Tagesordnungspunkt 25
Nachbarschaftshilfe und Budgetzugänge vereinfachen! - Einführung einer landesrechtlichen Unterstützungsverordnung, um zielgenaue Hilfen und Entlastungen für Pflegebedürftige und Pflegende zu schaffen
Antrag Fraktion DIE LINKE - Drs. 8/1541
Alternativantrag Fraktionen CDU, SPD und FDP - Drs. 8/1615
Die Einbringung des Antrags übernimmt Frau Hohmann. Frau Hohmann steht schon vorn. Danke, dass Sie so zügig arbeiten. Wir beraten den Tagesordnungspunkt in einer Dreiminutendebatte. - Frau Hohmann, Sie haben das Wort.
Monika Hohmann (DIE LINKE):
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit unserem Antrag greifen wir, denke ich, ein wichtiges Thema auf. Ich behaupte einmal, dass jeder von Ihnen bereits mit dem Thema Pflege persönlich, im Familien- oder im Bekanntenkreis konfrontiert worden ist. Dann wissen Sie vielleicht, vor welchen Herausforderungen Pflegende und Pflegebedürftige derzeit stehen.
Wir haben 4,1 Millionen Menschen in Deutschland mit einem Pflegegrad. Sie gelten also als pflegebedürftig. Davon leben 3,3 Millionen Menschen zu Hause und werden von ihren Nächsten, das heißt von Angehörigen oder Freunden, teilweise mit Unterstützung durch einen Pflegedienst, versorgt.
In einer jüngst erschienenen Studie vom Sozialverband VDK mit dem Titel „Häusliche Pflege am Limit - jeder dritte pflegende Angehörige überfordert“ wird die schwierige Lage in der Pflege recht deutlich sichtbar; diese Studie bringt Licht in das Dunkelfeld der häuslichen Pflege.
Demnach sind 72 % der Pflegenden weiblich. Die Nächstenpflege findet deutlich häufiger auf dem Land statt. 42 % der Pflegenden leben in einem Ort, der weniger als 5 000 Einwohner hat. Also: Je größer die Stadt, desto weniger pflegende Angehörige gibt es. Das Pflegegeld beziehen 82 % der in der Studie Befragten. Daneben gibt es jedoch einen bunten Strauß an Unterstützungsleistungen, die die Pflegebedürftigen beanspruchen können und die die pflegenden Angehörigen entlasten sollen.
Doch diese werden kaum genutzt: So haben 93 % bisher keinen Zugang zur Tagespflege gefunden. 86 % haben noch keine Kurzzeitpflege genossen. 80 % rufen den Entlastungsbetrag nicht ab. 70 % verwenden die zustehende Verhinderungspflege nicht. 62 % nutzen keinen Pflegedienst. Die Ersparnis für die Pflegekassen liegt bei sage und schreibe 12 Milliarden € pro Jahr, und das, obwohl ein Großteil der Befragten der Studie diese Hilfe dringend bräuchte.
(Beifall bei der LINKEN)
Sehr geehrte Damen und Herren! Schauen wir in unser Bundesland. Im Dezember 2019 erhielten 129 672 Personen in Sachsen-Anhalt Leistungen aus der gesetzlichen Pflegeversicherung. Dabei hat sich die Anzahl der Pflegebedürftigen gegenüber 2009 um 49 005 erhöht. Das bedeutet einen Anstieg um 60,7 % innerhalb der letzten zehn Jahre. Nahezu Dreiviertel der Pflegebedürftigen - das sind, um ein Gefühl für die Zahlen zu bekommen, 93 356 Pflegebedürftige - wurden 2019 zu Hause sowohl ausschließlich durch Angehörige als auch durch ambulante Pflege- und Betreuungsdienste versorgt.
Vor diesem Hintergrund und wohl wissend, dass das Thema Pflege eigentlich in die Zuständigkeit des Bundes fällt, haben wir aber im Land dennoch einen kleinen Spielraum, um etwas für die Pflegebedürftigen tun.
Möglich macht es § 45 im Elften Buch des Sozialgesetzbuches. Es besteht nämlich die Möglichkeit, über eine landesrechtliche Regelung die Leistungen zu erweitern, und zwar beim Entlastungsbetrag. Dieser Betrag in Höhe von monatlich 125 € ist darauf ausgerichtet, den Pflegebedürftigen Hilfestellungen zu geben, die ihre Fähigkeiten zur selbstständigen und selbstbestimmten Gestaltung des Alltags fördern. Bei den anerkannten Angeboten zur Unterstützung im Alltag kann es sich auch je nach Ausrichtung um z. B. Betreuungsangebote, Angebote zur gezielten Entlastung von Pflegepersonen in ihrer Eigenschaft als Pflegende oder Angebote zur Entlastung im Alltag handeln.
Allein in diesem Bereich verfallen bundesweit jährlich Leistungen im Wert von knapp 4 Milliarden €, da 80 % der Anspruchsberechtigten diese nicht in Anspruch nehmen. In Sachsen-Anhalt, so die Aussagen einiger Pflegekassen, nehmen sogar 90 % der Anspruchsberechtigten diese Leistungen aufgrund der Hürden nicht wahr. Deshalb, so denke ich, wird es höchste Zeit, dass wir hier tätig werden.
Sehr geehrte Damen und Herren! Ich bin der Landesregierung sehr dankbar dafür, dass sie dieses Thema aufgegriffen hat und schon tätig wurde. Das hat mir der Alternativantrag der Koalitionsfraktionen gezeigt.
Ich möchte dennoch erwähnen, dass ich bereits vor der Sommerpause mehrere Gespräche mit Betroffenen geführt habe, die genau auf die bestehenden Lücken aufmerksam gemacht haben und auf die enorme bürokratische Antragsstellung hingewiesen haben. Wenn man auf die Seite des Landes geht und sich anschaut, wie die Antragstellung verläuft, und sich die Musterformulare ansieht, dann verwundert es nicht, warum das Geld nicht in Anspruch genommen wird.
Auch erreichte uns hierzu eine Petition, über die wir in einer der nächsten Ausschusssitzungen beraten werden. Ich freue mich, wenn ich dem Petenten dann mitteilen kann, dass wir an dieser Stelle tätig geworden sind und die Petition positiv bescheiden können.
(Beifall bei der LINKEN)
Zum Antrag der Koalition, den wir in einigen Punkten teilen, möchte ich Folgendes sagen:
Es nützt uns nichts, wenn wir im Ausschuss die Verordnung erst nach dem Inkrafttreten zur Kenntnis bekommen. Ich würde Sie daher bitten, in Punkt 3 anstelle des Wortes „nach“ das Wort „vor“ einzusetzen. Das macht Sinn.
Die derzeitige Verordnung von 2017 ist ohne Beteiligung des Fachausschusses in Kraft getreten und wurde von den Betroffenen kaum genutzt. Zu hoher bürokratischer Aufwand - ich erwähnte es -, zu wenige Angebote wegen fehlender Betreuungsdienste - das ist auch ein sehr großes Problem in unserem Flächenland - und eine mangelhafte Pflegeinfrastruktur versperrten für Pflegebedürftige den Zugang zur Inanspruchnahme der Pflegeleistungen. Deshalb begrüßen wir die Öffnung des Personenkreises, die zukünftig bei der Entlastungspflege unterstützt werden können. Übrigens ist das in einigen Bundesländern schon gang und gäbe.
Sehr geehrte Damen und Herren! Sie haben es schon öfter gehört: Die Babyboomer kommen in Sachsen-Anhalt in den nächsten Jahren in das Alter, in dem die Pflegebedürftigkeit wahrscheinlicher wird. Der schon jetzt vorherrschende Fachkräftemangel in der Pflege wird sich dadurch noch verstärken. Die Studie des Sozialverbandes VDK kommt zu der Einschätzung, dass alle Ausbildungs- und Personaloffensiven nichts daran ändern können; denn es ist ein demografisches Problem. Weiterhin wurde festgestellt:
„Deshalb müssen die Pflegeexperten dort eingesetzt und konzentriert werden, wo sie unabdingbar sind: im Krankenhaus, im Altenheim, in der Intensivpflege. Pflegefachkräfte und pflegende Angehörige dürfen nicht gegeneinander ausgespielt werden. Die Nächstenpflege zu stärken, ist das Gebot der Stunde.“
Dem können wir uns anschließen. Deshalb liegt Ihnen heute unser Antrag vor.
Dennoch möchte ich noch auf unseren Punkt 2 f hinwiesen. Wir wissen alle, dass ein Entlastungsbetrag in Höhe von 125 € nun wahrlich nicht die Masse ist und sehr schnell aufgebraucht wird, zumal dann, wenn es ein Unternehmen ausführt.
Hierfür muss dringend ein höherer Betrag her. Daher ist es unser Anliegen, dass sich die Landesregierung auf Bundesebene für eine Erhöhung des Entlastungsbetrages einsetzen soll. Ich schaue einmal zur Ministerin; aber ich denke, sie wird das sicherlich mitnehmen. - Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
(Beifall bei der LINKEN)