Henriette Quade (DIE LINKE):
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Meine Damen und Herren! Ich erlebe regelmäßig und wahrscheinlich öfter als die meisten hier Polizeieinsätze und ein Agieren von Versammlungsbehörden. Ich weiß und begrüße ausdrücklich, dass eine Versammlung nicht automatisch illegal wird, weil sie nicht 48 Stunden vorher angemeldet wurde, und dass diejenigen, die sagen, sie wollten eine Spontanversammlung durchführen, nicht per se daran gehindert werden können.
Ich kenne Demonstrationen im Wanderkessel. Ich habe Demos mit hundert Teilnehmenden erlebt, die aufgehalten wurden und denen mit der Auflösung gedroht wurde, weil Seitentransparente näher beieinander getragen wurden, als in den Auflagen vorgesehen. Ich kenne Polizeieinsätze, die unverhältnismäßig waren, die auf den Einsatz von massiver Gewalt setzten, bei denen man sich nicht um die Versammlungsfreundlichkeit scherte, bei denen die Vorgaben des Versammlungsgesetzes ignoriert wurden und die im Nachhinein als „nicht rechtmäßig“ beschieden wurden. Ich sage Ihnen klar: Wir wollen solche Polizeieinsätze nicht. Wir wollen einen solchen Umgang mit dem Versammlungsrecht nicht.
(Beifall)
Was wir wollen, ist die konsequente Anwendung geltenden Rechtes. Was wir wollen, ist die Durchsetzung von Auflagen. Was wir wollen, ist, dass sich Polizei- und Versammlungsbehörden nicht vorführen lassen, sondern dass sie das tun, was ihre Aufgabe ist und was dringend nötig wäre.
Die Gefahren, die von den Coronaleugner-Demos ausgehen, die in Sachsen-Anhalt nicht nur mehr und nicht nur größer, sondern auch aggressiver und radikaler werden, müssen endlich in den Blick genommen, benannt und so weit es geht eingedämmt werden. Genau das ist es, worum es hierbei geht - nicht mehr und nicht weniger. Es braucht keine Verschärfung des Versammlungsrechts. Es braucht eine andere Praxis in den konkreten Situationen.
(Beifall)
Denn die Maßnahmen, die die Versammlungsbehörden und die Polizei treffen, sind ganz überwiegend nicht geeignet, die Gefahren, die von diesen Versammlungen ausgehen, irgendwie einzudämmen. Zu großen Teilen wird das noch nicht einmal versucht. Beides ist schlichtweg nicht hinnehmbar.
So richtig es ist, dass Versammlungen nicht pauschal verboten oder Spontandemonstrationen einfach so aufgelöst werden können, so falsch ist es, so zu tun, als könnten Versammlungsbehörden und Polizei sonst gar nichts tun. Im Gegenteil: Gerade weil es eine individuelle Gefahrenprognose und eine individuelle Analyse und Dokumentation dessen braucht, was bei den jeweiligen Coronaleugner-Aktionen passiert, müssen die zuständigen Behörden anders agieren, als sie es bisher tun. Gerade deshalb müssen sie die Möglichkeit der Begrenzung der Teilnehmendenzahlen nutzen, müssen Polizeikräfte so geplant werden, dass Auflagen durchsetzbar sind und nicht wie in Magdeburg und in Halberstadt schlichtweg zu wenige Polizeikräfte vor Ort sind. Dann müssen sie Auflagen wie Maskenpflicht und Abstand durchsetzen, statt untätig danebenzustehen, wenn sie mit Gelächter ignoriert werden.
(Zustimmung)
Dann müssen Bewaffnung und Angriffe auf Beobachtende unterbunden und geahndet werden. Dann muss die Nichteinhaltung von Auflagen Folgen haben und dokumentiert werden, um bei der nächsten Versammlung sich konkret darauf beziehen, die nächste Gefahrenprognose darauf aufbauen und daraus abgeleitete Auflagen erteilen zu können. Dann darf sich Polizei nicht wahlweise überrumpelt, unterlegen oder desinteressiert zeigen. Dann muss eine Landesregierung endlich dafür sorgen, dass Coronaleugner, Verschwörungsideologen, rechtsextreme Holocaustleugner und diejenigen, die seit Monaten an der Destabilisierung dieses Landes arbeiten, nicht weiter bestärkt aus diesen Versammlungen hervorgehen, weil sie tun können, was sie wollen.
