Alexander Räuscher (CDU):
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! - Verstehen Sie mich? - Ich versuche laut zu sprechen.
Bundesministerin Steffi Lemke hat ganz zufällig und ganz, ganz hektisch zwei Stunden vor der offiziellen Mitteilung von der EU, der Schutzstatus des Wolfes müsse angepasst werden, erklärt, nur Einzelabschüsse seien die Lösung für geplagte Tierhalter. Unser Landwirtschafts- und Umweltminister zeigte sich durchaus begeistert und verwies darauf, dass der Wolf weiter geschützt werden müsse und nicht ausgerottet werden dürfe, was im Übrigen nicht im Raum steht.
In Sachsen-Anhalt leben nach den aktuellen und dennoch bereits veralteten Zahlen des WZI elf Wölfe auf 1 000 km². In keiner anderen Kulturlandschaft Europas herrscht diese Wolfsdichte. Schweden und Frankreich akzeptieren einen Wolf pro 1 000 km². Sachsen-Anhalt hat im Vergleich zu Schweden und Frankreich pro 1 000 km² die elffache Zahl an Wölfen. Das ist EU-rechtskonform, und zwar ohne die Art zu gefährden, und es erfüllt natürlich EU-rechtskonform den Anspruch auf den günstigen Erhaltungszustand.
Daher frage ich Sie, Herr Minister, wie erklären Sie bei der bei uns herrschenden Überpopulation an Wölfen den Tierhaltern, wann der günstige Erhaltungszustand erreicht ist. Ich frage Sie auch als fühlender Mensch, wie Sie den Tierschützern in punkto Wolf, der aufgrund der Überpopulationen in vielen Rudeln unter der Räude und anderen Krankheiten leidet, die durch diese Überpopulation verursacht werden, erklären, wann ein günstiger Erhaltungszustand erreicht ist.
Und ich frage Sie als Wissenschaftler: Wie wollen wir vor dem Hintergrund des jährlichen exponentiellen Zuwachses von 30 % an Wölfen, der in unserer Kulturlandschaft keine natürliche Obergrenze kennt, mit dieser Herangehensweise unsere Bürger und Tierhalter vor den Wölfen schützen? - Ich befürchte, wolfsabweisende Zäune um Kindergärten werden das Problem nicht lösen.
Präsident Dr. Gunnar Schellenberger:
Herr Prof. Willingmann, bitte.
Prof. Dr. Armin Willingmann (Minister für Wissenschaft, Energie, Klimaschutz und Umwelt):
Herr Präsident! Herr Abg. Räuscher! Meine Damen und Herren! Das waren drei Fragen; so kann man es natürlich auch machen, um es etwas zu strecken. Wenn ich etwas vergesse, dann fragen Sie bitte nach.
Präsident Dr. Gunnar Schellenberger:
Könnten Sie bitte etwas lauter sprechen.
Prof. Dr. Armin Willingmann (Minister für Wissenschaft, Energie, Klimaschutz und Umwelt):
Ich muss lauter sprechen?
(Michael Scheffler, CDU: Es liegt nicht an der Lautstärke! Es ist ein dumpfes Geräusch! - Unruhe)
Die Lautstärke hat im Hörsaal über Jahre hinweg immer gereicht.
(Lachen bei der CDU und bei der SPD)
Ich will nicht behaupten, dass es sich um ein kollektives Problem handelt. Ich meine, wir werden alle älter. Ich versuche etwas lauter zu sprechen, aber vielleicht kann man es über die Anlage regulieren; denn Schreien bisher immer der Part Einzelner gewesen ist.
Herr Räuscher, zu Ihrer Frage. Ich habe das auch gelesen und Begeisterung ist in vielen Dingen nicht so sehr meine emotionale Reaktion auf politische Prozesse, Freude will ich nicht verhehlen, auch wenn Erkenntnis reift.
Zunächst zum Statement von Frau Lemke, die in der Tat in den letzten sechs Wochen durch verschiedene Äußerungen im Zusammenhang mit der Wolfspopulation in Deutschland und mit dem Umgang damit auf der Länderebene Stirnrunzeln - so will ich es einmal vorsichtig formulieren - ausgelöst hat.
