Zeit für einen spürbaren „Wumms“ für Kinder und Jugendliche
Antrag Fraktion DIE LINKE - Drs. 8/1854
Einbringen wird den Antrag die Fraktionsvorsitzende Frau von Angern.
Eva von Angern (DIE LINKE):
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren Abgeordneten! Die Ampelkoalition hat sich in den Begriff „Wumms“ verliebt. Also kommen wir in einem für uns hoch prioritären Bereich mit dem „Wumms“ gern entgegen. Uns geht es dabei natürlich nicht um irgendwelche Wortspielereien, sondern um eine tatsächlich spürbare Aufmerksamkeit für die Situation von Kindern und Jugendlichen in unserem Land. Ich bin schon jetzt sehr gespannt darauf, wie viel Raum unser Ministerpräsident morgen den Kindern, Jugendlichen und Familien in unserem Land in seiner Regierungserklärung Raum einräumt.
(Zustimmung bei der LINKEN)
Dabei ist die von uns angeführte Corona-Kita-Studie des Robert-Koch-Institutes und des Deutschen Jugendinstitutes nur eine Grundlage für unseren Antrag. Uns bewegt gleichermaßen die Einschätzung von jungen Menschen gegenüber politischen Prozessen.
Zuletzt war es das Ifo-Institut, und im letzten Jahr war es - vielleicht haben es einige mitbekommen -die Zeitschrift Geolino, die Stimmen von Kindern und Jugendlichen dazu eingesammelt haben, wie sie sich denn in den letzten Jahren von politischen Entscheidungsträgern vertreten gefühlt haben, wie sie sich überhaupt gehört gefühlt haben. Ich kann Ihnen sagen, es war ein sehr, sehr schlechtes, aber ein sehr ehrliches Zeugnis.
Nicht zuletzt muss uns alarmieren, dass diese Einschätzung von den jungen Menschen so vorgenommen wird, weil sie die Generation sind, die einst die Demokratie in unserem Land tragen und hoffentlich auch verteidigen wird.
Dieser Einschub sei mir an dieser Stelle erlaubt: Ich habe mich sehr darüber gefreut, dass am 9. November die rot-rot-geführte Landesregierung in Mecklenburg-Vorpommern verkündet hat, dass sie für die Landtagswahlen das Wahlalter von 16 Jahren eingeführt hat.
(Zustimmung bei der LINKEN)
So wird Vertrauen in Politik zurückgewonnen und so beteiligen wir junge Menschen auch tatsächlich im Konkreten. Hut ab!
Nun aber zurück zum Wumms. Die Corona-Kita-Studie des RKI und des Deutschen Jugendinstituts hat den Nachweis erbracht, dass Schließungen von Kitas und Schulen eine große Belastung für Familien, für Kinder waren und nach heutigem Wissensstand nicht nötig gewesen sind. Wir müssen feststellen, dass in keinem OECD-Land die Kitas so lange geschlossen waren wie in Deutschland. Die Förderbedarfe, insbesondere bei bereits benachteiligten Kindern, sind erheblich gestiegen. Man muss es ganz klar benennen: Sie sind die eigentlichen Verlierer der Pandemie. Sie sind motorisch, sozioemotional, aber auch psychisch erheblich belastet. Wir als Fraktion haben bereits mehrfach auf das Papier der Ostdeutschen Psychotherapeutenkammer hingewiesen, das schon im letzten Jahr veröffentlicht worden ist und bereits im letzten Jahr erheblich Alarm geschlagen hat.
Angststörungen, Medien- und Spielsucht sind bei Kindern und Jugendlichen gestiegen. Der Stress für Eltern, insbesondere für Alleinerziehende, ist ebenfalls erheblich gestiegen. Aber selbstverständlich möchte ich auch die Belastungen der Erzieherinnen und der Lehrerinnen aufgrund ständiger Anpassungen, ständiger neuer Herausforderung nicht unerwähnt lassen. Das sind nur einige Ergebnisse der Studie, die allerdings auch nicht wirklich überrascht haben.
