Sebastian Striegel (GRÜNE):
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist gesagt worden, in der Ukraine herrscht seit einem Monat Krieg, und dieser Krieg ist, glaube ich, schlimmer als all das, was wir uns vorstellen konnten, was in diesem Monat passiert ist.
Wer das nicht glaubt, der schaue nach Mariupol, der schaue nach Tschernihiw, der schaue auf die Ereignisse in den Vororten von Kiew, der schaue auf die Ukraine. Ich kann eigentlich allen nur empfehlen, den wirklich kaum zu ertragenden Artikel der AFP-Journalistinnen und Journalisten Mstislaw Tschernow und Evgeniy Maloletka zu lesen und sich die Bilder da anzuschauen. Wenn einem die Grausamkeit dieses Krieges bis dahin nicht bewusst war, die Menschenrechtsverletzungen, die da passieren, die Kriegsverbrechen, dann sollten sie es spätestens mit diesem Artikel sein.
Wenn ich heute noch einmal die Berichte lese, nach denen Putins Truppen inzwischen angefangen haben, Menschen auch nach Russland zu verschleppen - es geht um etwa 6 000 Leute, die offensichtlich in Richtung Sibirien auf den Weg gebracht werden , dann zeigt das, hier gibt es Kriegsverbrechen und hier gibt es Verbrechen gegen die Menschlichkeit.
Dieser Mann und seine Entourage, seine Mitverantwortlichen, gehören nach Den Haag. Und ich hoffe, dass es eventuell am Ende dazu kommt, dass er dort, und genau dort, auch landet.
(Zustimmung)
Es sind Tausende ukrainische Zivilisten gestorben. Es sind wahrscheinlich inzwischen mehr als 15 000 russische Soldaten gefallen. Zehntausende sind verletzt worden. Allein 128 Kinder sind nach offiziellen Angaben in der Ukraine in den letzten Wochen getötet worden. Dieser Krieg ist barbarisch. Er muss aufhören, und wir müssen mit dafür sorgen, dass er aufhört. Wir können uns da nicht an die Seitenlinie stellen.
Die Ukraine und die aus der Ukraine vertriebenen Menschen brauchen Solidarität, und zwar nicht mit Worten, sondern sie brauchen praktische Solidarität. Kiew, das nach Putins Plänen binnen 72 Stunden fallen sollte und wo er eine Marionettenregierung installieren wollte, ins Amt heben wollte, ist immer noch frei. Das ist ein wichtiger Erfolg.
Das ist ein wichtiger Erfolg, zu dem Deutschland viel zu wenig beigetragen hat. Ich glaube, wir müssen mit dafür sorgen, dass eine freie Ukraine sich gegen Putin weiter behaupten kann. Die russische Invasion wurde an vielen Stellen abgewehrt und zurückgeschlagen. Die freie Ukraine lebt. Sie braucht unsere Unterstützung.
Sie braucht unsere Unterstützung - ach, Herr Tillschneider ist gar nicht mehr da - trotz der Tatsache, dass natürlich im Asow-Regiment Faschisten kämpfen, Nazis kämpfen. Das ist überhaupt keine Frage. Wer das leugnet, der erzählt schlichtweg Unfug. Auch die Ukraine hat ein Nazi-Problem an bestimmten Stellen. Das muss man ansprechen und das kann man ansprechen. Da würde ich sogar dem ukrainischen Botschafter widersprechen, wenn er sagt, das sollte jetzt kein Thema sein.
Aber wer gleichzeitig nicht zur Kenntnis nehmen will, dass in Putins Truppen Söldner der Wagner-Gruppe mitkämpfen, also knallharte Faschisten und Nazis, der hat ganz offensichtlich blinde Flecke, und der will sich hier zu Putins Agenten machen gegen die Ukraine.
(Zustimmung)
Entschieden handeln - das sagt der MP. Worte reichen nicht - das sagt der Ministerpräsident. Ja, so ist es. Wir müssen als Bundesrepublik Deutschland handeln. Aber zu diesem Handeln und zu diesem Tätigwerden und zu diesem Handeln - das sage mit großer Traurigkeit, weil Waffenlieferungen nie etwas Schönes sind und nie etwas sind, was einem leicht fällt - gehören auch Waffenlieferungen, und zwar nicht nur im bisherigen Umfang, sondern deutlich aufgestockt. Die Ukraine muss in in der Lage sein, ihre Freiheit, unsere Freiheit zu verteidigen.
