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Plenarsitzung

Transkript

Henriette Quade (DIE LINKE):

Vielen Dank, Herr Präsident. - Meine Damen und Herren! Was die extrem rechte AfD will,

(Zuruf von der AfD: Was?)

hat nicht nur mittlerweile auch der Verfassungsschutz verstanden,

(Unruhe bei der AfD)

sondern es liegt auch auf der Hand.

(Zuruf von der AfD)

Wir haben es wieder gehört: die Spaltung der Gesellschaft, die rechtliche und die gesellschaftliche Einteilung in ein völkisch definiertes „Die“ und „Wir“

(Oh! bei der AfD)

und die Entrechtung von Geflüchteten und Asylsuchenden.

(Beifall bei der LINKEN)

Das wäre für sich genommen problematisch genug, weil rassistische Worte rassistische Taten befeuern, weil Menschenrechte teilbar gemacht werden sollen und weil es himmelschreiend ungerecht ist und zugleich hier kein einzig real existierendes Problem gelöst wird.

(Zuruf von der AfD: Doch, aber zu wenig!)

Das eigentliche Problem aber ist: Sie haben damit sogar Erfolg.

(Zuruf von der AfD: Ja!)

Und ja, ich hätte nicht erwartet, dass aus dem Hause einer SPD-Innenministerin vorgeschlagen wird, was Seehofer nicht durchsetzen konnte.

(Beifall bei der LINKEN - Oh! bei der AfD)

Was er nicht durchsetzen konnte, auch weil SPD und GRÜNE - zu Recht - dagegengehalten haben, im Übrigen.

(Zuruf von der AfD)

Die von mir sehr geschätzte Kollegin Heide Richter-Airijoki hat unlängst an dieser Stelle zu Recht auf die historischen Wurzeln des Rechtes auf Asyl und die Begründung hingewiesen. Das, was Ihre Bundesinnenministerin vorgelegt hat, wird dem nicht ansatzweise gerecht.

(Beifall bei der LINKEN - Zurufe)

Denn was der Gipfel hätte tun müssen: eine stetige und verlässliche Übernahme der Kosten, die in den Kommunen für Integration entstehen, durch den Bund zu realisieren, einen Plan zur Überwindung des vielfachen Stillstands und des Chaos bei den Ausländerbehörden, rechtssichere Entscheidungen des BAMF statt einer Fehlerquote um die 30 % und 17 Millionen € bis 25 Millionen € Steuergeld jährlich für verlorene Gerichtsprozesse aufgrund fehlerhafter Entscheidungen, einen Plan für soziales Wohnen und öffentlich geförderten und geschützten Wohnraum, realistische und praktikable Strukturen für die Erstaufnahme von Menschen und - so weit es möglich ist - belastbare Vorgaben und Unterstützung für Reserveplanungen, Vorschläge für die Verbesserung des Schutzes Asylsuchender und Geflüchteter und eine solidarische Verteilung in Europa.

(Ulrich Siegmund, AfD: Wie wollen Sie die denn schützen?!)

endlich Perspektiven für die Menschen, die mit unterschiedlichem Status im Land sind. Der allergrößte Teil der Geflüchteten ist schutzberechtigt.

(Zuruf von der AfD: Nee!)

Auch die, die keinen Schutzstatus zuerkannt bekommen haben,

(Zuruf von der AfD)

können nicht einfach abgeschoben werden. Lösungen für all das hat der Flüchtlingsgipfel nicht geliefert.

(Beifall bei der LINKEN)

Was dringend nötig gewesen wäre, wären mehr Ministerpräsidentinnen, die - wie Bodo Ramelow - Humanität und Realismus miteinander verbinden und Menschen, die seit Jahren hier leben, die echte Chance zu einem „Spurwechsel“ geben wollen.

Was dringend nötig gewesen wäre, wäre eine Bundesregierung, die ihr Versprechen, für einen progressiven Paradigmenwechsel in der Asyl- und Migrationspolitik zu sorgen, auch hält. Was sie geliefert hat und was der Gipfel, der zwar „Flüchtlingsgipfel“ heißt, an dem aber nicht ein Geflüchteter beteiligt war, geliefert hat, ist ein Paradigmenwechsel - das schon -, aber einer, der mit dem Koalitionsvertrag der Bundesregierung nichts zu tun hat und der das ohnehin ausgehöhlte Grundrecht auf Asyl infrage stellt.

