Nach der Telefonkonferenz zwischen der Bundeskanzlerin und den Ministerpräsidenten über neue Maßnahmen zur Eindämmung der Covid-19-Pandemie am 28. Oktober 2020, hielt Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Dr. Reiner Haseloff am 3. November 2020 im Landtag von Sachsen-Anhalt eine Regierungserklärung zum Stand der SARS-CoV2-Pandemie und die zu ihrer Bekämpfung notwendigen Maßnahmen. Im Anschluss hatte die im Landtag vertretenen Fraktionen die Gelegenheit, zur Regierungserklärung Stellung zu beziehen.
Zugleich wurden zwei Anträge der Fraktion DIE LINKE behandelt, in denen es zum einen um die geringe Beteiligung des Parlaments an der Verabschiedung von Corona-Maßnahmen ging. Hier forderte die Fraktion unter anderem die Einrichtung eines „Pandemierats“ sowie eines „Zeitweiligen Ausschusses Pandemie“ beim Landtag. Zum anderen ging es um die stärkere Unterstützung für von der Pandemie besonders betroffene Berufszweige und Unternehmen (Krankenhäuser, Altenpflege, Gastronomie, Diskotheken, Kunst und Kultur etc.).
„Erforderlich, geeignet und verhältnismäßig“
Die Corona-Krise betreffe die ganze Welt, die Sicherheitsmaßnahmen seien manchmal gravierender, manchmal leichter, so Ministerpräsident Dr. Reiner Haseloff (CDU). Die Ausbreitung des Virus sei bisher gut verlangsamt worden, aber nun stiegen auch in Sachsen-Anhalt die Fallzahlen rapide. Die Menschen erwarteten rasches und fundiertes Handeln und das Finden von Lösungen. Bereits vier Mal habe er sich an den Landtag gewandt und die Maßnahmen der Landesregierung erläutert.
Die Infektionszahlen in Sachsen-Anhalt hätten sich in den letzten Wochen verachtfacht, rund drei Viertel der Infektionen könnten nicht mehr nachvollzogen werden, resümierte Haseloff. Um einen nationalen Gesundheitsnotstand zu verhindern, müssten auch in Sachsen-Anhalt wieder temporäre Eindämmungsmaßnahmen ausgeweitet werden, konstatierte Haseloff. Wichtigstes Ziel seien zunächst die Kontaktbeschränkungen, um Infektionsketten zu brechen.
Man dürfe die wirtschaftlichen Zukunftschancen des Landes nicht verspielen, deshalb habe man sich darauf verständigt, zunächst Institutionen und Einrichtungen zu schließen, die der Freizeit zuzuordnen seien, auch touristische Unternehmungen sollen unterbunden werden. „Ich bedaure diese Einschränkungen und ich kann den Unmut vieler Menschen verstehen“, Haseloff lobte aber das Hilfsprogramm des Bundes über zehn Milliarden Euro für jetzt neuerlich betroffene Unternehmen und Soloselbstständige. Die Maßnahmen seien erforderlich, geeignet und verhältnismäßig – auch vor dem Hintergrund, Kitas und Schulen sowie Geschäfte geöffnet zu halten, betonte Haseloff. „Helfen Sie dabei mit, nehmen Sie Verantwortung für Ihre Mitmenschen wahr“ wandte sich Haseloff an die Sachsen-Anhalter*innen.
„Diskriminierung der Opposition ein Ende setzen!"
Die deutsche Politik habe zwei Optionen, sagte Eva von Angern (DIE LINKE): Die Infektion laufen lassen oder Einfluss auf sie nehmen. Ihre Fraktion sei überzeugt, dass es richtig sei, die Infektionswelle abzuflachen. Hier sei man mit dem Ministerpräsidenten einig. Jedoch hätte sie sich gefreut, wenn sie an den Entscheidungen beteiligt worden wäre, so die Linken-Abgeordnete. Die Regierungserklärung und die Fernsehansprache des Ministerpräsidenten (1. November) hätte sie nicht überzeugt, beide seien „leidenschaftslos“ gewesen. Zurecht gäbe es kritische Fragen von der Bevölkerung, zum Beispiel, warum Shopping-Malls offen blieben, aber Kunst und Kultureinrichtungen geschlossen werden.
Ministerpräsident Haseloff lasse völlig unklar, was die Leitplanken seiner Politik in der Krise seien, monierte von Angern. Zudem agiere er ohne staatliche und gesellschaftliche Bereiche einzubeziehen, bevor er Entscheidungen treffe. Außerdem warf sie dem Ministerpräsidenten mangelnde Transparenz und schwache Krisenkommunikation vor. In den Medien habe Haseloff zwar darauf hingewiesen, dass er das Parlament einbeziehe, in der Praxis sei dies aber ausgeblieben, so die Linken-Abgeordnete. „Ich erwarte von Ihnen, Herr Ministerpräsident, dass sie der Diskriminierung der Opposition ein Ende setzen!" Das Demokratieverständnis des Ministerpräsidenten bereite ihr Unbehagen. Sie forderte eine „Parlamentarisierung der Pandemie“ und verwies auf die eingebrachten Anträge der Fraktion DIE LINKE (siehe Linkliste).
