Tagesordnungspunkt 5
Ostdeutschland muss im Fokus der Bundesregierung bleiben
Antrag Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Drs. 8/5302
Einbringer ist Herr Meister für die genannte Fraktion. - Sie haben das Wort, Herr Meister. Bitte sehr.
Olaf Meister (GRÜNE):
Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Die in jüngster Vergangenheit aus Kreisen der CDU - Sepp Müller war es, bekannter Literaturfreund - geäußerte Forderung nach Abschaffung des Ostbeauftragten hat uns ausgesprochen nachdenklich gestimmt. Natürlich ist es zweifelsohne so, dass ein Beauftragter nicht per se die Lösung für Probleme bringt. Man kann und muss solche Ämter und ihre Wirksamkeit kritisch hinterfragen. Ich befürchte jedoch, dass mit solch einer plakativen Forderung nach der Abschaffung eine Abwendung vom Thema einhergeht und dass die in der Funktion gelegene Chance vergeben wird. Dies hielte ich für einen Fehler. Wir brauchen nicht weniger Engagement für den Osten, sondern eher mehr,
(Zustimmung bei den GRÜNEN und bei der Linken)
vielleicht aber eine andere Ausgestaltung.
(Zustimmung von Cornelia Lüddemann, GRÜNE)
Selbstverständlich hat sich seit der Einführung des Amtes im Jahr 1998 viel getan und verändert. Dass sich die Situation der ostdeutschen Länder aber immer noch deutlich von der im Rest der Bundesrepublik unterscheidet, finde ich, ist offenkundig. Natürlich gibt es auch zwischen anderen Regionen in Deutschland Unterschiede. Das ist auch gut so. Natürlich kann es gar nicht das Ziel sein, Ostdeutschland zu einem Westdeutschland 2.0 zu machen. Es ist gut, eigene regionale Besonderheiten auszuprägen und zu leben.
Was den Osten aber ganz grundsätzlich vom Westen unterscheidet und was leider auch weiter nachwirkt, das sind die Folgen der hier bis zum Jahr 1989 bestehenden Diktatur und die sich daraus ergebenden gesellschaftlichen, aber auch wirtschaftlichen und sozialen Konsequenzen. Ich will Sie jetzt gar nicht mit den vielen Details zu Einkommen, Rentenniveau, Lebenserwartung, Vermögen etc. quälen. Sie kennen die bestehenden Unterschiede, die sehr häufig für den Osten nachteilig sind.
Dass hier kein DAX-Konzern ansässig ist, sagt sehr viel darüber aus, wie sich die Wirtschaft in Deutschland regional unterschiedlich entwickelt hat und wie schwer es uns im Osten fällt, diesen ab dem Jahr 1949 erlittenen Nachteil - zuvor war es eine bedeutende Industrieregion, gerade hier in Sachsen-Anhalt - auszugleichen mit den Folgen wie Abwanderung der jungen Generation in den 1990er-Jahren und fehlender bzw. ungenügender Repräsentation von Menschen mit ostdeutschen Biografien in Wirtschaft, Staat, Politik und Gesellschaft.
(Zustimmung bei den GRÜNEN)
Dass sich ungenügende Repräsentation negativ auf das Gefühl einer Verbundenheit auswirken kann, ist naheliegend.
Nach 35 Jahren ist es aber auch an uns Ostdeutschen, bestimmte Debatten neu zu führen. Wir hatten vergleichbare Debatten, insbesondere zu Ostquoten, erinnere ich mich, auch hier im Landtag schon in der Vergangenheit. Was mich daran immer ärgerte und worüber wir als Ostdeutsche 35 Jahre nach Revolution und Einheit anders denken sollten, das ist die dann immer mitschwingende, sehr enge Definition, was eigentlich Ostdeutsche sind.
Natürlich sind wir altgedienten, ehemaligen DDR-Bürger - dazu gehöre noch ich - Ostdeutsche, selbstverständlich auch die Nachgeborenen und schon im Westen - wie wir das umgangssprachlich sagen; gemeint sind die Zeiten ab dem Jahr 1990 - Aufgewachsenen, die zwar die DDR nicht mehr bewusst erlebten, aber sehr wohl die großen Umbrüche, die wir heute so sehr technisch als Transformation bezeichnen. Wir müssen aber raus aus dieser landsmannschaftlichen Piefigkeit. Natürlich gehören auch all die Menschen zu Ostdeutschland, die erst später kamen, aber hier eine neue Heimat gefunden haben. Das sind die vielen, die wegen Beruf, Liebe oder Ausbildung aus dem Westen Deutschlands rüber machten, es sind, ja, auch die DDR-Vertragsarbeiter und ihre Kinder, die hierblieben, und es sind auch die Menschen, die danach aus dem Ausland zu uns kamen und hier Wurzeln schlugen.