(Zustimmung)
Und: Nein, das ist kein Plädoyer für martialische Polizeieinsätze, die pauschale Einschränkung von Versammlungsfreiheit oder für politische Auslegung des Ermessensspielraums. Es ist ein Plädoyer für die Anwendung geltenden Rechts; denn alles andere ist erstens staatliches Versagen und zweitens kreuzgefährlich.
(Beifall)
Wissen Sie, was mich wirklich frappiert? - Mich frappiert wirklich, dass es sowohl für die Dynamik derer, die zu diesen Demos und Aktionen mobilisieren, als auch für den nicht adäquaten Umgang von Behörden, Polizei und auch weiten Teilen der Politik nicht nur eine, sondern zwei Blaupausen gibt: Pegida und die Coronaleugner-Proteste im letzten Jahr. Im letzten Jahr führten wir an dieser Stelle eine Aktuelle Debatte, in der dieselben Phänomene beschrieben wurden und mit nahezu denselben politischen Perspektiven, wie heute dieselben Probleme und Versäumnisse von Polizei und Versammlungsbehörden konstatiert wurden.
Seitdem wurde die zwischenzeitlich geplante und verfassungsrechtlich höchst bedenkliche Verschärfung des Versammlungsgesetzes Gott sei Dank verworfen. Es wurde aber offensichtlich nichts dafür getan, die tatsächlichen Defizite bei den Versammlungsbehörden und der Polizei abzubauen. Seitdem sind in Sachsen-Anhalt Impfteams tätlich angegriffen worden und sind Ärztinnen und Ärzte, die impfen, bedroht worden. Seitdem ist zu Straftaten gegen Politikerinnen und Politiker aufgerufen worden und Menschen, die auf die Maskenpflicht hingewiesen haben, sind angegriffen worden. Seitdem sind weitere Personen, insbesondere Journalistinnen und Journalisten, Beobachtende sowie Fotografinnen und Fotografen immer wieder beleidigt, verletzt und geschlagen worden. Seitdem ich blicke jetzt auf das Geschehen deutschlandweit stand ein Mob mit Fackeln vor dem Haus der sächsischen Gesundheitsministerin, sind Menschen von radikalen Impfgegnern ermordet worden und sind erst gestern Waffenlager bei Coronaleugnern ausgehoben worden.
Seitdem wir diese Debatte geführt haben, sind diejenigen, die bei diesen Coronaleugner-Demos in Aktion treten, noch weiter davon entfernt, von demokratischen Politikangeboten, von rationalen Argumenten und vom Argumentieren mit Fakten erreichbar zu sein. Zusätzlich sind sie davon berauscht und ermutigt, den Staat scheinbar an seine Grenze zu bringen. Seitdem wir die Debatte im letzten Jahr geführt haben, gab es keinen Lerneffekt bei den Behörden und offensichtlich auch nicht in der Politik. Ich las dieser Tage wieder, man müsse doch zuhören, die Menschen hätten doch anliegen. - Lassen Sie uns doch zuhören. Was hören wir denn? Was sehen wir denn, wenn wir uns das anschauen, was hier in Sachsen-Anhalt passiert?
(Zuruf: Freiheit!)
Sie hören den Aufruf, Infektionsschutzregeln gezielt zu brechen. Wir sehen Superspreader-Events mit Ansage, wenn weder Abstände eingehalten werden noch Masken getragen werden. Wir sehen, dass Menschen zusammengerufen und Aktionen beworben werden, aber nichts angemeldet wird, um versammlungsrechtliche und Infektionsschutzauflagen zu umgehen und man damit auch noch Erfolg hat. Wir sehen, dass Beobachtende angegriffen werden. Wir sehen, dass Impfteams und Testzentren angegriffen werden und als Orte der Körperverletzung und Diktatur verunglimpft werden. Wir sehen, dass polizeibekannte Hooligangruppen und Neonazigruppierungen Jagd auf Menschen machen können. Wir sehen, dass der Weihnachtsmarkt hier aus Sicherheitsgründen eher schließen musste. Wir sehen, dass diese Leute bei ihren Aktionen die Freiräume von Versammlungsbehörden und Polizei genießen, aber dieselben Behörden in anderen Fällen als rechtswidrig darstellen, und wir sehen, dass eben das gewaltbereite Klientel gestärkt aus diesen Freiräumen hervorgeht und mit diesen Freiräumen umgeht. Exakt das ist das Ergebnis der Gleichgültigkeit der Versammlungsbehörden.
