Auf Antrag der Fraktionen von CDU, SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN wird die Landesregierung gebeten, gemäß der Empfehlung der Koordinierungsstelle für die Erhaltung des schriftlichen Kulturgutes (KEK) ein Konzept zur strukturierten Sicherung, Entsäuerung und Restaurierung des schriftlichen Kulturguts in Archiven und Bibliotheken der Kommunen, des Landes, der Kirchen, Wissenschaftseinrichtungen und der öffentlich-rechtlichen und der privatrechtlichen Stiftungen zu entwickeln. Die Fraktion DIE LINKE brachte einen Änderungsantrag ein, durch den die Digitalisierung der Originale verstärkt vorgenommen werden soll.
„Digitalisierung nicht das Gleiche wie Originale“
Sachsen-Anhalt sei reich an schriftlichem Kulturgut in seinen unterschiedlichen Erscheinungsformen, sagte Dr. Katja Pähle (SPD). Dieses Gut sei vom Verfall (Säurefraß, Schimmel, Halbwertzeit von digitalen Datenträgern) bedroht. Damit sei auch ein Teil des kulturellen Gedächtnisses in Gefahr, verloren zu gehen. „Was wären wir ohne die Schriften von Goethe und Thomas Mann, was ohne die Kompositionen von Bach und Telemann, was ohne die Flugblätter der Reformatoren oder der Weißen Rose, was ohne die Urkunden der Ottonen?“, fragte Pähle. Seien diese Originale einmal zerstört, gebe es keinen Ersatz. Deren Digitalisierung sei nicht das Gleiche wie der Erhalt der Originale.
Um die Dokumente zu bewahren, müsste es zur Massenentsäuerung oder zur Einzelblattbehandlung kommen – eine Mammutaufgabe für die Bibliotheken und Archive, erklärte Pähle. „Wir brauchen ein Landesprogramm, um eine Strategie zu entwickeln, wie wir uns dieser großen Aufgabe nähern wollen.“ Ein erster Schritt darin sei die Sicherung, die Erfassung der Bestände und die Erstellung einer Prioritätenliste. Wichtig sei auch die Einbindung der Bestände in den Katastrophenschutz.
Zusätzliches Geld und Personal nötig
Zehntausende Bücher und Dokumente in den öffentlichen Bibliotheken und Archiven seien in ihrem Bestand bedroht. „Es ist fünf vor zwölf“, warnte Innenminister Holger Stahlknecht (CDU). Ihre Funktion als Gedächtnis der Gesellschaft gehe verloren, es handle sich um den Untergang enormer kultureller Schätze. Zwei der Ursachen seien das industriell hergestellte Papier (das durch seinen Leimbestandteil „sauer“ werde und sich zersetze) und die falsche Lagerung. Nur mit zusätzlichem Personal und Geld, vor allem aber mit geeigneten Strategien und Konzepten könne dem Verfall der Originale begegnet werden, so Stahlknecht.
Wiederhergestellte Dokumente ins Netz stellen
Der gesamte Schriften-Bestand müsse gesichert werden, sagte Dr. Hans-Thomas Tillschneider (AfD). Ziel sollte es allerdings sein, jedes Jahr statt nur einem mindestens zwei bis drei Prozent des Bestands zu sichern. Nur so könne die schriftliche Dokumentation der Geschichte sichergestellt werden. Jedes wiederhergestellte Dokument solle abgelichtet und ins Internet gestellt werden. Die Bewahrung historischer Quellen sei „typisch deutsch“ und solle daher nachdrücklich betrieben werden, so Tillschneider.
Gegen Säure, Schimmel und Tintenfraß
Die Bibliotheken und Archive beinhalteten Dokumente, die zum Teil deutlich älter als 1 000 Jahre sind, erklärte Andreas Schumann (CDU). Man habe über die Zeiten hinweg schon gravierende Verluste hinnehmen müssen: Durch die beiden Weltkriege etwa seien zahllose Dokumente zerstört worden, aber auch durch den Archiveinsturz in Köln (2009) und den Brand der Anna-Amalia-Bibliothek (2004). Die Landeshauptstadt Magdeburg sei vieler Dokumente durch den Dombrand im Jahr 1207 und die Zerstörung der Stadt in den Jahren 1631 und 1945 verlustig gegangen. „Säure, Schimmel und Tintenfraß sind heute unsere Gegner“, sagte Schumann. Die Digitalisierung in den Archiven müsse weiter unterstützt werden. So könnten die Originale bei späteren Forschungsarbeiten geschont werden.
Originalerhalt und Digitalisierung
Der Antrag der Koalition werde ausdrücklich begrüßt, versicherte Stefan Gebhardt (DIE LINKE). Es gehe um nichts Geringeres als den Erhalt des kulturellen Erbes. Die Archive und Bibliotheken seien mit der Restaurierung und präventiven Maßnahmen sowie der Digitalisierung und der Langzeitarchivierung bisher personell und sächlich überfordert. „Originalerhalt und Digitalisierung sind nicht austauschbar“, sagte Gebhardt, die schriftlichen Originale dürften nicht dem Verfall überlassen werden. Die Digitalisierung indes verfolge zwei Ziele: die Inhalte dauerhaft zu bewahren und den Zugriff für die breite Öffentlichkeit zu ermöglichen. Beim Aufbau eines entsprechenden Konzepts soll nach Ansicht der Fraktion DIE LINKE der Landesverband für Bibliotheken in die konzeptionelle Phase eingebunden werden.
„Nachhaltigkeit in kulturellem Sinne“
Dass sich im Landtag über einen Antrag alle uneingeschränkt einig seien, zeuge davon, dass dieser von enormer Wichtigkeit sei, konstatierte Wolfgang Aldag (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN). Hohe Investitionen in Sicherungs- und Präventionsmaßnahmen seien notwendig, sodass ein langfristiger Verlust der Schriftdokumente vermieden werden könne. Diese finanzielle und personelle Herausforderung sei aber nur gemeinsam zu meistern. Aldag sprach sich für ein Landesprogramm für die Archive und Bibliotheken in Sachsen-Anhalt aus, ähnlich dem, das es beispielsweise für Museen gebe. Die Bewahrung des schriftlichen Kulturguts nannte Aldag „Nachhaltigkeit in kulturellem Sinne“.
Im Anschluss an die Debatte wurden die Ziffern 1 und 3 des Änderungsantrags der Fraktion DIE LINKE an- und in den Ursprungsantrag aufgenommen. Dieser wurde dann in geänderter Fassung einstimmig angenommen.