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Plenarsitzung

Transkript

Dr. Tamara Zieschang (Ministerin für Inneres und Sport): 

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren Abgeordneten! Ich wusste nicht, dass wir hier fast eine Bürgergelddebatte führen. Dann hätte hier vielleicht jemand anders gesprochen. 

(Zuruf von Ulrich Siegmund, AfD)

Aber ich will dazu klarstellen, dass das Land Sachsen-Anhalt, als der Gesetzentwurf des Deutschen Bundestages zum Bürgergeld in den Bundesrat eingebracht worden ist, diesem nicht zugestimmt hat. 

(Beifall bei der CDU - Frank Bommersbach, CDU: So viel zum Faktencheck!)

Daraufhin hat die Bundesregierung den Vermittlungsausschuss angerufen. Im Rahmen des Vermittlungsausschusses konnten wesentliche Änderungen an dem Gesetzentwurf des Deutschen Bundestages erzielt werden. Dieses Verfahren des Vermittlungsausschusses hat der Ministerpräsident als „Sternstunde“ bezeichnet, nicht das Ergebnis.

(Beifall bei der CDU)

Doch nun zur Situation in Syrien und den daraus resultierenden Folgen. Auch wenn im Augenblick noch unklar ist, wie sich Syrien in der Zukunft entwickelt, eines ist schon jetzt klar: Der Sturz des syrischen Diktators Assad ist für sehr viele Menschen ein Grund zur Freude.

(Beifall bei der CDU - Zuruf von der AfD: Ja, für die Islamisten!)

Es enden 13 Jahre Bürgerkrieg und es enden 54 Jahre Diktatur. 

(Zuruf von der AfD: Das werden wir erst mal sehen!)

Assad steht für die brutale Niederschlagung jeglicher Opposition und Protestbewegung. Er schreckte nicht einmal davor zurück, Giftgas gegen die eigene Bevölkerung einzusetzen. Er hat den Tod von mehreren Hunderttausend Menschen und die Folterung von Gefangenen zu verantworten. Millionen Syrer sind vor diesem Terrorregime geflohen. Der Schlächter von Damaskus ist nun zu seinem wichtigsten Unterstützer geflohen, zum russischen Präsidenten Putin.

(Zustimmung bei der CDU)

Die „Neue Zürcher Zeitung“ hat es sehr treffend auf den Punkt gebracht   ich zitiere  :

„Assads Schicksal illustriert ein weiteres Mal, wie rasch und unerwartet Diktaturen kollabieren können. Gewaltherrscher wirken immer allmächtig - aber nur bis zu jenem Tag, an dem ihnen alles entgleitet. Diese Urangst ist auch bei Putin spürbar.“

(Zustimmung bei der CDU)

Was bedeutet der Sturz des Assad-Regimes für die Menschen, die vor diesem Regime und dem Bürgerkrieg nach Deutschland und auch nach Sachsen-Anhalt geflohen sind? Auch hier überwiegt sicherlich die Freude über das Ende der Schreckensherrschaft. Auch wenn die Lage in Syrien im Augenblick noch unübersichtlich ist, besteht nun für viele Flüchtlinge die Chance auf eine Rückkehr in ihre Heimat. 

Die freiwillige Rückkehr steht und stand im Übrigen jedem offen. Das Land Sachsen-Anhalt fördert bereits seit 2020 die freiwillige Rückkehr nach Syrien, unabhängig vom jeweiligen Aufenthaltsstatus. Diese Förderung erfolgt im Augenblick ausschließlich aus Landesmitteln. Die Starthilfe, die das Land gibt, beträgt 1 000 €. Auch in diesem Jahr sind bis Ende Oktober 17 syrische Staatsangehörige freiwillig ausgereist; zwei von ihnen haben eine Förderung in Anspruch genommen. 

Diese Fördermöglichkeiten für freiwillige Ausreisen bestehen natürlich auch weiterhin, und Ich gehe davon aus, dass diese nun verstärkt in Anspruch genommen werden, was zu begrüßen ist. Wir haben mit dem von uns geförderten Rückkehrzentrum auch die besten Voraussetzungen dafür geschaffen. 

