Sie werden als Tage des Entsetzens und der Trauer für immer im deutschen Kalender verzeichnet sein, der 19. Dezember 2016 in Berlin, 9. Oktober 2019 in Halle (Saale) und Landsberg, der 19. Februar 2020 in Hanau und der 4. Oktober 2020 in Dresden. Es sind Tage, an denen insgesamt 24 Menschen bei Anschlägen ums Leben kamen – ermordet aus islamistischen, rechtsextremistischen, antisemitischen oder rassistischen Motiven.
Im Ausschuss für Recht, Verfassung und Verbraucherschutz wurde am Mittwoch, 8. Juni 2022, der Abschlussbericht des Beauftragten der Bundesregierung für die Anliegen von Opfern und Hinterbliebenen von terroristischen Straftaten im Inland im Rahmen eines Fachgesprächs erörtert. Zu Wort kamen Vertreterinnen verschiedener Opferverbände.
Die Getöteten der extremistischen Anschläge wurden von ihren Angehörigen fortgerissen, die trauernden Familien und Freunde müssen mit dem Verlust und dem Schmerz leben. „Zurück bleiben auch Menschen, die bei den Anschlägen körperlich oder psychisch verletzt wurden. Viele von ihnen leiden auch Jahre später noch unter den Folgen der Tat. Manche ein Leben lang“, sagte Prof. Dr. Edgar Franke am Ende seiner Amtszeit als Opferbeauftragter der Bundesregierung im Zuge der Vorstellung seines Arbeitsberichts.
Am 11. April 2018 hatte Franke das Amt des Beauftragten übernommen und wurde damit zum zentralen Ansprechpartner für die Betroffenen. Er hatte die Aufgabe vom früheren rheinland-pfälzischen Ministerpräsidenten Kurt Beck übernommen, der seinerzeit den Betroffenen des Terroranschlags auf dem Berliner Breitscheidplatz zur Seite gestanden hatte. Frankes Nachfolger im Amt ist seit Januar 2022 Pascal Kober.
Wortmeldungen der Fachleute
Der Abschlussbericht des Bundesbeauftragten lege Zeugnis davon ab, was in den zurückliegenden Jahren in Sachen Aufarbeitung und Opferschutz erreicht worden sei, verschweige aber auch nicht den Verbesserungsbedarf, erklärte Cornelia Faber-Nolte, Leiterin der Geschäftsstelle des Bundesbeauftragten (der selbst terminlich verhindert war). Alle staatlichen Stellen hätten eine besondere Verantwortung für Menschen, die Opfer von terroristischen Gewalttaten geworden sind. Zwischenzeitlich gebe es in 15 Bundesländern Opferbeauftragte, die eine spürbare Unterstützung der Betroffenen leisten sollen. Von Bundesseite würden bereits finanzielle Soforthilfen und deutlich höhere Entschädigungszahlen für Opfer und Betroffene gezahlt. Zudem werde der Anspruch auf eine schnelle psychologische Hilfe in Traumaambulanzen gewährt.
Im Abschlussbericht wurde unter anderem empfohlen, Opfer von Terror eine bestmögliche medizinische und psychologische Hilfe zukommen zu lassen. Nachdem sich dieser bereits bewährt habe, sollen alle Bundesländer einen Opferfonds einrichten. Verbesserungsbedarf bestehe auch in Behörden. Opferschutz und interkulturelle Kompetenz sollte in die Polizeiausbildung/Polizeiarbeit eingebunden werden. „Die stetige Weiterentwicklung der Maßnahmen sollte unser aller Ziel sein“, zitierte Faber-Nolte den aktuellen Bundesbeauftragten, der den Empfehlungen seines Amtsvorgängers uneingeschränkt folge.
Die Tragödie fange oft nach der Tragödie noch einmal an, insbesondere, wenn Menschen mit ihrem Leid nicht ausreichend wahrgenommen würden, erklärte Thea Ilse, Landespolizeipfarrerin und Beauftragte für Notfallseelsorge, die im Land Sachsen-Anhalt in 22 Teams mit 300 Ehrenamtlichen rund um die Uhr im Einsatz ist. Die Notfallseelsorge übernehme die Aufgabe, Betroffenen Dinge zu erklären, die aus dem Polizeideutsch heraus oft verletzend wirkten, sie müsse also in Akutlagen auch rechtzeitig eingebunden werden. Dies müsse in den Einsatzplänen endlich und unbedingt berücksichtigt werden.
