Tagesordnungspunkt 6
Gipsindustriestandort Rottleberode entwickeln. Heimat und ökologischen Schatz bewahren.
Antrag Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Drs. 8/1979
Alternativantrag Fraktionen CDU, SPD und FDP - Drs. 8/2008
Einbringer ist Herr Wolfgang Aldag von der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. Er steht bereits vorn und hat das Wort. - Bitte sehr.
Wolfgang Aldag (GRÜNE):
Vielen Dank, Herr Präsident. - Meine Damen und Herren! Gestatten Sie mir, dass ich zum Anfang etwas weiter aushole. Ausholen will ich deshalb, weil ich Ihnen neben dem Inhalt unseres Antrags auch erläutern möchte, weshalb wir diesen Antrag in der für uns vielleicht ungewöhnlichen Art stellen.
Mir ist das persönlich wichtig, weil ich davon überzeugt bin, dass wir bei dieser Thematik, nämlich einerseits dem Erhalt eines einmaligen Naturschatzes und andererseits der Weiterentwicklung eines Industriestandortes, gemeinsam mit den Menschen vor Ort eine Lösung finden müssen. Genau das ist nämlich die Aufgabe, welche die Bürgerinnen und Bürger der Region uns stellen.
(Beifall bei den GRÜNEN)
Unsere Fraktion war im September im Landkreis Mansfeld-Südharz unterwegs. Innerhalb unserer auswärtigen Fraktionssitzungen gibt es unter anderem stets einen am Abend stattfindenden Bürgerdialog zu einem bestimmten Thema.
In diesem Fall haben wir uns gezielt das Thema Gipsabbau ausgesucht, um zu erfahren, wie die Bürgerinnen und Bürger vor Ort ticken. Die Veranstaltung war gut besucht, Bürgermeister und Ortsbürgermeister, Vertreter des Gipswerkes sowie Bürgerinnen und Bürger aus den umliegenden Ortschaften waren anwesend. Es ergab sich eine erstaunlich konstruktive Diskussion.
Ein Besucher ist besonders aufgefallen. Er kam mit seinem 14-jährigen Sohn zu unserer Veranstaltung und hat, so meine ich, stellvertretend für viele Menschen im Landkreis Mansfeld-Südharz deutlich gemacht, was die Menschen bewegt und was sie von uns, also der Politik, erwarten.
Vor drei Wochen war ich wieder in Uftrungen, habe mit ihm, seiner Familie und dem Ortsbürgermeister gesprochen. Seine Geschichte hat mich interessiert und ich wollte genau erfahren, was er von uns erwartet. Direkt nach der Wende ist der Mann in den Westen gegangen, weil er im Landkreis Mansfeld-Südharz keine Arbeit gefunden hat. Er hat Freunde, Familie, seine Heimat, den Ort, an dem er aufgewachsen ist und seine Kindheit verbracht hat, verlassen.
Vor Kurzem nun ist er mit seiner Familie wieder zurückgekehrt, zurück in seine Heimat. Ein wesentlicher Beweggrund dafür war, dass seine Kinder dort aufwachsen sollen, wo er aufgewachsen ist und seine Kindheit verbracht hat, in einer für ihn intakten Landschaft. Er hat mir erzählt von der Diebeshöhle mitten im Wald, in dem er als Kind gespielt hat. Er hat mir davon erzählt, wie er seinem Sohn diese Höhle gezeigt hat, und er hat mir erzählt, dass er sich wünscht, die Diebeshöhle auch noch seinen Enkelkindern zeigen zu können.
Im gleichen Atemzug wünschte er sich aber auch, dass seine Kinder und Enkelkinder in dieser Region eine Zukunft haben, dass es dort Schulen gibt, dass der ÖPNV funktioniert, dass seine Kinder eine Perspektive haben und nicht wie er gezwungen sind, die Region wieder zu verlassen.
(Beifall bei den GRÜNEN)
Natürlich hat er mich gefragt, was unsere Lösungsansätze sind, wie wir sichere Arbeitsplätze in der Region halten wollen, ohne das zu zerstören, was diese Region so einzigartig macht. Von mir hat er nämlich gefordert, genau das hinzubekommen. Mit Blick auf den Gipsabbau habe ich von unseren Ideen erzählt. Aus der Diskussion mit ihm entstand nun dieser Antrag. Wir beide sind gespannt, wie die einzelnen Fraktionen und die Landesregierung auf diesen Antrag reagieren.
Was waren unsere Überlegungen? - sowohl der nationalen Strategie zur Rohstoffsicherung gerecht zu werden als auch die Umweltverträglichkeit und das Einhalten der Klimaschutzziele zu garantieren, das gehört sicherlich zu den großen Herausforderungen. Der beschlossene Kohleausstieg bedeutet für den Rohstoff Gips, dass einerseits der REA-Gips, der als Nebenprodukt bei der Rauchgasentschwefelung in Kohlekraftwerken entsteht, schrittweise wegfällt und andererseits der Naturgipsabbau mit großen Schäden für die Umwelt einhergeht. Gleichzeitig soll aber auch die nationale Rohstoffversorgung mit Gips gesichert werden. Wie ist dieser Spagat also zu schaffen?