Die Studie besagt nicht, das hätte man wissen müssen. Auch ich werde der Versuchung heute nicht erliegen, auch wenn ich damals ein sehr flaues Gefühl hatte. Sie erinnern sich wahrscheinlich alle an die abgesperrten Kinderspielplätze. Wir wussten doch alle ganz genau, wo die Kinder sind. Sie waren in ihren Wohnungen de facto eingesperrt und - auch das müssen wir feststellen - nicht selten waren es sehr enge Wohnverhältnisse. Aber es war ein Abwägungsprozess. Wir alle wussten damals nicht, wie sich das Infektionsgeschehen entwickeln wird. Es gab eben einfach keine Blaupause. Deshalb geht es heute nicht darum zu sagen, das haben wir immer schon gewusst - das würde auch nicht den Tatsachen entsprechen -, sondern es geht darum, für kommende Krisen vorzusorgen.
Es geht darum, die Analysen vieler verschiedener Untersuchungen ernst zu nehmen und die verschiedenen Benachteiligungen, die Kinder und Jugendliche in den letzten Jahren erleben mussten, aufzuholen. Jetzt ist es an uns, für Kinder und Jugendliche da zu sein. Jetzt müssen wir solidarisch mit ihnen sein. Ich finde, an dieser Stelle ist es das Mindeste, dass wir uns bei ihnen entschuldigen.
(Beifall bei der LINKEN)
Im Übrigen war es auch der ehemalige Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen Armin Laschet, der Gleiches gefordert hat. Ich weiß, er ist bei Ihnen ein bisschen out. Aber in dem Fall hatte er recht.
(Stefan Gebhardt, DIE LINKE, lacht - Tobias Krull, CDU: Ein hochgeschätzter Kollege des Deutschen Bundestages!)
Es wurde durchaus viel Geld in diesem und auch im letzten Jahr sowohl vom Bund als auch von den Ländern in die Hand genommen, um Kitas, Schulen und Jugendhilfe mit dem Programm „Aufholen nach Corona“ zu unterstützen. Das ist durchaus ein erster Schritt. Es wurde damit durchaus auch viel Vernünftiges gemacht. Aber viel ist eben nicht immer unbedingt zielgerichtet.
Wir alle wissen, dass das Geld auch aufgrund der Zeitnot der Akteurinnen teilweise im Gießkannenprinzip verteilt worden ist. Und es ist klar: Das Gießkannenprinzip ist dem Grunde nach nicht gerecht.
Deswegen lassen Sie uns gemeinsam hinschauen, was denn von diesem Zweck, der damit vom Bundestag verfolgt worden ist, tatsächlich erreicht worden ist und an welchen Stellen wirklich nachgebessert werden konnte.
Ich möchte ein Beispiel herausnehmen, nämlich die Ferienfreizeiten. Das mag auf den ersten Blick durchaus ein banales Beispiel sein, aber ich möchte daran erinnern, dass in Sachsen-Anhalt fast jedes vierte Kind von Armut betroffen ist. Wir reden also über eine Vielzahl von Kindern und Jugendlichen, die in ihrem Leben nie einen Urlaub erlebt haben. Für sie waren diese Ferienfreizeiten tatsächlich etwas sehr Besonderes. Ich möchte auch daran erinnern: Es gab in diesem Landeshaushalt einmal einen Titel für diese Ferienfreizeiten, und zwar bei Einzelplan 05, dem Einzelplan des Sozialministeriums. Dieser Titel ist unter einer CDU-FDP-geführten Regierung auf null gesetzt worden. Das ist ein gravierender Fehler gewesen, jetzt aber auch kurzsichtig.
(Beifall bei der LINKEN)
Schauen wir parallel einmal gemeinsam auf die sogenannten Hilfen zur Erziehung in den Kommunen und darauf, wie sich diese in den letzten 20 Jahren in Landkreisen und kreisfreien Städten entwickelt haben. Sie werden bei genauer Betrachtung sehen, dass dort trotz stagnierender Kinderzahlen die Kosten enorm gestiegen sind. Das liegt vor allem an teuren Interventionsmaßnahmen. Ich muss keine Sozialwissenschaftlerin sein, um zu wissen, dass Prävention immer preiswerter ist. Wenn ich aber im Präventiven spare, muss ich für die teuren Maßnahmen mehr Geld ausgeben. Das ist eine rein fiskalische Argumentation, die sicherlich für die kommunalen Vertreterinnen unter Ihnen nicht unwichtig ist, aber - das möchte ich natürlich nicht unerwähnt lassen - hinter dieser Diskussion stecken Einzelschicksale.
