Im September 2021 hatte die Fraktion die Linke im Bildungsausschuss des Landtags einen Antrag auf Selbstbefassung eingebracht, durch den sich der Ausschuss mit der „Aktuellen Unterrichtsversorgung im Land“ auseinandersetzen sollte. Die Landesregierung sollte in diesem Zusammenhang über die Unterrichtsversorgung im Land insgesamt und über die Unterrichtsversorgung der Sekundarschule „Am Burgtor“ in Aken im Speziellen sowie über den aktuellen Stand zu den Ausschreibungen des Lehrpersonals in Sachsen-Anhalt berichten.
Nachdem die Landesregierung in den Folgesitzungen des Bildungsausschusses mehrfach über den aktuellen Stand berichtet hatte, wurde sich zuletzt am 13. Januar 2022 darauf verständigt, eine Anhörung durchzuführen, bei der Vertreterinnen und Vertreter der in den Fokus gerückten Schulen zu Wort kommen sollten. Diese wurde am Donnerstag, 10. Februar 2022, durchgeführt.
Laut eines Beschlusses des Landtags der 7. Wahlperiode (Drucksache7/4208) hat die Landesregierung dem Bildungsausschuss regelmäßig über die Entwicklung der Schülerzahlen sowie die Personalsituation und die Unterrichtsversorgung an den öffentlichen Schulen Sachsen-Anhalts zu berichten. Der Beschluss ist auch über den Wechsel der Legislaturperiode hinaus wirksam.
Wortmeldungen aus der Anhörung
„In Akens Grundschule unterrichten 11 Lehrkräfte 12 Klassen, das Durchschnittsalter der Lehrkräfte beträgt 53 Jahre, in der Sekundarschule unterrichten 22 Lehrkräfte 17 Klassen, deren Durchschnittsalter beträgt 57 Jahre“, rekapitulierte Jan-Hendrik Bahn, Bürgermeister der Stadt Aken. Auf dem Papier habe die Unterrichtsversorgung 78 Prozent erreicht, reell allerdings nur noch 50 Prozent.
Verschiedene Fächer fielen für manche Klassenstufen komplett aus, eine dritte 5. Klasse habe aufgrund des Lehrermangels nicht aufgemacht werden können. Es herrsche ein akuter Lehrermangel und dadurch ein Bildungsmangel, „hier und jetzt und in der Zukunft“, so Bahn. Die Problemlage sei schon hoch, aber sie befinde sich noch am Anfang, eine Rettung aus dieser Problemlage sei allerdings nicht in Sicht. „Die Kinder von heute haben nicht dieselben Bildungschancen wie früher“, kritisierte Bahn.
Es müsse Mittel und Wege geben, um diese Problemlage zu meistern. Nur so könne die Verstärkung einer Zweiklassengesellschaft hinsichtlich des Zugangs zu Bildung verhindert werden. Der aktuelle Lehrkräfte-Recruiting-Prozess reiche nicht, um die freien Stellen zu besetzen. Man müsse „pragmatisch sein und die Ausbildung umstrukturieren“. Akens Bürgermeister forderte die Landespolitik auf, „jetzt signifikant in die Bildung zu investieren und eine Bildungsoffensive, eine Task Force „Bildung“ zu starten.
Hans-Rainer Homann ist seit 2008 Leiter derSekundarschule „Am Burgtor“ Aken. Die Unterrichtsversorgung werde sich weiter dramatisch verschlechtern, sagte er. Eine der wichtigen Säulen des Schulalltags, die Personalentwicklung, funktioniere nicht mehr. Die Erfolgsquote des Lehramtsstudiums sei mit 45 Prozent viel zu gering, um ausreichend Lehrkräfte zu generieren. Es sollte möglich sein, Seiteneinsteiger einzustellen, aber diese sollten nicht die Regel und statt ausgebildeter Lehrkräfte eingesetzt werden, weil sie nicht immer wirklich geeignet seien, so Homann.
Es müsse zukünftig gelingen, dass Lehrämtler/innen schneller in die Schulen kämen. Es müssten im Studium zudem viel mehr relevante Ausbildungsinhalte vermittelt werden. Vom Digitalpaket des Bundes sei in seiner Schule praktisch nichts angekommen, auch hier gelte es, im Sinne eines effizienten Bildungsangebots nachzusteuern. Homann sprach sich dafür aus, die Schulen mit ausreichend finanziellen Mitteln zu versorgen, um sich externe Hilfe für die Aufrechterhaltung des Unterrichtsangebots ins Haus holen zu können.
