungen zugrunde liegenden Prämissen der Extremismustheorie sind nicht zu gebrauchen. Sie können nicht zu brauchbaren Ergebnissen führen. Legewie weist deswegen darauf hin, dass etwa der Kampf gegen Neonazismus, Rassismus und Antisemitismus einer der ganzen Gesellschaft und ihrer Bürgerinnen und Bürger sein muss; er kann nicht an einen Geheimdienst delegiert werden.
Die strukturelle Unkontrollierbarkeit dieser Geheimdienste, das V Mann-Prinzip, der Vorrang des Quellenschutzes und andere dem Verfassungsschutz inhärente Fehlkonstruktionen haben dazu geführt, dass Gelder in rechte Netzwerke geflossen sind und die Rolle der Inlandsgeheimdienste im NSU-Komplex bis heute nicht vollständig aufgeklärt ist, weil sie sich bis heute der konsequenten Aufarbeitung der eigenen Rolle Stichwort NSU-Akten verweigern und dazu durch Bundes- und Landesregierungen im Übrigen auch nicht angehalten werden.
(Beifall bei der LINKEN)
Die Liste der Skandale der Inlandsgeheimdienste der Bundesrepublik ist lang. Deutlich kürzer und dennoch bemerkenswert ist die Liste der Rücktritte ihrer Präsidenten, wenn Skandale durch Medien öffentlich gemacht wurden, die an dieser Stelle um auch das sehr deutlich zu sagen mehr zum Schutz der Demokratie beigetragen haben als die damit beauftragten Behörden. Deswegen gibt es viele gute und richtige Gründe, über die Rolle und die Verfasstheit des Verfassungsschutzes zu sprechen, ihn zu kritisieren und darüber nachzudenken, was statt des Systems der Inlandsgeheimdienste denk- und machbar ist.
Der Antrag der AfD-Fraktion auf Durchführung einer Aktuellen Debatte ist keiner dieser Gründe. Denn erstens ist die vermeintliche Sorge von Rechtsextremen um die Demokratie und den Rechtsstaat niemals wirklich niemals! ernst zu nehmen.
(Matthias Büttner, Staßfurt, AfD: Ja, ja!)
Wer wie der jetzige Vorsitzende des Innenausschusses damit droht, wütende Demonstranten mit Mistgabeln zu den Büros der Abgeordneten zu führen,
(Oh! bei der AfD)
wer mit Lügen und Falschinformationen gegen Geflüchtete hetzt, wer Vereine und Projekte, die sich kritisch mit der AfD und den von ihr propagierten Werten auseinandersetzen, am liebsten verbieten will, der ist nicht in Sorge um die Demokratie, der arbeitet gegen sie.
Insofern ist das führt mich zu Zweitens das Bekenntnis der AfD zur Demokratie kein ehrliches, sondern ein taktisches.
(Beifall bei der LINKEN)
Sie verkehrt Begriffe in ihr Gegenteil. Sie spricht von Demokratie, wenn auf Versammlungen der Angriff auf eben diese Demokratie propagiert wird. Sie greift damit zu einem ihrer wichtigsten Instrumente: der Zerstörung der öffentlichen Debatte. Denn diese Debatte ist darauf angewiesen, dass Tatsachen als Tatsachen grundsätzlich erkannt werden, damit man sich im nächsten Schritt darüber austauschen kann, was zu tun ist. Wer Tatsachen durch Lügen ersetzt
(Lothar Waehler, AfD: Typisch Linke!)
oder Tatsachen einfach zur Disposition stellt, der nimmt einer Debatte die Grundlage. Wenn am Ende alles eine Frage der Meinung ist, dann wird Wahrheit beliebig und dann können Begriffe eben auch in ihr Gegenteil verkehrt werden. Genau darum geht es, genau das ist beabsichtigt. Die Behauptung, dass es Corona nicht gibt, steht dann gleichberechtigt neben der Behauptung, dass es Corona gibt. Die Behauptung, die AfD sei eine demokratische Partei, steht dann gleichberechtigt neben der Tatsache, dass sie eine rechtsextreme Partei ist. Die Zerstörung der Debatte ist die Voraussetzung für die extreme Rechte, um ihre Positionen in die Debatte zu bringen; denn dazu müssen zunächst die Fakten weichen.
Drittens zu dem Wort „noch“. Ist der Verfassungsschutz n o c h in guter Verfassung? Auf dieses Wort kommt es an. Wenn es gegen links geht, dann zieht die AfD den Inlandsgeheimdienst sehr gern als Kronzeugen für die eigenen Behauptungen heran und dann soll schon die bloße Erwähnung einer Gruppe im Verfassungsschutzbericht am besten sofort zu Berufs- und Studienverboten für ihre Unterstützerinnen führen.
