Tagesordnungspunkt 3
Investitionen für eine bessere Berufsbildung in Sachsen-Anhalt
Antrag Fraktionen CDU, SPD und FDP - Drs. 8/2531
Änderungsantrag Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Drs. 8/2551
Herr Keindorf möchte den Antrag gern einbringen. Das darf er auch gleich.
(Zustimmung bei der CDU und bei der FDP)
Danach steigen wir in eine Fünfminute dazu ein. Auch wenn Bildung ein interessantes Thema ist, denken wir daran, dass wir heute noch eine Menge vorhaben. - Bitte, Herr Keindorf, Sie haben das Wort.
Thomas Keindorf (CDU):
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Mit dem vorliegenden Antrag stellen sich die Koalitionsfraktionen einer der zentralen Herausforderungen unserer Zeit. Versorgungssicherheit mit Energie, Nachhaltigkeit in Prozessen, die Fachkräftesicherung und eine fortschreitende Digitalisierung kennzeichnen einen beispiellosen Strukturwandel, der in unserem Land natürlich bewältigt werden muss. Dabei nimmt die Stärkung der dualen Berufsausbildung eine Schlüsselposition bei der Fachkräftesicherung in der Wirtschaft und beim Erreichen der von der Politik gesteckten Ziele ein.
Bevor ich im Detail auf unseren Antrag eingehe, möchte ich Ihnen einmal paar Beispiele für die Dimension des Fachkräftemangels in Deutschland aus dem Bereich der energetischen Gebäudesanierung aufzeigen. Das Heinz-Piest-Institut für Handwerkstechnik an der Leibniz-Universität Hannover stellt in einer aktuellen Studie Berechnungen dazu auf. Die Studie trägt die Überschrift „Energiewende und Handwerker - Eine Wende ohne Hände?“
Wenn die Ziele der Energiewende des Bundes nur annähernd eingehalten werden sollen, dann müssen bis zum Jahr 2025 Wohnflächen von mindestens 1,3 Milliarden m² energetisch saniert werden. Das entspricht rund einem Drittel der aktuell sanierungsbedürftigen Wohnfläche in Deutschland. Diese Flächen, nur um einmal die Dimension zu verdeutlichen, ist in etwa so groß wie die Stadtflächen von Berlin und München und halb Magdeburg.
Für diese Aufgabe, so die Studie, wären wiederum 120 000 zusätzliche Handwerker erforderlich, die ausschließlich die Sanierung im Gebäudebestand durchführen. Genau diese Handwerker, meine Damen und Herren, sehe ich nicht. Die Zahlen, die ich gerade genannt habe, stammen aus dem BMAS und sind im Fachkräftemonitoring 2021 zu finden.
Das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung, IAB, setzt noch einen drauf und führt an, wenn die Babyboomer im Jahr 2025 in Rente gehen, erhöht sich die Zahl von 120 000 zusätzlich benötigten Arbeitskräften auf 400 000. Ich muss natürlich gestehen, dass sich dieser Bedarf nicht nur auf die energetische Gebäudesanierung bezieht, sondern auch auf den sozialen Wohnungsbau.
Die Ergebnisse des vorgenannten Gutachtens lagen der Politik bereits vor, als der Bundeswirtschaftsminister sozusagen on top seine Pläne für die Heizungskeller von Gebäudeeigentümern auf den Tisch gelegt hat. Diese verschärfen die Situation noch weiter.
Die Bundespolitik scheint dabei in einem von der Realität weit entfernten Paralleluniversum gefangen zu sein.
(Beifall bei der CDU)
Anders kann ich mir die Idee, die Politik könne den Einbau von Gas- und Ölheizungen ab 2024 verbieten, nicht erklären. Dass dieses Verbot nun stufenweise umgesetzt werden soll, macht es nicht besser.
Völlig widersinnig ist, dass im Entwurf des GEG die Heizungsmodernisierung losgelöst von der energetischen Gebäudesanierung zu betrachten sein soll. Gebäude, Heizung und Haustechnik bilden eine Einheit. Es gilt: Zuerst das Gebäude und dann die Haustechnik. Alles andere stellt die Erkenntnisse der Physik und der Wärmelehre, wie ich sie als Energieberater einst gelernt habe, auf den Kopf.
