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Plenarsitzung

Alle Fraktionen für die Parlamentsreform

Die Fraktionen von CDU, SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN legten dem Landtag am ersten Sitzungstag im September einen Gesetzentwurf zur Parlamentsreform 2014 zur Ersten Beratung vor. Mit der Reform wird das Parlament schrittweise verkleinert, mehr Transparenz bei den Nebeneinkünften der Abgeordneten gewährleistet und mehr direkte Bürgerbeteiligung bei politischen Entscheidungen ermöglicht. DIE LINKE hatte sich wegen verschiedener kleiner Differenzen von der gemeinsamen Vorlage des Gesetzentwurfs zurückgezogen, trägt ihn aber weitestgehend mit.

Die Abgeordneten im Plenarsaal des Landtags von Sachsen-Anhalt. Im Zuge der Parlamentsreform soll die Zahl der Abgeordneten in zwei Schritten sinken. Foto: Landtag

Ein „harmonisches Ganzes“

Landtagspräsident Detlef Gürth kam die Aufgabe zu, den Gesetzentwurf über die Parlamentsreform in den Landtag einzubringen und als Erster die wesentlichen Schwerpunkte darzustellen. Das Paket ist angefüllt mit Regelungsentwürfen zur Änderung der Landesverfassung, des Wahlgesetzes, des Volksabstimmungsgesetzes, des Abgeordnetengesetzes, des Fraktionsgesetzes und der Geschäftsordnung. Dieses jetzt so „harmonische Ganze“ sei vor und während seiner Erstellung mit vielen Zweifeln bestückt gewesen, so Gürth. Nun halte man aber eine solide Karte und einen grundsätzlich richtig ausgerichteten Kompass in den Händen, um bei der Reform Kurs zu halten. Es gelte, den demographischen Wandel auch im eigenen Haus zu gestalten, gleichzeitig aber die Stärke der parlamentarischen Demokratie zu gewährleisten.

Es sei den Vorsitzenden aller vier Fraktionen des Landtags und den Parlamentarischen Geschäftsführern zu verdanken, dass in der Ältestenratskommission alle Einzelfragen in Konsens wie Dissens zügig beraten und entschieden werden konnten. Gürth wünschte sich die abschließende Beratung und Verabschiedung des Gesetzpakets in der November-Sitzungsperiode, um den Beschluss rechtzeitig und in gebührendem Abstand vor der Wahl zum 7. Landtag von Sachsen-Anhalt ins Gesetzblatt zu bringen.

Der Landtagspräsident stellte bei den Neuerungen die Verankerung von Kinder- und Elternrechten heraus, die Verfassungsrang erhielten. Des Weiteren soll das Quorum für Volksbegehren weiter abgesenkt werden, sodass künftig nicht mehr elf, sondern nur noch neun Prozent der Wahlberechtigten erforderlich sein werden. Wichtiges Anliegen der Reform ist die Verkleinerung des Plenums: In zwei Schritten (zu den Landtagswahlen 2016 und 2021) sollen insgesamt vier Direktmandate sowie vier Listenmandate gestrichen, der Landtag also erneut um acht Mandate verkleinert werden. „Wir werden damit ab 2021 im sachsen-anhaltischen Landtag fünf Mandate weniger als in den Landesparlamenten unserer Nachbarn Thüringen und Brandenburg haben“, erklärte Gürth.

Mit dem neuen § 45 des Abgeordnetengesetzes rücken die Vorstellungen über die Ausübung des Mandats in den Fokus. Sie soll im Mittelpunkt der Tätigkeit der Mitglieder des Landtages stehen. Nebentätigkeiten beruflicher und anderer Art seien aber ausdrücklich zulässig, möglich und auch erwünscht, so der Landtagspräsident. Neben dem Mandat einen halben Fuß im Beruf zu behalten, aus dem man komme, verlange diesen Abgeordneten viel ab, tue ihrer Arbeit aber auch ungemein gut. Dazu gehören aber auch Transparenzregeln, die den Mitgliedern des Hauses nach dem Vorbild des Deutschen Bundestags umfassende Offenlegungspflichten auferlegen. Das Immunitätsprivileg soll künftig darin bestehen, dass es in einen nachträglich durch das Parlament zur Wahrung seiner Arbeitsfähigkeit im Einzelfall herzustellenden Immunitätsschutz umgestaltet wird. Das Gesamtpaket werde nach den Beratungen in den Ausschüssen die übergroße Mehrheit der Abgeordneten finden, zeigte sich Gürth versichert und warb bei allen Fraktionen im Landtag um Zustimmung zum Reformpaket.