Zu den Worten gehört es auch, dass wir uns über das Thema Energieimporte noch weiter und viel stärker Gedanken machen. Herr Ministerpräsident, die Ankündigung Putins, dass wir zukünftig nur noch in Rubel bezahlen können, ist erstens Vertragsbruch. Dass Putin zuverlässig ist, haben jedenfalls GRÜNE nie behauptet. Es ist aber auch der Versuch, unsere Sanktionen zu unterlaufen.
Das können wir uns nicht bieten lassen. Wir müssen dafür sorgen, dass wir so schnell wie möglich von russischem Erdöl und Erdgas unabhängig werden. Das ist eine Aufgabe, die nicht trivial ist. Aber wir müssen sie endlich angehen. Wir können nicht einfach so tun, als sei das kein Problem, als könnten wir den Zustand aktuell einfach fortführen. Und ich weiß als jemand, der aus seinem Kinderzimmer heraus wirklich 19 Jahre lang auf Leuna geguckt hat, wie abhängig wir in der Industrieproduktion von Erdöl und Erdgas sind und dass da die Beziehungen aus Richtung Russland kommen.
Aber wir müssen das ändern und wir müssen es zügig ändern. Ich wünsche mir da, ehrlich gesagt, auch noch ein viel stärkeres Engagement unserer Landesregierung, sodass wir das Problem, das wir im Erdgasbereich haben, jetzt wirklich zügig angehen.
(Zustimmung)
Das System Putin muss in die Insolvenz getrieben werden. Dazu gehört auch, Herr Ministerpräsident, dass Ihre Landesregierung nicht nur darauf verweist, dass der Bund jetzt eine Task-Force hat, um die Sanktionen umzusetzen. Sondern dazu gehört es auch, dass wir selbst aktiv hinschauen und gucken, wo gibt es Geschäftsbeziehungen, Assets einfrieren und dafür sorgen, dass die Sanktionen hier vor Ort auch schnell und zügig entsprechend umgesetzt werden.
(Zuruf)
- Nein, Ihre Landesregierung sagt, Herr Borgwardt, sie tut das bisher nicht. Das hat sie mir auf meine Kleine Anfrage geantwortet. Deswegen sage ich, hier muss es endlich verstärkte Aktivitäten geben.
Kommen wir zum Themenpunkt Vertriebene. Dazu gehören - dafür bin ich Frau Kollegin Pähle dankbar - eben auch diejenigen, die jetzt aus Russland flüchten, und dazu gehört, bevor wir uns mit den relativ ich sage bewusst: relativ überschaubaren Problemen in Sachsen-Anhalt und in Deutschland beschäftigen, vor allem der Blick auf die unmittelbaren Nachbarländer. Was in Polen derzeit bei der Aufnahme, der Betreuung und der weiteren Koordinierung von ukrainischen Geflüchteten geleistet wird, verlangt Respekt. Ich finde, diesen Respekt sollten wir den Polinnen und Polen, den zivilgesellschaftlichen Organisationen dort, aber auch der Verwaltung dort wirklich zollen.
(Zustimmung)
Bis zu zehn Millionen Menschen sind auf der Flucht, davon etwa 3,5 Millionen außerhalb des Landes. Es ist die umfassendste und auch schnellste Fluchtbewegung in Europa nach dem Zweiten Weltkrieg. Das stellt Europa, den Bund, Sachsen-Anhalt und die Kommunen hier natürlich vor riesige Herausforderung. Ich will es ausdrücklich auch in Richtung der Innenministerin und der gesamten Landesregierung sagen: Ich finde, die Landesregierung handelt an dieser Stelle verantwortlich. Sie tut, was sie kann. Sie sorgt mit dafür, dass wir vor Ort handlungsfähig sind.
Ich habe mir das am Montag im Sky Hotel in Merseburg auch persönlich anschauen können. Dort wird sehr professionell gearbeitet. Dort wird in einem guten Zusammenspiel zwischen Zivilgesellschaft, Verwaltung und Wirtschaft gearbeitet. Wenn das Schule macht, wenn wir das Modell, das dort trägt, auch auf andere Bereiche und weitere Städte übertragen können, dass wir Hotelkapazitäten nutzen - Kollegin Quade hat es angesprochen -, dass wir Pensionen nutzen, dann wird es uns gelingen, auch diese große, ja diese riesige Aufgabe wirklich adäquat und im Interesse der Menschen zu lösen.
