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Plenarsitzung

Transkript

Tagesordnungspunkt 24

Beratung

Kinder und Jugendliche stärken. Beteiligung der jungen Generation auf feste institutionelle Füße stellen.

Antrag Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Drs. 8/1027


Einbringen wird diesen Antrag Frau Sziborra-Seidlitz. Sie steht schon vorn. - Bitte schön.


Susan Sziborra-Seidlitz (GRÜNE):

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich möchte zugeben: Ein paar Dinge, die die vorige Bundesregierung auf den Weg brachte, waren nicht nur notwendig, sondern waren auch konsequent anpackend. Die umfassende Reform des Kinder- und Jugendhilfegesetzes ist eines dieser positiven Beispiele aus den sonst von vielen als bleiern empfundenen Jahren der Merkel-Regierung.

Die Bundestagsfraktion der GRÜNEN hat deswegen seinerzeit selbstverständlich dem Gesetzentwurf zugestimmt. Umso wichtiger ist es nun meiner Fraktion und mir, dass wir in Sachsen-Anhalt die neuen bundesgesetzlichen Regelungen und Möglichkeiten schnell und zielstrebig umsetzen. Da bisher wenig Bewegung zu sehen ist, haben Sie nun den in Rede stehenden Antrag vor sich liegen.

Wir fordern mit unserem Antrag die Landesregierung auf, einen Gesetzentwurf zur Umsetzung des neuen Sozialgesetzbuches VIII vorzulegen und wir waren so frei, dafür auch inhaltliche Vorschläge zu machen. Denn nach unserer Auffassung gibt es gerade im Bereich der Selbstbestimmung und der Mitbestimmung junger Menschen und ihrer Eltern im novellierten SGB VIII nun Regelungen, die einer landesgesetzlichen Konkretisierung bedürfen.

Diese Neuerungen haben es schon in den Landeshaushalt geschafft. Als Kenia-Koalition haben wir sowohl ein Modellprojekt zur Ombudschaft im Bereich der Kinder- und Jugendhilfe ins Leben gerufen als auch die Forderung eines neu zu gründenden Landesheimrates haushalterisch verankert. Beide Vorhaben finden sich nun auch im Haushalt der neuen Regierung für das Jahr 2022. Das sind übrigens zwei kleine der zahlreichen Beweise für „grün wirkt, und zwar nachhaltig“.

So weit, so gut, aber für den Moment ist das zu wenig. Denn es braucht für beide Vorhaben zum einen eine klare gesetzliche Verankerung und zum anderen Qualitäts- und Strukturvorgaben, um dem Anliegen einer Stärkung der jungen Menschen im Land wirklich gerecht zu werden.

Im Rahmen der Haushaltsberatungen haben wir diesbezüglich nachgefragt. Die Antworten lassen bisher nicht vermuten, dass zeitnah mit einem Gesetzentwurf zu rechnen ist und dass die Landesregierung schnell Fakten schaffen will - im Gegenteil. Im Koalitionsvertrag ist nur die kleinstmögliche Handlungsweise verabredet worden   ich zitiere  :

„Die Landesregierung wird den Umsetzungsprozess“

- gemeint ist der zu dem neuen Sozialgesetzbuch VIII   

„intensiv in Abstimmung mit Verbänden, Kommunen und Betroffenen sowie deren Interessenvertretungen begleiten und unterstützen.“

Begleiten und Unterstützen sind definitiv zu wenig und letztlich nur ein Euphemismus für die Aussage: Wir selbst werden nichts auf den Weg bringen. Aber sich derart unverblümt aus der Affäre zu ziehen ist schlicht und ergreifend eine kinder- und jugendpolitische Bankrotterklärung. Das Warten auf ein modernes und den bundesgesetzlichen Intentionen entsprechendes Kinder- und Jugendhilfegesetz des Landes ist also ein gesetzgeberisches Warten auf Godot.

Ein ebensolches Warten stellt die Einführung des Flächenfaktors bei der Förderung der Jugendarbeit dar. Bereits in der sechsten Legislaturperiode ist ein solcher Flächenfaktor seitens der LINKEN und der damaligen GRÜNEN-Fraktion gefordert worden. Bestätigt wurde die Notwendigkeit dieser Forderung dann durch die Evaluierung des KJHG im Jahr 2019. Seitdem warten wir aber noch immer auf die Umsetzung der darin formulierten Empfehlungen. Ohne Flächenfaktor ist die Jugendarbeit gerade in den ländlichen Räumen unseres Landes immer wieder und immer weiter vom Wegbrechen bedroht. Ein Verteilungsschlüssel rein nach der Anzahl junger Menschen erzeugt eine finanzielle Unwucht zugunsten unserer Ballungszentren, die spätestens seit 2019 belegt ist und allerspätestens im nächsten Haushalt geheilt gehört.

(Zustimmung bei den GRÜNEN)

Wir machen daher jetzt dem Warten ein Ende. Meine Fraktion und ich hoffen, mit unserem Antrag hier zumindest insoweit Wirkung zu entfalten, als das Land seine Verantwortung für eine solche Novelle des Ausführungsgesetzes zunächst einmal anerkennt.

