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Plenarsitzung

Transkript

Eva von Angern (Die Linke): 

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren Abgeordneten! Liebe Betroffene und Familien! Liebe Magdeburger! Der Anschlag auf den Weihnachtsmarkt am 20. Dezember 2024 - es ist keine fünf Wochen her - erschüttert zutiefst. Ein Kind und fünf Frauen wurden getötet. Es gibt 60 Schwerstverletzte, es gibt Hunderte Betroffene, Hunderte Menschen, die ein Leben lang das Erlebte nicht vergessen können, die ein Leben lang mit den Folgen klarkommen müssen. Unser tiefes Mitgefühl gilt den Opfern, ihren Familien, ihren Freunden. Ihnen sind wir heute verpflichtet. 

Der Tatort ist nur einen knappen Kilometer von hier entfernt. Die meisten aus dem Hohen Haus kennen diesen Platz und nicht wenige von uns kennen auch Betroffene. Ich habe mich ähnlich wie Herr Grube gefragt: Wie kann man nach so einer Tat eigentlich weitermachen? Die Antwort auf diese Frage ist bereits wenige Minuten nach der Tat gegeben worden. Schon wenige Minuten nach der Tat gab es Helferinnen, die gehandelt haben. Es gab Weihnachtsmarktbesucher, die zu Ersthelfern wurden, die Opfern die Hand gehalten haben. Es gab Ärztinnen und Pflegekräfte, die in der Nähe ihren Weihnachtseinkauf machten und den Verletzten zur Hilfe eilten. Die Menschen, sie rückten in dieser Nacht und danach zusammen, auch und gerade im Angesicht solchen Grauens. 

Die Spenden, die vielen Blumen, die stille Menschenkette sind ein Zeichen tiefen Mitgefühls. Menschen helfen sich. 

Die Feuerwehrleute, die Polizisten, die Einsatzkräfte, die Ärztinnen, wir danken ihnen für ihren Mut, für ihren Einsatz in dieser Nacht und auch danach. 

Ich hatte die Ehre wie auch andere Kollegen aus diesem Haus am Abend danach bei dem Gedenkgottesdienst im Dom den Einsatzkräften die Hand zu geben, ihnen Danke zu sagen. Ich will auch sagen, sie hatten an diesem Abend nach diesen schrecklichen Erlebnissen viel mehr Kraft als ich. Sie haben Halt ausgestrahlt, sie haben Kraft ausgestrahlt und sie haben Solidarität ausgestrahlt. Ihnen, meine Damen und Herren, sind wir verpflichtet, Ihnen dürfen wir nicht nur einfach Danke sagen, Ihnen müssen wir auch jetzt helfen. 

(Beifall bei der Linken - Zustimmung bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Politik muss die in dieser Nacht gezeigte Solidarität stärken, verstärken, wo immer sie kann; denn - das will ich auch sagen - 2,5 Millionen € an privaten Spenden, das ist viel Geld, es reicht aber nicht aus. Selten zuvor sind so viele Menschen verletzt und geschädigt worden. Einige werden wahrscheinlich lebenslang auf Hilfen angewiesen sein. Deswegen müssen wir bei der Opferhilfe handeln. Wir müssen die Opferhilfen vereinfachen, wir müssen die Verfahren verbessern und, ja, ich sage es ganz deutlich, der Opferhilfefonds muss weitaus größer werden und viel mehr Geld enthalten. Es darf nicht noch einmal so sein, dass wir wie nach dem Anschlag von Halle so lange für eine Richtlinie zum Landesopferfonds brauchen. 

(Zustimmung von Guido Henke, Die Linke)

Wir müssen die Kritik der Betroffenen ernst nehmen. Noch immer haben sie es mit zögerlichen Behörden und komplizierten Verfahren zu tun. 

Meine Damen und Herren! Wir müssen aber ebenso die rassistischen Folgetaten aufarbeiten, klar benennen und verurteilen. 

In den Krankenhäusern arbeiten Menschen aus vielen verschiedenen Nationen. Sie betreuen die Opfer des Anschlages noch heute und haben nach dem Dienst Angst davor, in die Straßenbahn oder in den Bus zu steigen, um nach Hause zu kommen. Das ist ein völlig inakzeptabler Zustand. 

