Cornelia Lüddemann (GRÜNE):
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete! Die Debatte zur Fortschrittskoalition in Berlin fällt in unmittelbare zeitliche Nähe zu der üblichen Hunderttagebilanz hier im Land. Am 25. Dezember wäre es so weit. Wenn man sich beide Regierungskonstellationen und die dazugehörigen Regierungsprogramme ansieht, dann werden die Unterschiede sehr, sehr offensichtlich.
(Zuruf)
Ich habe es schon mehrfach gesagt und ich habe es auch schon in diesem Hohen Hause gesagt: Hier im Land haben wir eine Konstellation, die an Unkonkretheit kaum zu überbieten ist,
(Zustimmung - Zurufe: Oh!)
die die großen Herausforderungen der Zeit neben der Coronapandemie ist das die Klimakrise nicht annimmt und die im Gegenteil Ergebnisse noch zurückführen will. Dabei haben wir in diesem Lande schon 24 000 Arbeitsplätze im Bereich der erneuerbaren Energien und nur noch 2 000 im Bereich der Kohle. In diesem Punkt bin ich bei Ihnen, Herr Silbersack: Die werden wir gut transformieren können,
(Zustimmung)
aber nicht mit der Ambitionslosigkeit der hiesigen Regierung, sondern mit dem Esprit der Konstellation in Berlin.
(Zustimmung)
Denn in Berlin werden die neuen gesellschaftlichen Realitäten nicht nur anerkannt, sondern es werden klare Zielstellungen sowie ein klarer Rahmen formuliert und dieser wird mit Mut zur Veränderung angegangen.
Es wird spannend sein zu sehen, wie die beiden Fraktionen respektive Parteien, die sowohl hier in Magdeburg als auch in Berlin regierungstragend sind, den Spagat aushalten werden zwischen diesem Berliner Weg des Aufbruchs und diesem langsamen, vor sich hin paddelnden Magdeburger Weg der Unverbindlichkeit.
(Zustimmung)
Als echten Fortschritt empfinde ich, dass in Berlin drei Partner auf Augenhöhe in Anerkennung der gegenseitigen Unterschiede die großen Herausforderungen unserer Zeit wirklich angehen und eben nicht nur verbal beschreiben. Ich will gerade bei der Digitalisierung zuerkennen, dass die Beschreibung richtig ist; ich sehe aber nicht, dass sie wirklich angegangen wird. Im Unterschied zu Berlin hatte diese Regierung schon fast 100 Tage Zeit, das zu tun.
In Berlin werden die Realitäten weiterentwickelt, Fortschritt generiert und Lösungen präsentiert. Was ich wirklich gut finde, ist der Geist, von dem die Berliner Koalition getragen wird. Dieser Geist, diese jetzt als neu bezeichneten gesellschaftlichen Realitäten sind nicht wirklich neu. Sie sind in den letzten 16 Merkel-Jahren vom Mehltau zugeschüttet worden und werden jetzt an das Licht der bundesdeutschen Öffentlichkeit geholt.
(Zustimmung)
Exemplarisch dafür steht der § 219a. Er wird abgeschafft und es ist keine Diskussion darüber nötig.
(Zustimmung)
Exemplarisch steht dafür, dass junge Menschen in diesem Land mehr mitbestimmen können. Das Wahlalter wird auf 16 Jahre abgesenkt. Die Bürgerinnen und Bürger werden nicht mehr nur alle vier Jahre gefragt, was sie in diesem Land mitbestimmen wollen,
(Unruhe)
- Sind Sie interessiert an dem, was ich sagen will? - sondern über Bürgerräte wird auch zwischendurch die Expertise der Menschen eingeholt. In Anerkennung der Individualität des Einzelnen wird es ihnen ermöglicht, sich frei zu entfalten. Davon haben alle etwas, auch die Menschen in Sachsen-Anhalt. Das gilt ganz besonders für die Kinder in diesem Land. 14 % der Kinder sind in Hartz-IV-Bezug. Jedes vierte Kind ist von Armut bedroht. Diese Kinder werden ganz konkret von der Kindergrundsicherung profitieren. Sie werden als Kinder erleben, dass sie gleich viel wert sind, wie alle anderen Kinder auch. Das ist ein echter Fortschritt in diesem Land.