(Beifall bei der LINKEN)

Genau hierin sehen wir den Erfolg der extremen Rechten. Denn was die Bundesregierung als Lösung für die hausgemachten Probleme bei Unterbringung, Behördenüberlastung und Finanzierungslücken verkauft, ist selbst Ausdruck des Rechtsrucks. Und: Es befeuert ihn weiter.

Die Pläne bedeuten Abschottung und Abwehr, die Exterritorialisierung des Flüchtlingsschutzes und die massive Einschränkung des individuellen Rechtes auf Asyl durch Grenzverfahren, die mit Internierungs- und Haftlagern verbunden sein werden,

(Zuruf: Mein Gott!)

auch durch die Fiktion der Nichteinreise.

Die pauschale Einstufung von weiteren Ländern als sogenannte sichere Herkunftsländer, z. B. Moldau und Georgien - wir haben es gehört, auch auf Initiative unserer Innenministerin  , wo Folter und Diskriminierung umfassend dokumentiert sind,

(Zuruf von der AfD)

innereuropäische Grenzkontrollen als Grundlage für Pushbacks ohne Gerichtsentscheidung, ohne Beratung für die Betroffenen, im Ermessen der Bundespolizei, Migrationspartnerschaften mit despotischen Regimen, damit man Menschen leichter dorthin zurückschicken kann - all das könnte direkt aus dem Hause Seehofer kommen und entspricht den Kernforderungen der extremen Rechten.

(Beifall bei der LINKEN - Zurufe von der AfD)

Alle Erfahrungen und auch die Empirie

(Zuruf von der AfD: Das sagt nichts!)

in Sachen Migration zeigen:

(Zuruf von der AfD)

Restriktionen und Abschreckung sorgen dafür, dass es Menschen schlechter geht. Sie sorgen nicht dafür, dass Menschen nicht fliehen. Wer will, dass weniger Menschen fliehen müssen, muss Fluchtursachen wie den Klimawandel bekämpfen.

(Beifall bei der LINKEN - Unruhe und Lachen bei der AfD)

Wer weniger Flucht will, muss dafür sorgen, dass Kriege wie der Putins gegen die Ukraine beendet werden.

(Beifall bei der LINKEN - Unruhe bei und Zurufe von der AfD)

Wer weniger irreguläre Migration will und bessere Planbarkeit,

(Zurufe bei der AfD)

der muss legale Fluchtwege schaffen und Asylersuchen regulär ermöglichen.

(Zurufe von der AfD: So ist es! - Dann machen Sie es noch!)

Der sogenannte Flüchtlingsgipfel hilft weder Kommunen noch Betroffenen. Über 700 Jurist*innen und Anwält*innen appellieren angesichts dessen

(Zuruf von der AfD)

mit dem Republikanischen Anwältinnen- und Anwälteverein an die Bundesregierung und an die Gesetzgeber und fordern dürfen - ich zitiere  :

„Diese Politik wird die Entrechtung und das Leid an den Außengrenzen eskalieren. Sie macht die Ausgrenzung von Geflüchteten in Deutschland und deren Inhaftierung und Abschiebung zu ihrem Markenkern. Statt ernsthaft Fluchtursachen zu bekämpfen, werden die Schutzsuchenden zum Problem erklärt.“

(Zuruf von der AfD)

Statt an dieser Spirale mitzudrehen, muss dem rechten Diskurs eine Politik der Menschenrechte entgegengesetzt werden.

(Beifall bei der LINKEN - Zurufe von der AfD)

Das hätte der Flüchtlingsgipfel leisten müssen.

Es stünde Sachsen-Anhalt gut zu Gesicht, sich angesichts der zweifellos enormen Herausforderungen, vor denen insbesondere die Kommunen aufgrund der eben nicht gelösten Aufgaben in Sachen Infrastruktur, Finanzierung und Integration stehen, ein Beispiel an Thüringen zu nehmen,

(Zurufe)

das den Kommunen die fehlenden 30 % der Kosten der Unterkunft für die Ukrainerinnen und Ukrainer erstatten wird.

(Zurufe von der AfD)

Bodo Ramelow macht konkrete Vorschläge, die eigentlich die einer Koalition sein müssten, die sich „Fortschrittskoalition“ nennt,

(Zurufe von der AfD)

z. B. einen einfacheren Spurwechsel zwischen Asyl- und Arbeitsmigration.

