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Plenarsitzung

Transkript

Kathrin Tarricone (FDP):

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Zunächst möchte ich die GRÜNEN dazu beglückwünsche, dass sie mit dem Titel dieser Aktuellen Debatte unterstreichen, dass Mobilität ein Freiheitsthema ist. Das ist nämlich genau der Punkt. Deswegen erlaube ich mir, Sie zu gegebener Zeit an diese Erkenntnis zu erinnern, und zwar dann, wenn es wieder einmal darum geht, Mobilität, die Ihnen aus irgendeinem Grund nicht passt, zu rationieren

(Zuruf von Sebastian Striegel, GRÜNE)

  man denke etwa an Urlaubsflüge   oder zu verbieten   etwa wenn es darum geht, wo und wie Autofahrer gefälligst nicht mehr unterwegs zu sein haben.

(Zustimmung bei der FDP und von Stefan Ruland, CDU - Zuruf von Cornelia Lüddemann, GRÜNE)

Bevor es Ihrerseits Empörung gibt: Ich will hier nicht auf Detailfragen der Straßenverkehrsordnung hinaus, sondern auf eine Grundintention, nämlich die, den Autofahrern das Autofahren möglichst zu verleiden.

(Zuruf von den GRÜNEN: Das ist Quatsch!)

- Nein, das ist kein Quatsch. Das haben wir in der Diskussion jetzt schon hören dürfen.

(Zuruf von Sebastian Striegel, GRÜNE)

Nun aber zum eigentlichen Thema, zu dem 9-€-Ticket und einer Nachfolgeregelung. - Ja, das Ticket war ein Erfolg, weil es ausgesprochen günstig war und weil es die ganzen Unannehmlichkeiten und Absurditäten des ÖPNV-Tarifdschungels umging. Das haben wir schon von meinen Vorrednern gehört, zuletzt von Frau Eisenreich. Die Züge waren auch in Sachsen-Anhalt manchmal überlastet, meist aber einfach besser ausgelastet. Familien konnten Ausflüge machen, auf die sie sonst verzichtet hätten.

Viele Pendler haben möglicherweise auch Geld gespart. Sogar der eine oder andere eingefleischte Autofahrer soll einmal ausprobiert haben, ob Bus und Bahn nicht doch eine gute Variante sind. Es wurde wohl sogar die Inflation etwas gedämpft, was ja der eigentliche Zweck der Idee war. Wie vermutlich bei allen Flatrates wurde das Angebot auch öfter genutzt, weil die Flatrate nun einmal da war. Unter Effizienzgesichtspunkten ist das ein Problem, aber letztlich ist es auch ein Ausdruck von Freiheit, einen solchen Anreiz zu nutzen.

Ein Freiheitsgarant war das Ticket hingegen nicht. In dem Punkt muss ich den Titel der Aktuellen Debatte verneinen. Vielen Menschen im ländlichen Raum garantierte das 9-€-Ticket überhaupt nichts. Eine ÖPNV-Verbindung, die für die eigenen Bedürfnisse unpraktisch ist, wird dadurch nicht besser, dass sie ausgesprochen billig ist.

(Zustimmung bei der FDP)

Genau dieser Umstand wurde vielen Menschen im Land in den vergangenen drei Monaten immer wieder vor Augen geführt. Das Angebot muss stimmen. Das hat das 9-€-Ticket noch einmal gezeigt. Dort, wo das Angebot halbwegs stimmt, spielt der Preis dann durchaus eine Rolle. Das macht eine Fortsetzung zwar nicht zwingend, aber überlegenswert.

Dass in diesem Zusammenhang erst einmal das unübersichtliche Dickicht aus Tarifzonen offenbar doch mit einem Schlag gelichtet werden kann, stimmt jedenfalls optimistisch, insbesondere weil der Vorschlag für ein bundesweites 69-€-Ticket von den im VDV organisierten Verkehrsbetrieben selbst gekommen ist. Warum sollte dann nicht auch ein Deutschlandtarif möglich sein, mit dem Verbindungen auch über Verbundgrenzen hinweg durchgebucht werden können? - Überzeugt bin ich aber auch vom 49- oder 69-€-Ticket noch nicht. Klar ist: Einen kostenlosen Nahverkehr gibt es nicht. Irgendjemand muss ihn bezahlen. Es fallen ja Kosten an.

