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Plenarsitzung

Transkript

Cornelia Lüddemann (GRÜNE): 

Sehr geehrter Herr Landtagspräsident! Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete! Sechs Menschen wurden innerhalb von Sekunden ermordet, etwa 300   und es werden immer mehr   wurden schwer und schwerstverletzt und Hunderte sind der Gefahr um Zentimeter oder Sekunden entronnen. Sie sind als Augenzeugen oder Ersthelferinnen traumatisiert.

Ungezählt sind auch viele weitere Beteiligte, die mit ihren Angehörigen und Freunden unter den Folgen dieser unverständlichen, grausamen und nicht nachvollziehbaren Tat noch ewig werden leiden müssen. Und dass diese Menschen in dem Redebeitrag der AfD hier keinerlei Erwähnung finden,

(Zustimmung bei den GRÜNEN)

das ist entlarvend, beschämend und unwürdig.

(Zustimmung bei den GRÜNEN, bei der LINKEN und bei der SPD)

Und auch für die zahlreichen Rettungskräfte, Polizistinnen und Polizisten und Seelsorger, die als Erste vor Ort waren, um zu helfen, wird die Nacht noch lange nachwirken. Ihnen allen gilt unser allerherzlichster Dank.

Der Täter des Anschlages auf den Magdeburger Weihnachtsmarkt hat Magdeburg und unser ganzes Land ins Mark getroffen. Ob wir jemals erfahren werden, was genau den Täter antrieb, der mit antimuslimischen Einstellungen und Sympathien für verschiedene Rechtsextremisten auffiel? - Ich bin angesichts des scheinbar wahnhaften Verhaltens des Tatverdächtigen hier unsicher.

Ich erinnere an den Generalbundesanwalt. Der hat das unfassbare Geschehen nicht als Terrortat eingestuft. Mutmaßlich ist es eine unfassbare, nicht zu begreifende Tat eines Menschen, der größtmöglichen Schaden anrichten wollte und unfassbares Leid verursacht hat.

Antworten auf die Frage, wie diese Tat geschehen konnte, müssen Landesregierung und Parlament liefern. Die Menschen im Land erwarten zu recht eine lückenlose Aufklärung und eine größtmögliche Transparenz. Jede und jeder in diesem Land muss sich darauf verlassen können, dass der Staat und seine Institutionen die öffentliche Sicherheit garantieren.

(Zuruf von der AfD: Kann er nicht!)

Die Schuld an dieser Tat trägt der Täter. Und er wird sich verantworten müssen.

(Zustimmung bei den GRÜNEN)

Und dennoch muss gefragt werden, ob ihm die Begehung nicht zu leicht gemacht wurde, weil Gefahren nicht gut genug eingeschätzt und nicht konsequent genug gehandelt wurde. Wir wissen bereits, dass das Sicherheitskonzept des Magdeburger Weihnachtsmarktes unzureichend war. Die Gefahrenlage ist spätestens seit dem Anschlag auf dem Berliner Breitscheidplatz im Jahr 2016 bekannt hoch. Und das Sicherheitskonzept wurde nicht einmal in allen Teilen adäquat umgesetzt.

Die Verantwortung für das Sicherheitskonzept des Weihnachtsmarktes tragen der Veranstalter und die Genehmigungsbehörde. Beides ist die Stadt Magdeburg. Und mit scheint, dass das ein Teil des Problems ist.

Schon lange klagen Kultur- und Veranstaltungsakteure darüber, dass es in Magdeburg keine Ermöglichungskultur, sondern eine von persönlichen Interessen geleitete Verhinderungskultur gibt. Eine solche wäre skandalös genug. Wenn sich diese nun auch noch als Sicherheitsrisiko erweisen sollte, zeigt sich, wie dringend Aufarbeitung und auch persönliche Übernahme von Verantwortung sind.

(Zustimmung bei den GRÜNEN)

Der Beigeordnete Ronni Krug steht hierbei im Mittelpunkt. Der skandalöse Mailverkehr lässt auf eine nicht hinnehmbare kreative Amtsführung schließen.

