Tagesordnungspunkt 19
Im Kampf gegen den Lehrkräftemangel endlich handeln und die Schulen in Sachsen-Anhalt zukunftsfest aufstellen
Antrag Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Drs. 8/2362
Die Einbringerin ist nunmehr Frau Susan Sziborra-Seidlitz. Sie erhalten das Wort. - Bitte sehr.
Susan Sziborra-Seidlitz (GRÜNE):
Vielen Dank. - Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Ein Bildungsdialog, der kein echter Dialog war, und ein Bildungsgipfel der Bundesregierung, den Sachsen-Anhalt, wie zugegebenermaßen die meisten Bundesländer, schwänzt. Herr Ministerpräsident Haseloff - er ist gar nicht mehr da -, da stellt sich die Frage: Nimmt die Landesregierung den Lehrkräftemangel wirklich ernst?
Natürlich gibt es berechtigte Kritik am letztwöchigen Bildungsgipfel der Bildungsministerinnen. Auch wir haben da Kritikpunkte. Aber den Dialog komplett zu verweigern, das ist wirklich etwas anderes als das prioritäre Behandeln der Bildungskrise, das Sie uns versprochen haben.
Ihre Partei, Herr Haseloff, ist seit dem Jahr 2002 in Sachsen-Anhalt dauerhaft in der Regierung. Im Zeitraum von 2005 bis 2021 hat die CDU auch die Bundesregierung angeführt. Die CDU war in all den Jahren an den maßgeblichen Entscheidungen beteiligt, die zur jetzigen Bildungskrise geführt haben.
(Angela Gorr, CDU: Na ja!)
Es ist eine Binse, dass eine der Hauptursachen des Lehrkräftemangels die fehlende Attraktivität des Lehrberufes in Sachsen-Anhalt ist. Wir haben nicht den Eindruck, dass die Landesregierung diesen Aspekt des Problems überhaupt sieht, geschweige denn ernst nimmt.
(Zustimmung bei den GRÜNEN)
Es ist vollkommen unverständlich, warum angesichts der ohnehin schon mangelnden Attraktivität des Lehrberufes in Sachsen-Anhalt die Landesregierung als Ergebnis des Bildungsdialoges die Verlängerung der Arbeitszeit der Lehrkräfte um eine Stunde präsentiert. Und das geschieht auch noch an dem Tag - ich will daran erinnern -, an dem Herr Ministerpräsident Söder verkündet, dass Bayern aktiv Lehrkräfte aus anderen Bundesländern abwerben will. Das war dann unsere Antwort darauf.
Wir brauchen stattdessen Maßnahmen, die junge Menschen, junge Lehrkräfte, nach dem Studium dazu motivieren, in unserem Bundesland zu bleiben und hier in Sachsen-Anhalt als Lehrerin oder Lehrer arbeiten zu wollen. Wir können es uns nicht erlauben, noch mehr Menschen infolge Überlastung aus dem Beruf zu vergraulen. Deswegen braucht es auch ausreichend Verwaltungspersonal an den Schulen, das die Lehrkräfte von allen Verwaltungsaufgaben entlastet, die momentan einen großen Teil ihrer Arbeitszeit ausmachen, aber nichts mit ihrem eigentlichen Beruf zu tun haben, nämlich mit dem Unterrichten.
Wir wiederholen hier auch noch einmal unsere Forderungen nach einer Überarbeitung der Sonderzuschläge auf das Gehalt aller Lehrkräfte und Seiteneinsteigenden, die an bestimmten Schulformen, in bestimmen Unterrichtsfächern oder in Regionen unterrichten, in denen es einen Mangel an Lehrerinnen gibt. Natürlich müssen wir auch Lehrkräfte mit Sonderzuschlägen an unsere Schulen ziehen, die bestimmte Integrations- oder Vielfaltskompetenzen besitzen; denn diese können unsere Schulen bei den wachsenden Anforderungen unserer modernen und vielfältigen Gesellschaft unterstützen.
Wir Bündnisgrüne wollen die Schule für morgen gestalten - eine Schule, in der längeres gemeinsames Lernen im Vordergrund steht, eine Schule, die der Vielfalt unserer Gesellschaft gerecht wird, eine Schule, in der die Digitalisierung und digitale Bildung als Chance anstatt als Herausforderung begriffen wird. Das ist die Vision, die wir für die moderne Schule von morgen haben. Es ist eine Schule, die von Gerechtigkeit und von hoher Bildungsqualität geprägt ist.