Wenn Frau Lemke der Ansicht ist, dass wir die Voraussetzungen schaffen sollten, damit in einem anderen Modell, als wir es bisher kennen, Wölfe entnommen werden können, dann kann sie das selbst initiieren. Dann kann sie es über die Änderung des Bundesjagdgesetzes selbst in die Hand nehmen. Man muss sie fragen: Liebe Frau Kollegin Lemke, bevor Sie mit dem Finger in die Richtung der Länder zeigen und sagen, ändert ihr etwas, warum um Gottes willen machen Sie das nicht auf der Bundesebene? Sie müssen einfach nur handeln.
(Zustimmung bei der SPD, bei der CDU und bei der FDP)
Dies ist zur Bundesumweltministerin zu sagen.
Jetzt zu dem günstigen Erhaltungszustand. Herr Räuscher, der günstige Erhaltungszustand wird nach einer Überprüfung, die ca. alle sechs Jahre stattfindet, durch die EU definiert. Wir beide wissen dies und sagen uns dies auch regelmäßig.
Wir sind uns darin einig - an dieser Stelle bin ich bei Ihnen , dass der Zeitraum von sechs Jahren angesichts der Zahl der Wölfe, die bei uns zusätzlich ankommen, zu lang ist. Deshalb muss man zu einem kürzeren Zeitraum kommen.
Sie wissen, dass die Europäische Kommission bei der Frage des Schutzstatus des Wolfes einen sehr, sehr großen Referenzraum zugrunde legt und im Grunde fast ganz Nord-, Ost- und Westeuropa zusammenfasst. Das ist ein Dilemma,
(Zustimmung von Kathrin Tarricone, FDP)
weil es tatsächlich nicht berücksichtigt, dass es geografische Unterschiede gibt und dass wir in diesem Bereich dichtere Sicherungsräume haben und weniger Dichte. Deswegen sind diese beiden Punkte, die, über die wir diskutieren müssen.
Wir diskutieren auf Vorschlag der A-Umweltminister - B-Umweltminister gibt es nicht - in der Umweltministerkonferenz über die Frage. Dort haben wir gebeten: Liebe Frau Lemke, legen Sie uns Zahl vor, die aktuell kleinteiliger nachweisen, wo Wolfspopulationen sind und wie wir zu einer Lösung kommen, die es möglich macht, deutschlandweit - Sachsen-Anhalt wird dafür wahrscheinlich zu klein sein - zu einer anderen oder zu einer - sagen wir einmal - verlässlicheren Beurteilung des Erhaltungszustandes zu kommen.
(Beifall bei der SPD)
Das ist im März so von mir vorgetragen worden und das ist Gegenstand der Umweltministerkonferenz im November dieses Jahres.
Frau Lemke sollte ursprünglich im März dieses Jahres dazu vortragen. Sie hat um etwas mehr Zeit gebeten, weil sie die Zahlen über den Sommer hinweg auswerten wollte. Ich vermute, ihr Statement ist eine Reaktion auf erste Ergebnisse. Ich will Ihnen sagen, dass wir darüber im November mit der Umweltministerin reden werden. Die A-Umweltminister sind sehr hinterher, sich über diesen Referenzstatus und über den Referenzraum klar zu werden.
Solange das aber nicht der Fall ist, gilt das geltende Recht. Dieses besagt nun einmal, dass wir, wenn der günstige Erhaltungszustand nicht festgestellt ist, kein Wolfsmanagement betreiben können und dass wir an dieser Stelle auch mit einem Wolf im Jagdrecht Etikettenschwindel betreiben.
Ein Wolf im Jagdrecht wird an dieser Stelle durch den ganzjährigen Schutzstatus nichts bringen. Deshalb müssen wir an dieser Stelle ehrlich sein und sagen, wie wir mit dem Bund in dieser Frage umgehen wollen und wie wir darauf hinwirken wollen, dass man zu verlässlichen Zahlen und einer angemessenen Bewertung kommt, aus der man Rückschlüsse ziehen kann.