Aber auch auf anderen Ebenen muss aufgearbeitet und größtmögliche Transparenz hergestellt werden. Wir GRÜNE begrüßen die Einsetzung des Parlamentarischen Untersuchungsausschusses. Ich hätte es mir tatsächlich auch gewünscht, dass es einen gemeinsamen Untersuchungsauftrag und einen gemeinsamen Einsetzungsbeschluss aller demokratischen Fraktionen gegeben hätte.

Aber der nunmehr vorliegende Antrag der Koalition ist hinsichtlich des Tatverdächtigen, seiner Behördenkontakte und deren Zusammenarbeit fachlich sauber ausgearbeitet worden, wenn ich das sagen darf. Das gilt auch für die Fragen zum Sicherheitskonzept und zum Maßregelvollzug.

Der vorliegende Antrag lässt allerdings eine große Lücke. Die Perspektive von Opfern des Anschlags, von Betroffenen spielt keine Rolle. Das sollte und das muss sich ändern. Gerade aufgrund der Erfahrung mit anderen Anschlägen, nicht zuletzt aufgrund des rechtsextremen Anschlages in Halle, zeigt sich, wie wichtig die Perspektive der Betroffenen ist.

(Zustimmung bei den GRÜNEN)

Ihre Stimmen zu hören, zu schauen, ob ihnen staatlicherseits alle notwendige Hilfe zuteilgeworden ist - auch das muss die Aufgabe des Untersuchungsausschusses sein. Ich finde die Ablehnung bei der Koalition so, wie sie zu unserem Änderungsantrag angekündigt ist, nicht nachvollziehbar. Denn auch an dieser Stelle müssen wir schauen, ob alles richtig gelaufen ist und ob wir vielleicht nicht auch hier noch besser werden können.

(Zustimmung bei den GRÜNEN)

Wenn immer davon gesprochen wird, wir sind es den Opfern und Betroffenen schuldig: Auch das sind wir den Opfern und Betroffenen schuldig.

Wir werden uns als GRÜNE in die Arbeit des Ausschusses konstruktiv einbringen; denn das Wichtigste ist schnelle, sachliche und lückenlose Aufklärung und Aufarbeitung. Die Koalition werden wir daran messen, ob Sie Ihrem Versprechen nach vollständiger Aufklärung nachkommt. Alle, auch für die Landesregierung unbequeme Fragen müssen angesprochen werden können. Und es muss Antworten geben.

Die Aufklärung läuft aber auch jetzt schon in den zuständigen Ausschüssen in Land und Bund und durch die Vorlage von Akten durch die Landesregierung. Für unsere Fraktion hat der Kollege Striegel dies übernommen. Einige Akten konnten bereits ausgewertet werden, weswegen ich hier von Hinweisen auf ein völlig unzureichendes Sicherheitskonzept sprechen kann.

Für andere Aktenbestandteile zum Tatverdächtigen laufen nach Angaben der Landesregierung die Vorbereitungen zur Aktenvorlage; und das ist gut so. Unklar bleibt momentan noch die Frage, warum die Landesregierung bislang die Vorlage von Akten zu Absprachen zwischen Polizei und Veranstalter nicht vorlegte. Frau Ministerin Zieschang, an dieser Stelle müssen wir, glaube ich, noch besser werden; denn wir brauchen die versprochene Aufklärung.

(Zustimmung bei den GRÜNEN)

Wir erwarten, dass alle Unterlagen, Konzepte, Einsatzpläne etc. auf den Tisch kommen. Denn so, wie Ronni Krug für die Stadt Magdeburg Verantwortung trägt, so tragen Sie als Dienstherrin der Landespolizei inklusive des Landeskriminalamtes politische Verantwortung für die öffentliche Sicherheit in unserem Land.

