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Plenarsitzung

Transkript

Marco Tullner (CDU):

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich weiß nicht, ob Sie ein ähnliches Gefühl beschlichen hat. Ich glaube, diese Debatte war, wie sie heute teilweise geführt wurde, keine Sternstunde für das Hohe Haus. Das war dem Thema nicht angemessen.

(Beifall bei der CDU und bei der SPD - Zustimmung bei der FDP und bei den GRÜNEN)

Wir sollten uns zunächst vergegenwärtigen, was heute vor 90 Jahren passiert ist. Oder anders herum: Vielleicht können Sie sich einmal ganz kurz in den Gedanken hineinversetzen, eine analoge Situation hier im Hohen Haus vorzufinden. Sie kommen am Domplatz an. Dort sind Hundertschaften von SS-Leuten, die johlend und grölend vor dem Hohen Hause stehen. Sie gehen in den Landtag zum Plenarsaal und müssen an einer SA-Kolonne vorbeiziehen, die bewaffnet ist und in den Raum hinein johlt und schreit. Sie kommen in den Plenarsaal, in dem eine große Hakenkreuzfahne hängt und der Reichskanzler Hitler in brauner Uniform seine Rede hält.

In dieser Situation, in der jeder von uns   zumindest als Demokrat   Zweifel, Angst oder auch innere Rührung spürt, haben es tapfere Männer und Frauen vermocht, Nein zu sagen. Meine Damen und Herren von der Sozialdemokratie, darauf können Sie stolz sein und wir sind es mit Ihnen.

(Beifall bei der CDU, bei der FDP und bei den GRÜNEN)

Es war - der Ministerpräsident hat darauf verwiesen - keine Sternstunde für die bürgerlichen Parteien, die diesen Gewissenskonflikt nicht so für sich entscheiden konnten, sondern sich anders entschieden und mitschuldig gemacht haben. Das gehört zur politischen und historischen Wahrheit zweifelsfrei dazu. Die Schuld tragen bürgerliche Parteien mit.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP - Zustimmung bei den GRÜNEN)

Natürlich ist dieser Tag vor 90 Jahren nicht vom Himmel gefallen. Schauen wir auf den historisch sehr bekannten Tag von Potsdam zwei Tage zuvor, an dem sich die preußisch-wilhelminische Elite zur Reichstagseröffnung in der Garnisonskirche traf. Der Reichspräsident von Hindenburg war ebenfalls anwesend. Eine nationalsozialistische Bewegung tarnte sich in tiefer Bürgerlichkeit und erweckte den Eindruck - das war das Thema vom Täuschen und Tricksen  , hier würde man sozusagen einen nahtlosen demokratischen Übergang inszenieren. Angesichts dessen muss man sagen, politische Inszenierungen sind Inszenierungen und man darf auf sie bei solchen Themen nicht hereinfallen. Deswegen sollten wir an solchen Stellen sehr, sehr achtsam sein.

(Beifall bei der CDU - Zustimmung bei der SPD)

Natürlich ist das alles auch in einer historischen Entwicklung zu sehen. Wir müssen auch sagen, dass dieses Ermächtigungsgesetz nicht vom Himmel gefallen ist. Es gab Reichskanzler - es waren Marx und Stresemann  , die mit juristisch sehr fragwürdigen Konstruktionen Vorgängertatbestände geschaffen haben und gewissermaßen eine Blaupause geliefert haben. Auch wenn sich - ich bin kein Jurist - nicht alles juristisch vergleichen lässt, muss man an der Stelle sagen, diese Erfahrungen bzw. die Methoden, die die Nazis angewandt haben, sind in der Weimarer Parlamentspraxis nicht einmalig gewesen. Auch das müssen wir wissen.

Deswegen, Damen und Herren, kann man nur hoffen, dass wir alle sehr achtsam und sensibel sind, was aufkommende gesellschaftliche Veränderung betrifft, und dass wir sehr achtsam und sensibel im Umgang miteinander sind.

