Dr. Tamara Zieschang (Ministerin für Inneres und Sport):
Herr Präsident! Meine Damen und Herren Abgeordnete! Das Thema ist: „Ist der Verfassungsschutz noch in guter Verfassung?“ - Sie, Herr Abg. Büttner, haben das in einen Zusammenhang damit gebracht, dass es einfach nur um Andersdenkende oder um abweichende Meinungen geht, die angeblich vom Verfassungsschutz beobachtet werden. - Das ist mitnichten der Fall.
Ich habe hier mehrmals deutlich gemacht das im Übrigen auch im Zusammenhang mit Coronademonstrationen , dass ich das verfassungsrechtlich geschützte Recht auf Meinungsfreiheit und auch das auf Versammlungsfreiheit achte und schütze. Aber neben Unmutsbekundungen, die zu einer Demokratie gehören, zeigte sich bei diesen Coronaprotesten auch, dass es dort eine Form gibt, die an den Grundpfeilern unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung rüttelt.
Dieses Protestgeschehen brachte nicht nur eine neue Form des Extremismus hervor, sondern auch eine Gefährdung der Sicherheit, vor allem von Personen des öffentlichen Lebens. Um diese extremistischen Gruppierungen, die nicht den bekannten Extremismusbereichen des Links- und des Rechtsextremismus zugeordnet werden können, zu erfassen, wurde bundesweit im April 2021 ein neuer Phänomenbereich geschaffen: der Phänomenbereich verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates.
Worum geht es dabei? Der gesetzliche Auftrag der Verfassungsschutzbehörde ist es, Informationen über Bestrebungen, die gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung oder die Sicherheit des Bundes oder Landes gerichtet sind, zu sammeln und auszuwerten. Voraussetzung dafür ist das Vorliegen von tatsächlichen Anhaltspunkten.
Wenn tatsächliche Anhaltspunkte für eine verfassungsfeindliche Bestrebung vorliegen, dann ist die Verfassungsschutzbehörde gesetzlich dazu verpflichtet, entsprechende Bestrebungen zu beobachten. Insoweit hat der Verfassungsschutz überhaupt keinen Ermessensspielraum.
Das heißt wiederum, eine Beobachtung von Personenzusammenschlüssen und Einzelpersonen des Phänomenbereichs „Verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates“ ist nicht nur zulässig, sondern sogar gesetzlich geboten, wenn verfassungsfeindliche Aktivitäten feststellbar sind. Es kommt also darauf an, ob Aktivitäten verfassungsfeindlich sind.
Das heißt auch, dass demokratiekritische Äußerungen oder vehemente Kritik an Coronaeindämmungsmaßnahmen für den Verfassungsschutz nicht von Interesse sind. Es geht und ging dem Verfassungsschutz auch nie um die Erfassung von Kritikern der pandemiebedingten Einschränkungsmaßnahmen. Ich will es noch einfacher sagen: Impfgegner oder Maskenverweigerer haben für die Arbeit des Verfassungsschutzes keine Relevanz.
Dem Verfassungsschutz geht es vielmehr darum, eine klare Abgrenzung von Bürgern, die sich in legitimer Weise an Protesten beteiligen, und solchen Akteuren vorzunehmen, die diese Proteste für eine verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates nutzen.
(Zustimmung von Anne-Marie Keding, CDU)
Kernelement dessen ist die ständige und pauschale Agitation gegen demokratisch legitimierte Repräsentanten des Staates, um diese verächtlich zu machen und die Legitimität demokratischer Prozesse fundamental zu erschüttern. Derartige Agitationen äußern sich bspw. in der Unterstellung, man lebe in einer Diktatur. Damit wird zum einen das Vertrauen in die bestehende verfassungsgemäße Ordnung erschüttert, zum anderen werden Gewaltherrschaften autoritär-repressiver Systeme verharmlost.
(Zustimmung bei der CDU und von Dr. Katja Pähle, SPD)
Hierzu einige Beispiele. Bei einer Versammlung in Bernburg äußerte ein Redner ich zitiere : Der Lauterbach dreht ja komplett am Rad.
(Zuruf von der AfD: Ja!)
Der meint, der ist ja der größte im Land. Dabei ist er der größte Faschist, Kommunist und Satanist, den wir überhaupt haben.
In ähnlicher Weise formulierte dies ein Redner bei einer Versammlung in Sangerhausen über den Bundeswirtschaftsminister ich zitiere : Das ist einfach nur krank. Der Mann ist pervers, der ist krank. Der gehört vor Gericht gestellt wegen Hochverrats, wegen Landesverrats.
Hier werden Repräsentanten des Staates pauschal und persönlich verunglimpft, ohne irgendeinen Bezug zu deren konkreten politischen Entscheidungen herzustellen.