„Lieber einmal mehr informieren, als in Akutphasen nicht vor Ort zu sein“, erklärte Dr. Gabriele Theren, die Landesbeauftragte für Opferschutz Sachsen-Anhalt, im Hinblick auf die Zuständigkeit bei besonderen polizeilichen Gefahrenlagen. Jeder Akteur bringe in Sachen Opferschutz einen anderen Blickwinkel ein, eine großflächige Vernetzung sei also per se wünschenswert. Theren sprach sich für einen festen Runden Tisch der beteiligten Institutionen aus. Es sei sehr hilfreich, wenn Betroffene einen festen Ansprechpartner für ihre Nöte und Sorgen hätten.
Für Betroffene und Überlebende des rechtsextremistischen Anschlags in Halle (Saale) und Umgebung mit insgesamt sechs Tatorten seien zweieinhalb Jahre seit der Tat noch immer eine kurze Zeit, für alle anderen werde sie schon als Teil der Vergangenheit wahrgenommen, sagte Antje Arndt von der Mobilen Opferberatung für Betroffene rechter Gewalt und dem Verband der Beratungsstellen für Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt. Das Attentat in Halle sei weder eine Einzeltat noch sei es dort ein Einzeltäter gewesen, sondern es stehe in einer Kontinuität rechtsextremer Gewalt in Europa und der Welt. Neben den zwei Getöteten habe es Verletzte und sechzigfachen versuchten Mord gegeben. Betroffene seien enorm traumatisiert, dies sei auch in der Zeit der Aufarbeitung sehr belastend. Arndt lobte den Abschlussbericht, denn er unterstreiche die Wichtigkeit eines gutfunktionierenden Opferschutzes, darunter mehr Rechte für Betroffene. Wichtig sei, dass Betroffene direkt an die Hilfseinrichtungen vermittelt würden, Arndt machte zudem auf die Bedeutung von Soforthilfen und zügige Entschädigungszahlungen aufmerksam. Ohne Opferberatungsstellen und Anwalt sei man in der bürokratischen Auseinandersetzung um Anerkennung des Opferstatus und Gewährung von Entschädigungen aufgeschmissen, kritisierte Arndt, hier müsse der Gesetzgeber dringend nachjustieren.
Man spreche sich selbstverständlich für die Verbesserung der Betreuung von Opfern von Straftaten aus, so wie es im Abschlussbericht des Bundesbeauftragten empfohlen worden sei, betonte Johanna Herz, Referentin in der Bundesgeschäftsstelle des Weissen Rings. Alle hätten lernen müssen, dass mit dem Terroranschlag am Berliner Breitscheidplatz eine neue Dimension des Terrors in Deutschland angekommen gewesen sei, so Herz. Betroffene und Hinterbliebene hätten in den ersten Tagen oft nicht gewusst, was mit ihren Angehörigen geschehen war, ob sie noch lebten oder tot waren. Den Opferverbänden sei klargeworden, dass sie ihre Strukturen ausbauen und anpassen müssen. Es gebe sehr unterschiedliche Opfergruppen, die betreut werden müssten. Der Weisse Ring spreche sich einmal mehr für das Berufsbild „Fachanwalt für Opferrechte“ aus, um den Bedürfnissen von Opfern gerecht zu werden.
Beim Thema „Aufarbeitung der Tatmotive“ enthalte der Bericht leider nicht viele Informationen, sagte Daniela Suchantke vom Landesweiten Netzwerk für ein Leben ohne Gewalt, einem Zusammenschluss von Institutionen, die sich gegen Gewalt jeglicher Art engagieren. Das Tatmotiv des Täters von Halle – im Rahmen der Liveübertragung durch den Täter benannt – seien Juden und Feminismus gewesen, für diesen Hass habe er eine breite Öffentlichkeit gesucht, erinnerte Suchantke. Der Frauenhass des Täters werde im Bericht des Bundesbeauftragten nicht thematisiert, dieser habe aber leider gesellschaftlich betrachtet enorm an Bedeutung zugewonnen. Es sei angeraten, sexistische Gewalt als rechtsextremes Tatmotiv wahrzunehmen. Begrüßt werde die Einrichtung eines Opferhilfsfonds und die Arbeit der Landesbeauftragten für Opferschutz in Sachsen-Anhalt, so Suchantke.
Im Anschluss an das Fachgespräch wurde der Tagesordnungspunkt (Behandlung des Abschlussberichts) für erledigt erklärt.