(Beifall bei der Linken - Zustimmung bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Das ist eben auch Realität in Magdeburg, eine Realität des Abrückens voneinander. Ich sage ganz klar, das muss aufhören. 

Das Städtische Klinikum Magdeburg hat in den Tagen nach dem Anschlag einen Post veröffentlicht, auf dem stand nur: Über 20 Nationen - eine Mission. 

88 591 Menschen haben diesen Post geliked, haben sich hinter diese Botschaft gestellt. Eine Frau kommentierte darunter: In den dunkelsten Zeiten zeigt sich, was Menschlichkeit wirklich bedeutet. Solange wir füreinander einstehen, Mitgefühl zeigen und Hoffnung bewahren, sind wir als Menschheit noch lange nicht verloren. Be human! Oder   wie es Marcel Reif im Bundestag sagte  : Sei ein Mensch. 

Magdeburg trauert. Unsere Stadt hat schon viel zu viel Gewalt erlebt. Doch noch in der Nacht des Anschlages hat dies eine einzige Fraktion ganz anders gesehen. Wir sind nicht überrascht, wir sind angewidert, 

(Beifall bei der Linken, bei der SPD und bei den GRÜNEN - Matthias Büttner, Staßfurt, AfD: Sie sind zu langsam! Das ist das Problem!)

auch von dieser Skrupellosigkeit angewidert, auch am heutigen Tag. 

Wer in der AfD Anstand und Charakter sucht, der sucht vergeblich. Diese Fraktion schämt sich nicht einmal heute, die Opfer und auch die Tat für ihre Interessen zu instrumentalisieren. 

(Beifall bei der Linken, bei der SPD und bei den GRÜNEN - Zustimmung von Sandra Hietel-Heuer, CDU - Dr. Hans-Thomas Tillschneider, AfD: Wer die Fraktion Die Linke sucht, sucht vergeblich nach der nächsten Wahl!)

Für meine Fraktion ist klar: Abgeordnete stehen in der Verantwortung, Gewalt zu ächten, und nicht, sie weiter anzuheizen. 

(Beifall bei der Linken und bei den GRÜNEN - Zustimmung bei der CDU und bei der SPD)

Unsere Aufgabe wird nun die politische Aufarbeitung im Landtag sein. Selbstverständlich muss der Untersuchungsausschuss kommen. Meine Fraktion hat das frühzeitig gefordert, und es ist ein gutes Signal, dass uns das so frühzeitig gelingt. Ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss fragt nach der politischen Verantwortung und sucht nach Verbesserungen. Also: Was hat die Tat begünstigt? Wie kann man solche Taten künftig hoffentlich verhindern? 

Die Öffentlichkeit, die Betroffenen des Anschlages, sie haben berechtigterweise Fragen, auf die sie Antworten haben möchten. Ein gemeinsamer Antrag zur Einsetzung eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses mit der demokratischen Opposition, das wäre wünschenswert gewesen. 

(Beifall bei der Linken)

Das wäre auch ein wichtiges Signal gewesen. Sie sind einen anderen Weg gegangen. Das ist schade. Wir werden dem Antrag selbstverständlich zustimmen. 

(Beifall bei der Linken - Zustimmung bei der CDU und bei der SPD)

Der Untersuchungsausschuss wird parallel zu strafrechtlichen Ermittlungen und Prozessen laufen. Das ist nicht einfach. Trotzdem müssen wir jetzt anfangen. Die Informationspolitik der Landesregierung und der Stadt Magdeburg hat bisher   das muss ich sagen  , mehr Fragen eröffnet als Antworten gegeben. 

(Zustimmung von Guido Kosmehl, FDP) 

Und ich muss sagen: Manchmal hilft mir der Blick in die morgendliche Zeitung mehr als eine Ausschussberatung. 

