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Plenarsitzung

Sehnsucht nach Freiheit unterschätzt

Video-Mitschnitt der Feierstunde „35 Jahre Friedliche Revolution“.


Mit einer Feierstunde, in der Bundestagspräsidentin Bärbel Bas die Festrede hielt, erinnerte der Landtag von Sachsen-Anhalt am Dienstag, 3. September 2024, an „35 Jahre Friedliche Revolution“ und die Ereignisse in der Prager Botschaft.

Sommer und Herbst 1989 waren in der DDR geprägt von einem gesellschaftlichen Wandel, der später als Friedliche Revolution in die Geschichtsbücher eingehen sollte. Der SED-Staat hatte lange schon ausgedient, doch die Machthaber hielten vehement an der Lenkung des Staates fest. Dies änderte sich nun: die Bürgerinnen und Bürger wollten die Bevormundung und Misswirtschaft, die Überwachung und Drangsalierung des Staatsapparats nicht mehr hinnehmen und gingen erst zu wenigen, dann zu Tausenden, zuletzt zu Hunderttausenden auf die Straßen im ganzen Land. Eine Revolution ohne Waffen vollzog sich da – und die Staatsmacht kapitulierte schließlich. Der Weg war frei für eine Neuausrichtung des kleinen Landes im Herzen Europas – bis die Ereignisse sich ein weiteres Mal überschlugen und aus „das Volk“ wieder „ein Volk“ wurde.

Bundestagspräsidentin Bärbel Bas während ihrer Rede im vollbesetzten Plenarsaal des Landtags von Sachsen-Anhalt.

Bundestagspräsidentin Bärbel Bas während ihrer Rede im vollbesetzten Plenarsaal des Landtags von Sachsen-Anhalt.

„Der Osten tickt anders“

„Das Beispiel der Menschen in den Botschaften in Prag und Warschau leuchtet bis in unsere Tage“, sagte Landtagspräsident Dr. Gunnar Schellenberger, dieser Mut zur Freiheit sei heute nicht minder wichtig als vor 35 Jahren. „Die Friedliche Revolution ist das wichtigste Ereignis unserer jüngeren Demokratiegeschichte“, erklärte der Landtagspräsident. „Dass diese Revolution gelang, ist unser Glück“, wir seien aber allesamt gefordert, uns für die errungene Demokratie zu engagieren. „Der Osten tickt anders“, räumte Schellenberger ein, viel hätten die Menschen in den vergangenen dreieinhalb Jahrzehnten lernen müssen.

„Die Erleichterung spürt man noch heute“

Die Situation in der Prager Botschaft hatte sich im Herbst 1989 immer weiter zugespitzt, die Gesundheitslage ist kritisch, das Wasser ist knapp, die Menschen schlafen in Zelten und im Treppenhaus, die Verantwortlichen haben die Befürchtung, dass die Lage eskalieren könnte – so rekapitulierte Bundestagspräsidentin Bärbel Bas das historische Geschehen in Prag im September 1989. 

Zur gleichen Zeit engagierten sich Menschen in der DDR dafür, den eigenen Staat zu verändern. Sie seien zuhause auf die Straße gegangen, hätten demonstriert und gezeigt, dass sie etwas bewirken wollten.

In dieser Situation sei Hans-Dietrich Genscher in der Botschaft eingetroffen, etwas Bedeutsames müsse wohl geschehen. Er verkündete die Ausreise der Geflüchteten. „Die Erleichterung der Menschen verspürt man auch heute noch, wenn man die Aufnahmen anschaue.“ Die friedliche Lösung der Situation in Prag sei ein Glücksfall der Geschichte gewesen, betonte Bas. Die Zukunft der Menschen sei ihnen ungewiss gewesen. „All das geschah vor den Augen der Welt.“

Hans-Dietrich Genscher habe einen großen Anteil an der Lösung des Konflikts getragen – auch durch seine Herkunft. Er war in Halle (Saale) geboren worden und aufgewachsen. Mit viel Diplomatie habe er die DDR-Führung dazu gebracht, die Geflüchteten ziehen zu lassen. Mit seinem Wort habe er für die Sicherheit der Menschen gebürgt.

„Die Sehnsucht der Menschen nach Freiheit ist nicht zu unterschätzen“, dies sei eine der Weisheiten aus jener Zeit. Unser Land sei ein Sehnsuchtsort und ein Vorbild für die Menschen in der ganzen Welt. Mit einem hohen persönlichen Einsatz hätten die Menschen der DDR für die Demokratie gekämpft, damit hätten sie ganz Deutschland einen großen Dienst erwiesen. Dieses Erbe dürfe nicht von Demokratiefeinden missbraucht werden.

Heute seien viele Menschen unzufrieden, aktuelle Krisen verunsicherten die Menschen. Doch unsere Demokratie sei stark, sie sei lernfähig und wehrhaft gegen alle, die ihr schaden wollten. „Mehr miteinander als übereinander sprechen“, das war Bärbel Bas Wunsch für das Jahr 36 nach der Friedlichen Revolution.

„Wieder mehr miteinander reden“

Die DDR sei, wie allen bewusst gewesen sei, trotz des Namens kein demokratischer Staat gewesen, erinnerte Johannes Beleites, Landesbeauftragter in Sachsen-Anhalt zur Aufarbeitung der SED-Diktatur. Zum Teil über Westmedien hätten die Menschen in der DDR von oppositionellen Aktionen, auch von den Geflüchteten in den Botschaften in Polen oder der Tschechoslowakei erfahren. Er selber aber habe „hierbleiben wollen“, „wir wollten hier etwas verändern, jeder, der wegging, fehlte“, sagte Beleites.

„Wir wurden belohnt!“, sagte Beleites, die Ausgereisten mit einer grandiosen Willkommensstimmung in der Bundesrepublik, die Hiergebliebenen „mit der schönsten Zeit der DDR, ihrem Ende“. Es habe während der Oktober-Demonstrationen (in Leipzig) trotz Glasnost und Perestroika Angst vor der „Chinesischen Lösung“ gegeben. Aber dann hätten viele Städte in der DDR ihren eigenen 9.-Oktober-Moment erlebt.

„Demokratie ist, wenn die unterschiedlichen Meinungen der Menschen sich im Parlament abbilden“, betonte Beleites. Man müsse wieder mehr miteinander reden, die Gräben der Gesellschaft dürften nicht noch weiter aufreißen. „Wir können stolz darauf sein, was wir 1989 vollbracht haben“, meinte der Landesbeauftragte. Auch heute gelte es: „Demokratie: Jetzt und auch in Zukunft.“

Zwei Schulklassen und Musik

Die Veranstaltung wurde bereichert durch die Anwesenheit zweier Schulklassen – aus dem Friedrich-Schiller-Gymnasium Calbe/Saale und der Integrativen Gesamtschule Willy Brandt Magdeburg – und musikalisch umrahmt von Sylvia Oswald und Nick Jagenholz.

Im Anschluss an die Feierstunde fand unter dem Motto „Fluchtpunkt Botschaft Prag“ ein Gesprächsforum mit Zeitzeugen statt, die im Herbst 1989 über eine Flucht in die bundesdeutsche Botschaft in Prag in die Bundesrepublik gelangten.