Cookies helfen uns bei der Weiterentwicklung und Bereitstellung der Webseite. Durch die Bestätigung erklären Sie sich damit einverstanden, dass Cookies gesetzt werden.

Plenarsitzung

Transkript

Dr. Tamara Zieschang (Ministerin für Inneres und Sport): 

Vielen Dank, Herr Präsident. - Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordneten! Haben wir in unserem Land keine anderen Probleme, als über die Legalisierung von Cannabis zu diskutieren. 

(Beifall bei der CDU und bei der AfD)

Das war mein erster Gedanke, als ich gestern Nachmittag von der Aktuellen Debatte dazu erfuhr.

(Zurufe von der AfD)

Aber vielleicht ist die von der Bundesregierung forcierte Legalisierung von Cannabis gerade Ausdruck und Beleg für unser eigentliches Problem, nämlich ein rasant schwindendes Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in die Problemlösungskompetenz und damit in die Führungsfähigkeiten der Bundesregierung.

(Beifall bei der CDU - Zustimmung bei der AfD)

Die Bürgerinnen und Bürger erwarten zu Recht, dass sich die Politik um wesentliche Fragen für unsere Gesellschaft kümmert und nicht um ideologisch motivierte Klientelpolitik. 

(Beifall bei der CDU - Zurufe von den GRÜNEN) 

In jedem Fall gibt die um sich greifende Entfremdung zwischen zunehmenden Teilen der Bürgerinnen und Bürger und der Bundesregierung und damit auch der Politik insgesamt mehr und mehr Anlass zur Sorge. Die beabsichtigte Legalisierung von Cannabis ist Teil dieser Entfremdung. 

(Olaf Meister, GRÜNE: Seit 30, 40, 50 Jahren reden wir darüber!)

Woher rührt diese Entfremdung? - Ich kann mich daran erinnern, dass die Präsidenten und Vorsitzenden der Bundeärztekammer, der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin, der Deutschen Gesellschaft für Suchtforschung und Suchttherapie, des Deutschen Lehrerverbandes, der Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände, der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie, der Gewerkschaft der Polizei, des Bundes Deutscher Kriminalbeamter, um nur einige zu nennen, einen gemeinsamen eindringlichen Appell an alle Abgeordneten des Deutschen Bundestages gerichtet haben. In einem gemeinsamen Schreiben haben sie Anfang Dezember letzten Jahres alle Bundestagsabgeordneten dazu aufgefordert, dem Gesetz zur Legalisierung von Cannabis in Deutschland nicht zuzustimmen. 

Als Begründung wiesen sie unter anderem auf die mit der Cannabislegalisierung verbundenen gravierenden gesundheitlichen Schäden und insbesondere auf die Gefährdung der Gesundheit der jüngeren Generation hin. 

(Sebastian Striegel, GRÜNE: Die werden jetzt gefährdet!)

Doch alle Argumente der ausgewiesenen Experten und der Fachverbände fanden keinerlei Gehör. Sachargumente wurden einem Koalitionsvertrag untergeordnet. 

Ich bin kein Gesundheitsexperte; daher will ich nicht auf die zahllosen wissenschaftlichen Studien eingehen, die die mit der Cannabislegalisierung einhergehenden Gesundheitsrisiken beleuchten. Stattdessen will ich auf die polizeiliche Kriminalstatistik für Sachsen-Anhalt eingehen. Im letzten Jahr hatte Sachsen-Anhalt 54 Tote infolge des Konsums von Rauschgift zu beklagen. Das waren 35 Todesopfer mehr als im Vorjahr.

(Eva von Angern, DIE LINKE: War es Cannabis?)

Die entspricht einem Anstieg um 184 %. 

(Eva von Angern, DIE LINKE: War es allein Cannabis? - Stefan Gebhardt, DIE LINKE: Haben Sie auch Zahlen der Alkoholtoten?) 

Allein bei sechs der Rauschgifttoten war der Konsum von Cannabis mitursächlich für den Tod. 

(Eva von Angern, DIE LINKE: Mitursächlich! Was ist das Ursächliche gewesen? 

Natürlich wird nicht jeder Cannabiskonsument drogenabhängig. Es wird aber auch keinen Hartdrogenabhängigen geben, der nicht zu Beginn seiner Drogenkarriere Cannabis konsumiert hat.

(Zustimmung von Guido Heuer, CDU - Eva von Angern, DIE LINKE: Alkohol ist die Einstiegsdroge! Darüber sollten wir reden! - Zurufe von der AfD)

Allein deshalb sollte das Gesetz den Bundesrat nicht so verlassen, wie es hineingekommen ist.

