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Plenarsitzung

Transkript

Tagesordnungspunkt 23

Beratung

ME/CFS in den Fokus rücken: Ärztinnen und Ärzte sensibilisieren und Betroffene unterstützen

Antrag Fraktionen CDU, SPD und FDP - Drs. 8/4904


Herr Pott steht schon vorn, er wird den Antrag einbringen. - Bitte, Herr Pott.


Konstantin Pott (FDP): 

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! Stellen Sie sich vor, Sie gehen ganz normal im Supermarkt einkaufen. Doch es ist anders als sonst. Die Musik dröhnt in Ihren Ohren, die Menschen um Sie herum sprechen wild durcheinander und Ihr Körper fängt an zu überreizen. Sie können den Einkauf zwar beenden, jedoch kommen Sie nach Hause und sind erschöpft - kognitiv und körperlich.

Stunden später geht dann nichts mehr. Selbst der Gang in die Küche ist nicht mehr möglich. Für Menschen, die von ME/CFS betroffen sind, ist das Alltag, wenn die Betroffenen überhaupt noch in der Lage sind, alltägliche Wege zu beschreiten. Und das kann fast jeden treffen. Gerade auch viele jüngere Menschen haben diese Krankheit.

Das sind Menschen, die davor mitten im Leben standen, vielleicht gerade ihre Ausbildung oder ihr Studium abgeschlossen haben und so richtig ins Leben starten wollen, die ihr Leben komplett anders geplant haben. In vielen Gesprächen mit Betroffenen habe ich viele Schicksale gehört. Auch im Sozialausschuss wurde das im Rahmen einer Anhörung sehr deutlich und zeigt, dass hier eindeutig Handlungsbedarf besteht.

ME/CFS ist eine Krankheit, die bereits länger bekannt ist. Corona hat dafür gesorgt, dass Long Covid, welches mit der Symptomatik von ME/CFS vergleichbar ist, zugenommen hat. Dadurch gibt es inzwischen eine höhere Aufmerksamkeit für das Thema. Trotzdem ist die Situation der Betroffenen weiter oft prekär. Umso wichtiger ist es, dass auch im politischen Kontext gehandelt und unterstützt wird.

Doch was genau ist ME/CFS überhaupt? - Es ist eine chronische Erkrankung, die in den meisten Fällen infolge einer viralen Infektion auftritt. Eines der Hauptsymptome ist die schnelle Erschöpfung bereits bei kleinen Anstrengungen. Häufig erleben die Erkrankten sehr schnell sogenannte Crashs, nach denen körperlich und geistig häufig nichts mehr funktioniert.

Das Spektrum dieser Belastungsintoleranz reicht von leichter Erschöpfung bis hin zu kompletter Bettlägerigkeit und Überreizung. Bereits leichtes Licht oder kleinste Außengeräusche können für die Betroffenen problematisch und nicht aushaltbar sein. Das kann so weit gehen, dass Erkrankte isoliert, sprich: abgeschnitten vom alltäglichen Geschehen, leben müssen oder - besser gesagt - nur so leben können. Bereits der kleinste Reiz von außen ist zu viel.

Obwohl die Krankheit seit den 1970er-Jahren bekannt ist, ist sie in der Öffentlichkeit und auch in der Medizin bisher zu wenig bekannt und erforscht. Noch immer gibt es bspw. kein klares Diagnoseverfahren und keine wirksamen Medikamente.

Erst durch die Coronapandemie und dem damit verbundenen Auftreten von Long Covid oder auch von Post Vac hat ME/CFS an Bedeutung gewonnen. Mehr als ein Drittel der Long-Covid-Betroffenen erfüllen nach sechs Monaten die Kriterien für ME/CFS und weisen in vielen Fällen die gleichen Symptome auf, welche ebenfalls bei ME/CFS auftreten.

Die gestiegene Zahl der Betroffenen hat dafür gesorgt, dass es eine gesteigerte Aufmerksamkeit dafür gibt. Verstärkte Anstrengungen im Bereich der Forschung gibt es in Teilen. Auch politisch ist das Thema stärker thematisiert worden, nicht nur in Sachsen-Anhalt. Die Kolleginnen und Kollegen der Freien Demokraten in Thüringen haben dazu mehrere Initiativen aus der Opposition heraus gestartet und dafür gesorgt, dass man dort spürbar vorangegangen ist.