Ralf Bosse, Vorsitzender des Elternrats der Sekundarschule „Am Burgtor“ agiere als Bindeglied zwischen Schülern, Eltern und Schule; viele Ängste und Nöte der Eltern und Kinder würden an ihn herangetragen. Für die Schülerinnen und Schüler stelle sich schon jetzt die Frage nach der Wertigkeit des eigenen Abschlusses: Welche Berufe können überhaupt ergriffen werden, wo kann man sich bewerben? Ausbildungsplätze könnten nicht angenommen werden, weil entsprechender Unterricht gar nicht erteilt worden sei.
Bosse diagnostizierte der Bildungspolitik des Landes ein Totalversagen bzw. einen Totalschaden. Seit vielen Jahren schaue man dieser Entwicklung zu, vieles sei kaputtgespart worden. „Wir fordern ein Umdenken der zuständigen Politik“, so Bosse. Im Sinne der Schule forderte er mehr junge Lehrkräfte, kurzfristige Lösungen bei der Unterrichtsversorgung, eine Vereinfachung des Zugangs zum Lehramtsstudium (mehr zugelassene Bewerber, mehr Absolventen“), mehr Flexibilität für freie Finanzen in den Schulen und den Aufbau der digitalen Infrastruktur. Es müsse gelingen, Studierende schon während des Studiums in den Schulen zu integrieren. Zudem gelte es, Anreize zu schaffen, dass Absolventen in Sachsen-Anhalt blieben.
Das Unterrichtsdefizit in Aken beruhe vor allem auf einer Vielzahl von Altersabgängen, die umfangreichen Ausschreibungen zur Besetzung der Stellen hätten sich allerdings als sehr erfolglos erwiesen, konstatierte Sachsen-Anhalts Bildungsministerin Eva Feußner (CDU). Kürzlich habe es aber Zusagen gegeben. Die ergriffenen Maßnahmen deuteten an, dass sich die Situation in den kommenden Wochen und Monaten verbessern werde. Positive Entwicklungen gebe es bei der Gewinnung von Seiteneinsteigern und Lehrkräften aus dem Ausland.
Das Ministerium für Bildung des Landes Sachsen-Anhalt habe zur Überwindung des Lehrermangels die Werbekampagne „Weltenretter“ gestartet. Zudem werde versucht, Lehrkräfte auch mit finanziellen Anreizen auf nichtbesetzte Stellen zu locken.
Referendariatsstellen für Lehrkräfte seien im Land zur Genüge vorhanden, auch ein Arbeitsplatz an einer Schule könne landesseits allen Absolventen des Lehramtsstudiums zugesichert werden. Man habe den Schulen Budgets für Honorarkräfte zur Verfügung gestellt, sagte Feußner, zwar nicht für regulären Unterricht (arbeitsrechtlich schwer möglich), aber um Schüler hinsichtlich „Aufholen nach Corona“ zu beschäftigen. Hier könnten im Landesschulamt ganz unkompliziert Anträge gestellt werden.
Hinsichtlich der Einstellung von Quereinsteigern konstatierte Feußner: Diese müssten als Zugangsvoraussetzung alle zunächst ein abgeschlossenes Hochschulstudium nachweisen. Die Ableitung eines Unterrichtsfachs werde nach Ausbildung bzw. Fähigkeiten vollzogen. Die Landesregierung stelle die Mittel für den Digitalpakt zur Verfügung. Sollte da noch nichts passiert werden, sollten sich Schulen direkt an ihren Landkreis wenden.
Die Lage sei problematisch, aber man habe an ihrer Schule bisher gut entgegengesteuert, erklärte Heike Herrmann, Leiterin der Gemeinschafts- und Sekundar-Ganztagsschule „G. E. Lessing“ Salzwedel. Trotzdem bestehe die Sorge, dass mit fallender Unterrichtsversorgung das Schulkonzept in Gefahr sei. Herrmann warb dafür, die Lehrpläne flexibel zu denken; „Schule kann und muss Prioritäten bei den Fächern setzen“. Man habe die Unterrichtsorganisation umgestellt, beispielsweise die Stundenzeit auf 40 Minuten reduziert und Doppelstunden veranschlagt. Mit der Reduzierung einer Doppelstunde von 90 auf 80 Minuten würden die Klassenleiterstunden in Form einer „Warm-up-Stunde“ am Tagesbeginn erhalten bleiben. Zudem habe ihre Schule „alle Fördertöpfe ausgeschöpft“ und verfüge bspw. über befristet eingestellte Lehramtsstudenten, die die festen Lehrkräfte unterstützten.
Die Sache der Anhörung werde den Ausschuss auch in den weiteren Ausschusssitzungen noch beschäftigen, betonte dessen Vorsitzender Stephen Gerhard Stehli am Ende der Anhörung.