(Christian Hecht, AfD: Das stimmt doch gar nicht!)
Den handelnden Politikern wird pauschal unterstellt, böse, wahnsinnige, totalitäre Menschen zu sein. Damit bezwecken die Redner, das Vertrauen ihrer Zuhörer in staatliche Repräsentanten nachhaltig zu erschüttern.
(Zustimmung von Anne-Marie Keding, CDU)
Insbesondere in sozialen Medien schlagen die bei den Versammlungen geäußerten pauschalen Verächtlichmachungen auch in Gewaltandrohung gegen staatliche Repräsentanten um, ohne dass ein ideologischer Hintergrund erkennbar ist, der bisherigen Phänomenbereichen klar zugeordnet werden könnte.
Konkret beschrieb bspw. eine Person in einer Telegram-Gruppe aus Sachsen-Anhalt, dass sie den geschlossenen Rücktritt der Regierung fordere. Eine andere Person antwortete und auf dieses Zitat kommt es an; ich zitiere : Reicht mir nicht. Ich will die hängen sehen, und wenn es nur als Abschreckung für zukünftige Politiker ist. Diese Volksverräter müssen endgültig weg.
Hier wurde also zum Mord an Politikern aufgerufen, um an diesen ein Exempel zu statuieren. An derartigen Äußerungen werden die zum Teil hohe Gewaltbereitschaft der Szene und die Gefährdung der inneren Sicherheit durch eine Radikalisierung von Personen in den sozialen Netzwerken besonders deutlich.
(Unruhe bei der AfD)
Auch Polizistinnen und Polizisten, die das Versammlungsgeschehen begleiten, werden über die sozialen Medien verunglimpft und bedroht. Ich darf auch hierzu wieder zitieren: Eiskalt, ohne Empathie, ohne Menschlichkeit, eiskalte sadistische Schläger in schwarzen Uniformen, die sich darauf freuen, Kinder, Frauen, Omas und Opas zu verprügeln. Ihre Zeit ist abgelaufen. Seelenloser Abschaum.
Diese Beispiele sind leider keine Einzelfälle, sondern ein ständiger und systematischer Angriff von Extremisten auf die Demokratie in Wort und Schrift, sowohl im virtuellen Raum als auch auf der Straße.
Dass diese Form der Agitation letztlich auch in extremistische Gewalthandlungen mündet, die die innere Sicherheit gefährden, zeigt ein tragisches Ereignis, das dem neuen Phänomenbereich zugeordnet werden kann. Am 18. September 2021 wurde ein Kassierer in einer Tankstelle in Idar-Oberstein von einem Kunden getötet, weil er diesen zur Einhaltung der Maskenpflicht aufforderte.
Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordneten! Unsere wehrhafte Demokratie muss ihre Feinde in den Blick nehmen und das Entstehen extremistischer und gewaltbereiter Strukturen aufklären und unterbinden. Die Grenze zum Extremismus wird überschritten, wenn damit ein anderer Staat und die Überwindung des demokratisch legitimierten Systems der Bundesrepublik Deutschland gefordert werden.
Der Verfassungsschutz in Sachsen-Anhalt wird auch weiterhin seinem gesetzlichen Auftrag nachkommen und extremistische Gruppierungen, die dem Phänomenbereich des Rechtsextremismus oder des Linksextremismus oder der verfassungsschutzrelevanten Delegitimierung des Staates zuzuordnen sind, beobachten. - Vielen Dank.
(Beifall bei der CDU und bei der FDP - Zustimmung von Dr. Katja Pähle, SPD)
Vizepräsident Wulf Gallert:
Es gibt zwei Fragen, die erste von Herrn Tillschneider. - Herr Tillschneider, bitte, Sie haben das Wort.
Dr. Hans-Thomas Tillschneider (AfD):
Frau Ministerin, Sie haben jetzt einige krasse Beispiele angeführt, die auch schon strafrechtlich relevant sind und für die man den Verfassungsschutz eigentlich gar nicht braucht, weil er ja im Vorfeld dessen, was noch nicht strafrechtlich relevant ist, arbeitet. Ich will es jetzt einmal ganz konkret machen und aufzeigen, wie dieses neue Beobachtungsfeld missbraucht wird.
Wir standen ja als Partei in gerichtlicher Auseinandersetzung mit dem Verfassungsschutz. Wir wollten uns dagegen wehren, beobachtet zu werden. Dazu haben wir von Ihrem Anwalt, also von dem Anwalt des Landesamtes für Verfassungsschutz einen langen Schriftsatz bekommen, in dem auch mir persönlich dargelegt wurde, weshalb das, was ich sage, verfassungsfeindlich sein soll.
