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Plenarsitzung

Sichere Treppen für alle unsere Fische

Um die natürliche Wanderung von Fischen jederzeit zu ermöglichen, müssen Flüsse sowohl flussaufwärts als auch –abwärts durchlässig sein. An Barrieren wie Wasserkraftanlagen oder Stauwehren in Sachsen-Anhalt gibt es daher seit einigen Jahren sogenannte Fischaufstiegs- und Fischabstiegsanlagen. In einer Anhörung hat sich der Ausschuss für Umwelt und Energie mit der Qualitätssicherung an Fischaufstiegsanlagen beschäftigt. Als Grundlage dienten drei Selbstbefassungsanträge der AfD-Fraktion zum Thema.

Warum die Anhörung wichtig ist

Alle Selbstbefassungsanträge seien zwar bereits im Ausschuss besprochen, aber nicht abgeschlossen worden, sagte Lydia Funke (AfD). Zudem habe es in den vergangenen Jahren immer wieder Zeitungsberichte gegeben, wonach Angler Fische vor dem Erstickungstot retten mussten. Wenn dies so gehäuft vorgekommen sei, müsse man diese Fehler beheben, so Funke. Ihrer Ansicht nach, seien die Flüsse in Sachsen-Anhalt nicht überall durchlässig, wie immer wieder behauptet würde. Dies könne zu einem zunehmenden Artensterben bei den Fischen führen, begründete Funke die Notwendigkeit der Anhörung.

Fischtreppe bei Halle (Saale)

Ein Blick auf die Fischauftstiegs- und Fischabstiegsanlage am Wasserkraftwerk Halle-Planena. Foto: Jaqueline Kriener/Landtag

Streit über technische Standards

Dr. Beate Adam vom Institut für angewandte Ökologie, erklärte, es gebe mit dem Merkblatt 509 der Deutschen Vereinigung für Wasserwirtschaft, Abwasser und Abfall (DWA) eine anerkannte Regel der Technik, die ausdrücklich beschreibt, wie eine Fischaufstiegsanlage zu funktionieren habe. Beim Wehr Hadmersleben seien viele dieser Auflagen nicht umgesetzt worden. Die Einschätzung des Vor-Ort-Biologen, dass die dort existierende Treppe funktioniere, bestätigte Adam ausdrücklich nicht.

Das DWA-Merkblatt M-509 sei das in Deutschland gültige Regelwerk für Fischtreppen, in vielen Behörden sei es „jedoch noch nicht angekommen, nicht akzeptiert oder nicht verstanden worden“, so Adam. Daher würde noch immer viel Geld in nicht funktionierende Fischaufstiegsanlagen investiert, Fachwissen würde ignoriert und jeder Experte hätte seine eigene Meinung.

DWA- Merkblatt oder BWK-Methode?

Bei den Ausführungen von Dr. Adam sei der Eindruck entstanden, dass das DWA-Merkblatt den Stand der Technik repräsentiere, dies sei nicht der Fall, konstatierte Hans-Werner Peschel vom Ministerium für Umwelt, Landwirtschaft und Energie des Landes Sachsen-Anhalt (MULE). Bei dem genannten Dokument handle es sich nicht um ein richtiges Merkblatt, da es keiner DIN-Norm entspreche.

In Sachsen-Anhalt würden seit mehr als 20 Jahren Fischaufstiegstreppen gebaut, geprüft und gegebenenfalls nachgebessert. „Die Anlagen, die bei uns gebaut werden, funktionieren.“ Dabei würden alle wissenschaftlichen Erkenntnisse und eigene Erfahrungen eingebunden, unterstrich Peschel. Das DWA-Merkblatt enthalte keine Prüfung zur Funktionskontrolle, diese erfolge in Sachsen-Anhalt mithilfe des Methodenstandards der Bundesanstalt für Wasserbau (BAW).