(Zustimmung)
Es bestärkt die Radikalisierung und es ermutigt zu weitergehenden Aktionen. Es ist ein Hohn für die große Masse derjenigen, die sich jeden Tag an Infektionsschutzregeln halten. Ich verstehe doch die Irritationen und die Verwunderung mit Blick auf das Publikum und die Leute, die dort zusammenkommen. Das sind Leute, die sich zum Teil selbst als links bezeichnen. Das sind Hippies. Das sind fromme Gruppen. Das sind Leute mit Kerzen. Das sind Familien. Das sind ältere Leute. - Nein, das sind selbstverständlich nicht alles Rechtsextreme im Sinne des Definitionssystems „politisch motivierte Kriminalität“. Es ändert aber nichts daran, dass das, was sie sagen, tun und fordern, rechts und auch extrem ist. Das wird befeuert von der AfD und ihren unwahren Behauptungen, organisatorisch von rechtsextremen Gruppen getragen, über soziale Netzwerke vernetzt und aufgeheizt, ist im Inhalt radikal, wissenschaftsfeindlich, bestenfalls wirr, im Regelfall verbunden mit Antisemitismus und Holocaust-Relativierung.
Aber gerade die Mischung von Milieus und Gruppen, die sich in der Radikalisierung vereinigen und gegenseitig bestärken, zeigt doch nicht, dass sie harmlos sind. Es zeigt zuallererst, dass die bisherigen, gängigen Analysekategorien von links, rechts, extremistisch und bürgerlich nicht taugen, um zu beschreiben, was dort passiert.
(Zustimmung)
Es geht bei diesen Demos nicht um das Für und Wider von Coronamaßnahmen. Es geht um die De-stabilisierung des demokratischen Systems. Es geht um Desinformation und die Aushöhlung von Begriffen wie Faschismus und Demokratie. Exakt das ist das Kerngeschäft der Neuen Rechten. Das muss nicht allen, die sich daran beteiligen, so klar sein. Wir brauchen uns hier auch nicht gegenseitig zu fragen, ob man weiß, wer aus welcher Partei schon was gesagt hat. Wir alle können Beispiele liefern. Das kann uns aber doch nicht davon abhalten, erstens zu benennen, was dort passiert, und uns zweitens dem entgegenzustellen.
(Zustimmung)
Es ist nichts anderes als staatliches Versagen, wenn dies nicht geschieht, und es ist ein doppeltes staatliches Versagen; denn Coronaleugner sind eben nicht gleichzusetzen mit Menschen, die sich nicht impfen lassen. Laut Studien sind etwa 30 % der noch nicht geimpften Menschen aus Unsicherheit, aus Angst, aus Mangel an Information, aus Mangel an Zugängen noch nicht geimpft. Die sind erreichbar, die müssen wir erreichen. Tun wir das nicht, ist es ein doppelt staatliches Versagen.
(Zuruf: Aber mit Impfzwang erreichen Sie niemanden!)
Wir brauchen drei Dinge: einen klaren Trennungsstrich zu sogenannten Querdenkern, die konse-quente Umsetzung geltenden Rechts und eine Aufklärungs- und Impfkampagne, um diejenigen zu erreichen, die erreichbar sind. Alles andere gefährdet Demokratie und Menschenleben. - Herzlichen Dank.
(Zustimmung)
Vizepräsidentin Anne-Marie Keding:
Vielen Dank, Frau Quade. - Herr Bernstein hat eine Frage.