„Corona-Politik ist falsch"
Oliver Kirchner (AfD) betonte, mit der Politik des Ministerpräsidenten werde die Wirtschaft an die Wand gefahren und die Grundrechte der Menschen missachtet. „Die Corona-Politik ist falsch und richtet immensen Schaden an.“ Kirchner fragte, wie wolle Haseloff den Menschen erklären, warum das Virus im Einzelhandel nicht ansteckend sei aber in der Gastronimie schon. Gastronomen hätten alle Regeln eingehalten und zum Dank bekämen sie nun den „Todesstoß“. Er kenne niemanden in seiner Fraktion, der Corona leugne, jedoch sehen sie die Zwangsmaßnahmen kritisch und die Zahl der Kritiker in der Gesellschaft wachse täglich.
Das Merkel-Kabinett sei als Beschluss-Gremium verfassungsrechtlich gar nicht vorgesehen, kritisierte der AfD-Fraktionsvorsitzende weiter. Daher forderte er, dass zukünftig wieder das Parlament einbezogen werden müsse. Zudem seien die getroffenen Maßnahmen „nicht grundsätzlich geeignet, erforderlich und angemessen“ so Kirchner und zählte diverse Beispiele und Widersprüche bei den Maßnahmen auf. Anschließend sagte Kirchner, dass alle Annahmen, Grundlagen und Reaktionen der Regierung falsch seien, dies müssten sowohl der Ministerpräsident als auch die Gesundheitsministerin einsehen. Die AfD-Fraktion brachte daher einen Alternativantrag ein, mit dem die Landesregierung aufgefordert werden soll, die neuerlichen Corona-Maßnahmen aufzuheben (siehe Linkliste).
Infektionswege besser nachvollziehen
Es sei bedenklich, dass die AfD jede wissenschaftliche Evidenz und jede offen sichtbare Folge des Coronavirus negiere oder verharmlose, erklärte Dr. Katja Pähle (SPD). Die Strategie in der Corona-Bekämpfung habe von Beginn an ein wichtiges Ziel verfolgt: „unser Gesundheitssystem leistungsfähig zu erhalten“, so Pähle. Es seien bereits viele Menschen aus dem Gesundheitssektor betroffen, die dringend bei der Betreuung der Erkrankten gebraucht würden. Bund und Länder hätten mit den von ihnen beschlossenen Maßnahmen das einzig Richtige getan: weil die bisherigen Maßnahmen nicht ausreichten, um die Ausbreitung des Virus zu verhindern, käme es nun wieder zu temporären Einschränkungen.
Pähle kritisierte das Vorpreschen der Fraktion DIE LINKE, die für die Öffnung von Restaurants und Kulturveranstaltungen einstünden. „Verantwortung sieht anders aus“, betonte Pähle. „Die Gesundheitsbehörden müssen zügig gestärkt werden“, denn insbesondere bei den stark steigenden Zahlen müsse es das Ziel sein, die Infektionswege nachvollziehen zu können. Pähle begrüßte die 75-prozentigen Ersatzzahlungen für die Gastronomie – „eine gute Lösung, die Hilfen müssten nun schnell und unbürokratisch fließen“. Die Schulen müssten dringend darauf vorbereitet werden, den Unterricht auch kurzfristig (digital) umzugestalten.
Vorbildfunktion: Maskenpflicht im Landtag
„Es ist notwendig, Kontakte im Freiwilligenbereich so weit einzuschränken, dass alle nötigen Kontakte weiterhin möglich sind – das ist das Leitmotiv der nächsten Wochen“, erklärte Cornelia Lüddemann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN). „Die Maßnahmen sind richtig.“ Das Landesschulamt untersage Hybridunterricht und empfehle Unterricht bei offenem Fenster und im Anorak – „Was hat das Bildungsministerium in den letzten Monaten eigentlich getan?“ Die Grünen-Abgeordnete forderte Luftreinigungsgeräte für die Klassenzimmer, mehr Serverkapazitäten und eine Breitbandoffensive für digitalen Unterricht sowie landeseinheitliche Hygienekonzepte.
Lüddemann lobte die 75-Prozent-Erstattung der Einkommensausfälle für die betroffenen Unternehmen; dass Kunst- und Kulturschaffende finanzielle Entschädigungen erhielten, sei dringend nötig. Der Landtag müsse als Vorbild vorangehen, Lüddemann begrüßte daher die allgemeine Maskenpflicht im Landtag. „Die Maßnahmen in anderen europäischen Ländern sind mit der angestrebten Kontaktreduzierung in Deutschland nicht zu vergleichen.“ Lüddemann räumte ein, dass dem Parlament eine verstärkte Beteiligung an Entscheidungen über Corona-Maßnahmen eingeräumt werden sollte.