„Meilenstein für die direkte Demokratie“

Der Landtag habe bewiesen, dass er reformfähig sei, erklärte Siegfried Borgwardt (CDU). Durch die Reform soll das Plenum verkleinert werden, „ohne sich selbst zu schwächen“. Die Verkleinerung des Parlaments von 91 auf 83 Abgeordnete sei dem demographischen Wandel angemessen, andererseits aber auch angemessen, um die Aufgabenfülle zu bewältigen. Um die Nähe zum Wahlkreis zu wahren, sei eine weitere Reduzierung der Mandate jedoch nicht zu machen, sagte Borgwardt. Die Bürgerinnen und Bürger bräuchten einen Ansprechpartner vor Ort.

Bei der Frage nach mehr Transparenz habe man neue Maßstäbe gesetzt. Darunter falle nicht nur das neue Lobbyregister, durch das erkenntlich werde, welche Institutionen wie Einfluss auf die Schaffung von Gesetzen nehmen, sondern auch die genauere Veröffentlichung der Nebeneinkünfte der Abgeordneten, um deren Unabhängigkeit nachprüfbar zu machen.

Borgwardt erklärte, er halte es für unverständlich, dass sich die Fraktion DIE LINKE vom gemeinsamen Großprojekt entfernt habe. Die Kritikpunkte – der Zuschnitt der Wahlkreise und die Höhe der Bürokosten- und Aufwandspauschale – wurden und würden in den Ausschüssen beraten. Beide Einheiten machten nur einen Bruchteil der Reform aus, darauf dürfe man das gesamte Bestreben nicht herunterbrechen, mahnte der CDU-Politiker. Seine Fraktion hält den Gesetzentwurf für einen „Meilenstein für die direkte Demokratie in Sachsen-Anhalt“, so Borgwardt. Allzu hohe Hürden für die Bürgerbeteiligung würden gesenkt, bei Volksbegehren habe man sich auf den Versand eines Informationsbriefes an alle Wahlberechtigten geeinigt.

„Vier halbe Zeilen Differenz“

Die Abgeordneten Guido Henke und Monika Hohmann teilten sich die Redezeit der Fraktion DIE LINKE. Alle Fraktionen wollten diese Reform und hätten Zugeständnisse gemacht, betonte Henke. Es fehle noch die Kostendarstellung des Gesetzes, damit es in Sachen Transparenz seinen eigenen Ansprüchen Genüge leisten könne. Streitpunkt bleibe die Höhe der Bürokosten- und Aufwandspauschale, die zuletzt für Missstimmung zwischen den Linken und der Koalition geführt hatte. Henke betonte, dass seine Fraktion allerdings keine Öffentlichkeitsarbeit gegen die Reform betreibe und auch kein Ausstiegsszenario erstelle. Es gehe im Endeffekt um „vier halbe Zeilen Differenz“, über die in den Ausschüssen noch verhandelt werde. „Der Rest des Weges sollte gemeinsam zu schaffen sein.“

Monika Hohmann plädierte für eine Erweiterung der geplanten Kinder- und Jugendrechte in Sachsen-Anhalt. Neben Förderung und Schutz spiele auch die Beteiligung eine wichtige Rolle. „Leider wurde dieser Vorschlag bei den Beratungen zur Parlamentsreform nicht berücksichtigt“, bedauerte Hohmann. Die Beteiligung fehle, denn man könne Demokratie nicht nur üben, sondern müsse sie authentisch erfahren können. Kinder und Jugendliche seien Experten in eigener Sache, die ernst zu nehmen seien. Die Linken sprechen sich dafür aus, Beteiligung von Jugendlichen auf kommunaler Ebene in Sachsen-Anhalt einzuführen.

Insgesamt sei mit der Parlamentsreform ein Wurf gelungen, den er am Anfang des Prozesses nicht für möglich gehalten habe, erklärte Linken-Fraktionsvorsitzender Wulf Gallert in einem zusätzlichen Redebeitrag. Er machte von seinem Recht Gebrauch, als Fraktionsvorsitzender zu sprechen. Jede Fraktion sei an der einen oder anderen Stelle weit über ihren Schatten gesprungen. Es sei bedauerlich, dass es zur Kontroverse um die Kostenpauschale von 1600 beziehungsweise 1800 Euro gekommen sei. Hier habe es letztlich einen Kommunikationsfehler gegeben. Gallert wies aber auf den bestehenden Konsens hin, der weiter zusammen getragen werden solle.