(Zustimmung bei der CDU)
Der Appell, ab dem Jahr 2024 eine halbe Million Wärmepumpen jedes Jahr in Betrieb zu nehmen, erscheint mir jedenfalls als ein weiteres Indiz dafür, dass auch die Politik vom Fachkräftemangel nicht verschont wird.
(Beifall bei der CDU)
Ich möchte Ihnen mal einen Überblick über die Feuerstättenstruktur in der Bundesrepublik geben. Wir haben ungefähr 33 Millionen Feuerstätten in Betrieb. Bei 11,3 Millionen handelt es sich um Einzelraumfeuerstäten für feste Brennstoffe. 1,4 Millionen sind Gas-Einzelfeuerstätten; der DDR-Bürger kennt diese unter der Bezeichnung Gamat. Bei ca. eine Million Feuerstätten in der Bundesrepublik handelt es sich um Feststoffheizungen. Wer mitgerechnet hat, wird herausbekommen haben, dass 19,3 Millionen Gas- und Ölheizungen in der Bundesrepublik in Betrieb sind.
Angesichts der Zahl von 19,3 Millionen € Gas- und Ölheizungen würde, wenn pro Jahr 500 000 dieser Anlagen durch Wärmepumpen ersetzt werden, der Prozess insgesamt 39 Jahre dauern. Im GEG ist aber der 31. Dezember 2044 als Endpunkt für fossile Brennstoffe festgelegt worden. Das sind gut 20 Jahre. Wir reden von knapp 20 Millionen Heizungen.
Ich überlasse es Ihnen einzuschätzen, ob das realistisch ist. Ich gebe Ihnen aber eine kleine Entscheidungshilfe mit an die Hand: Mit Beginn des Ausbildungsjahres 2022/2023 konnten im Handwerk in der Bundesrepublik 20 000 Ausbildungsplätze nicht besetzt werden, bei uns in Sachsen-Anhalt waren es rund 820.
Meine Damen und Herren! Als Unternehmer dürfte man diesen utopischen Zielen eigentlich keine weitere Beachtung schenken. Ich teile aber die Befürchtung der Wirtschaft, dass die Politik mit diesen Plänen die positive Entwicklung unseres Landes in den zurückliegenden Jahrzehnten zunehmend infrage stellt und dass es gleichzeitig versäumt wird, den eingangs beschriebenen Strukturwandel so zu gestalten, dass man die Menschen mitnimmt und unsere Unternehmen davon letztlich auch profitieren werden.
Das Handwerk ist einer der Motoren der Energiewende, um die von der Politik gesetzten ehrgeizigen Ziele und Wünsche auch annähernd erreichen zu können. Dazu zähle ich den sozialen Wohnungsbau, die energetische Gebäudesanierung und die Heizungsumstellung. Hierfür fehlen schlicht die Fachkräfte.
(Beifall bei der CDU)
Wenn aber die Energiewende erfolgreich gelingen soll, dann darf auch die Politik nicht mit Verboten und Zwängen arbeiten. Sie muss vielmehr die richtigen Rahmenbedingungen setzen und Innovationen fördern. Dabei darf sich niemand dem Irrglauben hingeben, dass mit dem Ausbau von künstlicher Intelligenz die Ausbildung qualifizierter Fachkräfte beschleunigt werden kann.
Die erforderliche Anzahl an Fachkräften lässt sich auch nicht aus China, aus Indien oder aus anderen Teilen der bevölkerungsreichen Welt so ohne Weiteres importieren. Der Grund dafür ist banal: Die Meister, Techniker, Gesellen und Fachspezialisten sind ein Produkt der dualen Ausbildung, eben „made in Germany“.
(Beifall bei der CDU)
Die Ausbildung junger Menschen braucht Zeit, braucht Personal und setzt gute Rahmenbedingungen voraus. Allein mit einem unbürokratischen Einwanderungsgesetz lässt sich der Bedarf an zusätzlichen Fachkräften nicht decken. Grundvoraussetzungen bleiben nach wie vor die Ausbildung in den vielen engagierten Ausbildungsbetrieben der Region, die Förderung des Unternehmertums und eine auf die Bewältigung der Herausforderungen ausgerichtete duale Berufsausbildung.
(Beifall bei der CDU)
Dazu bedarf es in erster Linie auch gleichwertiger Verhältnisse von beruflicher und akademischer Bildung, und zwar nicht nur auf dem Papier, sondern auch in den Köpfen der Menschen sowie in finanzieller Hinsicht. Tatsächlich dokumentieren die Entwicklungen der Ausbildungsverhältnisse, dass die Chancen, die eine duale Berufsausbildung junger Menschen bereithält, von Politik und Gesellschaft noch nicht ausreichend wahrgenommen werden.
