Kerstin Eisenreich (DIE LINKE):
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Meine sehr geehrten Damen und Herren! Mehrere Vorredner*innen haben es schon gesagt: Rund 52 Millionen verkaufte 9 € -Tickets, etwa 10 Millionen Abonnentinnen und Abonnenten, die davon profitierten, die automatisch in den Genuss des vergünstigten Tickets gekommen sind - das sind schon beeindruckende Zahlen, die der VDV veröffentlicht hat.
Das 9 € -Ticket war für viele gefühlt ein durchschlagender Erfolg, auch wenn man ganz ehrlich sagen muss: Mit einer Laufzeit von Juni bis August das war überwiegend die Urlaubszeit ist der Ansatz, den Menschen im Alltag einen Anreiz zum Umstieg auf den ÖPNV zu geben, nur teilweise und bedingt zum Tragen gekommen.
(Zustimmung bei der LINKEN)
Nichtsdestotrotz gilt an dieser Stelle unser besonderer Dank den Fahrerinnen, den Zugbegleiterinnen, den Ticketverkäuferinnen und all jenen, die trotz defizitärer Bedingungen im ÖPNV mit zu wenig Personal, maroder Infrastruktur, veralteten oder defekten Fahrzeugen usw. den Andrang einigermaßen gestemmt haben und sich auch viel gefallen lassen mussten.
(Zustimmung bei der LINKEN)
Ja, auch mein Vorredner Dr. Grube hat es gerade gesagt: Trotzdem ist eine Reihe von Menschen auf den ÖPNV umgestiegen und hat ihr Auto stehen lassen. Es gab aber auch viele, die erstmals überhaupt wieder Mobilitätsangebote in Anspruch nehmen konnten, weil für sie 9 € gerade noch bezahlbar waren. Das ist nicht kleinzureden. Es war für sie nämlich auch die Chance, überhaupt wieder einmal am gesellschaftlichen Leben hier im Land teilzunehmen. Sie haben dann übrigens die Ferienzeit tatsächlich genutzt, um die Familie zu besuchen, mit den Kindern irgendwohin zu fahren und sich einmal die Gegend anzuschauen. Das sind Dinge, die sie sonst nicht tun können.
(Zustimmung bei der LINKEN)
Für viele Menschen war es außerdem eine preisgünstige Alternative zum inzwischen sehr teuer gewordenen Individualverkehr. Sie haben also einfach das Auto stehen lassen oder sind nur kurze Strecken zu Anschlussstellen des ÖPNV gefahren.
Das ist eine ganze Menge und wir wissen auch um die Defizite. Neben dem Preis war ein wichtiger Punkt natürlich auch die sehr simple Handhabe. Darauf ist Herr Gürth schon eingegangen. Dieser Dschungel, den wir mit verschiedenen Tarifverbünden, mit Zonen und was weiß ich haben, stellt anders als Frau Ministerin, die jetzt leider nicht anwesend ist, das gesagt hat, viele Menschen vor ein erhebliches Problem, eine einfache Fahrkarte zu lösen. Das muss man anerkennen. Jetzt hingegen war es so: Am Automaten leuchtet die Zahl 9 € auf, draufdrücken, Monat eingeben, bezahlen und fertig. Das war wirkliche eine simple und einfache Handhabe. Ich glaube, das müssen wir auch bei einer künftigen Gestaltung von günstigen Tickets dringend beachten.
In dem Sinne war es nicht allein der Preis, sondern eben auch die einfache Handhabung, die Menschen dazu gebracht hat, den ÖPNV zu nutzen. Zugleich - auch das ist hier schon angeklungen - war natürlich ein Preis von 9 € eine echte Entlastung für die Bürgerinnen und Bürger. Man kann sich dann noch die Berechnung der Inflation anschauen. Diese Mobilitätsentlastung hat tatsächlich zu einer kleinen Entlastung bei der Inflation beigetragen. Nun ist es aber leider so, dass es am 31. August erst einmal verstarb.
Doch bei allem Erfolg: Die zusätzliche Belastung ging auch das wurde schon genannt zu Lasten der Beschäftigten. Es war andererseits auch das ist ganz klar für die Menschen im ländlichen Raum nur mit einem begrenztem Nutzen verbunden. Denn sie haben sich tatsächlich die Frage gestellt: Ja, toll, 9-€-Ticket, aber wo bleibt denn eigentlich mein Bus? Deshalb ist die Herausforderung das müssen wir dringend ändern , das Mobilitätsangebot flächendeckend und für alle zugänglich und attraktiv auszubauen.
Wenn man allerdings zurückschaut wir diskutieren schon sehr viele Jahre über den Ausbau des ÖPNV , dann erkennt man, dass in den letzten Jahrzehnten ein massiver Rückbau passiert ist. Allein die Schienenstrecken in Sachsen-Anhalt sind seit 1994 um 660 km geschrumpft. Wir haben hier im Land immer und immer wieder die Debatte mit einem CDU-Verkehrsminister darüber geführt, dass die Regionalisierungsmittel als Investitionen in den Ausbau des ÖPNV zu stecken sind und eben nicht für andere Zwecke verwendet werden. Das muss man an der Stelle auch noch einmal wiederholen.