Meine Kollegin Monika Hohmann ist sehr engagiert im Bereich der Pflegeeltern hier in Sachsen-Anhalt. Ich kann Ihnen dringend empfehlen, ein Gespräch mit dem Landesverband zu suchen, in dem viele Pflegeeltern auch selbst aktiv sind. Sie leisten einen wichtigen Beitrag und sie können Ihnen viele schlimme Geschichten aus der Pandemie berichten. Es wäre schön, wenn es Geschichten wären; aber sie sind bittere Realität für die betroffenen Kinder. Ich kann mich an einen Fall erinnern, in dem die Polizei durch Zufall festgestellt hat, dass acht Geschwisterkinder, darunter auch Kleinstkinder, in der Pandemie de facto in einer kleinen Wohnung eingepfercht waren. Ihnen fehlte natürlich das Schutznetz der Kita. Ihnen fehlte das Schutznetz der Schule. Das ist nur bekannt geworden durch die Polizei, weil sich der eine Vater mit dem ältesten Sohn um einen Teller Suppe gekloppt hat.
Das ist nicht die Norm; dessen bin ich mir schon bewusst. Aber solche Einzelfälle müssen uns alarmieren; denn sie sind bittere Realität für Kinder in unserem Land.
(Beifall bei der LINKEN)
Ich will auch Folgendes sagen; ich habe es heute Morgen abgefragt: Die gestiegene Anzahl der Kindeswohlgefährdungen ist eben kein statistischer Ausreißer, wie zunächst vom Sozialministerium auf meine Anfrage geantwortet wurde. Die Schließungen von Kitas und Schulen haben dazu geführt, dass ein wichtiges Schutznetzwerk für Kinder und Jugendliche in unserem Land weggefallen ist.
Das heißt, wir brauchen jetzt dringend Handlungen. Wir müssen jetzt etwas tun. Ich bin nach wie vor davon überzeugt, dass es ein guter und richtiger Schritt der Sozialministerin der jetzigen und der letzten Wahlperiode war, auf Initiative des Landtages einen Kindergipfel zu organisieren und durchzuführen.
Im Übrigen war das auch für die Fachkräfte damals ein wichtiges Signal, auch wenn aus Zeitmangel möglicherweise nicht alle daran teilgenommen haben. Aber die Fachkräfte in unserem Land haben sich in dieser Zeit nicht selten nicht nur nicht gehört gefüllt, sondern tatsächlich auch alleingelassen gefühlt mit all den Problemen, die sie hatten. Dabei rede ich nicht nur vom öffentlichen Sektor, sondern auch von der freien Kinder- und Jugendhilfe. Dort hat man sich lange Zeit gefragt, ob man denn überhaupt in die Familien, bei denen es wichtig ist, gehen kann. Was passiert mit mir? Wie kann ich mich selbst schützen? Wie kann ich aber auch die Kinder vor der Situation schützen? Die Alternative, alle Kinder aus den Familien herauszunehmen, ist natürlich keine wirkliche Alternative. Ich möchte mich an dieser Stelle ganz herzlich für all das Engagement dieser Fachkräfte bedanken.
(Beifall bei der LINKEN)
Als Fraktion haben wir in der letzten, aber auch in der jetzigen Wahlperiode nicht ohne Grund gefordert, dass es einen Pandemierat beim Landtag von Sachsen-Anhalt geben soll. Das haben wir gefordert, damit all die Professionen, die keine Rolle gespielt haben, die hinten runtergefallen sind, zumindest hier im Landtag gehört werden, um mit uns ihr Wissen zu teilen und vor allem uns die Möglichkeit zu geben, auch Konsequenzen daraus zu ziehen. Wir erinnern uns: Sie wollten das nicht.