Um den zu erwartenden Förderbedarf zu bewältigen, bedarf es dringend der Wiederaufnahme Syriens in das gemeinsame Förderprogramm REAG/GARP 2.0. Das ist ein humanitäres Förderprogramm, das finanziell und organisatorisch die freiwillige Rückkehr in das Herkunftsland unterstützt. Es wird zu 90 % von dem europäischen Asyl-, Migrations- und Integrationsfonds gespeist. Die restlichen 10 % steuern Bund und Länder bei. Es ist dringend erforderlich, dass das Land Syrien wieder in dieses Programm aufgenommen wird. Dafür muss der Bund umgehend sorgen.

Ob neben freiwilligen Ausreisen kurzfristig auch Rückführungen in größerem Umfang möglich werden, hängt von unterschiedlichen Maßnahmen ab, die im ersten Schritt vom Bund ergriffen werden müssen. Dazu komme ich gleich.

Vorweg noch zwei Hinweise: In Sachsen-Anhalt sind seit 2014 mittlerweile mehr als 3 000 syrische Staatsangehörige eingebürgert worden. Alle Eingebürgerten sind und bleiben willkommen. Sie gestalten unser Land aktiv mit. 

(Zustimmung bei der CDU, bei der SPD, bei der FDP und bei den GRÜNEN)

Außerdem leben in Sachsen-Anhalt fast 1 500 syrische Staatsangehörige mit einem unbefristeten Aufenthaltstitel, der Niederlassungserlaubnis. Eine solche unbefristete Aufenthaltserlaubnis wird erteilt, wenn zuvor mehr als fünf Jahre lang eine Aufenthaltserlaubnis bestand, wenn der Lebensunterhalt gesichert ist und mindestens 60 Monate Sozialversicherungsbeiträge gezahlt wurden und ausreichend deutsche Sprachkenntnisse vorhanden sind. Auch diese Menschen gestalten unser Leben aktiv mit. Wer von ihnen gleichwohl zurückkehren will und Aufbauhilfe in Syrien leisten möchte, ist natürlich frei in seiner Entscheidung, dies zu tun.

Nun zu der Möglichkeit der Rückführung und den Maßnahmen, die dazu in einem ersten Schritt vom Bund ergriffen werden müssen. In Sachsen-Anhalt sind gegenwärtig 289 syrische Staatsangehörige vollziehbar ausreisepflichtig. Es gibt darüber hinaus aber noch mehrere Syrer, die grundsätzlich ausreisepflichtig sind, für die aber vom BAMF ein Abschiebungsverbot verfügt wurde. Vom BAMF sind diese Abschiebungsverbote angesichts der veränderten Lage in Syrien unverzüglich in jedem Einzelfall zu überprüfen. Dazu habe ich das BAMF übrigens schon im August dieses Jahres aufgefordert, da sich schon damals abzeichnete, dass die politische Situation in Syrien zumindest regional sehr differenziert zu betrachten ist. Die Notwendigkeit der Überprüfung dieser Abschiebungsverbote gilt jetzt natürlich erst recht.

Außerdem muss das BAMF umgehend damit beginnen zu prüfen, ob die Voraussetzung für einen anderen Schutzstatus, also Asyl, Flüchtlingsschutz oder subsidiären Schutz, für syrische Staatsangehörige noch gegeben ist. Auch hierbei handelt es sich jeweils um eine Einzelfallprüfung. 

Da all diese Einzelfallprüfungen aufwendig sind, spreche ich mich für ein gestuftes Verfahren und damit für eine klare Prioritätensetzung aus. Als Erstes müssen Straftäter und Gefährder in den Blick genommen werden. Bei Straftätern geht es insbesondere um schwere Straftaten und Mehrfach- und Intensivtäter, letztlich aber um alle verurteilten Straftäter.

Als Zweites sollten alleinstehende syrische Männer in den Blick genommen werden, die keiner bzw. keiner den Lebensunterhalt deckenden Beschäftigung nachgehen oder noch nicht einmal eine Ausbildung absolvieren. 