Im Innenausschuss des Landtages wurde darüber informiert, dass wegen eines Tweeds des Tatverdächtigen am 1. Dezember 2023 in Sachsen-Anhalt erstmals ein Ermittlungsverfahren wegen Störung des öffentlichen Friedens durch Androhung von Straftaten eingeleitet wurde. Dieser Tweed weicht im Tenor und in der Qualität von früheren Äußerungen ab. Erstmals drohte er mit Rache und Vergeltung in Deutschland.

Überhaupt lässt sich aus der bekannt gewordenen Liste von 105 behördlichen Vorgängen zu Taleb A. herauslesen, dass sich beginnend im Jahr 2023 seine Aktivitäten verstärkten und auch seine Aggressivität noch einmal deutlich zunahm, bis hin zu einem Sturmgewehr im X-Profil. Das wirft Fragen auf. Und deswegen werden wir auch konstruktiv im Untersuchungsausschuss mitarbeiten.

Das LKA meldete rund um den Jahreswechsel: Der Mann ist bekannt, er ist kein Islamist, auf eine extremistische Einstellung gibt es keine Hinweise und eine Radikalisierung ist nicht zu erkennen. Wir fragen uns und die Öffentlichkeit fragt sich: Auf Basis welcher Taten erfolgte diese Einschätzung? Und wieso fiel der Mann trotz des Anzeichens auf eine Radikalisierung zu einem Islamhasser und trotz Hinweisen auf mögliche psychische Problem durch alle Raster?

Wie kann der Austausch zwischen den Sicherheitsbehörden der unterschiedlichen Ebenen verbessert werden? Das ist offensichtlich eines der zentralen Probleme. Und ich erwarte vom Untersuchungsausschuss - und das ist ein Teil der Aufarbeitung  , dass wir hier auch Empfehlungen geben, wie die Lage verbessert werden kann

(Zustimmung von Frank Bommersbach, CDU)

und wie wir künftigen Lagen auch besser gewappnet gegenüberstehen.
Die Schaustellerbetriebe und die Marktverantwortlichen brauchen klare Ansagen. In nicht einmal zehn Monaten sollen eigentlich und werden hoffentlich auch wieder die nächsten Weihnachtsmärkte stattfinden. Deshalb müssen wir schnell reagieren.

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Demokratie braucht Übernahme von Verantwortung. Als Verantwortliche muss die Innenministerin sich daran messen lassen, wie sie die öffentliche Sicherheit tatsächlich stärkt und nicht nur wortgewaltig neue Kompetenzen für Behörden fordert. Nach dem Femizid in Bad Lauchstädt, bei der Asservatenaffäre, mit Blick auf weiterhin verschwundene Waffen bei der Landespolizei und auch jetzt im Kontext möglicher Bewertungsfehler zur Gefährlichkeit des Tatverdächtigen von Magdeburg weist die Verantwortungskette auf Sie als Innenministerin.

(Zuruf von Frank Bommersbach, CDU)

Unsere Polizei ist personell und materiell besser aufgestellt als noch vor Jahren. Die bisherigen Erkenntnisse zeigen, dass wir es eher nicht mit einem Problem mangelnder Befugnisse der Behörden zu tun haben. Mich irritiert, dass die Ministerin bisher die Verantwortung immer nur auf anderen oder unteren Ebenen sucht. Ein Wegschieben der Verantwortung - das Verantwortungs-Ping-Pong ist bereits benannt worden - dürfen wir mit Blick auf die unfassbare Tat nicht zulassen.

(Zustimmung bei den GRÜNEN)

Sehr geehrte Damen und Herren! Es ist bitter zu hören   ich hatte am Samstag die Gelegenheit, beim demokratischen Spazierrang des Lamsa Augenzeugen- und Erfahrungsberichte zu hören  , dass rassistische Angriffe in und um Magdeburg massiv zugenommen haben. Es geht um Angriffe auf Menschen, die sichtbar anderer Herkunft zu sein scheinen; denn oft sind es Menschen, die schon seit Generationen hier leben.

Diese Drohungen treffen diese Menschen und sie werden Opfer von konkreter Gewalt werden, die sich offenbar immer weiter Raum greift, weil einige den Anschlag nicht als notwendiges Signal für ein friedliches Miteinander, sondern als Aufruf zum Angriff auf Migrantinnen verstehen. Diese Eskalation der Gewalt darf nicht geduldet werden und wir werden sie auch nicht dulden.