Nach einer aktuellen Befragung von Jugendlichen zu den Ausbildungsperspektiven im dritten Coronajahr von der Bertelsmann-Stiftung geben 57 % der Jugendlichen in Sachsen-Anhalt an, ein Studium einer Berufsausbildung vorzuziehen.
Nach dem aktuellen - Achtung! - DGB-Ausbildungsreport Sachsen-Anhalt geben knapp 70 % der befragten Jugendlichen an, dass die Angebote der Berufsorientierung in den allgemeinbildenden Schulen bei der Berufswahlentscheidung nicht hilfreich sind. Diese Auffassung teilen sogar 82 % der befragten Abiturienten.
Ja, meine Damen und Herren, ohne die Umsetzung der hier im Landtag bereits in der sechsten Legislaturperiode beschlossenen systematischen Berufsorientierung an allen Schulformen fehlen die grundlegendsten Voraussetzungen, um die politischen Ziele erreichen zu können. Die in der Vergangenheit realisierten Einzelmaßnahmen zur Stärkung der dualen Berufsausbildung erweisen sich jedenfalls als nicht ausreichend und müssen in eine grundlegende Neuausrichtung zur Stärkung der beruflichen Bildung Eingang finden.
Also was ist jetzt zu tun? - Dazu haben wir unseren Antrag eingebracht. Erstens. Wir brauchen für die Auszubildenden und die Ausbildungsbetriebe mehr Flexibilität bei der Wahl der Berufsschule. Nach einer Berufsschulstandortanalyse und weiteren vorliegenden Erhebungen der gewerblichen Kammern wäre für jeden fünften Auszubildenden die Beschulung an einer räumlich näher gelegenen berufsbildenden Schule möglich. Hierbei erweisen sich die Kreisgrenzen als eine Barriere, die bei diesen Zuordnungsfragen beseitigt werden muss. Künftig sollen die Auszubildenden mit dem Ausbildungsbetrieb gemeinsam entscheiden können, an welcher Berufsschule die Theorie innerhalb der Ausbildung vermittelt wird.
Darüber hinaus muss eine gemeinsame Beschulung verschiedener Ausbildungsberufe einer Berufsgruppe aufgrund derselben Rahmenlehrpläne in den ersten und zweiten Ausbildungsjahren möglich sein. Auch diese Maßnahme würde eine ortsnahe Beschulung in vielen Fällen gewährleisten oder die Ausbildung überhaupt erst ermöglichen.
Zweitens. Die Eigenverantwortung der berufsbildenden Schulen vor Ort hinsichtlich der Kooperationsmöglichkeiten bei der Ausbildung und innerhalb des Schulnetzes sind weiter zu stärken.
(Zustimmung)
Hierbei sollen vor allem auch Methoden des digital basierten Unterrichts Berücksichtigung finden. Die Vorteile der Präsenzveranstaltungen und des E-Learnings sollen stärker kombiniert werden. Erste, nach meiner Einschätzung erfolgreiche Modellprojekte befinden sich bei uns im Land in der Erprobung. Zu erwähnen sind z. B. die Berufsbildenden Schulen „Gutjahr“ in Halle und im Burgenlandkreis.
Entscheidend für den Erfolg wird dabei sein, ob sich das Land auch finanziell an der Etablierung von Blended Learning an den berufsbildenden Schulen künftig beteiligen wird. Diese Frage ist noch nicht geklärt worden. Gleichzeitig muss auch geregelt sein, dass die digitale Beschulung nicht den Präsenzunterricht verdrängen darf.
(Zustimmung)
Drittens. Obwohl auf Initiative der CDU-Fraktion in der zurückliegenden Legislaturperiode Verbesserungen für die Auszubildenden bei der Erstattung von Kosten für die Fahrt und für die Unterkunft bei einer auswärtigen Beschulung - ich nenne das Stichwort Fachklassen - erreicht wurden, sind weitere Maßnahmen erforderlich.
(Wolfgang Aldag, GRÜNE: Das haben Sie gemeinsam gemacht!)