(Zustimmung)
Es wird weitergehen mit dem Bürgergeld. Hartz IV ist nicht so weiterentwickelt worden, wie wir GRÜNE uns das vorgestellt haben. Das ist richtig, Kollegin von Angern. Es ist aber ein deutlicher Fortschritt, dass es keine Sanktionen mehr geben wird, dass die Ansprache eine andere sein wird und dass sich insgesamt natürlich auch die Höhe verändern wird.
Einen weiteren Paradigmenwechsel in diesem Land werden wir im Bereich des Asylrechts erleben. Das wird weiterentwickelt hin zu einem Bleiberecht für alle, die sich hier einbringen wollen, die die Sprache lernen wollen und die sich an Recht und Gesetz halten wollen. Deutschland ist ein Einwanderungsland. Das hat diese Konstellation in Berlin anerkannt. Der Spurwechsel ist das Symbol dafür und wird auch den Unternehmerinnen und Unternehmern in Sachsen-Anhalt helfen. Ich weiß nicht, wie es bei Ihnen ist. - Bei mir melden sich Menschen, die Kooperation wollen und die Menschen z. B. aus Vietnam hierher holen wollen, um den Fachkräftemangel, den wir wohl unbestreitbar haben, abzumildern. Dafür einen gesetzlichen Rahmen zu schaffen, das ist wirklich Fortschritt.
Ich finde es auch sehr gut und richtig, dass sich die neuen gesellschaftlichen Anforderungen auch über Personen abbilden. Ein paritätisch besetztes Bundeskabinett gab es noch nie in Deutschland. Dafür danke ich Kanzler Scholz ausdrücklich.
(Zustimmung)
Ich finde es auch sehr gut, dass zwei Ministerinnen aus Ostdeutschland in diesem Kabinett sind. Frau Lemke darüber darf ich mich sicherlich auch persönlich freuen ist wie ich Dessauerin und wird bei allem, was sie tut, ihre Transformationserfahrung aus Sachsen-Anhalt einbringen. Es wird diesem Land gut zu Gesicht stehen, wenn bei einer Bundesministerin immer gesagt wird: die Ministerin aus Sachsen-Anhalt.
(Zustimmung)
Lassen Sie mich noch einmal zur Klimakrise kommen, der großen Herausforderung, der wir uns alle stellen müssen. Das ist die letzte Bundesregierung, die es noch schaffen kann, auf den 1,5-Grad-Pfad von Paris zu kommen,
(Zurufe: Oh! - Weitere Zurufe)
und sie geht das politikfeldübergreifend an. Ich will nicht versprechen, dass wir das schaffen. Das ist eine sehr, sehr schwierige Aufgabe. Der Koalitionsvertrag ist ein Rahmen. Er muss jetzt mit Leben erfüllt werden. Das Neue ist aber, dass dies die erste Bundesregierung ist, die sich dieser Aufgabe stellt. Das ist etwas, was ich hier im Land an keiner Stelle wahrnehme. Im Gegenteil sind in diesem Land Strukturen zerschlagen worden, die helfen, in diesem Bereich tätig zu werden, wie die Gemeinsamkeit von Umwelt- und Landwirtschaftspolitik.
(Zustimmung)
Auf der Bundesebene werden Wirtschaft und Klimaschutz zusammenarbeiten. Die Landwirtschaft wird dem Artenschutz helfen und der Artenschutz der Landwirtschaft. Miteinander!