Darin fiel ein Satz, weshalb ich den Staat delegitimiere: Tillschneider unterstellt der Regierung schlechte Absichten. - Also, wenn ich der Regierung schlechte Absichten unterstelle, dann bin ich schon im roten Bereich und damit delegitimiere ich nach Ihrer Auslegung schon den Staat. Das heißt aber im Umkehrschluss, ich darf der Regierung nur gute Absichten unterstellen.
Wenn ich aber die Regierung gute Absichten unterstellen muss, um kein böser Delegitimierer zu sein, dann beschränkt sich meine Kritik auf Verbesserungsvorschläge, dann kann ich keine Grundsatzdiskussionen mehr führen, dann kann ich nicht mehr die Ziele der Regierung kritisieren, dann muss ich sagen: Oh, Regierung, du machst ja das Beste für mich, aber da und dort könntest du vielleicht ein bisschen anders … - Das hat mit Demokratie nichts mehr zu tun.
(Beifall bei der AfD - Zuruf von der AfD: Jawohl!)
Vizepräsident Wulf Gallert:
Das war jetzt nicht wirklich eine Frage. Aber wenn Sie wollen, Frau Innenministerin, können Sie natürlich darauf reagieren.
Dr. Tamara Zieschang (Ministerin für Inneres und Sport):
Ich will dazu nur zweierlei sagen. Wir befinden uns ja noch im Hauptsacheverfahren. Und aus laufenden Gerichtsverfahren berichte ich nicht öffentlich. Ich finde, das gehört auch zu den Gepflogenheiten in einem Rechtsstaat.
Aber der entscheidende Punkt ist, dass Sie jetzt wieder versuchen zu vermischen, dass jemand, der anders denkt, vom Verfassungsschutz beobachtet wird. Genau das habe ich Ihnen hier, glaube ich, sehr deutlich dargelegt, nämlich dass es legitim ist, eine andere Meinung zu haben. Solange man den Staat nicht umstürzen will, solange es eben reine Kritik ist und nicht darauf ausgerichtet ist, dieses System zu stürzen oder zu verändern, interessiert uns diese Meinung aus verfassungsschutzrechtlicher Sicht ziemlich wenig.
Vizepräsident Wulf Gallert:
Frau Zieschang, ich habe jetzt auch noch einmal das Signal bekommen. Sie sollten einfach ein bisschen lauter sprechen; denn die Höhe des Mikrofons ist eigentlich richtig. Es scheint heute mit der Akustik ein bisschen problematisch zu sein.
Sie wollen jetzt darum bitten, noch eine Nachfrage stellen zu dürfen, Herr Tillschneider? - Na ja, dann machen Sie es mal kurz.
Dr. Hans-Thomas Tillschneider (AfD):
Es stimmt nicht. Das Verfahren ist abgeschlossen, weil wir nicht mehr weitergehen. Ich hoffe, dass mir das jetzt nicht den nächsten Eintrag wegen Delegitimierung einbringt, aber wir erhoffen uns davon nichts mehr. Und deshalb haben wir es gelassen. Also wären Sie schon frei zu antworten.
Vizepräsident Wulf Gallert:
Sie müsse nicht darauf reagieren, das war keine Frage. - Ich würde jetzt einmal darauf hinweisen: Auch bei Regierungsvertretern gibt es beide Instrumente, eine Intervention, wobei man aufsteht, und eine Frage, auf die man eine Antwort haben will. Das können Sie ruhig auch bei Regierungsvertretern so machen.
Jetzt hat Herr Köhler ich hoffe es einmal eine Frage.
Gordon Köhler (AfD):
Ja. Vielen Dank für die Erteilung des Wortes. - Herr Büttner ging ja eingangs in seinem Redebeitrag auf einen Artikel in der „Süddeutschen Zeitung“ ein, die davon sprach, dass das Bundesamt für Verfassungsschutz virtuelle Agenten einsetzt. Meine Frage ist jetzt an dieser Stelle: Sie haben zitiert aus Telegram-Gruppen mit speziellen Mordaufrufen. Mich würde interessieren, ob Sie ausschließen können, dass das virtuelle Agenten des Verfassungsschutzes waren.
(Beifall bei der AfD - Oh! bei der CDU - Zuruf von der AfD: Die ist gut!)
Vizepräsident Wulf Gallert:
Frau Innenministerin, Sie haben das Wort.
Dr. Tamara Zieschang (Ministerin für Inneres und Sport):
Ich kann nicht für das Bundesamt sprechen. Aber für das Land Sachsen-Anhalt verweise ich auf § 7 Abs. 3 Nr. 10 des Verfassungsschutzgesetzes des Landes.
(Lachen bei der AfD - Oliver Kirchner, AfD: Das lassen wir einfach mal so stehen! - Unruhe bei der AfD)
Vizepräsident Wulf Gallert:
Damit sind wir am Ende des Redebeitrags der Landesregierung angekommen. Danke, Frau Ministerin.