(Zustimmung bei den GRÜNEN)
Die Perspektiven dieser verschiedenen Gruppen sind in Teilen sehr unterschiedlich. Was uns aber eint, das ist das gemeinsame Leben in diesem Land und das Erfordernis, mit den Eigenheiten, aber eben auch den geschichtlich entstandenen Nachteilen umzugehen.
Schon länger, in jüngerer Zeit aber verstärkt, wird der Osten mit Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit verbunden.
(Daniel Roi, fraktionslos: Durch euch!)
Ich halte das nicht für eine spezifische Eigenschaft des Ostens. Das Aufkommen rechtsextremistischer und rechtspopulistischer Parteien ist aktuell ein weltweites Phänomen.
(Jan Scharfenort, AfD: Alles, was nicht links ist, ist rechtsextremistisch!)
Der Ausgang dieser globalen Auseinandersetzung in den Gesellschaften zwischen Anhängern liberaler demokratischer Rechtsstaaten einerseits
(Jan Scharfenort, AfD: Liberal? Linksextrem!)
und autoritärer Regime andererseits ist offen. Sie wird auch bei uns ausgetragen. Ja, es kann sein, dass wir in einigen Jahren in einer von Diktaturen und autoritären Regimen geprägten Welt leben,
(Jan Scharfenort, AfD: Da seid ihr aber ganz schnell dabei, bei Diktaturen, mit eurer Öko-Diktatur!)
die sich gegenseitig bekriegen.
(Ulrich Siegmund, AfD: Ach, Herr Meister!)
Ich selbst hege aber die Hoffnung, dass sich der Freiheitsgedanke und die Humanität auf Dauer durchsetzen.
(Zustimmung von Sebastian Striegel, GRÜNE - Jan Scharfenort, AfD: Freiheitsgedanke? Grüner Kommunismus!)
Wir sehen es gerade in Serbien, auch in der Türkei, vor einiger Zeit leider auch erfolglos im Iran, wie sich Menschen für ihre Freiheit jeweils neu einsetzen.
(Zuruf von Jan Scharfenort, AfD)
Angesichts der Wahlergebnisse im Osten Deutschlands und auch der berichteten fremdenfeindlichen Übergriffe, kommen wir aber leider nicht umhin festzustellen, dass unsere Gesellschaft im Osten scheinbar anfälliger ist für extremistisches Gedankengut.
(Zurufe von Ulrich Siegmund, AfD, und von Jan Scharfenort, AfD)
Die Demokratie ist hier gefährdeter als andernorts - vielleicht etwas überraschend angesichts der von uns im Osten ja selbst erkämpften Freiheit. Die Ursachen werden vielfältig sein: ein autoritäreres Verständnis davon, wie so ein Staat zu funktionieren hat; Zweifel an demokratischen Strukturen, in denen man natürlich nicht in der Lage und auch gar nicht willens war, die dramatischen Umbrüche der Nachwendezeit aufzuhalten; geschichtlich, in der Vergangenheit ganz gut begründete Zweifel an denen da oben und an der Presselandschaft; Angst vor weiteren Umbrüchen; ein aus der mangelnden Repräsentation folgendes Gefühl der Zurückgesetztheit und vieles mehr, worüber man diskutieren kann und worüber auch breit diskutiert wird.
Der Osten ist anders. Das ist angesichts seiner anderen Geschichte, die auch im Jahr 1990 nicht plötzlich aufhörte, anders zu sein, gar nicht anders zu erwarten. Die drängende Frage ist, wie kann es uns gelingen, die Nachteile, die wir haben, zu überwinden oder zumindest weiter zu mildern.
(Kathrin Tarricone, FDP: Warum immer Nachteile?)
Die Antworten werden so unterschiedlich sein wie die Problemstellungen. Während wir in der Wirtschaft zumindest im Verhältnis zu den 1990er-Jahren deutliche Fortschritte gemacht haben, ist die Lage des demokratischen Rechtsstaats besorgniserregend.
Wie muss eine Demokratie bei uns im Osten aussehen, zu der die Menschen wieder mehr Vertrauen fassen? Weniger Einfluss von Parteien, mehr direkte Einbeziehung? Wie kommt man einerseits zu einer besser akzeptierten Medienlandschaft, ohne dass andererseits statt Informationen Hass, Angst und Wut verbreitet werden?
Die spezifische Entwicklung bei uns im Osten ist nicht faktisch abgeschlossen. Wir sind mittendrin. Die Abschaffung eines Ostbeauftragten, der ein bisschen der sichtbare Schlusspunkt einer Entwicklung wäre, ist nicht angezeigt.