Unabhängig davon ist auch klar: Bevor das BAMF tätig werden kann, bedarf es zwingend einer aktuellen Lageeinschätzung der Situation in Syrien durch das Auswärtige Amt und das Bundesinnenministerium. Dabei ist für mich entscheidend, dass diese Lageeinschätzung regional differenziert vorgenommen wird. Erst wenn das BAMF auf der Grundlage einer solchen neuen Lageeinschätzung feststellt, dass die Voraussetzungen für einen Schutzstatus nicht mehr vorliegen, wird die Schutzgewährung widerrufen. Dies ist wiederum die Voraussetzung dafür, dass unsere Ausländerbehörden in jedem Einzelfall den Aufenthaltstitel prüfen und widerrufen können und damit eine Ausreisepflicht begründet wird.

Bislang waren Abschiebungen nach Syrien mangels diplomatischer Beziehungen operativ nicht möglich. Selbst für Straftäter, die nicht mehr über einen Schutzstatus verfügten, hat der Bund bislang keine Abschiebungsmöglichkeiten, z. B. auch über Drittstaaten, schaffen können. Deshalb muss der Bund nun endlich die tatsächlichen Voraussetzungen für Abschiebungen nach Syrien schaffen.

Abschließend möchte ich sagen: Es ist unseriös, den Eindruck zu erwecken, dass Abschiebungen aus Sachsen-Anhalt nach Syrien von heute auf morgen möglich wären. Gerade das Land Sachsen-Anhalt kann die dafür notwendigen Voraussetzungen im Wesentlichen nicht schaffen. 

(Jan Scharfenort, AfD: Mit dem richtigen politischen Willen geht das!)

Vom Bund erwarte ich deshalb, dass er jetzt keine Zeit verliert und konzentriert an den von ihm zu ergreifenden und von mir skizzierten Maßnahmen arbeitet. Wenn der Bund die tatsächlichen Voraussetzungen für Rückführungen nach Syrien geschaffen hat und die Ausreisepflicht von syrischen Staatsangehörigen feststeht, dann wird Sachsen-Anhalt dies ohne Wenn und Aber umsetzen. 

(Beifall bei der CDU - Zustimmung bei der FDP)

Es wäre aber unklug, allein auf Abschiebungen zu setzen. Daher werden wir die freiwillige Rückkehr auch weiterhin unterstützen. - Vielen Dank. 

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)


Präsident Dr. Gunnar Schellenberger:

Danke, Frau Zieschang. Es gibt eine Intervention von Herrn Siegmund. - Bitte.


Ulrich Siegmund (AfD): 

Vielen Dank. - Eine kurze Vorbemerkung: Dass das politisch motiviert ist, kam jetzt wieder überall heraus.

(Sebastian Striegel, GRÜNE: Alle hier sind politisch motiviert, außer er selbst!)

Allein die vermeintliche Tatsache, dass man nicht einmal Straftäter abschieben kann     Klar, das kann man einfach so hinnehmen. Aber wir stellen uns die Frage, wie es überhaupt sein kann, dass sich solche Menschen in unserem Land befinden, dass sie überhaupt herkommen konnten. Aber das ist eine andere Frage. 

(Zuruf von Olaf Meister, GRÜNE)

Ich wollte nur eine Sache klarstellen. Sie haben Ihre Ausführungen gerade mit Fake News begonnen. Sie haben gesagt, dass Sachsen-Anhalt dem Gesetzentwurf zum Bürgergeld damals nicht zugestimmt hat. Es kam zum Vermittlungsausschuss etc. Ich habe nie behauptet, dass Sachsen-Anhalt dem ursprünglichen Gesetzentwurf zugestimmt hat, sondern dem Bürgergeld in der Form, wie wir es aktuell seit zwei Jahren in Deutschland haben. Das habe ich gesagt. Das hat Sachsen-Anhalt getan. 

Das Ergebnis im Vermittlungsausschuss hat Reiner Haseloff - Sie haben völlig recht - als Sternstunde der Demokratie bezeichnet. Aber es bleibt die Faktenlage, das Bürgergeld, das wir in der jetzigen Form seit zwei Jahren haben und das Sie loswerden wollen, haben wir nur, weil Sachsen-Anhalt zugestimmt hat. Zu der ursprünglichen Variante hatten Sie sich der Stimme enthalten. Aber trotzdem wäre es ohne eine Zustimmung Sachsen-Anhalts nach dem Vermittlungsausschuss nicht möglich gewesen. Das, was ich gesagt habe, war korrekt. Sie haben gerade Unwahrheiten behauptet. - Danke schön.