(Zustimmung)
Die Kommunen brauchen Unterstützung. Sie brauchen handfeste Unterstützung, wenn es um die organisatorischen Abläufe geht. Sie brauchen Unterstützung, wenn es darum geht, Wohnraum schnell herzurichten, nicht nur eine bauliche Hülle herzustellen. Sie brauchen Unterstützung durch einheitliches Verwaltungshandeln. Ich will das Thema gesundheitliche Versorgung ansprechen. Dazu besteht noch keine Einheitlichkeit in den Landkreisen; aber wir brauchen sie, damit Ressourcen in den Ämtern nicht blockiert werden, sondern damit sich die Menschen im Sozialamt bspw. um Anträge zur Bearbeitung von Kosten der Unterkunft kümmern können.
Das Thema Sprachkurse wird uns beschäftigen. Ich rechne nicht damit, dass die Leute in drei, vier, fünf, sechs oder sieben Wochen oder Monaten in großen Mengen wieder zurückgehen. Wohin sollten sie auch? Viele ukrainische Städte sind heftig zerstört, werden weiter zerstört. Wir brauchen also Sprachkurse schnell und in einem großen Umfang.
Das Thema Schule war heute ein größerer Debattenpunkt. Ehrlich gesagt, bin ich immer noch nicht wirklich schlau geworden, was nun passieren soll. Die Bildungsministerin ist auch nicht mehr da.
(Zurufe: Doch! - Hier!)
Vizepräsident Wulf Gallert:
Sie sitzt in den Reihen, Herr Striegel.
Sebastian Striegel (GRÜNE):
Alles klar, sie ist als Abgeordnete im Raum. Das ist wunderbar. Wir brauchen eine Anerkennung der Realitäten auch an dieser Stelle. Das ukrainische Bildungssystem ist ein nahezu vollständig digitalisiertes. Sie haben es hinbekommen, ihre gesamten Lerninhalte zwei bis drei Tage nach Kriegsbeginn digitalisiert zur Verfügung zu stellen. Die Aufgabe würde auch darin bestehen, diese Ressourcen zu nutzen, diese auch in Anerkennung der Ableistung der Schulpflicht ernst zu nehmen und die Leute eben nicht in Spezialklassen zusammenzufassen, sondern dieses Modell von vornherein komplett in den sachsen-anhaltischen Unterrichtsablauf zu integrieren.
Dahin muss es gehen. Dass wir zwischendurch natürlich auch Lösungen haben werden, die diesem Ideal noch nicht entsprechend, ist auch klar. Aber den Weg zu gehen, zu sagen, ukrainische Bildung kann hier stattfinden, wäre genauso richtig wie zu sagen, ihr seid in die Klassenverbände integriert, wenn ihr das wollt.
(Zustimmung)
Zum Thema Energiesicherheit; das war schon mehrfach Thema. Herr Fraktionsvorsitzender Borgwardt, ich komme irgendwie aus dem Staunen nicht so richtig heraus, wenn Sie Herrn Habeck irgendwie zu einer Entideologiesierung seiner Politik beglückwünschen. Der Mann kehrt das auf, was Sie in den letzten 16 Jahren verursacht haben.
(Lachen - Zurufe)
- Ja, das tut er. Die verfehlte Energiepolitik der Bundesregierung unter einer CDU-Führung, die Abhängigkeit von Russland ist das, was wir GRÜNE immer kritisiert haben.
(Zustimmung)
Die Erkenntnis, dass uns nur die erneuerbaren Energien, Herr Kosmehl, aus der Abhängigkeit von Autokraten, von wirklichen Diktatoren befreien, war immer die klare Ansage von uns GRÜNEN.
(Zuruf)
Wir haben immer gesagt, wir müssen die erneuerbaren Energien stärken, weil uns das, Herr Kirchner, von Katar und anderen Diktaturen unabhängig macht. Diesen Weg werden wir konsequent verfolgen, weil er richtig ist, weil er richtig ist.