Was nicht geht - jetzt greife ich Ihr Thema auf , ist, dass die Bundesumweltministerin einfach sagt, ihr Länder könnt schon viel, viel mehr machen. Ich will an dieser Stelle betonen, was Ihnen wichtig ist: Der Wolf, der auffällig ist, den Wiederholungstäter, der identifiziert werden kann, kann auch bereits nach geltendem Recht entnommen werden. So ist es auch in Sachsen-Anhalt möglich. Das wissen wir auch - Punkt.
(Beifall bei der SPD)
Präsident Dr. Gunnar Schellenberger:
Herr Räuscher, Sie haben eine Frage.
Prof. Dr. Armin Willingmann (Minister für Wissenschaft, Energie, Klimaschutz und Umwelt):
Ich bin noch nicht fertig. - Zweiter Teil.
Präsident Dr. Gunnar Schellenberger:
Okay. Gut.
Prof. Dr. Armin Willingmann (Minister für Wirtschaft, Wissenschaft und Digitalisierung):
Zu Räude und Überpopulation. Ich bin kein Tierarzt. Sie, so glaube ich, auch nicht. Aber wir beide machen uns natürlich schlau. Mir sagen meine Leute: Die Tatsache, dass die Räude in einzelnen Rudeln aufgetreten ist, kann tatsächlich ein Zeichen für eine erhöhte Population sein. Sie kann auch andere Gründe haben, bspw. eingeschleppte Krankheiten durch Durchzieher oder Ähnliches. Ich würde daraus jetzt nicht unbedingt etwas ableiten. Richtig ist die Feststellung, dass Wölfe mit diesem Krankheitsbefund aufgefunden wurden.
Herr Räuscher, erlauben Sie mir Man kann ein wenig suggestiv fragen und man kann ein wenig Polemik hineinbringen. Wir auf der Regierungsbank sind davon auch nicht ganz frei, auch wenn wir uns zusammenreißen. Aber Ihr Beispiel mit dem Zaun um den Kindergarten ist nun wirklich etwas Ich bitte um etwas Verständnis. Es ist auch die Aufgabe von Politik, keine Panik zu schüren und unnötige Ängste zu verbreiten.
(Beifall bei der SPD, bei der LINKEN und bei den GRÜNEN)
Wir müssen uns über den Wolf auf einem anderen Niveau unterhalten, als dem von Rotkäppchen und dem Wolf und den sieben Geißlein.
(Beifall bei der SPD, bei der LINKEN und bei den GRÜNEN)
Weil wir ein ernst zu nehmendes Anliegen haben, weil dieser Minister für den Arten- und Umweltschutz zuständig ist
(Zuruf)
- Sie wollten, dass ich lauter spreche.
(Ulrich Thomas, CDU: Das ist polemisch! Was soll Rotkäppchen hier?)
- Selbstverständlich gehört Rotkäppchen dorthin. - Wir haben keine einzige Evidenz dafür, dass Kinder oder Menschen von Wölfen in Deutschland angegriffen wurden. Deshalb ist es meines Erachtens nicht zulässig, die Angst zu schüren, dass wir einen Zaun um einen Kindergarten brauchen. Es sei denn, man will den Kindern vormittags erzählen, was in Grimms Märchen steht und ihnen danach Angst machen, nach draußen zu gehen.
(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)
Präsident Dr. Gunnar Schellenberger:
Frage?
Alexander Räuscher (CDU):
Vielen Dank, Herr Präsident. - Vielen Dank, Herr Minister. Das, was Sie anfänglich über Steffi Lemke gesagt haben, finde ich wunderbar. Natürlich muss die Dame aktiv werden und ihren Job machen, allerdings müssen wir das auch im Land.
