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Plenarsitzung

Ein Verbrechen mit deutlicher Ansage

20. Nov. 2020

Etwa 216 000 Menschen mit körperlichen, geistigen und seelischen Behinderungen wurden durch gezielte Tötungen Opfer der Nationalsozialisten – sowohl in Deutschland als auch in den besetzen Gebieten. Unter dem Decknamen „Aktion T4“ (das T4 steht für Tiergartenstraße 4 in Berlin, wo die zentrale Leitstelle der Aktion untergebracht war) wurde das breitangelegte „Euthanasie“-Programm der Nazis in Deutschland umgesetzt – die Auslöschung der von ihnen als „lebensunwert“ deklarierten Kinder, Frauen und Männer. Über 70 000 Menschen fanden in sechs dafür ausgewählten Tötungsanstalten in Deutschland – Grafeneck, Brandenburg, Hartheim, Sonnenstein, Bernburg und Hadamar – den Tod.

Statement von Landtagspräsidentin Gabriele Brakebusch zum Gedenken an die Tötung von Zehntausenden Menschen mit Behinderung während der Nazi-Zeit in Deutschland und Europa. Foto: Landtag

Bereits am 20. Januar 1940 wurden in Grafeneck (Baden-Württemberg) die ersten Aktion-T4-Tötungen in einer Gaskammer vorgenommen. „Am 21. November 1940 begann das menschenverachtende Regime der Nationalsozialisten damit, auch in Bernburg hilfsbedürftige Menschen strukturell zu ermorden“, erinnert Landtagspräsidentin Gabriele Brakebusch. „Innerhalb von nur zwei Jahren ließen in der ehemaligen Heil- und Pflegeanstalt Bernburg 9 384 Menschen mit Behinderung ihr Leben. Die heute als ‚Euthanasie‘ bekannte industrielle Tötung von Menschen, welche durch die Nationalsozialisten als ‚nicht lebenswert‘ gebrandmarkt wurden, ist ein dunkles Kapitel, auch in unserer Landesgeschichte“, so Brakebusch. „Dieses Kapitel birgt eine Verantwortung. Die Verantwortung, dass Hass, Missgunst, Gewalt und Ignoranz keinen Einzug in unsere demokratische Gesellschaft erhalten dürfen. Unsere Gesellschaft darf niemals vergessen, was aus Despotie und Diktatur entstehen kann. Die Geschichte mahnt uns, dass Willkür und Terror die schlimmsten Wegbegleiter für den Menschen sind.“

1941: Einstellung, doch das Morden geht weiter

Offiziell wurde die Aktion T4 im August 1941 eingestellt. Die dezentrale Tötung von behinderten Menschen wurde allerdings fortgesetzt, durch Nahrungsentzug oder die Verabreichung von tödlich wirkenden Medikamenten. Gleiches gilt für die „Kinder-Euthanasie“, durch die in 30 „Kinderfachabteilungen“ mindestens 5 000 Kinder ermordet wurden. In den drei Tötungsanstalten Bernburg, Sonnenstein und Hartheim wurde zudem die als „Aktion 14f13“ bezeichnete Tötung von kranken beziehungsweise nicht mehr arbeitsfähigen KZ-Häftlingen fortgeführt.

Ein weiteres Verbrechen mit Ansage

Die „Euthanasie“ war keine spontane Aktion der Nazis, sondern ideologisch von langer Hand geplant. Ihren Anfang nahm sie bereits im Juli 1933 mit dem „Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“, das eine erzwungene Sterilisation von Menschen mit vermeintlich erblichen Krankheiten vorsah. Bis zu 400 000 Männer und Frauen wurden dadurch zwangssterilisiert (6 000 Todesopfer). Im Juni 1946 folgte das „Gesetz zur Änderung des Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“, durch das der Schwangerschaftsabbruch bei diagnostizierter Erbkrankheit legalisiert wurde. Mit dem Ehegesundheitsgesetz“ vom Oktober 1935  wurde die Eheschließung von Menschen mit einer Erbkrankheit oder geistigen Behinderung mit gesunden und nichtbehinderten Menschen verboten.

Nach einem ersten Massaker an Psychiatriepatienten im deutsch besetzten Polen im September 1939 folgte im Oktober 1939 in Poznań (Posen) eine „Probevergasung“ mehrerer Psychiatriepatienten durch Kohlenstoffmonoxid. Nach dem Beginn der Kinder-Euthanasie im Jahr 1939 erfolgte ab Januar 1940 die Erwachsenen-Euthanasie in Heil- und Pflegeanstalten sowie in Heimen für Menschen mit Behinderung.