Jörg Bernstein (FDP):
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Liebe Kollegin Quade, wie Sie wissen, hat unsere Fraktion die Büros direkt am Dom. Ich war am Montagabend in meinem Büro, saß an meinem Schreibtisch und hörte laute Stimmen und Sprechchöre. Ich habe mein Fenster aufgemacht und ich hörte ein paar Wortfetzen, die herüberkamen. Ich hörte: „Antifaschista! Wir impfen euch alle!“. - Ich wollte nur fragen, ob das eventuell das Deeskalationsteam war.
(Lachen)
Henriette Quade (DIE LINKE):
Mit Sicherheit nicht.
Jörg Bernstein (FDP):
Eine Nachfrage. - Denken Sie, dass man auf diese Art und Weise zu einem vernünftigen Miteinander und Dialog kommt? Das ist aus meiner Sicht doch eigentlich ein Versuch, der sich dann Ich bin dann über den Platz gegangen, weil ich noch etwas im Landtag zu tun hatte. Dort bildete sich dann eine große Kette und es wehten MLPD-Fahnen mit Absperrband. Ich hatte nicht unbedingt das Gefühl, dass man versucht hat, ruhig miteinander umzugehen.
Vizepräsidentin Anne-Marie Keding:
Frau Quade, Sie haben die Möglichkeit, zu antworten.
Henriette Quade (DIE LINKE):
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Nein, ganz bestimmt nicht. Soweit ich mich mit dem Demonstrati-onsgeschehen auskenne, bei Demonstrationen ohnehin, egal, welchen Charakter sie haben, ist es erstens ein sehr, sehr schwieriges Unterfangen, zwischen Demonstration und Gegendemonstration einen Dialog herzustellen. Ich jedenfalls würde nicht darauf setzen. Zum zweiten verkennt das ja auch irgendwie den Charakter dessen, was dort passiert ist.
Es ist auch nicht die Aufgabe von Menschen, die gegen Verschwörungsideologien protestieren, die gegen Holocaust-Leugnung protestieren, die gegen gewalttätige Übergriffe auf Leute protestieren, die schlichtweg beobachten und als Fotografen agieren wollen, deeskalierend zu wirken. Deeskalierend wären eine Versammlungsbehörde und eine Polizei, die in der Lage sind, dafür zu sorgen, Lager zu trennen. Deeskalierend wäre eine Versammlungsbehörde, die in der Lage ist, dafür zu sorgen, Auflagen umzusetzen. Sie sollte vielleicht auch erst einmal Auflagen erlassen, statt sich an der Nasenspitze herumführen zu lassen und mit der Behauptung herauszureden, es sei eine Spontananmeldung, man könne überhaupt keine Auflagen machen und müsse die Leute gewähren lassen. Das würde in keinem anderen Fall so passieren.
Ich sage es Ihnen noch einmal.
Vizepräsidentin Anne-Marie Keding:
Frau Quade, ich glaube, die Frage ist jetzt hinreichend beantwortet worden. - Herr Bernstein hat noch eine Nachfrage.
Jörg Bernstein (FDP):
Unabhängig von der Tatsache inhaltlicher Art muss ich Ihnen ganz ehrlich sagen: An dem Montag war ich emotional sehr aufgewühlt. Denn ich habe hier in Magdeburg studiert und ich habe vor 32 Jahren an ähnlicher Stelle ganz ähnliche Szenen erlebt. Das hat mich sehr betroffen gemacht.
Henriette Quade (DIE LINKE):
Das kann ich gut verstehen. Mich macht das auch schwer betroffen. Wissen Sie, was mich auch betroffen macht? - Mich macht betroffen, wenn ich in Halle einen Coronaleugner mit einer Waffe in einer Versammlung herumlaufen sehe es war eine angespitzte Fahnenstange, die bei jeder anderen Versammlung ein Grund zur Intervention wäre, dort aber niemanden interessierte, was nicht geahndet und wofür keine Eingriffsschwelle gesehen wird. Auch das besorgt mich. Genau das ist es, was diejenigen, die Gewalt anwenden wollen, ermutigt, weil sie den Freiraum dafür haben. Das ist das Problem in dieser Aktuellen Debatte.
(Zustimmung)