„Einer der Höhepunkte der Legislaturperiode“

Petra Grimm-Benne erinnerte am Beginn ihres Redebeitrags an den kürzlich verstorbenen früheren Landesvater Reinhard Höppner, der die Einbringung der Landesverfassung als einen der Höhepunkte der Beratungen des Landtags in der damaligen Legislaturperiode betrachtete. Die Parlamentsreform habe eine ebenso große Bedeutung für die Zukunft des Landes, prophezeite die SPD-Abgeordnete. Es müsse darum gehen, die Gemeinsamkeiten vorzuzeigen und nicht die wenigen unterschiedlichen Ansichten zur Reform in den Fokus zu rücken, denn man habe über Monate hinweg gemeinsam an den Regelungen gearbeitet.

Grimm-Benne zeigte sich sehr froh über die Aufnahme der Kinderrechte in die Landesverfassung: „Was eine Gesellschaft für wichtig hält, schreibt sie in ihre Verfassung.“ Entsprechende Schutzrechte seien aufgenommen und konkretisiert worden. Dem Staat komme ein Wächteramt für das sorglose Aufwachsen von Kindern zu. Die weiteren Änderungen der Verfassung sollen unter anderem – durch Angebote und Rahmenbedingungen – zur Erhöhung der Wahlbeteiligung führen. Wichtig sei ihr überdies gewesen, dass auch bei einem verkleinerten Parlament die Bildung einer Fraktion sichergestellt sei. Die Höhe der Abgeordnetenentschädigung und der Kostenpauschale werde künftig von objektiven Fakten abhängig sein (allgemeine Lohn- beziehungsweise Preisentwicklung).

Mit der Novellierung des Immunitätsrechts soll die Arbeitsfähigkeit des Parlaments sichergestellt werden, nicht der Einzelne werde vor Strafverfolgung geschützt, betonte Grimm-Benne. Sie riet abschließend, über die enge Frist bis zur Wahl des Ministerpräsidenten nach einer Landtagswahl nachzudenken. Die Entscheidungsprozesse zur Regierungsbildung bräuchten ihre Zeit, sechs Wochen seien da ein zu enges Korsett.

Mehr direkte Demokratie

Die parlamentarische Demokratie steckt nach Meinung von Sebastian Striegel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) in einer ernsten Krise. Nur noch die Hälfte der Wahlberechtigten gehe zur Wahl, was einen massiven Vertrauensverlust in die Demokratie bescheinige. An dieser Krise trügen auch die Abgeordneten des Landtags ihren Anteil, räumte Striegel ein. Die Defizite in der Ausschuss- und Parlamentsarbeit führten zu Erstarrung und mangelnder Transparenz. Mit der umzusetzenden Parlamentsreform sei aber nun „mehr Mitmachen möglich“.

Striegel lobte die Stärkung der Rechte von Kindern und Jugendlichen auf Verfassungsebene. Beim Thema Wahlrecht sei für die Grünen aber eine grundlegendere Veränderung vorstellbar (Wahlrecht für Jugendliche ab 14 Jahre und für Migranten). Die Grünen stehen auch für einen Wahlsystemwechsel ein, der Überhangmandate unmöglich mache. Gut sei allerdings, dass der Termin für die Landtagswahl jetzt in der Verantwortung des Landtags liege.

Die Bevölkerung müsse – vor dem Hintergrund „direkte Demokratie“ – unmittelbar in Entscheidungsfindungen einbezogen werden. Die Quoren (zum Beispiel beim Volksbegehren) seien in Sachsen-Anhalt zu hoch gewesen und würden nun abgesenkt. Die Höhe des Abstimmungsquorums bleibe aber, was wiederum inkonsequent sein. Ein großes Plus stelle in diesem Zusammenhang aber die Abstimmungsbenachrichtigung dar – ein Faktenheft für alle Wahlberechtigten. Striegel lobte den Gesetzentwurf zur Parlamentsreform als gelungenes Gesetzeswerk. Die Parlamentsreform könne die Krise zwar nicht allein überwinden, aber sie könne ein Baustein dafür sein.

Im Anschluss an die Debatte wurde der Gesetzentwurf federführend in den Ältestenrat überwiesen. Zur Mitberatung wurde die Überweisung des Entwurfs in die Ausschüsse für Recht, Verfassung und Gleichstellung, für Inneres und Sport sowie für Finanzen beschlossen.