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Plenarsitzung

Autoindustrie vor Herausforderungen

In Sachsen-Anhalt gibt es etwa 270 Unternehmen, die in irgendeiner Form mit der Autobranche verbunden sind. Etwa 26 000 Menschen arbeiten in der Auto-(Zulieferer)-Industrie. Wegen des Klimawandels und der fortschreitenden Digitalisierung wird sich die Branche zukünftig stark verändern. Mit anderen Worten: Die Automobilindustrie steht vor großen Herausforderungen und einem enormen Transformationsprozess. In den vergangenen Jahren hat sich der Landtag schon öfter mit diesem Thema beschäftigt. Am Donnerstag, 10. Februar 2022, hat der Ausschuss für Wirtschaft und Tourismus das Thema in einem Fachgespräch mit Experten erneut aufgegriffen. Grundlage war ein Selbstbefassungsantrag der Fraktion DIE LINKE.

Mann arbeitet an Auto, überprüft Antriebsstrang

Arbeiten am Antriebsstrangprüfstand mit Gesamtfahrzeugaufbau des Instituts für Kompetenz in AutoMobilität.

Sachsen-Anhalt besonders betroffen

Bis 2045 werde ganz Europa einen riesigen Wirtschaftsumbruch erleben, um die Dekarbonisierung der Wirtschaft erfolgreich absolvieren zu können, konstatierte Prof. Dr. Klaus Dörre, Friedrich-Schiller-Universität Jena, Institut für Soziologie. Anders als erwartet habe sich die wirtschaftliche Situation in der Autobranche 2021 nicht entspannt. Ein besonderes Problem sei der anhaltende Chipmangel. Allerdings seien viele Probleme der Autoindustrie auch „struktureller Art“.

Selbst wenn es durch die E-Mobilität Zuwächse geben werde, geht Dörre davon aus, dass es in den nächsten Jahrzehnten einen enormen Arbeitsplatzverlust geben werde. Dies werde insbesondere kleine und mittlere Zulieferbetriebe treffen. Dort gebe es in den Geschäftsführungen jedoch häufig die Meinung: „Wir reiten das Pferd, bis es tot ist.“ Diese kleinen Betriebe verfügten kaum über die nötige Strategiefähigkeit.

Ein Bundesland wie Sachsen-Anhalt werde überdurchschnittlich stark betroffen sein von den Veränderungen und sei vermutlich prädestiniert zu den „großen Verlierern der Entwicklung“ zu zählen. Besonders betroffen sei der Landkreis Harz, hier gebe es den größten Anteil an Menschen, die in der Autoindustrie arbeiteten.

Mit umfassender Strategie entgegenwirken

Jedoch müsse das skizzierte Szenario nicht zwangsläufig so eintreten, wenn jetzt entsprechende soziale und nachfaltige wirtschaftspolitische Weichenstellungen getroffen würden, mahnte Dörre, dann könnte eine progressive Dynamik freigesetzt werden. Dazu müssten die Menschen in den Betrieben mitgenommen, Sicherheitsgarantieren für Arbeiter ausgesprochen, Weiterbildungsprozesse angestoßen und das Bildungssystem flexibilisiert werden.

Wegen des Fachkräftemangels müssten die Arbeiter in der Autobranche keine Angst mehr vor Arbeitslosigkeit haben, wenn sie die Branche wechselten. Das immer noch bestehende große Lohngefälle könnte jeodoch dazu führen, dass die Menschen „mit den Füßen abstimmen“ und es zu einem weiteren „braindrain“ in Sachsen-Anhalt käme, warnte Dörre. „Fahren auf Sicht“ reiche hier nicht mehr aus, sondern es brauche eine umfassende Strategie.