Die Antragstellerin könnte gut mit einem Verfassungsschutz leben, der ihr Instrument zur Bekämpfung politischer Gegnerinnen und Gegner wäre. Setzt sich der Inlandsgeheimdienst zunehmend mit der AfD-Partei und mit den ihr verbundenen Gruppierungen, Demonstrationen und Versammlungen auseinander, dann greift sie ihn an. Dies geschieht nicht aus Sorge um die Demokratie, die Sicherheitsarchitektur oder die Grund- und Menschenrechte, sondern weil sie, vielleicht mehr noch als die Beobachtung, der bloße Widerspruch stört.
Meine Damen und Herren! Ich wünsche der AfD wirklich nichts Gutes, noch nicht einmal einen guten Tag.
(Matthias Büttner, Staßfurt, AfD: Das wissen wir doch!))
Aber wenn Sie mir aufmerksam zuhören, werden Sie gemerkt haben,
(Daniel Roi, AfD: Machen Sie nur weiter so!)
dass ich noch nie die Beobachtung der AfD durch den Verfassungsschutz gefordert habe.
(Daniel Roi, AfD: Machen Sie nur weiter so!)
Das unterscheidet fundamental die Position der extremen Rechten in diesem Parlament von der meiner Fraktion. Wir streiten für Menschenrechte und gegen Antisemitismus, Rassismus und die extreme Rechte. Wir gehen dafür auf die Straße und wir streiten hier im Parlament dafür und notfalls setzen wir uns den Rechten auch ganz praktisch in den Weg.
Wir fordern die Abschaffung der Inlandsgeheimdienste nicht, weil sie sich uns nicht beugen wollen oder weil sie auch Teile meiner Partei als extremistisch einstufen; sondern, weil wir davon überzeugt sind, dass Inlandsgeheimdienste nicht für die Aufgaben geeignet sind, die ihnen aktuell zugewiesen werden, sondern dass sie selbst eine Gefahr sind.
(Markus Kurze, CDU: Was ist das denn für ein Quatsch? - Weitere Zurufe von der CDU)
Wir haben an dieser Stelle mehrfach und intensiv über die Einordnung dessen, was sich unter dem Label Coronaproteste in Sachsen-Anhalt und andernorts abgespielt hat, gestritten, was davon zu halten ist, wenn ganz normale Leute behaupten, sich wie die Juden in Nazideutschland zu fühlen und damit den Holocaust relativieren, wie friedlich der Charakter von Demonstrationen ist, die mit Fackeln in der Hand fordern, Politikerinnen ihrer gerechten Strafe zuzuführen und damit den Galgen meinen, der vielfach gleich noch als Kundgebungsmittel mitgeführt wurde, und wie wenig oder eben doch nicht so wenig rechts Menschen sind, die vom Great Reset, von der Impfdiktatur und von Impfstoffen und Masken als Gift gegen unsere Kinder schwadronieren und dies nicht nur in der gleichen Wortwahl, sondern auch in trauter Eintracht mit alten und neuen Nazis, rechten Kameradschaften und Wortführern der sogenannten Neuen Rechten tun.
Dies nun als verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates zu kategorisieren, zeigt vor allem, dass die Extremismustheorie der Inlandsgeheimdienste unbrauchbar ist und dass sie an ihren eigenen Kategorien scheitern. Es hat Jahre gebraucht, bis die Geheimdienste, jedenfalls teilweise, verstanden haben, dass extrem rechte Einstellungen und Antisemitismus in der Mitte der Gesellschaft das Problem für die Demokratie sind,
(Oh! bei der AfD)
ganz gleich wie oft, wie empirisch und wie fundiert dies die Wissenschaft gezeigt hat.
(Guido Kosmehl, FDP: In einigen Teilen der Wissenschaft!)
Nun sehen sie sich erneut Phänomenen gegenüber, das sich, in der irrigen Annahme von extremistischen Rändern und demokratischer Mitte, nicht einfügen lässt. Statt die falschen Grundannahmen infrage zu stellen und zu korrigieren, reagieren die Dienste nun mit einer neuen Kategorie. Das kann man machen. Das wird aber absehbar nicht hilfreich sein.
Wir brauchen einen klaren Trennungsstrich zu Verschwörungsideologien, rassistischen und antisemitischen Ressentiments und gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit sowie eine Politik, die das endlich als Probleme der Mitte begreift.
Entscheidender als neue Kategorien, in denen Inlandsgeheimdienste aufzählen, was die Medien bereits längst berichtet haben und was andere besser analysieren, ist die Gegenwehr aus der Gesellschaft. Jede glaubwürdige Abgrenzung, etwa der CDU von der AfD, bringt mehr als diese neue Kategorie. Jede ernsthafte Beschäftigung mit den Mitte-Studien ist wichtiger als die Lektüre des Verfassungsschutzberichtes. - Vielen Dank.
(Beifall bei der LINKEN - Ulrich Siegmund, AfD: Sie wählen doch selber AfD!)