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Plenarsitzung

Holocaustgedenktag 2014 in Prettin

Mit einer gemeinsamen Gedenkveranstaltung von Landtag und Landesregierung gedachte Sachsen-Anhalt am Holocaustgedenktag (27. Januar) in der Gedenkstätte KZ Lichtenburg Prettin der Opfer des Nationalsozialismus. Vor Vertretern aus Politik und Gesellschaft hielt der Direktor der Stiftung Topographie des Terrors, Prof. Dr. Andreas Nachama, die zentrale Gedenkrede. Die Gedenkstunde wurde musikalisch und künstlerisch durch Schülerinnen und Schüler des Gymnasiums Jessen ausgestaltet.

Kranzniederlegung und stilles Gedenken

Das menschliche Leid, das unverrückbar mit dem KZ Lichtenburg verbunden ist, können nachgeborene Generationen und Unbeteiligte kaum mehr erahnen. Die Gedenkstätte, die für den Gebäudekomplex des alten Schlosses in Prettin verantwortlich zeichnet, hält die Biographien der Opfer und der Täter lebendig, macht die Einrichtung damit zu einem Erinnerungsort, aber auch zu einem Ort des Lernens und Verstehens. Neben der Dauerausstellung ist unter anderem der sogenannte Bunker zu besichtigen, der Ort für verschärfte Haftbedingungen, in dem die Opfer einer noch größeren seelischen und körperlichen Pein durch ihre Wärter ausgesetzt waren.

Genau hier versammelten sich noch vor Beginn der Gedenkstunde Abgeordnete, Regierungsmitglieder sowie zahlreiche Vertreter aus Wirtschaft, Gesellschaft und Bürgerschaft, um Kränze niederzulegen und mit einer Schweigeminute der Opfer zu gedenken. Erinnert wurde an die Geschichte des Leidens und gemahnt gegen das Vergessen der Schuld. Die Orte der Erinnerung zeugten davon, dass Verfolgung ein Teil der Geschichte unseres Landes sei, ein Umstand, der niemals vergessen werden und sich niemals wiederholen dürfe, so Ministerpräsident Reiner Haseloff. Die Gedenkveranstaltung stehe im Zeichen der Hoffnung auf Versöhnung der Völker.

Erinnern in der vierten Generation

Im Ausstellungssaal der Gedenkstätte KZ Lichtenburg fand anschließend die offizielle Gedenkveranstaltung statt. Dass ausgerechnet Franziska Seßler, eine junge Frau, als erste Rednerin ans Pult trat und vom Schicksal ihrer Urgroßmutter Lina Haag berichtete, kam nicht von ungefähr. Als Teil der dritten Generation nach den direkten Opfern steht Franziska Seßler nicht nur für engagierte junge Leute, die sich mit der Geschichte unseres Staates auseinandersetzen, sondern sie ist Teil eines neuen Prozesses des Erinnerns. Wenn die letzten Zeitzeugen für immer ihre Augen geschlossen haben, wird es eine andere Form des Erinnerns geben müssen. Franziska Seßler zeigt, wie es gehen könnte. Sie hat sich die Geschichte ihrer Urgroßmutter Lina Haag, einer Kommunistin, Widerstandskämpferin und KZ-Insassin, erzählen lassen und Lehrstellen recherchiert, sie zeigt die 105 Lebensjahre Lina Haags als eine Biographie von vielen, die es lebendig zu halten gilt.

Franziska Seßler stellte sich die Frage, wie die vielen Erinnerungen greifbar gemacht und an kommende Generationen weitergegeben werden können. „Wir sollten nicht nur das Leid an sich zeigen, sondern man muss es nachempfinden können. Das geht meiner Meinung nach am besten, wenn man die Biographie eines Menschen in ihrer Gesamtheit darstellt“, erklärte Seßler. Nur so könne man den Menschen als Wesen jenseits des Leids in seiner Vollständigkeit begreifen. Nor vor der Gedenkstunde hatten sich Franziska Seßler und Andreas Nachama Zeit für einen Gesprächskreis mit den Schülerinnen und Schülern des Gymnasiums Jessen genommen.