Kleine Zulieferer sind oft überfordert

Der dramatischen Bestandsaufnahme durch seinen Vorredner sei wenig hinzuzufügen, sagte Dr. Frederic Speidel von der IG Metall Bezirksleitung Niedersachsen und Sachsen-Anhalt. In einem Transformationsatlas habe die IG Metall vor einigen Jahren den Ist-Zustand des Wandlungsprozesses erfragt und evaluiert. Demnach hätte über die Hälfte aller Betriebe keinerlei Ahnung, wie man an die Erschließung neuer Geschäftsfelder herangehen könnte und IG-Metall-Vertreter seien völlig unzureichend in die Transformationsprozesse eingebunden. Eine wichtige Maßnahme müsste eine großangelegte Weiterbildungs- und Qualifizierungsoffensive der Mitarbeiter in der Branche sein.

„Die Elektromobilität ist gesetzt und unumkehrbar“, dazu gebe es keine Alternative mehr, unterstrich Dr. Jens Katzek von der ACOD GmbH. Von allen Autoherstellern gebe es klare Statements zur E-Mobilität, die sich nicht mehr umkehren ließen. Daher werde es zumindest im Pkw-Bereich in den nächsten Jahren einen klaren Fokus auf Batterien geben. Bei Gesprächen mit Verantwortlichen der Branche habe er gemerkt, dass diese Menschen sehr nah an ihrer Belastbarkeitsobergrenze stünden.

Je mehr die Politik auf die Branche einprügle, umso größer würde der Druck bei den Herstellern und diesen würden sie an die Zulieferer weitergeben. Zum einen wollten sie günstigere Preise, zum anderen aber auch eine „grüne Produktion“. Ein großer Knackpunkt bei der E-Mobilität seien zudem die Verbraucher. Nur wenn sie die E-Autos kauften, würden sie auch produziert, so Katzek. Entscheidend dafür sei unter anderem eine verbesserte Ladesäulenstruktur.

Hoher Druck auf Autobranche

André Rummel, Industrie- und Handelskammer Magdeburg, bestätigte den hohen Druck auf die Automobilindustrie. „Die wirtschaftliche Erholung ist abgebremst und die Zukunft eingetrübt.“ Besonders wichtig sei der Erhalt und Ausbau der Forschungsstruktur in enger Verbindung mit den Unternehmen Sachsen-Anhalts, ebenso wie die Clusterbildung. Momentan würden viele Unternehmen vor allem mit den wachsenden Energiepreisen und dem Fachkräftemangel zu kämpfen haben. Manche fürchteten sogar, dass energiegetriebene Industrien in Deutschland nicht mehr gewünscht seien. Je flexibler ein Unternehmen auf wirtschaftliche Veränderungen reagieren könnte, umso besser.

Zulieferer sind von großen Konzernen abhängig

Die gute Förderpolitik von Stadt und Land sei für sein Unternehmen in den vergangenen Jahren sehr hilfreich gewesen, erklärte Luigi Mattina von der TRIMET Automotive Holding GmbH. Man müsse nun das Beste aus der „gesetzten E-Mobilität“ machen. Unternehmen, die ausschließlich auf den Antriebsstrang gesetzt hätten, würden zweifellos zu den Verlierern der aktuellen Entwicklung gehören. Ein enormes Problem sei die Planungsunsicherheit, die von den Autobauern an die Zulieferer weitergereicht würde – ohne irgendwelche wirtschaftlichen Risiken zu übernehmen. Mattina könne beispielsweise nicht spontan seine Maschinen ab- und wieder anschalten. Als Zulieferer hätte man keine Möglichkeit, gegen die Vertragspolitik und die teils unerfüllbaren Bedingungen der großen Autoherstellerkonzerne vorzugehen. Vorredner Dörre sprach in diesem Zusammenhang sogar von einer Art „Erpressungssituation“.

Beschlüsse wurden am Ende des Fachgesprächs nicht gefasst. Die Abgeordneten werden sich jedoch mit den Erkenntnissen auseinandersetzen und weiter an dem Thema dranbleiben. Formal wurde der Selbstbefassungsantrag damit für erledigt erklärt.