Holger Hövelmann (SPD):
Vielen herzlichen Dank, Herr Präsident. - Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wow!
(Lothar Waehler, AfD: Wow! - Wow! bei der AfD - Lachen bei der AfD)
Ich muss erst einmal durchatmen, ein bisschen herunterfahren, ein bisschen abkühlen, ein bisschen die Tonlage herabsenken.
(Zuruf von der AfD: Ja, ja! - Frank Otto Lizureck, AfD: Ja, genau so macht ihr Politik! - Weitere Zurufe)
Mehr sehr verehrten Damen und Herren! Stellen Sie sich vor, Sie gehen früh morgens zur Arbeit, kommen abends nach Hause; Sie haben einen harten Tag hinter sich. Am Monatsende stellen Sie fest: Das, was Sie dafür bekommen, reicht nicht, um alle Leistungen zu bestreiten, die Sie im Leben als Ausgaben haben: Miete, Essen, Kinderbetreuung, was auch immer.
Das ist das Schicksal von knapp 1 Million Menschen in Deutschland. Das sind nämlich diejenigen, bei denen das Einkommen so niedrig ist, dass sie Leistungen nach dem Bürgergeldgesetz als Aufstocker benötigen.
Noch viel mehr arbeitende Menschen sind auf Hilfen, wie Wohngeld oder Kinderzuschläge angewiesen. Über diese Menschen, meine sehr verehrten Damen und Herren, sollten wir als Allererstes sprechen, wenn wir heute sagen: Leistung muss sich wieder lohnen.
(Zustimmung bei der SPD und von Guido Heuer, CDU)
Dass der Lohn kaum zum Leben reicht, ist, gerade bei uns in Sachsen-Anhalt für nicht wenige ein Problem.
Wir haben - daran möchte ich uns alle erinnern - noch vor Jahren damit geworben: wenig Tarifbindung, nicht so hohe Löhne im Land; das sind Standortvorteile. Manches rächt sich auch noch nach Jahren.
Als im letzten Jahr - es ist angesprochen worden - der Mindestlohn auf 12 € angehoben wurde, hat das für 200 000 Frauen und Männer in Sachsen-Anhalt einen deutlichen Lohnsprung bedeutet.
(Zustimmung bei der SPD und von Olaf Meister, GRÜNE)
200 000 Frauen und Männer wurden zuvor noch schlechter bezahlt als heute mit 12 € die Stunde.
In den Medien, manchmal auch bei uns in den Debatten, hört man aber nur davon, welche Auswirkungen der Mindestlohn auf die Wirtschaft gehabt hätte. Ich sage es Ihnen mit aller Deutlichkeit: Ein Unternehmen, dessen Geschäftsmodell nur auf der Grundlage der Auszahlung schlechter Löhne funktioniert, hat es nicht verdient, auf dem Markt zu sein.
(Zustimmung bei der SPD und von Kerstin Eisenreich, DIE LINKE)
Am Ende, meine sehr verehrten Damen und Herren, subventionieren wir als Gesellschaft dieses Geschäftsmodell.
(Dr. Katja Pähle, SPD: Genau so ist es!)
Wir alle bezahlen das fehlende Geld in der Tasche des Arbeitnehmers aus Steuermitteln.
Lassen Sie mich dazu noch etwas sagen: In den letzten Monaten wurden krude Beispiele angeführt, wie das mit dem Bürgergeld so ist; dass alle Leistungsbezieher mit dem Bürgergeld so viel Geld erhalten, viel mehr als jemand, der arbeitet. - Das stimmt nicht. Sie können jedes Beispiel durchrechnen. Jemand der Arbeit hat, hat immer mehr netto als jemand, der Bürgergeld empfängt.
(Tobias Rausch, AfD: Er geht ja auch dafür arbeiten!)
Aber auch das ist etwas, das nur funktioniert, weil staatliche Hilfen wie Wohngeld für die Menschen, die im Niedriglohnsektor arbeiten, hinzukommen.
Wir subventionieren auch an dieser Stelle weiterhin schlechte Bezahlung. Es ist richtig das möchte ich ausdrücklich für die SPD erklären : Derjenige, der arbeitet, soll mehr haben, als derjenige, der nicht arbeitet. Das ist doch vollkommen klar; auch unter uns sollte das vollkommen klar sein.
(Christian Hecht, AfD: Wie viel denn?)
Aber die Schlussfolgerung kann doch nicht lauten: Das Bürgergeld ist zu hoch. Die Schlussfolgerung muss lauten: Die Löhne sind zu niedrig.
(Zustimmung bei der SPD; bei den GRÜNEN und von Thomas Lippmann, DIE LINKE - Tobias Rausch, AfD: Nein, die Schlussfolgerung ist: Das Leben ist zu teuer geworden!)