Oberstes Ziel ist es, den Gipsstandort Rottleberode zu erhalten und weiterzuentwickeln und gleichzeitig den ökologischen Schatz in der Region zu bewahren.
(Zustimmung von Dorothea Frederking, GRÜNE, und von Holger Hövelmann, SPD)
Wie so oft gibt es dafür nicht die eine Lösung, sondern vielmehr ein breites Spektrum an Lösungsansätzen, die ineinandergreifen müssen.
Über die bereits genehmigten Abbaurechte am Alten Stolberg reicht das dortige Vorkommen je nach Nachfrage und nach vorhandener Menge an REA-Gipsen für die nächsten 50 bis 70 Jahre. Innerhalb dieses Zeitrahmens werden sich die zentralen Rahmenbedingungen ändern. Die Art und Weise, wie wir wirtschaften, wird sich ändern und die Kreislaufwirtschaft wird sich weiter dahin entwickeln, neue Technologien zum Recyceln von Stoffen hervorzubringen.
Derzeit ist Gipsrecycling noch aufwendig und teuer. Im Vergleich zu unseren Nachbarländern ist die Recyclingquote sehr niedrig. In Dänemark oder in den Niederlanden werden Quoten von 40 bis 60 % erreicht, hierzulande nur von 5 %, was auch daran liegt, dass die aktuellen Nachweisgrenzen aus der Asbestverordnung für Gips, anders als in EU-Nachbarländern, unter der labortechnisch messbaren Nachweisgrenze liegen und so einen Gipsrückbau aus dem Bestand in Deutschland nahezu unmöglich machen.
Trotzdem wurde eine der ersten stationären Aufbereitungsanlagen in Deutschland im Jahr 2014 in Großpösna errichtet. Betrieben wird sie von der Mitteldeutschen Umwelt- und Entsorgungs GmbH. Die Technik wird dort ständig weiterentwickelt. Es liegt also nahe, das vorhandene Know-how zu nutzen, um am Standort Rottleberode das Gipsrecycling weiterzuentwickeln und Mitteldeutschland als Zentrum für das Gipsrecycling aufzubauen.
(Beifall bei den GRÜNEN)
Diese Entwicklung muss jetzt eingeleitet und vonseiten der Politik gefördert werden. Gipsrecycling ist also eine Komponente in dem von mir erwähnten Spektrum an Lösungsansätzen.
Als weitere Komponente gelten das Ausschöpfen der Potenziale von Sekundärgipsen, wie z. B. Phosphorgipsen, die bei der Düngemittelproduktion anfallen, der Stopp von Naturgipsexporten sowie der anteilige Ersatz von Gips durch nachwachsende Rohstoffe wie Holz, Lehm oder Stroh.
Mit dem Bau des Informationszentrums am Ringheiligtum in Pömmelte hat das Land eindrucksvoll bewiesen, was im Bereich des Lehmbaus möglich ist. Gleiches sollten wir bei dem geplanten Kranicherlebniszentrum am Stausee in Kelbra ermöglichen, als öffentlicher Auftraggeber also mit gutem Beispiel vorangehen, die Alternativen aufzeigen und das „WIR!-Bündnis GOLEHM“ weiter unterstützen.
Ziel aller Komponenten ist es, den Verbrauch an Primärgips zu senken. Dieses Ziel und die von mir genannten Lösungsansätze gilt es in einer zu erarbeitenden Zukunftsvision Gips festzuschreiben. Ergänzend dazu und als Voraussetzung, um ein funktionierendes Gipsrecycling zu etablieren, gilt es in Sachsen-Anhalt, ein dezentrales Gipserfassungssystem einzuführen, um insbesondere Gipskartonplatten im geschlossenen Kreislauf zu führen.
Derzeit geht Berlin mit der „Zero Waste“-Initiative und dem Abfallwirtschaftskonzept 2030 positiv voran. Das dezentrale Gipserfassungssystem wird dort in Kooperation von lokalen Recyclingunternehmen mit der MUEG GmbH und Berlin Recycling aufgebaut. Diesem positiven Beispiel sollten wir hier im Land folgen.
(Beifall bei den GRÜNEN)
Ein weiterer Punkt und eine Grundvoraussetzung für ein hochwertiges, kostengünstiges Recycling ist die sortenreine Getrenntsammlung von Gips aus dem Rückbau. Zwei Maßnahmen sind dabei sind essenziell. Zum einen eine verpflichtende Bauteilsichtung vor dem Rückbau und vor großen Sanierungen, damit Schadstoffe und Wertstoffe beschrieben werden und Wertstoffe einem hochwertigen Recycling zugeführt werden können. Das beschränkt sich im Übrigen nicht nur auf Gips.
Zum anderen muss dazu begleitend die gesetzliche Getrennthaltungspflicht von Bau- und Abbruchabfällen aus der Gewerbeabfallordnung konsequent vollzogen werden. Hierbei gibt es ein Vollzugsdefizit, welches dazu führt, dass wertvolle Gipsabfälle überwiegend nicht getrennt erfasst, sondern als Baumischabfall minderwertig entsorgt und somit dem Wertstoffkreislauf entzogen werden.