Besonders die Grundschule von morgen ist auch eine Ganztagsschule - eine Grundschule, in der das Recht auf schulische Bildung genauso viel Wert ist wie die Erholung, die Freizeitgestaltung und die informelle Bildung.
Doch damit dies gelingen kann, braucht es ein ausgeklügeltes Konzept oder ausgeklügelte Konzepte. Und es braucht eine gute Zusammenarbeit zwischen dem Sozialministerium und dem Bildungsministerium. Wir brauchen konzeptionelle Debatten über die Ganztagsgrundschule und keine Zuständigkeitsdebatten; denn Ganztagsschule ist mehr als Schule plus Hort.
Damit die Ganztagsschule für morgen mit Einbindung der jetzt erfolgreich und gut arbeitenden Träger der Horte als offener Lebensort in der Mitte der örtlichen Gesellschaft mit Partnern aus Kultur und Sport gelingen kann, müssen wir als Land mutig und modern neue Wege gehen. Deswegen fordern wir eine interministerielle Arbeitsgruppe, bestehend aus Vertretern der beiden zuständigen Ministerien, die gemeinsam mit den beteiligten Trägern und Interessenverbänden ein Konzept für die Implementierung der echten Ganztagsgrundschule entwickelt.
Natürlich kann unsere Vision der Schule nicht von heute auf morgen umgesetzt werden. Dennoch sollten wir jetzt zügig beginnen, Grundsteine zu legen. Deswegen ist es auch wichtig, dass wir Sekundarschulen und Gemeinschaftsschulen so stärken, dass sie eine attraktive Alternative zum Gymnasium sind. Denn dass sie das heute nicht sind, dass Eltern dort schlechtere Bildungschancen für ihre Kinder auch für den mittleren Schulabschluss sehen, ist der Grund dafür, dass Eltern heute ihre Kinder vielleicht lieber aufs Gymnasium schicken, und nicht die Unverbindlichkeit der Schullaufbahnempfehlung.
Natürlich bedarf es auch einer Imagekampagne, die die Vorzüge des Lernens und des Arbeitens an Sekundar- und Gemeinschaftsschulen betont. Deshalb ist die Debatte über die verbindliche Schullaufbahnempfehlung auch ein Irrläufer, wenn es um die Stärkung der Sekundarschulen und des mittleren Schulabschlusses geht. Das ist eine absurde Idee. Genauso absurd ist übrigens der Deal mit der ein bisschen verbindlicheren Schullaufbahnempfehlung, die Sie Ihren Koalitionspartnerinnen im Tausch gegen die so wichtige Anhebung der Gehälter unserer Grundschullehrkräfte abgeluchst haben, werte CDU.
Dort reicht es übrigens auch nicht aus, dass das Einstiegsgehalt der Grundschullehrerin erst im Jahr 2025 vollständig auf die Gehaltsstufe E 13 bzw. A 13 steigt. Unsere Nachbarländer zahlen das jetzt schon. Wir brauchen die Gehaltsstufen E 13 und A 13 für Grundschullehrkräfte in Sachsen-Anhalt sofort, ab dem nächsten Schuljahr, damit die nicht weiter weglaufen.
(Zurufe)
Und Ihre Diskussion über die Schullaufbahnempfehlung wird umso absurder, wenn man bedenkt, dass Sachsen-Anhalt zu den Bundesländern mit dem geringsten Anteil an Abiturientinnen zählt. Ja, wir haben einen Fachkräftemangel in Sachsen-Anhalt. Aber man löst das Problem nicht, indem man Kindern den Zugang zu einem Abschluss verwehrt, den sie für sich haben wollen und den sie vielleicht auch erreichen könnten.
(Angela Gorr, CDU: Das wird doch niemandem verwehrt!)
Ihr Vorschlag bedeutet nicht mehr
(Angela Gorr, CDU: Wir haben freie Bildungswahl in Sachsen-Anhalt!)
Ihr Vorschlag bedeutet nicht mehr und nicht weniger als das Ende der freien Bildungswahl in Sachsen-Anhalt.
(Zustimmung bei den GRÜNEN - Angela Gorr, CDU: Also!)
