Es gibt Gesetze, die scheinen in Stein gemeißelt zu sein, also unveränderlich und ewig geltend. Die Zehn Gebote gehören wohl dazu. Gesetze und Verordnungen sind aber menschengemacht, und auch das Landesparlament als Gesetzgeber und die Landesregierung können sich irren. Deshalb ist es gut, dass es neben diesen beiden Verfassungsorganen ein weiteres gleichrangiges Verfassungsorgan gibt, nämlich das Landesverfassungsgericht. Es entscheidet unter anderem bei Meinungsverschiedenheiten zwischen Verfassungsorganen oder Zweifeln über die Vereinbarkeit von Landesrecht mit der Landesverfassung.
Am 7. Juli 1993 verabschiedete der Landtag von Sachsen-Anhalt das Gesetz über das Landesverfassungsgericht. Seitdem hat das Gericht eine Vielzahl von Entscheidungen getroffen, so zum Beispiel zur Gebietsreform und jüngst in der Corona-Pandemie. Jährlich wird in durchschnittlich 25 Verfahren „Im Namen des Volkes“ geurteilt. Tatsächlich gab es jedoch zwischen ruhigen Jahren mit lediglich zwei, drei oder vier Verfahrenseingängen und Hochphasen mit über 80 bis zu 189 Verfahrenseingängen pro Jahr erhebliche Unterschiede, sagt Ana Bischoff, wissenschaftliche Mitarbeiterin und Pressesprecherin des Landesverfassungsgerichts.
Das Landesverfassungsgericht Sachsen-Anhalt besteht aus sieben Mitgliedern (und sieben Stellvertretenden), die für jeweils sieben Jahre gewählt werden. Sachsen-Anhalts Landesverfassungsrichter tragen als Symbol für ihre Autorität und Unabhängigkeit eine schwarze Robe mit einem roten Besatz. In anderen Bundesländern sind die Roben grün (Sachsen) oder schwarz mit einem anderen Besatz.
Das Landesverfassungsgericht entscheidet zum Beispiel über Verfassungsbeschwerden von Kommunen und Gemeinden, die sich durch ein Gesetz in ihrem Recht auf Selbstverwaltung verletzt sehen, oder über die Gültigkeit einer Landtagswahl. Es kann aber auch ganz direkt im Auftrag eines Bürgers tätig werden, und zwar bei „Verfassungsbeschwerden, die von jedermann mit der Behauptung erhoben werden können, durch einen Akt der öffentlichen Gewalt des Landes unmittelbar in seinen Grundrechten verletzt worden zu sein“.
Die Möglichkeit der Individualverfassungsbeschwerde gibt es in Sachsen-Anhalt erst seit 2019. Zuvor mussten sich Bürgerinnen und Bürger mit ihrem Anliegen an das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe wenden. In der Fassung des Gesetzes von 1993 hatten Abgeordnete des Landtags befürchtet, dass es durch die Verfassungsbeschwerde für jedermann zu einer Doppelung des Rechtsschutzes kommen könnte und die Gerichte überlastet würden. Das habe sich nicht bestätigt, sagt Ana Bischoff.
Bisher nur zwei Verfassungsbeschwerden erfolgreich
In Sachsen-Anhalt sind übrigens bisher lediglich zwei Verfassungsbeschwerden erfolgreich gewesen. In einem Fall ging es um eine Bewährungsstrafe, die vom Amtsgericht Eisleben und vom Landgericht Halle widerrufen worden war. In dem Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Anordnung entschied das Verfassungsgericht, dass die Haftstrafe vorerst nicht angetreten werden musste. In dem anderen Fall wurde in einem Streit über Kosten im Sinne der Beschwerdeführerin entschieden. Ana Bischoff sieht darin auch ein Indiz für die hohe Qualität der Entscheidungen an den Gerichten in Sachsen-Anhalt.