Meine Damen und Herren! Ich bin überzeugt davon, dass wir mit den angeführten Lösungsansätzen den Spagat hinbekommen können. Dazu müssen wir jetzt handeln und ein Signal an die Gipsindustrie senden, ein Signal, welches klar und deutlich die Botschaft sendet, dass wir die Gipsindustrie darin unterstützen, sich am Standort zukunftsfähig weiterentwickeln zu können, ein Signal, das aber ebenso klar und deutlich die Botschaft sendet, dass ein Abbau in Schutzgebieten in Sachsen-Anhalt im Landkreis Mansfeld-Südharz, mitten im Biosphärenreservat Karstlandschaft Südharz, nicht erfolgen kann.
(Beifall bei den GRÜNEN)
Sie erinnern sich an den Anfang meiner Rede, an die Diebeshöhle? Sie würde mitten im potenziellen Abbaugebiet liegen und verschwinden. Sie erinnern sich an den Bürger, der mit seiner Familie wieder hierher zurück in die Heimat gekommen ist und zurückgekommen ist, um eben auch seinen Kindern und Enkelkindern die einmalige Landschaft, in der er aufgewachsen ist, zu zeigen und auch für deren Erhalt zu kämpfen.
Die Buchenwälder im Südharz, die damit verbundenen Ökosysteme sind einmalig auf der Welt. Sie sind Biodiversitätshotspots. Weite Teile stehen unter Schutz, sind Naturschutzgebiete, FFH-Gebiete und Bestandteil der Kernzone des Biosphärenreservates.
Bei meinem Besuch im Rahmen der auswärtigen Fraktionssitzung war ich in dem Gebiet, das derzeit als potenzielles Abbaugebiet vorgesehen ist und in dem demzufolge mögliche Probebohrungen anstehen. Ich möchte Ihnen das einmal vor Augen führen: Diese Bereiche sind nicht erschlossen, über schmale Feldwege und schließlich quer durch den Wald haben wir die Punkte erreicht, die bereits markiert sind. Wenn 60 m tief gebohrt werden soll, geht das nicht nur mit kleinem Gerät, sondern man muss mit schwerem Gerät ran. Erschließungsstraßen werden dafür geschaffen, massiv wird in die Buchenwälder eingegriffen werden. Nicht wiedergutzumachender Schaden wird entstehen. Deswegen steht für uns auch fest, dass es keine Genehmigung für Probebohrungen geben darf.
(Beifall bei den GRÜNEN - Andreas Silbersack, FDP: Unglaublich!)
Sie wären die Vorboten des bevorstehenden Abbaus, mit denen Fakten geschaffen werden und die einen der größten Naturschätze, den wir im Land haben, unwiederbringlich vernichten. Genau das dürfen wir nicht zulassen. Denn solch ein Unterfangen steht völlig im Gegensatz - damit komme ich auch langsam zum Schluss meiner Rede - zu den Ambitionen des Landes, das Biosphärenreservat Karstlandschaft Südharz als Unesco-Biosphärenreservat anerkennen zu lassen.
Sie alle wissen, wie lange dieser Prozess schon dauert. Endlich haben nach langer Blockade alle Gemeinden ihre Unterschrift geleistet. Der Antrag ist fertiggestellt worden und soll nach den Plänen der Landesregierung im nächsten Jahr eingereicht werden. Wann, wenn nicht jetzt ist es an der Zeit, das klare Signal an die Unesco zu senden, dass wir es ernst meinen mit diesem Antrag? Ein wesentlicher Grund für die Berechtigung des Antrags an die Unesco ist die einzigartige naturräumliche Ausstattung der Landschaft. Setzen wir an dieser Stelle kein klares Signal für deren Erhalt, wäre auch die Sinnhaftigkeit der Antragstellung infrage zu stellen.
Zum Schluss meiner Rede möchte ich darum bitten, unserem Antrag zuzustimmen bzw. diesen in die Ausschüsse zu verweisen, um dort gemeinschaftlich einen inhaltlichen Weg zu diskutieren. Genau das erwarten nämlich die Menschen in Mansfeld-Südharz.
(Andreas Silbersack, FDP: Die erwarten etwas ganz anderes! Das ist unglaublich!)
Mit dem Alternativantrag der Koalition bleibt dieser Wunsch wohl unerfüllt. Das finde ich sehr schade. - Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
(Beifall bei den GRÜNEN - Zustimmung bei der LINKEN und von Daniel Roi, AfD)
Vizepräsident Wulf Gallert:
Herr Aldag, könnten Sie Ihren Wunsch, Ihren Antrag in die Ausschüsse zu überweisen, etwas konkretisieren?
Wolfgang Aldag (GRÜNE):
Wir würden das in den Umweltausschuss und in den Wirtschaftsausschuss überweisen wollen.
(Daniel Roi, AfD: In den Gipsausschuss!)