(Sebastian Striegel, GRÜNE: Hat es auch nicht!)

Der illegale Drogenmarkt wird mit der Cannabislegalisierung nicht verschwinden. In dieser Bewertung sind sich alle Innenminister der Länder einig. Illegale Drogen werden zum einen mit einem höheren Wirkstoffgehalt und aufgrund der fehlenden Besteuerung zum anderen preiswerter angeboten werden können als auf einem legalen Markt. Hinzukommt, dass der durch die Legalisierung zu erwartende steigende Konsum nicht über die im Gesetz angeführten Quellen gedeckt werden kann. Da die Nachfrage also aller Voraussicht nach das Angebot übersteigt, steigen die Preise auf dem legalen Markt, was wiederum zu Ausweichreaktionen auf den illegalen Markt führt. 

Auch die Beschaffungskriminalität wird eher steigen als sinken. Schließlich muss auch der Konsum legalisierter Drogen finanziert werden. Darüber hinaus wird die Legalisierung von Cannabis die Verkehrssicherheit negativ beeinträchtigen. Der Abg. Erben ist darauf bereits eingegangen. Es ist von einem erheblichen Anstieg von Fahrten unter Drogeneinfluss auszugehen; denn im Unterschied zum linearen körpereigenen Abbau von Alkohol unterliegt der Abbau von THC keiner Regelmäßigkeit.

(Zustimmung von Guido Heuer, CDU) 

Für den Konsumenten von Cannabis ist daher nur schwer einschätzbar, wann er wieder fahrtüchtig ist. Das wird zu einer häufigeren Nutzung von Kraftfahrzeugen unter Cannabiseinfluss führen. Das ist eine Absage an die Vision Zero. 

Die Cannabislegalisierung führt nicht zu weniger, sondern zu mehr Aufwand für Polizei und Justiz. Zu diesem Ergebnis kommen nicht nur alle Innenminister der Länder, sondern auch das Bundeskriminalamt. Daher rechne ich nicht mit einer Entlastung der Polizei. Im Gegenteil: Um strafbares Verhalten nachweisen zu können, wird allein wegen der Detailtiefe der vorgesehenen Regelungen der Aufwand für die Landespolizei wesentlich steigen. Das Gesetz sieht allein acht gesonderte Mengenobergrenzen für den Umgang mit Cannabis vor. Bei den Strafvorschriften werden 16 Grundtatbestände und bei den Bußgeldvorschriften 37 Ordnungswidrigkeitentatbestände aufgeführt. 

(Zuruf von Guido Kosmehl, FDP)

Nicht anders sieht es im Bereich der Justiz aus. Der vorgesehene rückwirkende Straferlass hat zur Folge, dass durch die Staatsanwaltschaften schon jetzt eine enorme Menge an Verfahren händisch auf ihre sachliche Betroffenheit hin überprüft werden muss. Denn mit Inkrafttreten des Gesetzes müsste die weitere Strafvollstreckung umgehend eingestellt werden und ggf. müssten erforderliche Haftentlassungen unverzüglich angeordnet sowie durchgeführt werden. 

In den äußerst zahlreichen deliktischen Mischfällen ist außerdem eine gerichtliche Entscheidung zur Neufestsetzung der Strafe herbeizuführen. In den anhängigen Strafvollstreckungsverfahren, in denen eine Neufestsetzung der Sanktionen erforderlich wird, drohen Auseinandersetzungen über die Fortsetzung und den Umfang der Strafvollstreckung während des Neufestsetzungsverfahrens. 

Erhebliche Zusatzbelastungen ergeben sich für die Staatsanwaltschaften zudem aus dem neu eingeführten Verfahren zur Feststellung der Tilgungsfähigkeit von Eintragungen im Bundeszentralregister. Alles das unterstreicht, dass das Gesetz den Bundesrat nicht so verlassen sollte, wie es hineingekommen ist. 

Schließlich bleiben Zweifel an der Vereinbarkeit der Cannabisregeln mit völkerrechtlichen Verpflichtungen. Ich nenne nur einmal die Vorgaben des UN-Einheitsübereinkommens über Suchtstoffe aus dem Jahr 1961. 

Überprüfungswürdig erscheint auch die Frage, ob die rückwirkend in die Rechtskraft von Entscheidungen eingreifende Amnestie die verfassungsrechtlichen Grundsätze der Gewaltenteilung und des Rechtsstaatsprinzips angemessen berücksichtigt. Die Aufhebung rechtskräftiger Urteile führt dazu, dass Entscheidungen der dritten Gewalt durch eine politische Entscheidung des Gesetzgebers nachträglich hinfällig werden. 