(Zustimmung)
Ich frage mich wirklich, um bei diesem Bild zu bleiben: Wie will diese Konstellation hier reagieren, wenn sie von Dingen aus Berlin profitieren könnte? Ich will ein Beispiel nennen: Wir werden in diesem Land - das hat die Kleine Anfrage meiner Kollegin Frederking ergeben - keine einzigen Hektar Zubau mehr im Ökolandbau haben. Im Gegenteil: Diejenigen, die auf Bestandsschutz gehofft haben, werden jetzt noch weniger Fördergelder bekommen, als ihnen zugesagt wurde. Berlin sagt, 30 % Ökolandbau. Werden wir am Ende Fördergelder aus Berlin ablehnen, weil wir hier eine andere Politik fahren?
(Zuruf)
Das finde ich schwierig.
(Beifall)
Das Grüne Band soll als europäisches Projekt entwickelt werden. Hier im Land streiten wir noch über die Pflege- und Entwicklungspläne.
Es wird auch andere Punkte geben, bei denen Sachsen-Anhalt ganz konkret aus Berlin profitieren kann. Von der Zielstellung „15 Millionen Elektroautos bis 2030 inclusive einer Ladesäulenoffensive mit 50 000 Ladesäulen“ kann Sachsen-Anhalt nur profitieren, zumal wir jetzt erst auf dem 15. Platz bei der Versorgung mit Ladesäulen stehen.
(Zurufe)
Ich finde es auch wirklich gut, dass unselige Debatten über die frei fließende Elbe oder Atomstrom später - hoffentlich - der Vergangenheit angehören werden, dass sich die Landesregierung dann nicht mehr intern und öffentlich streiten muss und wir dann tatsächlich die Herausforderungen angehen können, die dieses Land wirklich bietet.
Wenn ich noch einmal den Bereich der Energieversorgung streifen darf, dann bin ich wirklich gespannt, was die Landesregierung den Bürgern erzählt, wenn die Bürger nach einem Wind- oder Solarpark rufen, weil sie verstanden haben, dass sie künftig ganz konkret von den Einnahmen profitieren werden.
(Zurufe)
Was werden Sie tun, wenn der Bund die Vorgabe von 2 % Landesfläche für erneuerbare Energien vorsieht? Da bin ich sehr gespannt, ob hier Fördermittel
(Unruhe)
Präsident Dr. Gunnar Schellenberger:
Ein ganz kleines bisschen mehr Konzentration wäre nicht schlecht.
(Zurufe)
Sie dürfen, selbstverständlich.
Cornelia Lüddemann (GRÜNE):
Gut. Die paar Sekunden kommen dann vielleicht obendrauf. - Ich bin aber auch fast schon am Ende meines Debattenbeitrages.
(Beifall)
Ich will nur prophezeien
(Zurufe)
Gewöhnen Sie sich einmal an die Oppositionsrolle. Ich weiß, dass das nicht einfach ist, aber das ist das Wesen der Demokratie.
(Beifall und Lachen)
Ich wollte abschließend noch auf Folgendes hinweisen: Es wird mehr nötig sein als ein Spagat.
(Beifall)
Es wird eine Entscheidung nötig sein, eine Entscheidung, ob man Gutes für dieses Land will und den Berliner Aufbruch und den Wind der Veränderung nutzt, oder ob man weiter beim Zögern, Zaudern, Meckern und in der Schmollecke bleibt.
(Zurufe)
Ich und meine Fraktion werden alles dafür tun, dass wir die Chancen aus Berlin nutzen, dass wir die Fördermittel, dass wir die Rahmen ausnutzen, um für die Menschen in Sachsen-Anhalt Gutes zu tun, dass wir auf die Berliner Innovationswelle aufspringen. - Vielen Dank.
(Beifall)
Präsident Dr. Gunnar Schellenberger:
Ich danke auch Ihnen, Frau Lüddemann. Damit sind wir am Ende der Debatte. - Ich sehe keine weiteren Wortmeldungen, alles wunderbar. Schön, dann ist die Debatte abgeschlossen und der Tagesordnungspunkt ist erledigt. Ich danke, meine sehr verehrten Damen und Herren.
(Beifall)