(Zustimmung bei den GRÜNEN)

Sehr geehrte Damen und Herren! Etwas Unfassbares ist geschehen, hier direkt um die Ecke. Wir als Landespolitiker müssen politische Verantwortung dafür übernehmen, indem wir eine lückenlose Aufklärung für die Opfer und für alle Betroffenen des Attentates herbeiführen. Aus gemachten Fehlern muss gelernt werden. Wir brauchen neue Handlungsabläufe. Die Sicherheit aller Menschen im Land muss gewährleistet werden. Dafür stehen wir GRÜNE ein.

(Zustimmung bei den GRÜNEN)


Vizepräsident Wulf Gallert:

Danke, Frau Lüddemann, es gibt eine Intervention von Herrn Grube. - Herr Grube, Sie haben das Wort. Bitte sehr.


Dr. Falko Grube (SPD): 

Frau Kollegin Lüddemann, Sie haben gefragt, warum die Koalition Ihren Änderungsantrag ablehnt. Das will ich Ihnen gern erklären.

Ja, wir haben viele Fragen, die offengeblieben sind, logischerweise. Wie konnte es zum Anschlag kommen? Für die Frage, warum das passieren konnte, braucht man einen Parlamentarischen Untersuchungsausschuss mit ganz viel Aktenstudium, mit Zeugen usw.

Herr Kollege Kosmehl hat vorhin den Parlamentarischen Untersuchungsausschuss als schärfstes Schwert dieses Parlaments bezeichnet. Dieses Schwert sollte man nicht gegen die schwingen, die geholfen haben. Ich kenne bis jetzt kaum jemanden, der daran Zweifel hat, dass der Einsatz aller Rettungskräfte nach dem Anschlag wirklich gut gelaufen ist. Ich finde, diese Leute verdienen Dank und kein Schwert. Deswegen haben die in dem Untersuchungsauftrag bisher auch überhaupt nichts zu suchen.

Ja, der Landtag von Sachsen-Anhalt wird sich auch mit den Rettungsaktionen, also mit dem Hilfeeinsatz nach dem Anschlag beschäftigen müssen. Und dafür hat er Fachausschüsse. Das gehört in den Innenausschuss und in den Sozialausschuss, vielleicht gehört es auch noch in den Justizausschuss. Aber ich glaube, die anderen beiden sind ausreichend dafür.

Vielleicht war das auch ein Einsatz, aus dem viele andere lernen können. Vielleicht kann der auch als gutes Beispiel dienen. Aber wenn hier mit der Grundunterstellung gearbeitet wird, dass da etwas falsch gelaufen ist, dass hier etwas aufgeklärt muss, dann bin ich da auch persönlich raus. Deswegen werden wir Ihren Änderungsantrag ablehnen. Dieses Thema gehört in die Fachausschüsse.

(Zustimmung von Guido Kosmehl, FDP)


Vizepräsident Wulf Gallert:

Sie können antworten.


Cornelia Lüddemann (GRÜNE): 

Ich kann es mir einfach machen und kann aus dem Änderungsantrag zitieren.

(Zustimmung bei den GRÜNEN)

Darin ist nicht eine einzige Unterstellung, nicht eine einzige Wertung enthalten. Und mit Verlaub: Von fast allen anderen Fraktionen habe ich auch nur Zustimmung zu diesem Antrag gehört bis dahin, dass es noch zu weich formuliert ist.

Es geht darum, zu beleuchten, wie das Zusammenspiel zwischen Notfallseelsorge, Krisenintervention und weiteren Beteiligten wie dem Landesbeauftragten, dem Bundesopferbeauftragten etc. funktioniert hat, um daraus Schlüsse für die Zukunft zu ziehen.

(Zuruf von Dr. Falko Grube, SPD)

Ich finde, das sind wir den Opfern schuldig.

(Zustimmung bei den GRÜNEN)