Ich halte die Legalisierung von Cannabis für den falschen Schritt. Ein Vermittlungsausschuss wird das Gesetz nicht aufhalten, aber dessen operative Umsetzung ermöglichen. Eines ist auch klar: Das Inkrafttreten des Gesetzes wird die Debatte über die Legalisierung von Cannabis nicht beenden - im Gegenteil. 

(Beifall bei der CDU)


Vizepräsident Wulf Gallert:

Es gibt eine Intervention von Herrn Striegel, wenn ich das richtig gesehen habe. - Bitte sehr.

(Tobias Rausch, AfD: In eigener Sache!)


Sebastian Striegel (GRÜNE): 

Frau Ministerin, ich habe Ihre Ausführungen mit Interesse, aber auch mit einigem Unverständnis zur Kenntnis genommen. Das Bild, das Sie hier zeichnen, hat mit den Realitäten in diesem Land und den internationalen Erfahrungen im Bereich der Regulierung von Cannabis wenig zu tun

(Zurufe von der AfD) 

und zeigt vor allem eines: Ihre Partei ist in den Debatten vor Jahren hängengeblieben. Das ist tragisch vor allem angesichts dessen, dass wir in Deutschland tatsächlich ein massives Problem mit Drogen haben. Allein 74 000 alkoholbedingte Tote in diesem Land würden es wert machen, über die Frage der Gefährlichkeit einzelner Drogenarten intensiv zu streiten. Gerade der Anstieg der Zahl der Drogentoten in diesem Land, den Sie ins Feld geführt haben - jede und jeder ist einer zu viel -, zeigt, wir müssen zu einer anderen Drogenpolitik kommen. Dazu wäre es hilfreich, auch zu einer besseren Regulierung von Cannabis zu kommen. Dieses Gesetz ist ein wichtiger Schritt dahin. Es ist ganz sicher noch nicht perfekt. Wir werden weitere Erfahrung zu sammeln haben. Aber das Zerrbild, das Sie an dieser Stelle zeichnen, hat mit der Realität nichts zu tun. 

(Beifall bei den GRÜNEN - Daniel Roi, AfD: Aber Fahrerflucht ist auch für Kiffer nicht erlaubt!)


Vizepräsident Wulf Gallert: 

Sie können darauf reagieren. 


Dr. Tamara Zieschang (Ministerin für Inneres und Sport): 

Ich kann die Liste wieder aufführen. Solange ich im Einklang bin mit dem Präsidenten der Bundesärztekammer, dem Vorsitzenden der Gewerkschaft der Polizei, dem Bund der Deutschen Kriminalbeamter, dem Deutschen Lehrerverband, der Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände usw. usf., fühle ich mich auf der Höhe der Zeit und gut beraten. 

(Beifall bei der CDU) 


Vizepräsident Wulf Gallert: 

Ich sehe keine weiteren Wortmeldungen. - Danke.

(Cornelia Lüddemann, GRÜNE: Ich hatte mich gemeldet! - Oh! bei der AfD) 

 - Entschuldigung, Frau Lüddemann, das habe ich nicht gesehen. Bitte sehr, Frau Lüddemann, stellen Sie ihre Frage. 


Cornelia Lüddemann (GRÜNE): 

Entschuldigung, Herr Präsident. Da Sie genickt haben, hatte ich angenommen, dass Sie meine Wortmeldung zur Kenntnis genommen haben. 

Ich habe eine kurze Frage, die mit Ja, Nein oder Enthaltung beantwortet werden kann. 

(Tobias Rausch, AfD: Das können Sie gar nicht wissen!)

Wie wird Sachsen-Anhalt am Freitag abstimmen? - Hören Sie zu bis zum Ende.


Dr. Tamara Zieschang (Ministerin für Inneres und Sport): 

Das wird am Freitagfrüh entschieden.

(Guido Kosmehl, FDP: Und das wissen Sie ganz genau!)


Vizepräsident Wulf Gallert:

Frau Lüddemann, ich hatte Ihre Wortmeldung sogar notiert. 

Abgesehen davon würde ich um Folgendes bitten, bevor ich einzelne Ordnungsrufe erteile. Ich weiß, die Debatte hat viele verschiedene Konnexionen. Ich möchte aber darum bitte, darauf zu verzichten, mögliche Betroffenheiten von Rednern in dieser Debatte nicht als Zwischenrufe einzubringen. Denn so etwas kann in den verschiedenen Fraktionen auch ganz schnell wieder zurückkommen. Ich bitte darum, heute darauf zu verzichten. - Herr Rausch, danke. 

(Lachen bei der AfD)