„Es konnte jeden treffen“

Auch 69 Jahre nach der Beendigung des Zweiten Weltkriegs müsse man der Verantwortung, die sich aus dem Vermächtnis der deutschen Vergangenheit ergeben habe, gerecht werden und an die Greueltaten der Nationalsozialisten, aber auch an das Wegschauen und Mitmachen der einfachen Bevölkerung erinnern, erklärte anschließend Landtagspräsident Detlef Gürth. Man habe sich als Ort für die zentrale Gedenkstunde ganz bewusst für die Lichtenburg entschieden – den Prototyp eines Konzentrationslagers und ein Ort, der schon im Juni 1933 zeigte, wohin die qualvolle NS-Politik gehen würde. „Die Verfolgung fand ohne Gnade und ohne Zögern statt, es konnte jeden treffen: Politiker, Künstler, Pfarrer, Homosexuelle, Pazifisten. Und doch schauten schon 1933 so viele Menschen einfach weg, nicht wenige jubelten sogar“, sagte Gürth. Denn es habe ja immer einen anderen betroffen. „Und 1945 wollte dann niemand etwas über die Verbrechen gewusst haben.“ Doch seien in der Zeit der Nazi-Diktatur allein schon die Zeitungen voll von Häme und Hetze gewesen. Die erste Demokratie in Deutschland, die der Weimarer Republik, zerbrach an ihrer mangelnden Unterstützung und an Schwächen in der Verfassung. Durch fehlenden Widerstand sei es später zu millionenfachem Mord gekommen.

Die Aufarbeitung dieser Greuel brauchte viel Zeit und braucht sie noch immer. Die Erfahrungen müssten von Generation zu Generation weitergegeben werden, betonte Gürth. Die Zeitzeugen seien bald nicht mehr da, um von ihrem Schicksal zu berichten, die Gedenkstätten würden demnach als Orte der Erinnerung noch an Bedeutung gewinnen. Der Landtagspräsident dankte in diesem Zusammenhang besonders den Pädagoginnen und Pädagogen im Land, die für die Aufarbeitung der Geschichte einstünden und die nachkommenden Generationen über die Schrecken der Nazi-Herrschaft aufklärten. Gürth rief zudem alle Eltern im Land auf, sich mit der jüngeren deutschen Geschichte auseinanderzusetzen und mit ihren Kindern darüber zu sprechen. Fremdenfeindlichkeit gebe es überall in Europa, auch in Deutschland. Man müsse Verantwortung für das eigene Leben und das der anderen übernehmen, eine Garantie für Frieden gebe es nämlich nicht. Der Holocaustgedenktag dürfe kein Tag wie jeder andere sein, nicht nur an ihm solle man innehalten, sich des Vergangenen erinnern, an die Zukunft mahnen und sich vor den Opfern des Holocausts verneigen.

Erziehung zu Toleranz und Demokratie

Andreas Nachama, Direktor der Stiftung Topographie des Terrors (Berlin), stellte eine der seiner Meinung nach wichtigsten Eigenschaften der Demokratie an den Anfang seiner Rede: Staatliches Handeln müsse durch unabhängige Gerichte prüfbar sein. Die Trennung von Exekutive und Judikative habe es im Deutschland der Nationalsozialisten nicht gegeben, gepaart mit Terror, Unterdrückung und Verfolgung konnte die Regierung folglich machen, was sie wollte, ohne dafür im Land auch nur irgendeiner Institution gegenüber Rechenschaft ablegen zu müssen. Nach dem Krieg habe man (zumindest in der Bundesrepublik) die verfassungsrechtlichen Konsequenzen gezogen und die Fehler der Weimarer Verfassung getilgt. Heute zeige die Arbeit des Bundesverfassungsgerichts und der Landesverfassungsgerichte, wie die nötige Gewaltenteilung funktioniere – wenn beispielsweise verabschiedete Gesetze beanstandet und für nicht verfassungskonform erklärt würden.

Deutschland stehe vor einer neuen Schwelle der Erinnerungskultur, erklärte Nachama. Nachdem das ganze Land und ganz Europa nach 1945 ein einziger Erinnerungsort gewesen war (der Kontinent lag in Schutt und Asche, es gab keine Familie, die nicht wenigstens ein Opfer zu beklagen hatte), hat sich die Erinnerungskultur gewandelt. Die letzten Zeitzeugen werden die Welt in absehbarer Zeit verlassen, zurück bleiben dann das kollektive Gedächtnis, Biographien Einzelner und Orte der Erinnerung, an denen biographische und historische Geschichte/n zusammengetragen werden.

Diese Erinnerungsorte, die vielmals erst Jahrzehnte nach Kriegsende und auf Initiative der Bürgerschaft entstanden sind, halten die historischen Prozesse lebendig und berichten über die Verantwortlichen und die Opfer. Jedes einzelne von ihnen dürfe nicht vergessen werden, so Nachama, zur Mechanik des Erinnerns gehörten unbedingt die Biographien der Beteiligten. Verbunden mit Erinnerungsorten würde Geschichte (auch ohne lebende Zeitzeugen) lebendig bleiben und kritische Fragen aufwerfen. Geschichte am Ort des Geschehens zu vergegenwärtigen, helfe enorm dabei, die Mechanismen der Zeit zu begreifen und das Leid der Opfer zu verstehen. Nur wenige Täter hätten sich damals ob ihrer Handlungen Gewissensfragen gestellt, umso mehr bedeute heute die Erziehung zu Toleranz und Demokratie – damit sich dieses von Menschen an Menschen verübtes Grauen nicht wiederhole