Telefonkonferenz ersetzt keine Debatte im Parlament
„Wer keine Debatten im Vorfeld zulässt, degradiert Abgeordnete zu Statisten“, konstatierte Jens Diederichs (fraktionslos). Damit werde Deutschland in eine Zeit vor 30 Jahren zurückgedrängt, es dürfe nicht länger toleriert werden, dass Parlamente missachtet werden, besonders wenn es um die Grundrechte der Menschen gehe. Eine Telefonkonferenz ersetze nicht die Diskussion in den Parlamenten, da die Interessen der Bürger nicht ausreichend berücksichtigt würden. Diederichs forderte „Parlaments- statt Regierungsbeschlüsse“.
Natürlich sei der Rückgang der Fallzahlen eine wichtige politische Aufgabe, sie dürfe jedoch nicht um jeden Fall erzwungen werden, so Diederichs weiter. Der Vertrauensvorschuss der Bevölkerung werde zunehmend aufgebraucht. Die jetzt gefassten Beschlüsse zeigten deutlich, für wie entbehrlich die Bundeskanzlerin und die Ministerpräsidenten die Parlamente und Abgeordneten hielten. Diederichs plädierte dafür, die neuerlich geplanten Corona-Maßnahmen zu relativieren, insbesondere für das Hotel- und Gaststättengewerbe.
Kritiker sind keine „Covid-Idioten“
André Poggenburg (fraktionslos) sprach von „Zwangsmaßnahmen und Repressionen“, die kein maßvolles Agieren darstellen würden. Man erlebe ein programmiertes „An-die-Wand-Fahren“ des kleinen Mittelstands. Natürlich gebe es besonders schützenswerte Menschen, für diese sollte es zielgenaue Schutzmaßnahmen geben, diese würden dann auch in der Bevölkerung akzeptiert, so Poggenburg. Manchmal habe er den Eindruck, dass es sich bei Corona vielleicht um ein großes Experiment handle, bei dem getestet werden solle, wie viele Menschen noch ihren eigenen Geist nutzten und frei denken würden. Es sei richtig, dass immer mehr Menschen die Maßnahmen kritisierten und sich deshalb nicht gleich als „Covid-Idioten“ abstempeln ließen.
Ein Patentrezept gibt es nicht
„Alle fabulieren durch die Nacht, keiner hat ein Patentrezept vorlegen können“, rekapitulierte Siegfried Borgwardt (CDU) die Diskussion zu den aktuellen Corona-Maßnahmen. „Wir alle halten die Maßnahmen für schwierig und einschneidend“, doch sie seien unumgänglich und nachvollziehbar begründet worden. Statt wie die AfD Untergangsszenarien und Verschwörungstheorien aufzufahren, gehe es darum, verantwortungsbewusst und verhältnismäßig zu agieren, so Borgwardt. Dass gut drei Viertel der Infektionen nicht mehr nachvollziehbar seien, sei das wichtigste Handlungskriterium zur Vermeidung einer akuten nationalen Gesundheitsnotlage. „Wer in seinem Verhalten das Schicksal von Schwachen ausblendet, handelt verantwortungslos.“
Man habe nachhaltig darauf gedrungen, dass Kitas und Schulen geöffnet blieben. Dass es dabei bleiben könne, setze voraus, dass großflächig Kontakte vermieden würden. Es solle aber zeitnah geprüft werden (nach vierzehn Tagen), ob die harten und weitreichenden Maßnahmen griffen. Borgwardt begrüßte die Ersetzung des Umsatzausfalls betroffener Unternehmen in Höhe von 75 Prozent (Vergleichswert aus dem Vorjahr). Hilfen für Kulturschaffende sollten schnell aufgestockt werden, um deren wirtschaftliches Überleben zu sichern.
Abstimmung nach der Debatte
Am Ende der Aussprache zur Regierungserklärung von Ministerpräsident Reiner Haseloff wurden zur Sache keine Beschlüsse gefasst. Die beiden von der Fraktion DIE LINKE eingebrachten Anträge wurden am Ende der Debatte in die Ausschüsse überwiesen: Der Antrag „Stärkung der Rechte des Parlaments“ (Drucksache 6786) in den Ältestenrat, der Antrag „Solidarischer Schutz und zielgenaue Maßnahmen“ (Drucksache 6787) in die Ausschüsse für Arbeit, Soziales und Integration (federführend) sowie in die Ausschüsse für Wirtschaft, Wissenschaft und Digitalisierung, für Inneres und Sport, für Bildung und Kultur sowie für Finanzen (mitberatend). Der Alternativantrag der AfD-Fraktion (Drucksache 6798) wurde automatisch in ebendiese fünf Ausschüsse überwiesen.
Nach gut vier Stunden Debattte zur Regierungserklärung über die „Corona-Krise“ und die eingeleiteten bzw. bereits umgesetzten Maßnahmen gegen sie sollte sich auch die zweite Debatte des Plenums am 3. November 2020 mit den Corona-Maßnahmen beschäftigen. Grundlage dafür war eine von der AfD-Fraktion beantragte Aktuelle Debatte mit dem Titel „<link_external_error 3405 - intern>Stopp dem Corona-Krisenmodus – Einbindung des Parlaments umgehend gewährleisten“. Hier meldete sich aber nur noch die antragstellende Fraktion zu Wort.