Ich finde es daher auch außerordentlich beschämend, dass wir bei dem Thema „Leistung muss sich wieder lohnen“ allein darüber reden, jedenfalls bisher, wie wir Sozialleistungen zusammenkürzen können. Das ist ein zweifaches Eintreten auf die Schwächsten in unserer Gesellschaft - einmal verbal, indem wir dem Bürgergeldempfänger pauschal Faulheit unterstellen, und dann noch einmal mit der Drohung: Wir werden dir die zum Leben notwendige Unterstützung demnächst kürzen.
(Zuruf von Alexander Räuscher, CDU)
Ich möchte allerdings auch einmal die Frage stellen: Wo waren denn in den letzten Jahren, als Arbeit auch in einfachen Tätigkeiten verrichtet worden ist, die kräftigen Lohnerhöhungen? Wo blieben denn die Lohnerhöhungen, als auch in unserer Wirtschaft dafür sind wir ja dankbar so viele Gewinne erwirtschaftet werden konnten und es richtig gut lief. Warum scheuen sich immer noch so viele Unternehmen in unserem Land, einen Tarifvertrag abzuschließen? Warum?
(Zustimmung von Katrin Gensecke, SPD)
Am Ende, durch den Einsatz von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, haben sie gemeinsam mit ihren Arbeitgebern dazu beigetragen, dass wir eine lange Zeit erfolgreich waren und es auch noch immer sind.
Ich werfe keinem Arbeitssuchenden vor, wenn er für sich erst einmal ein möglichst gutes Arbeitsangebot abwartet. Der Arbeitsmarkt ist heute ein anderer als noch vor zehn Jahren. Wir sind ein Arbeitnehmermarkt geworden. Arbeitgeber werben mittlerweile um Arbeitskräfte und nicht umgekehrt.
Das heißt dann aber auch für die Arbeitgeber in unserem Lande, für attraktive Arbeitsbedingungen, für gute Arbeitszeitregelungen, für eine anständige Bezahlung zu sorgen. Das ist nicht, lieber Herr Kollege Thomas, eine Abwertung von Work-Life-Balance, nach dem Motto: Musst nur ordentlich viel arbeiten, dann geht es dir gut.
(Ulrich Thomas, CDU: Ja, ja!)
Nein, die Menschen möchten heute beides. Sie möchten gut leben und gut arbeiten. Und das wollen sie auch gut bezahlt bekommen.
(Zustimmung bei der SPD und von Stefan Gebhardt, DIE LINKE)
Das gilt auch insbesondere für die Gewinnung junger Menschen für den Arbeitsmarkt. Es hat sich doch in die Diskussion um den Fachkräftemangel der Vorwurf eingeschlichen: Junge Menschen sind nicht mehr belastbar; sie haben für einfachste Tätigkeiten unverschämte Lohnforderungen. Die vielen Tausend Jugendlichen und jungen Erwachsenen in unserem Land, die sich im Bundefreiwilligendienst, im Freiwilligen Sozialen Jahr oder auch klassisch im Ehrenamt engagieren, beweisen jeden Tag das Gegenteil dieser Behauptungen.
(Zustimmung bei der SPD - Zuruf von Andreas Schumann, CDU, und von Tim Teßmann, CDU)
Übrigens, um auch das einmal zu sagen: Irgendeinen Job werden sie in der aktuellen Lage auf dem Arbeitsmarkt auch nicht annehmen. Ich frage uns alle: Keiner von uns würde einen Beruf ausüben wollen, bei dem für viel Arbeitszeit wenig Lohn bezahlt wird. Warum erwarten wir das eigentlich von der jungen Generation?
(Zustimmung bei der SPD und von Kristin Heiß, DIE LINKE)
Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! „Leistung muss sich wieder lohnen” - das sollte vor allen Dinge ein Motto, ein Mantra, für die Arbeitgeber in diesem Lande sein.
(Tobias Rausch, AfD: Ein Armutszeugnis!)
Wir als Sozialdemokraten unterstützen dabei gern Maßnahmen, die dazu beitragen: höhere Tarifbindung, Abbau des Niedriglohnsektors. Natürlich wollen wir aber auch, dass mehr Potenziale in der Gesellschaft freigesetzt werden. Dazu zählen, dass Asylsuchende und Migranten schneller und leichter eine Arbeitsgenehmigung erhalten; dass wir die Betreuung in den Kindertagesstätten und in den Schulen ausbauen, damit Eltern nicht in die Teilzeitarbeit hineingezwungen werden; dass wir eine umfassende Berufsorientierung an allen Schulformen anbieten; dass wir mit Forschungs- und Start-up-Förderungen junge Talente in Sachsen-Anhalt halten. Mit all diesen Maßnahmen können wir dazu beitragen, dass die Menschen in unserem Land tatsächlich ihr Bestes leisten können.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, lassen Sie uns daher in diesem Landtag über die Umsetzung dieser Maßnahmen streiten und nicht dafür sorgen, dass Menschen, die bereits wenig haben, noch mehr gegeneinander ausgespielt werden. - Herzlichen Dank.
(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)
Präsident Dr. Gunnar Schellenberger:
Danke, Herr Hövelmann. - Für die LINKE spricht Herr Lange, bitte.