Trotz dieser dazu gewonnenen Aufmerksamkeit in den letzten Jahren bleibt die Lage für Betroffene meist kritisch. Sätze wie: „Jetzt hab dich mal nicht so!“ oder ähnliche Ratschläge sind viel zu oft der Alltag für Erkrankte.

Auch eine deutlich zu lange Dauer bis zur Diagnose beansprucht viel zu viel Zeit. Sie dauert im Durchschnitt sieben Jahre. Ohne eine Spezialisierung der behandelnden Ärztinnen und Ärzte ist eine schnelle Diagnose kaum möglich.

Die Symptome sind umfangreich und komplex. In einigen Fällen kommt es aufgrund der fehlenden Kenntnis fälschlicherweise zu sogenannten F-Diagnosen, also die Psyche betreffend, damit Hausärztinnen und Hausärzte überhaupt die Möglichkeit haben, etwas abzurechnen. Dass ME/CFS die Psyche beeinträchtigt, ist klar. Aber diese Erkrankung ist eben in erster Linie keine psychische, sondern eine körperliche - gelistet auch im ICD-Katalog.

Auch die Verschreibung von Rehas ist in diesem Kontext meist nicht förderlich; denn dort zeigen sich aufgrund der Belastungsintoleranz der Betroffenen oft negative Auswirkungen. Ein falscher Therapieansatz kann die Gesundheit der Patientinnen und Patienten weiter verschlechtern und auch für längerfristige oder dauerhafte Schäden sorgen.

Klar ist auch, dass mit Sicherheit nicht jede Patientin oder jeder Patient, der bei den Ärzten über eine zu hohe Belastung klagt, automatisch ME/CFS hat. Aber genau deshalb brauchen wir mehr Kompetenz und mehr Forschung, damit nämlich die Fälle, die es gibt, schneller erkannt werden und den Menschen geholfen werden kann.

Deswegen möchte ich jetzt einmal auf unsere Vorschläge eingehen, was getan werden kann, damit sich die Situation der Betroffenen verbessert. In unseren Augen braucht es möglichst niedrigschwellige Angebote. Sie müssen vor allem leicht zugänglich sein und eine entsprechende Qualität nachweisen.

Ein erster Anlaufpunkt für kranke Menschen sind in der Regel die Hausärzte. Deshalb müssen wir in einem ersten Schwerpunkt genau diese in den Fokus nehmen. Für diese braucht es entsprechende Angebote zur Fortbildung. Grundsätzlich muss das Bewusstsein für ME/CFS gestärkt werden.

(Beifall bei der FDP)

Ein Wissen darüber, dass es diese Krankheit gibt, und Informationen, bei denen sich auch behandelnden Mediziner Hilfe holen können, wären aus unserer Sicht ein erster Schritt; damit können wir nämlich Diagnosezeiten verkürzen.

Klar ist aber auch, dass nicht jeder Hausarzt zum Spezialisten werden und die aktuelle Forschung beobachten kann. Deshalb muss es in einem zweiten Schwerpunkt um die Schaffung von Spezialambulanzen gehen. Damit können wir vor allem die Qualität der Versorgung verbessern, und gleichzeitig schlagen wir auch eine Brücke zur Forschung. Dort können Ergebnisse gesammelt und Informationen für Betroffene zur Verfügung gestellt werden.

(Zustimmung bei der FDP)

Ein dritter Schwerpunkt ist der gemeinsame Austausch aller Beteiligten. Ein gemeinsamer Dialog ist notwendig, um die Situation der Patienten im Blick zu haben, aber auch, um die Wirksamkeit von Maßnahmen genauer zu betrachten. Dort müssen wir gemeinsam mit dem Gesundheitssystem agieren, um alle, die etwas bewegen können, mitzunehmen. Gerade bei dieser Krankheit, die noch zu wenig auf dem Schirm ist, ist das sinnvoll.

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich denke, es ist deutlich geworden, dass wir in diesem Bereich etwas tun müssen, um die Situation der Patienten zu verbessern. Das Bewusstsein dafür bei den Akteurinnen und Akteuren zu stärken, ist ein erster Schritt. Forschung und die Schaffung von Spezialambulanzen sind notwendig, und wir müssen dafür sorgen, dass die Angebote, die es gibt, einfach zu finden sind. 

Mit dem vorgeschlagenen Antrag gehen wir genau das an. Ich bitte Sie daher um Zustimmung und bedanke mich für die Aufmerksamkeit.