Cookies helfen uns bei der Weiterentwicklung und Bereitstellung der Webseite. Durch die Bestätigung erklären Sie sich damit einverstanden, dass Cookies gesetzt werden.

Plenarsitzung

Transkript

Tagesordnungspunkt 5

Beratung

Mehr Demokratie wagen - Auch in der Schule. Für mehr Beteiligung in Schulen

Antrag Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Drs. 8/906


Die Abg. Frau Sziborra-Seidlitz wird diesen Antrag einbringen. - Frau Sziborra-Seidlitz, bitte schön.


Susan Sziborra-Seidlitz (GRÜNE):

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren!

„Für eine wehrhafte Demokratie brauchen wir sowohl die Institutionen des Rechtsstaates als auch das vielfältige Engagement der Bürgerinnen und Bürger in unserer Gesellschaft.“

Das kommt Ihnen bekannt vor? - Das schreiben Sie, liebe Koalitionsfraktionen in Sachsen-Anhalt, in Ihrem Koalitionsvertrag. Natürlich erstaunt Sie das nun nicht: Wir GRÜNEN geben Ihnen an dieser Stelle vollkommen recht.

(Zustimmung - Zuruf)

Vollkommen bei Ihnen sind wir auch bei folgendem Satz aus dem Koalitionsvertrag:

„Ökonomische Bildung und Demokratiebildung sind essentielle Bestandteile, um die Jugend von heute angemessen auf die Herausforderungen von morgen im Rahmen eines eigenständigen und selbstbestimmten Lebens und gesellschaftlicher Teilhabe vorzubereiten.“

Mit diesen Worten in Ihrer Koalitionsvereinbarung können wir also durchaus davon ausgehen, dass die Landesregierung den Wert und die Wichtigkeit der Demokratiebildung insbesondere an den Schulen erkannt hat. Mittlerweile ist die Koalition nicht mehr ganz so frisch und die Landesregierung ist nicht mehr ganz so neu. Aber bisher lässt sich leider, möglicherweise der Dynamik der Zeit geschuldet, noch nicht viel Engagement bei diesem Thema kennen. Mit unserem Antrag wollen wir das ändern und Ihnen den notwendigen Ansporn geben, die Versprechen aus Ihrem Koalitionsvertrag nun ernsthaft anzugehen und umzusetzen.

(Zustimmung)

Schulen sind für junge Menschen ein bedeutsamer Lebensort. Sie lernen dort alle wichtigen Regeln und Maßstäbe für das Leben innerhalb unserer Gesellschaft. Sie machen erste Erfahrungen mit einer demokratisch verfassten Ordnung. Sie bekommen die notwendigen Fähigkeiten und Normen vermittelt, um unsere Gesellschaft mitzugestalten und am politischen Diskurs teilzuhaben. Den jungen Bürgerinnen und Bürgern zu vermitteln, was es bedeutet, in einer Demokratie zu leben, und in ihnen die Saat der Begeisterung für diese Demokratie zu setzen, ist die zentrale Aufgabe der Demokratiebildung an unseren Schulen. Dafür ist natürlich ein guter Sozialkundeunterricht von zentraler Bedeutung. Er vermittelt das theoretische Wissen über unser politisches System, die Wichtigkeit und die Elemente unserer Demokratie und noch vieles mehr.

Aber   das möchte ich an dieser Stelle ausdrücklich betonen   das Erleben von Demokratie, das aktive Ausüben von Teilhabe ist für das Demokratieverständnis noch sehr viel bedeutsamer als theoretisches Wissen über unser politisches System.

(Zustimmung)

Damit Schülerinnen und Schüler lernen, was es bedeutet, die Umgebung aktiv mitzugestalten und sich aktiv an Entscheidungsprozessen zu beteiligen, braucht es mehr als die bloße Theorie über die politische Struktur der Bundesrepublik Deutschland.

(Zustimmung)

Dafür braucht es die Erfahrung der Selbstwirksamkeit, des Wachsens und des Bestehens von Ideen bis hin zu Veränderungen, Projekten und Kompromissen. Dafür braucht es Gestaltungsräume, die nicht nur theoretisch sind. Es braucht begeisterte und begeisternde Demokratinnen als Role Model.

Deswegen kämpfen wir GRÜNEN mit diesem Antrag für einen Paradigmenwechsel in der Demokratiebildung an Schulen, für ein Schulsystem, in dem nicht nur die Übermittlung von theoretischem Wissen über die Demokratie im Vordergrund steht, sondern Schülerinnen und Schüler durch mehr Mitgestaltungsmöglichkeiten bereits in ihrer Schulzeit dazu ermutigt werden, sich aktiv in unserem demokratischen System zu beteiligen, in dem Mitbestimmung nicht Zugeständnis und Folklore ist, sondern gelebte Demokratie und selbstverständlicher Bestandteil von Schulalltag und Schulkultur.

Dafür müssen wir den Schülerinnen und Schülern ermöglichen, dass sie sich innerhalb ihrer Schule oder in ihrer Freizeit gesellschaftlich engagieren können, sei es im Rahmen der Schülerinnenvertretung oder im Ehrenamt in gemeinnützigen Organisationen. Demokratische Teilhabe innerhalb und außerhalb der Schule braucht vor allem eine Ressource: Zeit. Nur wer die notwendige Zeit hat, um sich gemeinnützig zu engagieren, egal ob es im Umweltschutz, in der Kultur oder bei der Betreuung von Seniorinnen ist, der lernt den hohen Stellenwert von zivilgesellschaftlichem Engagement kennen. Eine starke Demokratie gibt es eben nur mit einer starken Zivilgesellschaft.

Gleiches gilt auch für das Engagement in der Schülerinnenvertretung. Die aktive Mitarbeit und Mitgestaltung des Schulalltags durch die Schülerinnenvertretung ist ein unerlässlicher Bestandteil des Schullebens. Doch Vernetzungstreffen, Sitzungen und sonstige Termine finden nicht immer in der Freizeit, sondern auch innerhalb von Schulzeit statt. Wenn die Teilnahme an diesen dann als Fehlzeit vermerkt wird, macht das das Engagement in der Schülerinnenvertretung für viele unattraktiv.

Bisher haben Schülerinnen und Schüler keine Möglichkeit, zivilgesellschaftliche Aktivitäten oder dem Engagement in der Schülerinnenvertretung während der Schulzeit nachzugehen, ohne ihre Schulpflicht zu verletzen, Fehlzeiten zu riskieren oder sogar unentschuldigt zu fehlen. Aber die ehrenamtliche Arbeit junger Menschen in der Nachbarschaftshilfe, dem Sport, der Nachhilfe, der Feuerwehr sowie der Schülerinnenvertretung gehört nicht bestraft, sondern muss ermöglicht, gefördert und erleichtert werden. Dafür bedarf es mehr Freistellungsmöglichkeiten für Schülerinnen und Schüler.

(Zustimmung)

Neben diesen Freistellungsmöglichkeiten müssen auch die Rechte und Gestaltungsmöglichkeiten der Schülerinnenvertretung auf allen Ebenen gestärkt werden. Dazu gehört, dass die Schülerinnenvertretungen nicht nur eine beratende Funktion bei grundsätzlichen Fragen der Schulorganisation haben, sondern dass diese auch bei allen Fragen, die sie und ihren Schulalltag betreffen, aktiv mitgestalten können. Außerdem müssen Gemeinde-, Stadt- und Kreisschülerinnenräte die explizite Möglichkeit haben, Beschlüsse zu fassen, die es verbindlich auf die Tagesordnung der jeweiligen kommunalen Bildungsausschüsse schaffen. Denn Demokratie bedeutet eben nicht nur, gehört zu werden, sondern auch, auf Prozesse durch die eigene Stimme direkten Einfluss nehmen zu können. In der Schule und in der Schülerinnenvertretung müssen junge Menschen erfahren können, dass sich demokratisches Engagement lohnt.

(Zustimmung)

Das stärkt nicht nur ihren Willen, später an politischen Entscheidungsprozessen mitzuwirken, sondern macht Demokratie schon vor dem Erreichen des Wahlalters erlebbar und attraktiv.

Übrigens sollten sich nicht nur kommunale Bildungsausschüsse mit den Anliegen und den Beschlüssen der Schülerinnenvertretung befassen. Wie wichtig die Positionen und Interessen der Schülerinnenvertretung auch für die Landespolitik sind oder wohl eher sein sollten, hat uns allen nicht zuletzt die Coronapandemie eindrücklich vor Augen geführt. Denn die Pandemie hat vor allem eines verdeutlicht: Die Interessen, Probleme, Sorgen und Nöte der Schülerinnen und Schüler stehen eben nicht immer im Fokus der Bildungspolitik - weder in unserem Bundesland noch im Rest der Bundesrepublik. Wie kann es denn sonst sein, dass der Landesschülerrat Sachsen-Anhalts und Schülerinnenvertretungen bundesweit die Aussetzung der Präsenzpflicht, die Umsetzung der S3-Leitlinien und die Anschaffung von Luftfiltern usw. forderten, aber die jeweiligen Bildungsministerinnen dies in den meisten Fällen komplett ignorierten? - Eben weil sich die Bildungsminister genau darauf geeinigt hatten.

(Ministerin Eva Feußner: Unser Landesschülerrat hat das nicht gefordert! - Zuruf: Wenn es nach den GRÜNEN geht, würden wir jetzt doch im Lockdown sitzen! Oder schon wieder!)

- Es gab auch bei uns Schülerinnenvertretungen, die das gefordert haben. Es war an dieser Stelle völlig egal.

Damit sich solche Situationen nicht wiederholen und die Interessen der Schülerinnen und Schüler wahrgenommen und ernst genommen werden, setzen wir uns dafür ein, dem Landesschülerrat ein stärkeres Gehör zu verschaffen,

(Zustimmung)

indem er mindestens einmal im Jahr in den Bildungsausschuss eingeladen wird. Als höchste Schülerinnenvertretung dieses Landes muss der Landesschülerrat die Möglichkeit haben, seine Vorschläge direkt und regelmäßig in den Fachausschuss tragen zu können. So können wir den Schülerinnen und Schülern unseres Landes zeigen, dass ihre demokratische Willensbildung auch Einfluss auf die Bildungspolitik in Sachsen-Anhalt nehmen kann.

(Zustimmung)

Dass Schule insgesamt partizipativ und demokratisch gestaltet werden kann, beweist das rheinland-pfälzische Schulnetzwerk „Modellschulen für Partizipation und Demokratie“. Schulen, die Teil dieses Projektes sind, ermöglichen Schülerinnen und Schülern nicht nur, sich aktiv bei der Gestaltung des Unterrichts und von Lernprozessen zu beteiligen. Sie beteiligen sich auch im Rahmen von Klassenräten, Schülerinnenparlamenten, in der Schülerinnenvertretung oder im Schulforum und können dort ihre Meinung und ihre Anliegen vortragen und damit die Schule anhand ihrer Bedürfnisse gestalten.

Die jungen Menschen lernen so, dass sie aktiv demokratische Entscheidungsprozesse mitgestalten können. Gleichzeitig erwerben die Schülerinnen und Schüler über Kompetenztrainings in den Modellschulen das nötige Handwerkszeug, um sich am demokratischen Zusammenleben beteiligen zu können. Wir GRÜNEN sind der Überzeugung, dass solche Ideen auch in Sachsen-Anhalt sinnvoll und erfolgversprechend sind. Deshalb schlagen wir die Implementierung eines Schulnetzwerkes nach rheinland-pfälzischem Vorbild vor, welches es den Schulen ermöglicht, freiwillig neue Wege der Demokratiebildung für Schülerinnen und Schüler zu gehen.

(Unruhe)

Last, but not least möchte ich zu der zentralen und tiefgreifendsten Forderung in unserem Antrag kommen. Wir wollen in den Schulkonferenzen in Sachsen-Anhalt    

(Unruhe - Zuruf: Es ist sehr laut! - Cornelia Lüddemann, GRÜNE: Mach mal eine Pause!)


Vizepräsidentin Anne-Marie Keding:

Frau Sziborra-Seidlitz, Sie reden jetzt viel über Demokratie und dass diese auch Zuhören sowie das Erfahren von Selbstwirksamkeit bedeutet. - Ich möchte auch dem Plenum anempfehlen, etwas mehr Ruhe einkehren zu lassen, um den Ausführungen der Rednerin zuhören zu können.

(Zustimmung)


Susan Sziborra-Seidlitz (GRÜNE):

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Wir wollen in den Schulkonferenzen in Sachsen-Anhalt die Drittelparität-Plus einführen.

(Zustimmung)

Hierbei geht es um die gleichberechtigte Teilhabe an der Schulkonferenz von Eltern, Schülerinnen und Schülern, Lehrerinnen und Lehrern sowie um die Mitwirkung der sonstigen Angestellten. Dafür fordern wir die Landesregierung auf, das Schulgesetz so anzupassen, das Vertreterinnen und Vertreter der Eltern sowie die Schülerinnenvertretung in jeweils der gleichen Anzahl wie die Lehrkräfte und die Schulleitung in der Gesamtkonferenz vertreten sind. Mit dem „Plus“ in der Drittelparität-Plus meinen wir übrigens explizit, dass das weitere Schulpersonal, also z. B. pädagogische Mitarbeiterinnen, Schulsozialarbeiter oder auch Vertretungslehrkräfte ihre Anliegen in der Schulkonferenz vortragen und sich bei Entscheidungen, die einen direkten Einfluss auf ihre Arbeit haben, beteiligen können.

Die Einführung der Drittelparität-Plus würde endlich die derzeitige Ungleichbehandlung in der Schulgesamtkonferenz aufgrund der bisherigen Viertelparität beenden. Denn bisher haben die Lehrkräfte und die Schulleitung ein Übergewicht in der Schulkonferenz. Meist vertreten sie aber das gleiche Interesse. Damit können Sie regelmäßig die Gruppe der Eltern und der Schülerinnen und Schüler gemeinsam überstimmen. Die Drittelparität-Plus hingegen sorgt für mehr Fairness und für mehr Gleichberechtigung. Sie stärkt das Stimmgewicht von Schülerinnen und Schülern sowie von den Erziehungsberechtigten und beteiligt auch das Schulpersonal an der Gesamtkonferenz, das bisher nur wenig Mitspracherecht hatte. Das Schulleben kann auf diese Weise insgesamt demokratischer und partizipativer gestaltet werden.

Sehr geehrte Abgeordnete der Koalitionsfraktionen! Sehr geehrten Landesregierung! Mit unserem Antrag möchten wir Ihnen quasi als Service-Opposition den notwendigen Anstoß geben,

(Zustimmung)

damit Sie den Worten in Ihrem Koalitionsvertrag jetzt auch Taten folgen lassen. Denn Demokratin- und Demokrat-Sein will gelernt sein. Das beginnt bereits in der Schule. Setzen Sie sich mit uns Bündnisgrünen gemeinsam für ein modernes Schulsystem ein, in dem jungen Menschen    

(Unruhe)


Vizepräsidentin Anne-Marie Keding:

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Lassen Sie doch Frau Sziborra-Seidlitz diesen Antrag zu Ende einbringen.

(Unruhe - Zuruf: Denn will einfach keiner hören!)


Susan Sziborra-Seidlitz (GRÜNE):

Setzen wir uns doch gemeinsam für ein modernes Schulsystem ein, in dem die jungen Menschen in unserem Bundesland lernen, was es bedeutet, in einer demokratischen Gesellschaft zu leben, was es bedeutet, ernst genommen zu werden, und was es bedeutet, in der Demokratie selbstwirksam zu sein. Wir bitten um Zustimmung zu unserem Antrag.- Vielen Dank.

(Zustimmung)