(Zustimmung von Cornelia Lüddemann, GRÜNE)
Ein Ostbeauftragter ist nicht die Lösung des Problems. Er bzw. sie kann aber ein sinnvolles Werkzeug sein, nicht als Grüßaugust oder Vorzeigeossi. Im Amt kann man Probleme lautstark benennen, überparteiliches Sprachrohr und Ansprechpartner sein. Eingaben waren ja im Osten unser Ding. Vielleicht wäre eine nicht parteipolitische Besetzung des Amtes schon ein Anfang.
Das Amt des Ostbeauftragten könnte auch Impulsgeber sein für neue Formate der Beteiligung und für eine andere Kommunikation.
(Zustimmung bei den GRÜNEN)
Mit unserem Antrag möchten wir die diskutierte Frage zur Fortführung des Amtes in eine Richtung lenken. Sinn hat das Amt ja nur, wenn wir im Osten das Amt und seine Dienste auch für uns einfordern - nicht ein gnädig vom Westen eingerichtetes Amt, sondern ein vom Osten, von uns getragenes Amt. Dabei geht es nicht nur um ein Irgendwie-weiter-so, sondern um einen Anstoß zu Überlegungen, um es neu auszufüllen.
Der Wunsch an die Landesregierung in unserem Antrag besteht darin, das als ihre Aufgabe zu verstehen und diese Erwartungshaltung als eines der fünf bzw. mit Berlin sechs Länder des Ostens deutlich zu artikulieren. Insofern bitte ich um Zustimmung zu unserem Antrag. - Vielen Dank.
(Zustimmung bei den GRÜNEN)
Vizepräsident Wulf Gallert:
Herr Meister, warten Sie einmal kurz. Es gibt eine Intervention von Frau Tarricone. - Frau Tarricone, Sie haben das Wort.
Kathrin Tarricone (FDP):
Vielen Dank, Herr Präsident. - Herr Meister, ich habe gewartet auf den positiven Moment, aber gekommen ist: Probleme; Osten; es ist alles wieder problembehaftet; dass wir jemanden brauchen, der unsere Nachteile ausgleicht.
(Zustimmung bei der FDP und bei der CDU)
Wir haben hier eine Menge Vorteile. Wir haben eine friedliche Revolution geschafft. Hier sind die Leute wach. Also, wo war der positive Aspekt?
(Ulrich Siegmund, AfD: Die Leute sind im Osten wach!)
- Ja, die Leute sind im Osten wach. Das brauchen Sie nicht für Ihre Propaganda zu nutzen.
(Zustimmung bei der FDP - Oliver Kirchner, AfD: Das ist einfach so! - Daniel Rausch, AfD: Leute! - Weitere Zurufe von der AfD)
- Ja, ist doch gut. Ich rede im Übrigen mit Herrn Meister.
(Florian Schröder, AfD: Das sagt die Vier-Prozent-Partei!)
- Ja, und? Dann sagen wir das mit geradem Rücken. Im Übrigen rede ich gerade mit Herrn Meister und nicht mit Ihnen.
(Unruhe bei der AfD)
Also, Herr Meister, meine Frage: Haben Sie auch noch einen positiven Aspekt für den Osten?
Vizepräsident Wulf Gallert:
Herr Meister, jetzt können Sie.
Olaf Meister (GRÜNE):
Na ja, die Diskussion geht ja um den Ostbeauftragten. Also, ich richte ja das Amt eines Beauftragten ein, um mich eines Problems anzunehmen - daher sicherlich Ihr Gefühl, ich beschäftige mich nur mit den Problemen. Das ist natürlich irgendwie der Sinn der Sache.
Ich habe versucht darzustellen, der Osten ist anders, und das ist nicht per se schlimm oder so. Wir sind anders.
(Guido Heuer, CDU: Baden-Württemberg auch!)
Wir müssen damit selbstbewusst umgehen, sollen damit selbstbewusst umgehen. Der Osten ist anders. So.
Auch in der Wirtschaft - das habe ich kurz erwähnt -, wenn man das einmal mit den 1990er-Jahren vergleicht, sind wir in einer ganz anderen Situation. Trotzdem haben wir eben Unterschiede, und häufig tatsächlich zu unseren Lasten. Wenn Sie über Einkommen reden - Sie können einmal gucken, wie die Erbschaftsteuerverteilung in Deutschland ist -, dann wissen Sie sofort, wovon ich rede.
(Guido Heuer, CDU: Ja, vom Kommunismus!)
Das ist natürlich etwas, was uns in der Entwicklung beeinträchtigt.
Tatsächlich sind wir aufgrund dieser Dinge weniger leistungsfähig, als es Kommunen oder Länder im Westen sind.
(Zuruf von Jörg Bernstein, FDP)
Darauf sollten wir einen Fokus legen, dass wir diese Nachteile ausgleichen. Das, meine ich, ist natürlich auch die Aufgabe eines Ostbeauftragten. Der bringt jetzt nicht allein die Lösung, aber es geht in die Richtung. Das selbstbewusst anzugehen, ja, das will ich. Daran sind wir uns einig.