Übrigens, liebe Kolleginnen, auch Schülerinnen, die das Abitur machen, können und wollen Ausbildungen beginnen. Und sie tun es zunehmend. Warum auch nicht? Es gibt keinen Zwang und keine Verpflichtung, nach dem Abitur zu studieren. Damit auch Schülerinnen an unseren Gymnasien die Möglichkeit erhalten, sich über Ausbildungsberufe zu informieren, müssen wir die Berufsorientierung an den Gymnasien in Sachsen-Anhalt stärken.
Übrigens sollte auch an den Sekundarschulen über die Möglichkeiten des Studiums ohne Abitur informiert werden; denn so wunderbar vielfältig, unterschiedlich und auch durchlässig Bildungs- und auch Ausbildungswege in Deutschland theoretisch sein können, praktisch wird diese Durchlässigkeit erst mit informierten Lernenden, die diese Wege kennen und wahrnehmen. Als Studentin ohne Abitur, wie ich aktuell bin, könnte ich ein langes Lied über meine Bildungsbiografie singen. Aber das wäre länger, als es die Redezeit hier erlaubt.
Natürlich müssen wir die Chancen der Digitalisierung besser für die Bildung in unserem Bundesland nutzen. Gerade für das Erlernen der Fähigkeit zum Selbstlernen ist das aktive und kritische Nutzen von digitalen Medien im Unterricht unerlässlich. Besonders E-Learning-Tools sind da hilfreiche Mittel. Dazu gab es ja während der Coronapandemie auch schon so manche Erfahrung.
Gleichzeitig sind der Umgang mit Medien und das Selbstlernen für Kinder und Jugendliche essenzielle Fähigkeiten für das spätere Berufsleben - einmal davon abgesehen, dass betreutes Selbstlernen mit E-Learning-Tools und anderen digitalen Medien auch ein Weg für den Umgang mit akutem Lehrkräftemangel sein kann.
Egal wie wir es drehen und wenden: Wir müssen die Bildung in Sachsen-Anhalt neu denken. Wir brauchen endlich den Mut zu Veränderungen. Das kann uns gelingen mit modernen Konzepten, die wir gemeinsam mit allen Beteiligten entwickeln.
Es gilt weiterhin: Wer an der Bildung spart, der spart an der Zukunft unserer Kinder und letztlich an der Zukunft Sachsen-Anhalts. Deswegen fordern wir Bündnisgrüne Sie als Landesregierung und die Koalitionsfraktionen dazu auf: Handeln Sie bitte endlich! Hören Sie den Praktikerinnen und den Gewerkschaften zu. Nehmen Sie die Sorgen der Eltern und der Schülerinnen ernst. Handeln Sie endlich. Wir bitten um Zustimmung zu unserem Antrag.
(Zustimmung bei den GRÜNEN)
Vizepräsident Wulf Gallert:
Es gibt hier eine Intervention von Frau Gorr. - Sie können sie jetzt vortragen.
Angela Gorr (CDU):
Danke schön, Herr Präsident. - Frau Kollegin, habe ich Sie vorhin richtig verstanden, dass Sie hier im Plenum formuliert haben, es werde Schülerinnen und Schülern Bildung verwehrt?
Susan Sziborra-Seidlitz (GRÜNE):
Es werden Bildungswege schwieriger gemacht.
Angela Gorr (CDU):
Gut. Dann schauen Sie sich bitte einmal unser Schulsystem an mit seinen vielfältigen Möglichkeiten,
Susan Sziborra-Seidlitz (GRÜNE):
Davon habe ich ja gerade gesprochen.
Angela Gorr (CDU):
das Abitur und andere Abschlüsse zu erlangen.
(Zuruf von der AfD: Davon haben GRÜNE keine Ahnung!)
Also, ich finde diese Bemerkung unpassend.
(Beifall bei der CDU)
Susan Sziborra-Seidlitz (GRÜNE):
Vielen Dank. Ich bin in meiner Rede auf die Vielfalt der Möglichkeiten, zu Abschlüssen zu gelangen, eingegangen,
(Angela Gorr, CDU: Ja, eben haben Sie es so schön formuliert!)
aber der Punkt ist, all das kann nur gelingen, wenn die Schülerinnen und Schüler und auch die Eltern diese Wege kennen und wenn wir dafür sorgen, dass auch die Sekundarschulen ein attraktives Modell für diese Bildungswege sind. Das sind sie im Moment nicht.
(Zustimmung bei den GRÜNEN - Angela Gorr, CDU: Ganz klare CDU-Position!)