(Zuruf)

- Na ja, aber wir reden doch darüber. Es ist doch immer überall von kostenlos die Rede.

(Eva von Angern, DIE LINKE: Nein, ticketfrei!)

- Genau. Das ist ja aber    

(Eva von Angern, DIE LINKE: Ticketfrei ist nicht kostenlos!)

- Haben Sie einmal hingehört? In den Diskussionen wird von kostenlosem ÖPNV gesprochen.

(Zuruf von Eva von Angern, DIE LINKE)

- Nein, ich habe Sie gar nicht angesprochen.

(Eva von Angern, DIE LINKE: Aber Sie haben zu uns geguckt!)

- Nein! Ich gucke Sie gern einmal an. - Das Thema „kostenlos“ müssen wir einfach einmal aus unserem Kopf ausbuchen und die Realität ansprechen.

Im ÖPNV insgesamt finanzierten im Jahr 2018 die Fahrgelderlöse 41 % der Gesamtkosten. Im Schienenpersonennahverkehr waren es 28 %. Den Großteil der Kosten tragen schon jetzt in irgendeiner Form die Steuerzahler. Grundsätzlich ist das auch in Ordnung; denn es ist von Vorteil, wenn viele Menschen mit dem ÖPNV mobil sind, etwa um zur Arbeit zu kommen und dort auch für Steuereinkommen zu sorgen.

Ein weiteres Zurückdrängen der Nutzerfinanzierung sollte aber gut überlegt werden, und das schon aus einer grundsätzlichen Erwägung heraus. Wenn die Fahrgäste den Verkehrsunternehmen nicht mehr als Kunden gegenüberstehen, sondern als Empfänger einer staatlichen Leistung, hat das irgendwann Auswirkungen. Wir brauchen die kritischen Kunden für die Qualität des Angebots.

(Hendrik Lange, DIE LINKE: Ach, du meine Güte!)

- Das überrascht Sie jetzt, oder was?

(Zuruf von Hendrik Lange, DIE LINKE)

- Uns überrascht es nicht. - Die Nutznießer zusätzlich subventionierter Tickets wären wie beim 9-€-Ticket sehr ungleichmäßig verteilt. Profitieren würden in erster Linie die Nutzer in den großen Städten und im näheren Umland. Wer täglich zwischen Halle und Leipzig pendelt, der ist bereit, für ein Abo 180 € zu bezahlen. Dafür bekommt man dann drei S-Bahnen pro Stunde, manchmal freilich auch sehr gut gefüllte. In kleineren Städten wäre die Ersparnis minimal.

Dass sich hinsichtlich eines 9-€-Nachfolgetickets nach wie vor kritisch bin, liegt womöglich auch daran, dass es mir in meinem Dorf schwerfallen würde, überhaupt irgendjemandem zu erklären, was er oder sie davon hätte. Ich lasse mich aber von guten Konzepten überzeugen, insbesondere wenn sie das Angebot im ländlichen Raum verbessern. Sollten hingegen ÖPNV-Angebote sogar eingeschränkt werden müssen, weil die Mittel benötigt werden, um Tickets anderswo stärker zu subventionieren, dann wäre das gänzlich inakzeptabel.

Ich habe jetzt noch eine sehr große Bitte. Es sind hier von verschiedenen Rednern gute Ansätze, Denkanstöße gekommen. Die Ministerin hat ihre kritische, aber positive Haltung im Prinzip dargelegt, den ÖPNV so auszubauen, dass er attraktiv wird. Das ist er jetzt nicht.

Jetzt habe ich eine Bitte: Bitte fallen wir raus aus dem Sommermärchen und kommen in der Realität, in der Lebensrealität von vielen, vielen Menschen an. Dann kommen wir zusammen ein ganzes Stück weiter. - Danke schön.

(Beifall bei der FDP - Zustimmung bei der CDU)


Vizepräsidentin Anne-Marie Keding:

Vielen Dank, Frau Tarricone. - Damit sind wir am Ende der Aktuellen Debatte angelangt.