Laut der Richtlinie RabAz erhalten die Auszubildenden bisher pauschal 20 € Fahrtkosten je Woche für maximal 13 Wochen im Jahr. Bei auswärtiger Unterkunft in Sachsen-Anhalt werden jeweils 45 € pro Woche und bei auswärtiger Unterkunft außerhalb Sachsen-Anhalts jeweils 70 € pro Woche für maximal 13 Wochen im Jahr gezahlt. - Dies, meine Damen und Herren, deckt nicht die anfallenden Kosten.
Ebenso ist die bisherige Beschränkung, nach der Auszubildende, die nicht übernachten, einen Zuschuss für die Fahrtkosten nur im ersten Ausbildungsjahr erhalten, vor dem Hintergrund des Zieles der Stärkung des ländlichen Raumes zu hinterfragen.
Erschwerend kommt hinzu, dass die Anzahl der Wohnheimplätze für die auswärtige Unterbringung von Auszubildenden nicht ausreichend ist. Das hat negative Konsequenzen: Junge Menschen entscheiden sich nach der Schule entweder gegen eine Berufsausbildung oder der Ausbildungsvertrag wird zum Zeitpunkt des Ausbildungsbeginns wieder aufgelöst. Bei uns im südlichen Sachsen-Anhalt sind mehrere entsprechende Fälle dokumentiert worden.
Wichtig ist: Mit unseren Verbesserungen bleibt die Sicherstellung der Berufswahlfreiheit gerade auch für Jugendliche aus einkommensschwachen Familien gewährleistet.
Unser vierter und letzter Punkt: Das bisherige System der Erhebung von Gastschulbeiträgen erweist sich als entwicklungshemmend und muss für die Landkreise und die kreisfreien Städte abgeschafft werden.
(Zustimmung bei der CDU)
Bisher sind die Landkreise eher bestrebt, die sogenannten eigenen Auszubildenden im Landkreis zu behalten, auch wenn ein anderer Schulstandort in einem anderen Landkreis für den Auszubildenden besser und schneller erreichbar wäre. Bei einem Wechsel des Auszubildenden an eine Berufsschule in einem anderen Landkreis müssen bisher Gastschulbeiträge abgeführt werden. Diesen Fehlanreiz wollen wir beseitigen.
Die unterschiedlichen finanziellen Belastungen der kommunalen Gebietskörperschaften könnten künftig mit bestimmten Regelungen im FAG des Landes ausgeglichen werden. Hierbei kann durchaus ein Blick auf das sächsische Modell lohnen. Mit dem Wegfall der Gastschulbeiträge wären zugleich ein Bürokratieabbau und eine personelle Entlastung der Landkreise und der kreisfreien Städte verbunden.
Ja, meine lieben Kolleginnen und Kollegen, mit diesem Maßnahmenpaket wird es gelingen, die Berufsausbildung in Sachsen-Anhalt qualitativ weiterzuentwickeln und damit auch die Attraktivität der dualen Ausbildung zu steigern.
Ich hoffe auf Ihre Zustimmung zu unserem Antrag. Ich freue mich auf die Debatte. Den Änderungsantrag der GRÜNEN lehnen wir ab. - Herzlichen Dank.
(Zustimmung bei der CDU)
Präsident Dr. Gunnar Schellenberger:
Danke. - Es gibt eine Frage, Herr Keindorf. - Frau Hohmann.
Monika Hohmann (DIE LINKE):
Herr Keindorf, ich habe nur eine kurze Frage zu Ihrer letzten Bemerkung, die Gastschulbeiträge für die berufsbildenden Schulen abzuschaffen, um damit Personal einzusparen bzw. nicht zu belasten. Sie wissen schon, dass wir auch Gastschulbeiträge für die allgemeinbildenden Schulen bezahlen? Wollen Sie auch diese abschaffen oder nur die für die berufsbildenden Schulen?
Thomas Keindorf (CDU):
Ich spreche jetzt erst einmal nur für die berufsbildenden Schulen. Wenn man sich die Summen, die gezahlt werden, unter dem Strich, im Saldo, einmal anschaut, dann stellt man fest, dass das bei uns im Land so ziemlich ein Nullsummenspiel ist. Es gibt, ich sage einmal, drei Empfänger - Halle, Magdeburg und Dessau - und es gibt acht Zahler. Unter dem Strich steht dabei fast plus-minus-null. Ich denke, deswegen ist es gerechtfertigt, zu sagen: Wir schaffen das ab, um unseren eingangs genannten Punkt, nämlich die Wahl des Berufsschulstandortes, überhaupt erst zu ermöglichen.