Herr Minister, Sie als Vertreter der Exekutive haben heute bereits zum dritten Mal von mir die Chance erhalten, sich den Bürgern und uns als Legislative gegenüber konkret zu der Frage, wo der günstige Erhaltungszustand des Wolfes liegt, zu erklären. Trotz der vielen Fachabteilungen in Ihrem Ministerium und der hoch qualifizierten Mitarbeiter in Ihrem Haus sind Sie seit Jahren dazu nicht in der Lage oder nicht willens.
(Zustimmung von Jan Scharfenort, AfD - Zuruf von Sebastian Striegel, GRÜNE)
Die Bürger fragen sich inzwischen, warum wir das Ganze haben und wie sich dieses Haus rechtfertigt. Wir als Land müssen - an dieser Stelle sind Sie als Exekutive gefragt; es ist Ihre Aufgabe - nach Berlin melden, wie sich der Zustand in Sachsen-Anhalt darstellt. Das kann niemand anderes. Das können nicht die Niedersachsen, nicht die Bayern und auch nicht die Schweden für uns machen, sondern das ist Ihre Aufgabe.
Prof. Dr. Armin Willingmann (Minister für Wirtschaft, Wissenschaft und Digitalisierung):
Genau.
Alexander Räuscher (CDU):
Das erfolgt aber nicht. Ich muss auch heute wieder mit Bedauern feststellen, dass die Antwort ausweichend ist. Warum müssen die Menschen das aushalten? Bitte erklären Sie uns die Idee dahinter, dass Nutztierhalter, dass die Bürger dieses Landes keine Antwort von Ihnen bekommen.
Prof. Dr. Armin Willingmann (Minister für Wissenschaft, Energie, Klimaschutz und Umwelt):
Herr Räuscher, wir melden in der Tat in einem Turnus von sechs Jahren Zahlen nach Brüssel. Wir bewerten den Erhaltungszustand nicht. Noch mal: Der Erhaltungszustand wird andernorts festgestellt. Wir wehren uns im Moment dagegen, dass einfach so weiter praktiziert wird wie bisher. Wir können den Erhaltungszustand nicht auf jede einzelne Gemeinde und jeden einzelnen Landkreis herunterbrechen. Nach jetzigem Recht hätte das überhaupt keine Auswirkungen.
Deshalb bitte ich Sie noch einmal, das zu verstehen und nicht den Eindruck zu erwecken, dass hier seit Jahren irgendetwas unterbliebe. Ich kann das übrigens erst seit maximal zwei Jahren tun. Aber gut, das sind unterschiedlich lange Bemessungszeiträume und die Erinnerung mag bei manchen möglicherweise schwinden.
Aber eines ist mir wichtig: Ich habe hier durchgängig gesagt, wie der Kurs von mir ist. Ich halte das Ministerium und übrigens auch unser Landesumweltamt an dieser Stelle für hochkorrekt, die sich nämlich an geltendes Recht halten.
(Beifall bei der SPD)
Es ist wohlfeil, hier im Parlament immer wieder eine Veränderung zu fordern, wenn Sie das Risiko für diese Veränderung dann auf Menschen abladen, die die Entscheidung darüber fällen müssen, wo abgeschossen wird, wie Management betrieben wird und Ähnliches. Was wir nicht tun können - dafür bitte ich jetzt einfach einmal um Verständnis; hier steht auch ein Jurist , ist, dass wir Ihren politischen Wunsch zum Inhalt von verwaltungsmäßigem Handeln machen.
Ich verstehe die Präsidentin unseres Landesumweltamtes sehr wohl, die sagt, wir haben unglaublich viele Regeln zu beachten, bevor man zu irgendwelchen Eingriffsmaßnahmen kommt. Diese Regeln kann man ändern, darüber muss man reden. Aber die Voraussetzung dafür ist, dass der europäische Rechtsrahmen verändert wird. Das ist Aufgabe der Kommission, das ist Aufgabe des Bundes, der dazu an die Kommission herantreten muss. Das ist übrigens genau dasselbe Modell wie beim Industriestrompreis. Wer heute Gelegenheit hatte, das „Morgenmagazin“ zu sehen, konnte das schon einmal erklärt bekommen. - Vielen Dank.