Der vom MULE genutzte Methodenstandard strotze vor Fehlern, konterte Dr. Adam vom Institut für angewandte Ökologie. Das DWA-Merkblatt sei in einem langwierigen Prozess in Zusammenarbeit mit verschiedenen Anzuhörenden erarbeitet worden. Für sie ist entscheidend, dass möglichst alle Fische über die Treppe auch oben ankommen. Der BWK-Methodenstandard vom Bund der Ingenieure für Wasserwirtschaft, Abfallwirtschaft und Kulturbau (BWK) gebe sich bereits mit einem angekommenen Tier pro Art zufrieden, um einen erfolgreichen Aufstieg vermerken zu können. (Vgl. dazu: EBEL, G, F. FREDRICH, A. GLUCH, C. LECOUR & F. WAGNER (2006): Methodenstandard für die Funktionskontrolle von Fischaufstiegsanlagen.)

Umweltministerin Prof. Claudia Dalbert (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) betonte: „Es gehe darum, wie man das Beste für unsere Fische herausholen kann!“ Dazu müssten gegebenenfalls Unterschiede in beiden Dokumenten nochmal geprüft werden.

Anglerverband sieht Handlungsbedarf

Die Funktionskontrolle nach DWA-Merkblatt sei eine rein technische Methode, jedes Gewässer sei jedoch anders. Daher könne diese Methode nicht gut funktionieren, sagte Anja von der Molen-Stolze, Landesanglerverband Sachsen-Anhalt. Ein fließendes Gewässer könne nicht nach den technischen Parametern eines Treppenhaus beurteilt werden, wie zuvor von Dr. Adam als Vergleich angeführt. Es gebe unterschiedliche Wasserstände, Verengungen, Strömungen und vieles mehr.

Entscheidend für Erfolg oder Misserfolg sei die Funktionskontrolle, bei der die Durchlässigkeit der Gewässer geprüft werde. Diese Kontrollen erfolgten in Sachsen-Anhalt nicht immer reibungslos. Die Anlagen würden zwar installiert, danach mangle es allerdings oft an einer dauerhaften Kontrolle. Dabei sah sie auch die Vereine und Eigentümer vor Ort in der Pflicht. Ihr Fazit: „Bei vielen Fischaufstiegsanlagen gibt es noch Handlungsbedarf.“

Einstiege zur Treppe zu steil und an falscher Stelle

Heimo Reilein vom Verein IG Bodelachs setzt dagegen uneingeschränkt auf das DWA-Merkblatt zum Thema Fischtreppen. Die Ausführungen des MULE, dass dieses aktuelle Erkenntnisse beim Bau von Fischtreppen nutze, könne er nicht bestätigen. In Hadmersleben zeige der Fischeinstieg sogar Richtung Ufer, so Reilein und fragte, ob dieser für Hase und Igel sein solle. Denn Fische würden ihn sicher nicht finden.

Außerdem seien viele Anlagen im 90 Grad Winkel und nicht wie laut DWA-Norm mit maximal 30 Grad  errichtet. Dies erschwere den Einstieg nicht nur, sondern mache ihn für manche Fischarten sogar unmöglich. Zudem wirke der BWA- Methodenstandard artenselektiv und schließe manche Fischarten aus, obwohl diese Arten eigentlich relevant seien.

Hubert Alsleben vom Angelverein Hedersleben sprach zum Zustand der Selke. Ein geschlossenes Wehr und eine geschlossene Fischtreppe hätten zwangsläufig dazu führen müssen, dass die Selke ausgetrocknet ist. Außerdem sei die dortige Fischtreppe genau an der strömungsabgewandten Seite errichtet worden. „Die Fische können den Fischpass eigentlich nicht auffinden. Das ist ein Ding der Unmöglichkeit!“ Das interessiere allerdings seit Jahren Niemanden und es ändere sich nichts, kritisierte Alsleben.

Darauf erwiderte Hans-Werner Peschel vom Umweltministerium: Die Funktion von Anlagen werde geprüft und das sei der Beleg dafür, dass diese Fischaufstiegsanlagen ordentlich gebaut seien. Entscheidend sei, „dass die Fische den Einstieg finden und die Höhendifferenz überwinden können“. Dies werde anhand einer Funktionskontrolle geprüft, andere Erkenntnisse lägen dem Ministerium nicht vor.