Daher, meine Damen und Herren, will ich eines sagen: Manches hat mich nicht überrascht; das muss man wohl in Kauf nehmen. Aber Frau Kollegin von Angern, Ihre Rede habe ich mit einem gewissen Interesse gehört. Ich fand es sehr schade, dass Sie zwei Dinge nicht in den Blick genommen haben. Das betrifft die Erfahrungen mit dem, was nach 1945 passiert ist.

(Zuruf von der AfD: Richtig!)

Auch damals mussten wir die Erfahrung machen, dass Demokraten in diesem Lande verfolgt, ermordet und in Zuchthäuser gesteckt wurden. Am Ende Ihrer Rede sagten Sie einen Satz, auf den ich am Ende meiner Rede zu sprechen kommen möchte. Sie sprachen im Zusammenhang mit der Wehrmachtsausstellung davon, dass auch Abgeordnete der CDU und der CSU und Neonazi-Gruppen     Diese Formulierung finde ich ein bisschen unglücklich.

(Nicole Anger, DIE LINKE: Nein, das war so! - Eva von Angern, DIE LINKE: Aber es war doch so!)

Ich glaube, wir sollten auch an dieser Stelle alle miteinander sehr achtsam sein, und wir sollten politische Lager nicht in Ecken stellen, in die sie zweifelsfrei nicht gehören.

(Beifall bei der CDU - Zustimmung bei der SPD und bei der FDP)

In diesem Sinne, meine Damen und Herren, sehen Sie mich heute sehr bewegt, weil diese Debatte gezeigt hat, welche Probleme wir mit der parlamentarischen Demokratie in der Gegenwart haben. Lassen Sie uns gemeinsam daran arbeiten, dass so etwas wie vor 90 Jahren nie wieder passiert. - Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU, bei der SPD und bei der FDP)


Präsident Dr. Gunnar Schellenberger:

Herr Tullner, es gibt eine Frage von Frau Quade.


Henriette Quade (DIE LINKE):

Herr Tullner, ich verstehe Ihre Angefasstheit ob der Feststellung von Frau von Angern zur Wehrmachtsausstellung. Ich begrüße, dass Sie sagen, Sie wollen nicht, dass das so gewesen ist. Die Frage, die ich Ihnen stelle, ist: Bestreiten Sie, dass es eine Mobilisierung der CDU und der CSU gegen die Wehrmachtsausstellung gab?

(Zuruf von Frank Bommersbach, CDU)


Marco Tullner (CDU):

Frau Quade, ehrlich gesagt, finde ich dieses Pingpongspiel dem Anliegen der heutigen Debatte nicht angemessen.

(Beifall bei der CDU - Zustimmung bei der FDP)

Aber ich möchte eines deutlich machen: Wir alle in Deutschland haben doch nach 1945 und vielleicht auch nach 1989 miteinander gerungen über die Fragen, wo die Verantwortung zu suchen ist und wo Schuldfragen zu klären sind. Das ist ein Prozess, in dem wir alle miteinander lernen. Dabei haben uns Historiker und Juristen geholfen. Auch die Zeit hat uns ein bisschen geholfen. Denn das Problem von Zeitzeugen ist manchmal auch, dass nicht immer die Objektivität das erste Maß der Beurteilung ist. Deswegen, glaube ich, ist an der Stelle zu würdigen, dass wir einen Prozess miteinander durchlebt haben.

Ich glaube, dass wir angesichts der dunkelsten Zeit, die wir in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts erlebt haben, in der gelebten parlamentarischen Praxis in Westdeutschland und mit der errungenen deutschen Einheit und der Freiheit im Osten ab 1989 gemeinsam einen Lern- und auch Aufarbeitungsprozess hingelegt haben, auf den wir ein kleines bisschen mit Demut blicken sollten, auf den wir aber auch stolz sein können. - Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU)