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Plenarsitzung

Transkript

Tagesordnungspunkt 8

Beratung

Landesabwehrschirm gegen die Energiepreiskrise für Entlastung und Transformation

Antrag Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Drs. 8/1708


Einbringen wird den Antrag Herr Meister. Es wurde eine Fünfminutendebatte verabredet. - Herr Meister, bitte schön.


Olaf Meister (GRÜNE):

Danke, Frau Präsidentin. - Sehr geehrte Damen und Herren! Die aktuelle Situation fordert uns in einer Weise heraus, wie wir es, wenn überhaupt, seit Langem nicht erlebt haben, in einer Intensität, wie wir sie nicht für möglich gehalten hätten.

Klassische ernste Probleme wie der Strukturwandel, der Fachkräftemangel etc. wirken fast schon beschaulich im Verhältnis zu den multiplen Krisen, die unsere Gesellschaft schütteln. Gerade noch beherrschen uns die Auswirkungen der Pandemie mit ihren Opfern, aber auch mit den gesellschaftlichen Auseinandersetzungen sowie wirtschaftlichen und fiskalischen Auswirkungen. Das würde als Belastung irgendwie für Jahrzehnte reichen. Der Satz lautete immer so nach dem Motto: Na ja, länger machen wir das jetzt aber nicht mehr.

Bevor wir dies aber auch nur halbwegs bewältigt haben, ist nun Krieg in Europa. Zehntausende Menschen sind in den letzten sieben Monaten in unserer Nachbarschaft gestorben, weil in Russland aggressiver Nationalismus dazu führt, dass sich das größte Land Europas nicht mehr an den zivilisatorischen Grundkonsens hält und brutal angreift, Menschen ermordet und vertreibt, Städte und Dörfer zerstört, nur um den Machtanspruch der eigenen diktatorischen Führung auszudehnen.

Wir stehen fassungslos vor der Barbarei und müssen innerhalb kurzer Zeit schwerwiegendste und weitreichende Entscheidungen treffen. Wir liefern Waffen, um den Opfern beizustehen, um die Ukraine in die Lage zu versetzen, ihr Recht auf Selbstverteidigung wahrzunehmen und die auf der Unverletzlichkeit der Grenzen beruhende europäische Friedensordnung zu verteidigen.

Wir nehmen Flüchtlinge auf, unterstützen die Wirtschafts- und Sozialsysteme des Opfers und organisieren in rasender Geschwindigkeit die Umstellung unserer Energieversorgung, der Grundlage der Volkswirtschaft, weil überdeutlich wird, dass in der jüngsten Vergangenheit gravierende Fehler gemacht wurden.

(Zustimmung von Sebastian Striegel, GRÜNE)

Im Verhältnis zu der Situation der Menschen in der Ukraine wirken unsere Probleme geradezu noch überschaubar. Sie erfordern trotzdem unsere volle Anstrengung.

Die Sicherung einer bezahlbaren Energieversorgung, des sozialen Zusammenhalts unserer Gesellschaft, der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit, der Reaktion auf Inflation und der Neuausrichtung der Außen- und Sicherheitspolitik - die Aufgaben haben eine Komplexität erreicht, die wir uns noch vor einem Jahr nicht vorstellen konnten.

Wir stehen mit unseren begrenzten Mitteln vor einer Situation multipler Krisen. Das Klima etc. habe ich jetzt noch gar nicht erwähnt. Nur weil gerade anderes krasse Schlagzeilen macht, sind die alten Probleme eigentlich nicht weg.

(Zustimmung bei den GRÜNEN)

Nun gilt es aber, die Zukunft eben nicht in dunklen Farben zu zeichnen, sondern beherzt und mit Bewusstsein für die Verantwortung die Krisen zu lösen. Dabei muss man auch über Schatten springen und bereit sein, ungewohnte Wege zu gehen. Wenn man aktuell nach Berlin blickt, wo der Doppelwumms   das Wort war gestern schon häufiger in aller Munde und kritisch in seiner Gestaltung   mühsam Gestalt annimmt, dann kommt man nicht umhin zu sagen: Leute, ihr seid wirklich spät dran.

Keine Frage, es wurden durchaus schwere Entlastungspakete auf den Weg gebracht. Auch besteht offensichtlich bei allen in der Ampelkoalition, aber auch der demokratischen Opposition die Bereitschaft, in finanziell unbekanntem Ausmaß letztlich in den Zusammenhalt unserer Gesellschaft zu investieren. Aber uns läuft die Zeit davon.

Ich könnte jetzt in regionaler Umsetzung der bundespolitischen Auseinandersetzungen innerhalb der dortigen Koalition oder mit der dortigen Opposition eine Weile verbal über einzelne Minister oder Politikerinnen herfallen und mehr oder weniger weise Dinge dazu sagen. Das macht auch immer wieder Freude, wird aber letztlich weder der Situation gerecht, noch hilft es weiter.

(Zustimmung bei den GRÜNEN)

Die Tatsache, dass der Winter unmittelbar vor der Tür steht, die Details des großen Hilfspakets aber noch nicht feststehen, erschwert uns die Reaktion auf die Situation. Ich gehe aktuell fest davon aus, dass das von der Bundesseite angekündigte weitere Hilfspaket mit Preisdeckel etc. kommt und schon angesichts seiner schieren Größe auch ganz beachtliche Folgen zeigen wird, sowohl bei den von stark steigenden Energiepreisen betroffenen Menschen als auch bei der Wirtschaft, vom kleinen Handwerksbetrieb bis hin zum großen Chemie- oder Stahlunternehmen.

Der Ehrlichkeit halber muss man allerdings schon jetzt auf Folgendes hinweisen: Die eingetretene Situation insbesondere eines Angriffskrieges des größten Landes auf das zweitgrößte Land Europas geht mit ernsten Einschränkungen und Wohlstandsverlusten einher, die nicht auf das Kriegsgebiet beschränkt bleiben werden. Kein Hilfspaket wird in der Lage sein, diese Folgen gänzlich zu neutralisieren.

(Dr. Jan Moldenhauer, AfD: Das ist ja das Problem!)

Die Hilfen werden die Folgen abfedern und gerechter verteilen, sie können sie aber nicht aufheben. Wir zahlen die Hilfen unter Einbeziehung der nächsten Generation letztlich selbst. Schon jetzt ist es auch absehbar, dass es nicht allein Sache des Bundes sein wird, Hilfen zu leisten. Es wird das Erfordernis geben, auch mit Landesmitteln einzugreifen, sei es, weil bestimmte Bereiche von der Bundeshilfe nicht erfasst werden oder im Lande spezifische Probleme auftreten. Dafür müssen wir Vorsorge treffen. Das will der vorliegende Antrag anstoßen.

(Zustimmung bei den GRÜNEN)

Es ist aktuell schwer einzuschätzen, welche Mittel in welcher Höhe in welchem Bereich erforderlich werden. Wir wissen noch nicht genau, wie die Bundeshilfen tatsächlich ausgestaltet werden und wie sie wirken werden. Aber wir wissen natürlich auch nicht, wie sich die Situation weiterentwickelt. Trotzdem halte ich es für grundlegend falsch, weiterhin einfach abzuwarten. Obwohl die Anforderung dem Grunde nach klar ist, gibt es keine Vorsorge in dem vom Kabinett gerade verabschiedeten Haushaltsplanentwurf des Landes.

Der Landesfinanzminister äußerte sich am Dienstag dahin gehend, dass erst abgewartet werden müsse, wie der Bund seine Maßnahmen umsetze und wer davon profitiere. Das, meine ich, wäre zu spät. Ich teile die Kritik am zeitlich späten Handeln des Bundes ausdrücklich. Die grundsätzlichen Problemlagen sind aber klar. Mit den eigenen Maßnahmen hinterherzutrödeln, wäre schlecht.

Wir wissen, wie aufwändig die organisatorischen Abläufe sind, wenn dann schnell gehandelt werden muss. Die Mittel müssen bereitgestellt sowie Hilfsprogramme aufgesetzt und programmiert werden. Anträge müssen bearbeitet und entschieden sowie letztlich Gelder ausgezahlt werden. Wir haben dazu in der Coronakrise Erfahrungen gesammelt. Wir waren damals auch schnell mit der Aufsetzung. Die tatsächliche Abarbeitung, also die Auszahlung der Hilfen an die Einzelnen, war langwierig. Das muss uns bewusst sein.

Diese Arbeiten müssen jetzt angegangen werden, wenn wir nicht zu spät sein wollen. Das Feintuning muss dann ohnehin je nach Situation erfolgen. Wir gehen in unserem Antrag von einem nötigen Finanzvolumen von 500 Millionen € aus. Die Zahl ist dabei, bedingt durch die eben genannten Unsicherheiten, eine grobe Schätzung. Es kann sein, dass wir nicht so viel brauchen. Aber es ist leider auch denkbar und vermutlich wahrscheinlicher, dass das am Ende nicht reichen wird. Das Land Brandenburg hat einen entsprechenden Schirm gerade mit 2 Milliarden € ausgestattet, um einmal den Vergleich mit der Nachbarschaft zu bilden.

Bei der Finanzierung ist völlig klar, dass wir diese große Summe nicht aus dem Haushalt werden herausquetschen können und dass mit landespolitischen Mitteln auch keine schnellen Mehreinnahmen in dieser Höhe erreichbar sind. Damit bleibt nur eine Schuldenfinanzierung, wobei wir die Voraussetzungen für die Aussetzung der Schuldenbremse für sicher gegeben halten.

Wir schlagen allerdings vor, nicht zwingend neue Schulden aufzunehmen, sondern die nicht verbrauchten Rückflüsse aus dem Coronasondervermögen, was seinerseits allerdings auch schuldenfinanziert war, zu nutzen.

(Zustimmung von Sebastian Striegel, GRÜNE)

Das Sondervermögen war ziemlich üppig finanziert und wird in nennenswerten Teilen nicht abfließen. Eine Umwidmung dieser Mittel erfordert allerdings eine entsprechende Gesetzesänderung, die wir zügig auf den Weg bringen müssen. Insbesondere wird die Erklärung der außergewöhnlichen Notlage nach § 18 Abs. 5 der Landeshaushaltsordnung erforderlich sein. Das Land Brandenburg hat diesen Weg gerade eingeschlagen.

Auch wenn wir noch nicht genau wissen, wie die einzelnen Förderungen ausgestaltet werden müssen, können wir zentrale Parameter schon jetzt benennen. Die Mittel unseres Schirms sollen nachrangig zu den Bundesmitteln sein, also nur dort wirken, wo es keine anderen Hilfen gibt. Angesichts der kolossal unterschiedlichen Leistungsfähigkeiten kann dies auch nicht anders sein.

Auch die Zielrichtung der Hilfen ist klar. Im Blick haben wir zunächst Einrichtungen der Daseinsvorsorge, die durch Entwicklungen der Energiepreise oder Auswirkungen der Inflation in Gefahr geraten. Das können z. B. kommunale Energieversorger, Kliniken   dort gibt es, meine ich, aktuell eine besonders prekäre Lage  , Hochschulen oder Wohnungsbaugesellschaften sein.

(Zustimmung von Sebastian Striegel, GRÜNE, und von Susan Sziborra-Seidlitz, GRÜNE)

Weitere Zielgruppen sind Wirtschaftsunternehmen im Land, die zwar an sich gesund aufgestellt waren, durch die Lage nun aber in Bedrängnis geraten. Hilfsmöglichkeiten sollen auch für Vereine, Verbände und sonstige zivilgesellschaftliche Gruppen eröffnet werden. Auch sehen wir Härtefallmöglichkeiten für private Personen vor. Welche Gruppe in welcher Weise von Hilfen profitiert, muss sich aus der eintretenden Lage ergeben. Aktuell würden wir vorschlagen, administriert durch unsere Investitionsbank für die unterschiedlichen Gruppen jeweils passende Instrumente vorzubereiten. Die Hilfen sollten als Kredite, wo nötig jedoch auch als Zuschüsse ausgereicht werden können.

Ich glaube nicht, dass man ernsthaft die Notwendigkeit des Einsatzes von Landesmitteln bestreiten kann. Diese sollten natürlich zielgerichtet, vor allem aber auch zur richtigen Zeit erfolgen. Daher sind jetzt nötige Schritte zu gehen. Lassen Sie uns das Nötige auf den Weg bringen. Ich bitte um Zustimmung zu unserem Antrag.

(Zustimmung von Sebastian Striegel, GRÜNE)

Vizepräsidentin Anne-Marie Keding:

Herr Meister, vielen Dank für die Einbringung. - Für die Landesregierung spricht Herr Minister Schulze in Vertretung des Finanzministers Herrn Richter. - Herr Schulze, bitte.

Ach, Herr Gallert. Entschuldigung!

(Minister Sven Schulze: Jetzt stehe ich schon hier!)

Herr Gallert.


Wulf Gallert (DIE LINKE):

Herr Meister, Folgendes: Wir hatten gestern bereits in der Fragestunde die Debatte mit dem Ministerpräsidenten. Im Wesentlichen, glaube ich, stimmen wir schon darin überein, dass wir auf der Landesebene die Dinge regeln müssen, die auf der Bundesebene nicht geregelt werden. Unser großes Problem ist zurzeit, dass wir nicht wissen, welche Dinge überhaupt und wie sie auf der Bundesebene geregelt werden sollen. Deswegen sagen Sie auch „nachrangig“.

Jetzt gibt es mehrere Möglichkeiten. Man kann sagen, dass man einen Härtefallfonds mit 10 Millionen €, 20 Millionen € oder 30 Millionen € braucht, um ein paar Lücken auszufüllen. Sie reden aber von einer halben Milliarde Euro. Kann ich daraus schlussfolgern, dass Ihre Erwartungshaltung gegenüber den Regelungen durch die Ampel-Bundesregierung so ist, dass es riesige Lücken geben wird, die wir auszufüllen haben?


Vizepräsidentin Anne-Marie Keding:

Herr Meister, bitte.


Olaf Meister (GRÜNE):

Ich halte die Situation für so dramatisch, dass es auch wirklich dramatische Auswirkungen geben wird, bei denen man mit 10 Millionen € oder 20 Millionen € nicht auskommen wird. Das wäre für einen Härtefallfonds, mit dem man jetzt bspw. den einzelnen Bürgerinnen helfen will, eine ausreichende Summe. Das wird, meine ich, nicht reichen.

Ich habe das Beispiel der Kliniken angesprochen und wie dort die aktuelle Lage ist. Ich meine nicht, dass man über eine solche Größenordnung redet. Die Größenordnung, die Sie nannten, würde man auch mit dem ganz normalen Haushalt noch irgendwie hinbekommen. Das halte ich für unrealistisch. Wir müssen über deutlich größere Werte reden. Die halbe Milliarde Euro war jetzt bei uns die Vorstellung aus einer längeren Diskussion. Ich meine, das ist tatsächlich ein realistischer Ansatz.

Wenn man einmal auf andere Bundesländer schaut, die Ähnliches vorbereitet haben oder auf dem Weg haben, dann sieht man, dass die in einer solchen Größenordnung unterwegs sind oder, wie bei meinem Beispiel Brandenburg, sogar noch deutlich darüber hinausgehen. Die kommen bei Kofinanzierung und eigenen Geschichten auf insgesamt 2 Milliarden €. Ich hoffe, dass es nicht ganz so schlimm ist. Es ist jetzt aber nicht mit Kleckern getan, sondern es muss tatsächlich vorbereitet werden, dass wir auf breiter Front helfen können. Das ist die Situation.