Ministerin zeigte sich gesprächsbereit

Diese Antwort reichte dem Abgeordneten Hendrik Lange (DIE LINKE) nicht aus. Man habe jetzt von den Anzuhörenden mehrmals gehört, dass Fischaufstiegsanlagen offenbar nicht nach entsprechenden Standards gebaut würden. Vor Ort gebe es große Zweifel, ob die Fische den Einstieg finden könnten. Daher bat er das Umweltministerium und die Behörden, mit den Menschen vor Ort ins Gespräch zu kommen.

Umweltministerin Dalbert nahm den Vorschlag auf. Es mache durchaus Sinn, dass Fachleute sich vor Ort mit den Bürgern träfen und anhand von Protokollen über die Funktionskontrollen ins Gespräch kämen. Auf diese Weise könnten mögliche Probleme besser verstanden und gelöst werden.

Umweltkatastrophen an Holtemme entschädigen

Ulrich Eichler, vom Wildfisch- und Gewässerschutz 1985 e.V. Wernigerode e.V. und seine Kollegen vom Verein für Angler und Naturfreunde, erinnerten an zwei Umweltkatastrophen an der Holtemme (Nebenfluss der Börde im Harz). Von einem Batteriebetrieb sind dort Ende 2019 etwa 4 Kubikmeter Schwefelsäure in dem Fluss gelandet, berichtet Eichler. Es seien etwa 1200 Forellen verendet und laut Gutachten ein Schaden von etwa 10.000 Euro entstanden. Von einer Wiedergutmachung des Schadens könne bis jetzt keine Rede sein, kritisierte er. Angeblich habe man keinen konkreten Täter innerhalb der Firma gefunden und sei deshalb nicht verpflichtet zu zahlen, monierte Eichler.

Ein paar Monate später  seien 30 Kubikmeter Styroporabfälle der gleichen Firma in die Holtemme gelangt. Die Behörden wussten davon, konnten den Betrieb jedoch nicht zum „Aufräumen“ animieren, dies übernahmen die Wildfischer und Angelfreunde in ehrenamtlicher Arbeit. Er bat den Landtag und das MULE, dass diese beiden Umweltkatastrophen aufgeklärt und der Schaden ersetzt wird. Zu allem Überfluss sei das verhängte Bußgeld im zweiten Schadensfall an einen Kulturverein in Halberstadt gegangen und nicht an den Anglerverein, der sich gekümmert habe. Für alle Beteiligten natürlich unverständlich, wenn auch gerichtlich so veranlasst.

Fischaufstieg keine Lösung für alle Arten

Der BUND Sachsen-Anhalt e.V. erklärte in seiner schriftlichen Stellungnahme: „Ein Fischaufstieg kann nie zu einer Durchwanderbarkeit aller gewünschten Arten führen. Gemeint sind hier die Arten die anwesend wären, wenn ein guter ökologischer Zustand erreicht wäre.“ Betrachtet werde derzeit immer nur das Querbauwerk selbst, selten das ganze Gewässer und sein Umfeld.

Prof. Volker Lüderitz, von der Hochschule Magdeburg-Stendal, hatte sich schriftlich zur Anhörung geäußert. Die AG Gewässer und Renaturierungsökologie untersuche die Bode seit Jahren und konnte feststellen: „Fischaufstiegsanlagen sind vielfach nicht vorhanden oder sie sind kaum funktionsfähig“, so auch am Doppelwehr Hadmersleben, wo man bei mehreren Untersuchungen im Jahr 2020 „nicht einen einzigen wandernden Fisch feststellen [konnte].“ Es seien daher Verbesserungsvorschläge gemacht worden. Die Varianten reichten vom vollständigen Rückbau der Wehre über deren Ersatz durch langgestreckte Sohlgleiten bis zur Errichtung von großzügig ausgelegten Bypässen.

Wie geht es weiter?

Der Ausschussvorsitzende Jürgen Barth (SPD) regte an, wenn es die Corona-Situation wieder zulasse, eine gemeinsame Veranstaltung mit allen Beteiligten zu organisieren. Bei dieser könnten die angesprochenen Themen vertieft und möglicherweise auf Veränderungen hingewirkt werden. In der jetzigen Legislaturperiode werde dies jedoch kaum noch möglich sein. Daher appellierte er an den neuen Umweltausschuss der 8. Wahlperiode des Landtags, das Thema erneut aufzugreifen. Für die 7. Wahlperiode wurde es für erledigt erklärt.