(Beifall bei der LINKEN)
Neben dem eigentlich notwendigen Ausbau nach Jahren des Ausdünnens und Rückbaus im ÖPNV ist natürlich auch insgesamt die Infrastruktur auf Vordermann zu bringen. Wir haben gerade wieder die Nachrichten über Schwellenprobleme gehört. Angesichts des Unfalls im Allgäu ist das offensichtlich geworden. Es geht aber natürlich auch darum, in das erforderliche Personal zu investieren. Denn ohne dieses läuft es nicht. Wir haben seit Jahren einen Mangel an Lokführern. Wir haben einen Mangel an Zugbegleiter*innen und an denjenigen, die im öffentlichen Nahverkehr, also in den Straßenbahnen, im Bus usw., arbeiten. Sie sind überlastet, weswegen auch Krankheitsstände sehr hoch sind. Daran muss sich dringend etwas ändern.
Wenn das nicht passiert das muss ich ganz ehrlich sagen , dann wird das auch mit dem Anspruch, den die Ampelkoalition in ihrem Vertrag niedergelegt hat, die Verdopplung der Fahrgastzahlen im Vergleich zu der Zeit vor der Pandemie zu erreichen, nichts. Das muss man hier wirklich noch einmal betonen.
Hinzu kommt, dass die Ampelkoalition die versprochene Erhöhung der Regionalisierungsmittel eben nicht für 2022 bereitstellt, sondern nun erst einmal wieder auf 2023 oder vielleicht noch später verschoben hat. Ich erinnere mich sehr gut daran: Verehrte Kolleginnen und Kollegen von der FDP, Sie stellen den Finanzminister im Bund. Also treten Sie ihm doch auch einmal wirklich auf die Füße. Die Verkehrsministerkonferenz der Länder hat auch genau das im Mai kritisiert. Eine Änderung hat sich bisher aber nicht ergeben. Nun ist am 31. August trotz zahlloser Forderungen nach einer Anschlusslösung das preisgünstige Mobilitätsangebot erst einmal ersatzlos ausgelaufen.
Ich kann jetzt noch einmal darauf verweisen, dass DIE LINKE im Bundestag gefordert hat, das 9-€-Ticket bis zum Jahresende weiterlaufen zu lassen, um auch tatsächlich Entlastungen zu bringen. Wir schlagen vor, anders als mit den vagen 49 € oder 59 € oder 69 € oder wie auch immer, dass dann doch tatsächlich ab 1. Januar 2023 eine Anschlussregelung z. B. mit dem Ein-Euro-Ticket bzw. umgerechnet dem 365-€-Ticket pro Jahr möglich sein sollte. Das heißt nicht - auch dazu haben wir einen Vorschlag gemacht , dass dann alle immer dieses 365-€-Ticket bezahlen müssen, sondern es sollte auch für Tages- und Wochenkarten entsprechende Angebote geben, um Menschen ohne Einkommen und mit geringem Einkommen zu entlasten bzw. dann auch Schülerinnen, Azubis, Studierende, Grundsicherungsempfänger z. B. zum Nulltarif fahren zu lassen.
Doch statt eine schnelle Anschlusslösung zu finden, windet sich inzwischen die Ampelkoalition, schiebt so ein bisschen die Verantwortung auf die Bundesländer. Es heißt: Die 1,5 Milliarden €, naja, die geben wir jetzt einmal weiter, und wenn die Bundesländer dann auch 1,5 Milliarden € bereitstellen, dann machen wir das. Das kann es nun nicht sein. Denn die Bundesländer haben bereits in den vergangenen Jahren immer und immer wieder angemeldet, dass sie Mehrbedarfe haben, die übrigens vom Bund eben nicht ausgeglichen wurden.
Die Einigkeit über die Gestaltung dieses Ticket haben wir also noch nicht gesehen, Kollegin Lüddemann. Es gibt z. B. für manche Verbünde auch Herr Dr. Grube hat es vorgerechnet tatsächlich eine Verschlechterung, wenn Sie mit 49 € oder 69 € ankommen. Für Familien ist dann schon wieder die Frage, ob sie sich das überhaupt noch leisten können. Während sie mit zwei Kindern jetzt in den Sommermonaten im Monat für 36 € unterwegs waren, sind es mit angenommenen 49 € dann schon 196 € im Monat. Das muss sich eine Familie erst einmal leisten können. Angesichts der momentanen Situation mit Preissteigerungen wird das wohl kaum möglich sein.
Es liegt also noch eine Menge im Argen, meine sehr geehrten Damen und Herren. Deshalb hat uns ein bisschen gewundert, dass die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN diese Aktuelle Debatte beantragt hat.
(Cornelia Lüddemann, GRÜNE: Am 19. September ist die Sitzung!)
So richtig Ihr Befund in der Überschrift auch ist, dass ein preisgünstiges bundesweites ÖPNV-Ticket Freiheitsgarant, Klimaschutzmaßnahme und Sicherung sozialer Teilhabe ist: Mit dem dritten Entlastungspaket ist es diesbezüglich noch nicht so weit her, besonders nicht im Bereich ÖPNV. Ich sehe noch nicht so richtig den Grund, sich hier zu feiern. - Vielen Dank.
(Beifall bei der LINKEN)