Jedes Windrad, jede Solaranlage, Herr Kosmehl, die Sie und andere in den letzten Jahren immer wieder kritisiert haben, als Problem für die Ansichtsgüte von Landschaften verworfen haben, schützen nicht nur unser Klima, sie schützen eben auch unsere Freiheit. Deswegen hat Herr Lindner - -
(Zurufe - Unruhe)
Herr Kosmehl, wenn ich Ihren Fraktionsvorsitzenden im Deutschen Bundestag zitieren darf -
(Zuruf)
Entschuldigung, Ihren ehemaligen Fraktionsvorsitzenden, unseren gemeinsamen Finanzminister.
(Zuruf)
Wenn er sagt, dass diese Energien Freiheitsenergien seien, dann muss man sagen, er hat Recht.
(Zustimmung - Zurufe)
Darin stimmen wir GRÜNE ihm natürlich zu. Deswegen sage ich auch ganz deutlich: Wenn morgen in der Bundesrepublik Deutschland, wenn morgen, am 25. März, wieder Menschen auf die Straße gehen, um das Klima zu schützen, dann protestieren sie, wenn sie für erneuerbare Energien protestieren, nicht nur dafür, dass das Klima geschützt wird, sondern auch dafür, dass unsere Freiheit bewahrt wird. Das ist gut und richtig. - Vielen herzlichen Dank.
(Zustimmung - Zurufe)
Vizepräsident Wulf Gallert:
Es gibt eine Wortmeldung von Herrn Borgwardt. Das ist eine Frage, ja? - Okay, dann bitte sehr.
Siegfried Borgwardt (CDU):
Ja, Herr Präsident, wenn ich darf.
Vizepräsident Wulf Gallert:
Aber sicher.
Siegfried Borgwardt (CDU):
Der Zusammenhang zwischen der Freiheit und Windrädern ist interessant. Ich weiß aber nicht, warum Ihr baden-württembergischer Ministerpräsident diese DNA nicht hat.
(Lachen)
Denn wenn ich sehe, dass er im Koalitionsvertrag 100 genannt hat - wir haben aktuell übrigens 2 863 ,
(Zuruf: 1 000!)
dann habe ich großes Verständnis. Aber es kann auch nicht sein Ich hatte vorhin auch nicht umsonst das Beispiel genannt, dass jemand den Königsteiner Schlüssel aus anderen Gründen nicht hätte usw.
Meine Frage: Haben Sie es ihm noch nicht beibringen können, hat er eine andere DNA, oder warum will er so wenig Freiheit haben, dass er so wenige Windräder hat?
Vizepräsident Wulf Gallert:
Sie können antworten.
Sebastian Striegel (GRÜNE):
Über die DNA von Herrn Kretschmann möchte ich nicht spekulieren. Das nicht mein Thema. Aber ich könnte mit Ihnen über das Faktum reden, dass der Wind an unterschiedlich Stellen in Deutschland unterschiedlich stark weht.
(Zurufe - Lachen)
- Herr Kollege Borgwardt, Sachsen-Anhalt hat im Durchschnitt eine wesentlich höhere Windausbeute als Baden-Württemberg. Das ist nun einmal ein Fakt, den Sie bezweifeln können oder auch nicht. Aber dazu können wir uns gern verständigen.
(Zurufe)
Ich bin sicher, dass das Thema erneuerbare Energien auch in Baden-Württemberg in diesen Monaten noch einmal neu betrachtet wird,
(Zuruf)
um die Abhängigkeit von Katar und anderen zu verringern. ich will noch eines dazu sagen. Warum ist Intel nicht woanders hingegangen, sondern nach Sachsen-Anhalt gekommen? Intel ist nach Sachsen-Anhalt gekommen, weil hier 100 % erneuerbare Energien perspektivisch möglich sind.
(Zustimmung - Zurufe - Unruhe)
Das nenne ich Freiheit. Das nenne ich Freiheit von Unternehmensansiedlungen. - Das hat der Chef von Intel gesagt. - Insofern bin ich froh, dass dieses Land 1994 mit einer grünen Umweltministerin begonnen hat, auf Windkraft zu setzen, dass Windkraft in Sachsen-Anhalt Arbeitsplätze sichert und dass Windkraft in Sachsen-Anhalt Freiheit sichert. - Vielen herzlichen Dank.
(Zustimmung - Zurufe)