Meine Damen und Herren! Aus mehr als 100 Hinweisen der letzten Jahre wissen wir: Der Täter suchte Aufmerksamkeit. Er drohte Menschen, er drohte an offiziellen Stellen, er war auffällig und er ist vielen aufgefallen. An Hinweisen zur Gefährlichkeit, auch von mutigen Frauen und Männern, die er über Jahre hinweg tyrannisiert hat, fehlte es nicht. Dieser Täter flog nicht unter dem Radar. Also was ist schiefgelaufen? Konnte niemand die Flut seiner Gewaltandrohungen einordnen, weil sich der Täter als Islamkritiker darstellte? Konnte niemand seine rechtsextreme Einstellung einordnen, 

(Lachen bei der AfD - Matthias Büttner, Staßfurt, AfD: Das ist doch lächerlich! Das ist ein Linksextremer gewesen!)

weil er ein Ausländer war? Oder wollte niemand so genau hinschauen, weil er als Facharzt in einem sicherheitsrelevanten Bereich in Sachsen-Anhalt arbeitete? 

(Florian Schröder, AfD: Wer hier was instrumentalisiert …)

Aktuelle Medienberichte werfen nun die Frage auf, ob man ihm überhaupt den Titel eines Facharztes hätte verleihen dürfen. Es wäre fatal, würde sich auch dies bestätigen. Dann hätten wir nämlich nicht zuerst ein Vernetzungsproblem der Behörden, von dem die Union ja bereits überzeugt ist, dann hätten wir meines Erachtens eher ein Durchsetzungs-, ein Umsetzungsproblem. 

Ein Jahr vor der Tat häuften sich die Hinweise. Die Hinweise landeten auf den Schreibtischen in Magdeburg, in Bernburg, bei der Polizei, bei der Justiz, und soweit wir sehen, haben alle Fehler gemacht, eben auch die Stadt Magdeburg, die Polizei, die Marktgesellschaft mit einem Sicherheitskonzept, das völlig untauglich gegen Anschläge mit einem Fahrzeug war. Ausgerechnet die Art der schrecklichen Tatbegehung, die es bereits im Jahr 2016 gab, wurde in diesem Sicherheitskonzept nicht ausreichend berücksichtigt. 

Auch die Landesregierung muss sicherlich Entscheidungen treffen. Die Privatisierung des Maßregelvollzugs muss zurückgenommen werden, meine Damen und Herren. 

(Beifall bei der Linken)

Wir erleben jetzt einen Krankenhausträger, dem es anscheinend nicht auffiel, dass sein Mediziner öffentlich auf „X“ mit dem Bild einer Waffe und auch immer wieder mit Gewalt drohte, ein Mediziner, der wochenlang vor der Tat krankgeschrieben war. Die Vorgesetzten wollen davon nichts mitbekommen haben. Daran habe nicht nur ich Zweifel. 

Meine Damen und Herren! Vor uns liegt viel Arbeit. Ich erwarte eine ergebnisoffene, eine gründliche Aufarbeitung im parlamentarischen Untersuchungsausschuss. Wir als Linksfraktion werden daran mitwirken. Wir werden dort über Schuld und über Verantwortung reden. Ich sage auch ganz klar: Für mich ist heute nicht der Tag für Rücktrittsforderungen. 

(Matthias Büttner, Staßfurt, AfD: Ja, reicht ja nicht, was in der Zeitung stand!)

Doch ich nehme zur Kenntnis, dass es bisher auch keine Entschuldigung von Verantwortungsträgern gegeben hat. Vielmehr findet eine Verteidigung von Entscheidungen, ein Pingpongspiel zu den Zuständigkeiten statt. Das ist bitter, vor allem für die Opfer. 

(Beifall bei der Linken)

Ich will aber abschließend auch sagen, bei aller Kritik, die ich nicht selten an dieser Landesregierung habe und auch sehr deutlich äußere: Herr Ministerpräsident, ich danke Ihnen als Magdeburgerin, als Freundin von Schwerverletzten und Traumatisierten, dass Sie so rasch hier in Magdeburg waren, dass Sie so bedachte Worte gefunden haben für die Opfer, dass Sie auch weiterhin für die Opfer da sind. Das ist ein wichtiges Signal, das nicht zu unterschätzen ist. 

(Beifall bei der Linken, bei der CDU, bei der SPD, bei der FDP und bei den GRÜNEN)

Ich danke aber auch der Oberbürgermeisterin Simone Borris, die nach einem schweren persönlichen Schicksalsschlag mit uns gemeinsam durch diese schwere Zeit geht. - Danke. 

(Beifall bei der Linken, bei der CDU, bei der SPD, bei der FDP und bei den GRÜNEN)