Etwas anderes lässt meines Erachtens § 9a des neuen SGB VIII auch gar nicht zu. Dort ist normiert:

„In den Ländern wird sichergestellt, dass sich junge Menschen und ihre Familien zur Beratung in sowie Vermittlung und Klärung von Konflikten im Zusammenhang mit Aufgaben der Kinder- und Jugendhilfe nach § 2 und deren Wahrnehmung durch die öffentliche und freie Jugendhilfe an eine Ombudsstelle wenden können.“

Durch wen anders als das Land selbst soll dies denn bitte sichergestellt werden? Hierbei stehen wir als Land klar in der Verantwortung. Daher findet sich eine Ombudsstelle zum Glück auch im Haushaltsplan.

Nach diesem zweiten Schritt, der Finanzierung, braucht es jetzt folgerichtig endlich auch den ersten Schritt, die gesetzlich verankerte Normierung. Die Weiterführung des Modellprojekts zur Ombudsstelle über die Erstförderung in der vorigen Legislaturperiode hinaus hat zum Glück funktioniert. Die Vorarbeiten und der anfängliche Strukturaufbau des jetzigen Trägers können also in diesem Jahr fortgeführt und fundiert werden. Letztlich könnte es dann in ein landesweites Regelangebot überführt werden. So sieht es das SGB VIII vor und so sollte es auch in unserem Ausführungsgesetz normiert sein.

Insbesondere diese Art der Beratungs- und Beschwerdestelle verkörpert den Geist des neuen Kinder- und Jugendhilfegesetzes: junge Menschen nicht mehr als Objekte der Fürsorge zu begreifen, sondern als Rechtssubjekte, als Subjekte eigenen Rechts mit verbrieften Ansprüchen auf Leistungen der Kinder- und Jugendhilfe. Diese Ansprüche geltend zu machen, sowohl gegenüber dem Träger der öffentlichen Jugendhilfe als auch gegenüber den Leistungserbringern, dafür ist eine Ombudsstelle überaus hilfreich. Sie dient der Rechtsdurchsetzung.

Wir alle wissen, dass es gerade im Bereich der Sozialgesetzbücher eben oft nicht reicht, einen formalen Leistungsanspruch zu haben, weil entweder schlicht die Informationen bei den Berechtigten darüber fehlen oder weil das Wissen um eine korrekte Antragstellung lückenhaft ist. Manchmal ist es auch eine ungünstige Macht- und Informationsasymmetrie zwischen Amt und Klient. Das führt dann zu ungünstigen Auslegungen oder auch konflikthaften Verfahren. Hierbei kann und soll eine Ombudsstelle eingreifen, beratend, aber eben auch vermittelnd. Wenn diese Stelle in einen produktiven Austausch mit Ämtern und Leistungserbringern tritt, dann kann sie auch zu deren Qualitätsentwicklung beitragen.

Die Aufnahme des angestrebten Landesheimrates als selbst organisierter Zusammenschluss gemäß § 4a SGB VIII in den Landesjugendhilfeausschuss ist im Sinne des Leitsatzes, den wir jetzt einmal aus der Behindertenrechtsbewegung entlehnen wollen   nichts über uns ohne uns   eine demokratische Selbstverständlichkeit. In dem zentralen Gremium der Exekutive für die Kinder- und Jugendpolitik muss es endlich auch eine direkte Stimme der jungen Generation geben. Nicht nur über, sondern auch mit den jungen Menschen aus den Einrichtungen soll der Landesjugendhilfeausschuss in Zukunft sprechen.

Natürlich gelangt auch mit dem neuen SGB VIII und dem geforderten neuen Ausführungsgesetz der Reformprozess nicht an sein Ende. Das Stufenmodell zur Umsetzung der sogenannten großen Lösung gibt uns als Land bereits Hausaufgaben bis 2028 mit auf den Weg. Die neue Bundesregierung hat sich weitere Verbesserungen schon vorgenommen, wie zum Beispiel die gänzliche Streichung der Heranziehung von Einkommen junger Menschen zur Finanzierung ihrer Hilfen, wie das bis jetzt noch passiert, und   mir besonders wichtig   ein besonderes Programm zur Bekämpfung von Obdachlosigkeit bei jungen Menschen. Hiermit wird explizit auf das Konzept des „Housing first“ abgestellt, ein Erfolgsmodell, erprobt und umgesetzt in verschiedenen europäischen Ländern. Das auch in Sachsen-Anhalt nutzbar zu machen, insbesondere für junge obdachlose Menschen, finde ich absolut sinnvoll.

Nicht zuletzt hat sich die Bundesregierung auch Verbesserungen bei der Kindergrundsicherung vorgenommen. Die grüne Bundestagsfraktion hat im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens zur SGB VIII-Novelle eine solche Kindergrundsicherung per Antrag gefordert. Dieser wurde von der damaligen Großen Koalition abgelehnt. Jetzt findet sich die Kindergrundsicherung im Koalitionsvertrag. Auch wenn in den anderthalb Dekaden der Merkelregierung nicht alles schlecht war - jetzt ist es definitiv besser, um Längen.

(Lachen bei der SPD)

Aber lassen Sie es uns auch hier im Land besser machen. Lassen wir den starken Impuls der SGB VIII-Novelle aus der Merkelregierung nicht verpuffen. Stimmen Sie unserem Antrag zu und lassen Sie uns dann endlich gemeinsam ein bestmögliches Kinder- und Jugendhilfegesetz für Sachsen-Anhalt auf den Weg bringen. - Vielen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN - Zustimmung bei der SPD)