(Unruhe - Olaf Feuerborn, CDU, steht am Saalmikrofon)
- Ja, jetzt erst. -Nein.
(Zuruf: Nein!)
- Nein.
(Zuruf: Doch! - Stephen Gerhard Stehli, CDU: Ich kann nicht gucken, weil er hier schon länger steht! - Lachen bei der CDU - Weitere Zurufe)
Ja? - Gut, dann
Olaf Feuerborn (CDU):
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrter Kollege Hövelmann, es ist ja sehr löblich, dass Sie zwar davon reden, dass sich Arbeit lohnen muss, aber ich sage einmal aus der Sicht der Landwirtschaft: Wir haben uns gestern über Preise in der Landwirtschaft und höhere Preise für landwirtschaftliche Produkte unterhalten.
(Olaf Meister, GRÜNE: Da war die CDU dagegen!)
Vor dem Hintergrund der Lohnkostensteigerungen, die wir in den letzten Jahren zu verzeichnen hatten, ist es nicht verwunderlich, dass auch landwirtschaftliche Produkte teurer werden müssen, damit wir die Produktionskosten überhaupt decken können.
(Zustimmung von Anne-Marie Keding, CDU)
Wenn wir die Produktionsstätten in Deutschland behalten wollen Ich sage einmal, im Bereich Obst und Gemüse sind wir weitgehend unterversorgt. Dort liegen wir bei 30 %.
Ich habe bis zum vorigen Jahr Gemüse angebaut, heute baue ich kein Pfund mehr an. Wissen Sie warum? - Weil der polnische Arbeiter in Polen einen Mindestlohn in Höhe von 4,80 € erhält, ich ihn aber mit 12 € pro Stunde bezahlen muss. Ich muss ihn sozialversichern. Ich könnte auch sagen: Er kann die 70-Tage-Regelung nehmen. Aber selbst dafür muss ich 18 % an Beiträgen bezahlen. Ich habe aber auch in der Vergangenheit durch den Umgang mit den Sozialkassen gelernt, dass es teuer ist. Wenn der Arbeitnehmer vorher bereits woanders gearbeitet hat, dann sind die Nachzahlungen teuer. Also melde ich ihn lieber von vorherein an.
Ich kann dagegen mit meiner Produktion in Deutschland nicht mehr anstinken.
(Zustimmung von Guido Heuer, CDU, und von Anne-Marie Keding, CDU)
Wenn ich den Mindestlohn nun noch weiter anhebe, die Schere zwischen uns und unseren Nachbarländern noch weiter auseinandergeht, dann verlieren wir noch mehr Produktionsstätten in Deutschland.
(Ulrich Thomas, CDU: Hört, hört! - Zuruf von der AfD: Richtig!)
Wir wollen auch noch unsere Ernährung sicherstellen
Präsident Dr. Gunnar Schellenberger:
Herr Feuerborn, kommen Sie zu Ihrer Frage.
Olaf Feuerborn (CDU):
und deswegen müssen wir auch entsprechend darauf reagieren. Daher war das meine Intervention. Ich frage, welche Maßnahmen Sie ergreifen möchte, um die Preise zu senken.
(Zustimmung bei der CDU - Zuruf: Genau so ist es!)
Präsident Dr. Gunnar Schellenberger:
Danke. - Herr Hövelmann.
Holger Hövelmann (SPD):
Sehr verehrter Herr Kollege Feuerborn, das ist genau die Diskussion, die man von verschiedenen Seiten betrachten kann. Was ist denn die Antwort auf diese Frage? Kann denn die Antwort auf diese Frage nur sein, wir machen auch einen Mindestlohn in Höhe von 4,50 €, damit Sie mit dem polnischen Wettbewerber auf Augenhöhe verhandeln können, und wir als Gesellschaft zahlen dann das an Leistungen, was der Arbeitnehmer bei Ihnen aufgrund des geringen Lohnes nicht verdienen kann, aus dem Steuersäckel? Ist das die Antwort auf die Frage?
(Unruhe - Zurufe von der CDU)
Aus meiner ist das nicht die Antwort auf die Frage. Aus meiner Sicht kann es nur die Antwort geben, dass wir gemeinsam dafür sorgen, dass wir überall in Europa zu Löhnen kommen, von denen die Menschen leben können.
(Zustimmung bei der SPD und bei der LINKEN)
Das heißt auch, dass wir einen europäischen Ministerlohn angehen müssen, damit wir diese Unwuchten innerhalb des Wettbewerbs in der Europäischen Union auswuchten können.
Ich sage das Folgende noch, wenn ich den Satz noch sagen darf: Bei der Findung eines solchen Mindestlohnes, der länderübergreifend wirkt, muss auch berücksichtigt werden, dass die Situation in den unterschiedlichen Ländern unterschiedlich ist und dass die sich auch in den unterschiedlichen Höhen abbilden muss. Aber die Höhe des Mindestlohns darf nicht so extrem auseinandergehen, wie es heute der Fall ist.
(Zustimmung bei der SPD)