Sehr geehrte Kolleginnen der CDU, Ihre Bundestagsfraktion hat in der letzten Wahlperiode verhindert, dass Kinderrechte in das Grundgesetz aufgenommen werden. Dazu kann ich nur sagen: Klopfen Sie sich ruhig einmal auf Ihre eigenen Schultern; denn Sie waren dabei, als wir Kinderrechte, wenn auch mit Makel - ich hätte mir andere gewünscht -, gemeinsam in die Landesverfassung eingeführt haben. Ich hoffe ganz ehrlich, dass es zumindest jetzt in der Ampelkoalition klappt und es nicht wieder einen hindernden Part gibt.
(Beifall bei der LINKEN)
Die Kindergrundsicherung, zumindest ein Wahlversprechen von SPD und GRÜNEN, soll nun erst im Jahr 2025 eingeführt werden. Das Jahr 2025 wird vermutlich - ich gehe derzeit davon aus - das Wahljahr für die Bundestagswahl sein. Wir wissen, was das für solche Vorhaben bedeutet. Ich finde, es ist gerade vor dem Hintergrund der Dinge, die jetzt geschehen, angesichts der gestiegenen Kosten und der Inflationsrate, ein Unding, damit erst im Jahr 2025 zu beginnen. Ich hoffe, dass es an dieser Stelle noch ein Umdenken gibt.
(Beifall bei der LINKEN)
Ich erinnere daran - auch wenn das kleinteilig klingen mag -: Auch unsere Fraktion war es, die Sie aufgefordert hat und die beantragt hat, dass der Landesjugendhilfeausschuss eine beratende Stimme im hier zuständigen Fachausschuss bekommen soll. Das haben wir nicht ohne Grund getan. Ich erinnere auch daran, dass wir gefordert haben, dass es eine Kinderkommission analog der Kinderkommission im Bundestag geben soll. Als die FDP in der Opposition war, hat sie das ebenfalls - erfolglos - gefordert. Aber vielleicht erinnern Sie sich jetzt daran. Sie haben gemeinsam im Koalitionsvertrag einen Pakt für Kinder und Jugendliche vereinbart. Dazu sind im Übrigen auch gute Untersetzungen darin enthalten. Vielleicht nehmen Sie die eine oder andere Idee auf.
Am Ende des Tages ist es mir tatsächlich egal, wie das Projekt heißt. Ich halte es nur für wichtig, dass es kommt. Denn es darf nie wieder passieren, dass bspw. die Bundesministerin, die für Familien, Kinder, Jugendliche und Frauen zuständig ist, in einem Krisenstab nicht vertreten ist. Es darf nie wieder passieren, dass es Pandemiestäbe in Kommunen gibt, in denen keine Frau vertreten ist.
Was das zur Folge hat, können wir unter anderem in dieser Studie schwarz auf weiß lesen. Wir brauchen vorsorgende Konzepte - vorsorgend heißt eben auch vorausschauend -, die Kinder und Jugendliche in unserem Land schützen, ohne dabei auch andere Altersgruppen gegeneinander auszuspielen oder sie aus dem Auge zu verlieren. Es darf nie wieder sein, dass es in unserem Land eine latente Kinderfeindlichkeit gibt. Diese gab es; wir erinnern uns daran.
Es darf - das sage ich als gleichstellungspolitische Sprecherin - auf keinen Fall wieder dazu kommen, dass das tradierte Rollenbild hochgehalten wird, dass es Kinder und Jugendliche nur bei Mama zu Hause gut haben.
(Beifall bei der LINKEN)
Also lassen Sie uns gemeinsam mit Fachexperten und vor allem mit Kindern und Jugendlichen - denn sie sind die Experten in eigener Sache - um die besten Ideen ringen. - Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
(Beifall bei der LINKEN)
Vizepräsidentin Anne-Marie Keding:
Vielen Dank für die Einbringung des Antrages. - Für die Landesregierung wird Frau Ministerin Grimm-Benne reden. Bevor sie jedoch beginnt, möchte ich noch ganz herzlich Damen und Herren des CDU-Ortsverbandes Sülzetal auf der Tribüne begrüßen.
(Beifall im ganzen Hause)