(Unruhe bei der AfD)

Unser Ministerpräsident fabuliert lieber über den Zusammenhang von Härte staatlichen Vorgehens und der gesellschaftlichen Akzeptanz von Zuwanderern und Migration und fordert die härtere Gangart.

(Zuruf von der AfD: Das ist richtig! - Weitere Zurufe von der AfD)

Meine Damen und Herren! Es gibt diesen Zusammenhang zwischen staatlichem Handeln und gesellschaftlicher Reaktion, aber nicht so, wie der Ministerpräsident ihn behauptet.

(Beifall bei der LINKEN)

Wir führen diese Debatte fast exakt 30 Jahre nach dem sogenannten Asylkompromiss aus dem Jahr 1993 und auch am vierten Jahrestag des Todes von Walter Lübcke.

(Unruhe bei der AfD)

30 Jahre Asylkompromiss sind auch 30 Jahre Erfahrungen, welche gesellschaftlichen Signale solche politischen Entscheidungen und Wortmeldungen senden, wen sie stärken und wen sie schwächen.

Rassistischen Forderungen wird nicht der Wind aus den Segeln genommen; sie werden befeuert. Die sich wiederholenden und nur radikaler, nie humaner werdenden Anträge der AfD-Fraktion, die wir hier behandeln, sind doch ein stetiges Beispiel.

(Frank Otto Lizureck, AfD: Was ist denn mit der Humanität für unsere Bevölkerung?)

Weitere Grenzen verwischen. Wenn ein hochrangiges Vorstandsmitglied einer christlichen Partei findet, die Menschrechtskonvention sei nicht mehr zeitgemäß,

(Zurufe von der AfD: Ja!)

dann fragt man sich nicht nur, wie das eigentlich vereinbar ist,

(Zustimmung bei der LINKEN und bei den GRÜNEN)

es wird auch die Axt an fundamentale Menschenrechte und an zentrale Elemente des Rechtsstaates gelegt.

Die Aushöhlung und die Einschränkung des Grundrechtes auf Asyl vor 30 Jahren hat rassistische Mobilisierung und Hetze nicht bekämpft, sondern verstärkt. 30 Jahre Asylkompromiss sind deshalb auch 30 Jahre Solingen, wo Neonazis das Haus der Familie G. anzündeten, fünf Menschen ermordeten und 14 schwer verletzten.

Heiko Kauffmann, langjähriger Sprecher von Pro Asyl, schrieb dieser Tage - ich möchte ihn zitieren  :

„Die Folgen der Politik institutioneller Feindseligkeit und Ausgrenzung von Geflüchteten wirken bis heute nach. Wir finden sie nicht nur in verbrecherischen Morden und Anschlägen und in Diskriminierung und alltäglichen Rassismus-Erfahrungen von Geflüchteten:“

(Oh! bei der AfD)

    „Die Folgen dieser aktiv betriebenen und geduldeten Herabsetzung von Menschen zeigen sich ebenso in der permanenten ‚Auslagerung‘ und Abschiebung von Flüchtlingen oder im Verdrängen und der beschämenden, demaskierenden Gleichgültigkeit und Tatenlosigkeit gegenüber dem tausendfachen Leiden und Sterben von Menschen im Mittelmeer und an den Außengrenzen Europas.“

Er schreibt außerdem:

    „Kein Satz bringt diesen Zusammenhang klarer und unmittelbarer zum Ausdruck als die Worte, die ich am Pfingstmontag 1993 auf dem Weg zum Haus der Familie G. an der Unteren Wernerstraße in Solingen entlang einer Mauer aufgesprüht fand und die sich - mit dem Brandgeruch und dem Bild der Ruine des Hauses der Familie - für immer in mein Gedächtnis eingebrannt haben: Erst stirbt das Recht - dann der Mensch!“

Dem stellen wir uns mit aller Kraft entgegen. - Vielen Dank.

(Beifall bei der LINKEN und bei den GRÜNEN)


Vizepräsident Wulf Gallert:

Es gibt eine Intervention von Herrn Siegmund. - Herr Siegmund, Sie haben das Wort.


Ulrich Siegmund (AfD):

Vielen Dank, Frau Kollegin Quade. Ich möchte mich bei Ihnen als migrationspolitische Speerspitze der LINKEN ganz herzlich bedanken. Sie sind wirklich die beste Wahlkämpferin für die AfD. Man muss Sie wirklich einfach nur sprechen lassen. - Danke schön.

(Starker Beifall bei der AfD - Jawohl! bei der AfD)