(Beifall bei der AfD)


Dr. Tamara Zieschang (Ministerin für Inneres und Sport): 

Sie haben gerade erneut eine Falschbehauptung aufgestellt, indem Sie das Zitat wieder in einen falschen Zusammenhang gerückt haben.

(Ulrich Siegmund, AfD: Wieso?)

Das Verfahren ist als Sternstunde bezeichnet worden. 

(Ulrich Siegmund, AfD: Das habe ich doch gesagt! - Nein! bei der CDU, bei der SPD und bei den GRÜNEN - Cornelia Lüddemann, GRÜNE: Nein, Sie haben gesagt: das Ergebnis! - Dr. Katja Pähle, SPD: Weil Sie selbst nicht zuhören!)

- Das haben Sie gerade nicht gesagt. Das können Sie dann gern im Protokoll nachlesen. 

Wenn Sie jetzt zugestehen, dass das Verfahren, das im Rahmen eines Vermittlungsausschusses auch durch Länderkorrekturen in Bezug auf Bundesgesetze vorgenommen werden kann, als eine Sternstunde bezeichnet wird und das Zitat des Ministerpräsidenten in diesen Kontext rücken, dann wären wir - allerdings nur in diesem Punkt - einmal derselben Meinung.

(Ulrich Siegmund, AfD: Ich kann zitieren!)

Sie haben doch gerade vom Mikro aus gesprochen.


Ulrich Siegmund (AfD): 

Kann ich darauf antworten? 


Dr. Tamara Zieschang (Ministerin für Inneres und Sport): 

Daraus können Sie gar nicht zitieren, weil das Protokoll noch nicht vorliegt; aber gut.


Ulrich Siegmund (AfD): 

Kann ich darauf antworten? 

(Sven Czekalla, CDU: Nein, eigentlich nicht!)

Ich zitiere das Land Sachsen-Anhalt auf vormals „Twitter“ vom 25. November 2022:

„Das #Bürgergeld im @Bundesrat: ,Es ist eine Sternstunde der Demokratie - unser System, welches auf Kompromisse setzt und die Polarisierung der Gesellschaft verringert, hat sich bewährt‘ […].“

(Dr. Katja Pähle, SPD: Das Verfahren! - Zurufe von der CDU: Das Verfahren!)

In meinen Augen meint das sowohl die Art und Weise, wie es entsteht    

(Zuruf von Chris Schulenburg, CDU)

Aber das Zitat bezieht sich auf das Bürgergeld im Bundesrat. So ist es geschrieben.

(Nein! bei der CDU und bei der SPD - Guido Kosmehl, FDP: Nein, auf das Verfahren! - Weitere Zurufe von der CDU)


Präsident Dr. Gunnar Schellenberger:

Stopp.


Ulrich Siegmund (AfD): 

Es ist eine Interpretationssache, aber es ist völlig unerheblich, 


Präsident Dr. Gunnar Schellenberger:

Herr Siegmund    

(Susan Sziborra-Seidlitz, GRÜNE: Verstehendes Lesen!)


Ulrich Siegmund (AfD): 

weil es an der eigentlichen Kernaussage vorbeigeht.


Präsident Dr. Gunnar Schellenberger:

Herr Sigmund, Sie durften jetzt zitieren. Sie haben es noch einmal erklärt. Frau Zieschang hat ihre Bemerkungen angebracht und darf jetzt noch eine Bemerkung anbringen. 

(Guido Kosmehl, FDP: Verstehendes Lesen!)

Die Landesregierung darf das so oder so. - Wenn Sie das gern tun möchten, dann können Sie das tun.


Dr. Tamara Zieschang (Ministerin für Inneres und Sport): 

Mit dem, was Sie gerade vorgelesen haben, haben Sie bestätigt, dass der Ministerpräsident sich bei seiner Bemerkung auf das Verfahren bezogen hat und nicht auf das Ergebnis. 

(Beifall bei der CDU und bei der FDP - Zustimmung von Dr. Katja Pähle, SPD)


Präsident Dr. Gunnar Schellenberger:

Danke, Frau Zieschang.