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Plenarsitzung

Transkript

Susan Sziborra-Seidlitz (GRÜNE):

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Als Opposition gibt es zwei Möglichkeiten, ein Thema anzupacken: entweder der Entwurf eines kompletten Panoramas alternativer Politik mit grundlegenden Forderungen und Ideen, was man alles grundsätzlich anders machen würde als die Regierung. Oder man formuliert konkrete operative Stellschrauben, um einen Sachverhalt nach vorne zu bringen und zu verbessern, mit der minimalen Chance dafür, eine Mehrheit zu finden. Beides sind legitime Ansätze.

Im Fall des vorliegenden Antrags verfährt DIE LINKE gemäß dem ersten Modus. Unser grüner Alternativantrag folgt dem zweiten Ansatz.

Warum schichten wir den Ursprungsantrag dermaßen ab? Appelle und Ansprachen an die Bundesebene erscheinen aktuell wenig gezielt. Wen adressiert man denn da eigentlich heute?

Die Koalitionsgespräche sind in der heißen Phase und natürlich nicht konfliktfrei. Da wird vieles intensiv diskutiert und ganz sicher auch die Frage, wie die notwendige Energiewende sozial abgefedert werden kann. Der Mensch steht im Mittelpunkt unserer Politik. Damit sind soziale Absicherung und Teilhabe ebenso Kernelemente unseres grünen politischen Handelns wie Klima- und Naturschutz.

Ich bin überzeugt, dass durch bündnisgrüne Verhandlungen die neue Bundesregierung nicht nur mit einem teilhabesichernden Bürgergeld auf Bundesebene sozialen Härten auch durch Energieverbrauch entgegenwirken wird.

Aus diesen Gründen zielt unser Alternativantrag einzig auf die Landesebene und auf zwei konkrete Vorhaben, um insbesondere Energiearmut und Stromsperren bei den Menschen im Land a) grundsätzlich zu verhindern oder b) mindestens derart zu managen, dass übermäßige soziale Härten vermieden werden.

Dafür braucht es einen Ausbau der bestehenden Beratungsangebote. Die Landesenergieagentur bietet mit ihrer kostenfreien Energieberatung für einkommensschwache Haushalte   Stichwort: Aktion Stromspar-Check   bereits ein fundiertes Beratungsangebot an. Dieses gilt es auszubauen, landesweit verfügbar zu machen und gegebenenfalls an weiteren Standorten zu etablieren.

Gleichzeitig müssen Betroffene regelhaft über dieses und weitere Angebote informiert werden. Damit wollen wir die Prävention stärken, damit Stromschulden gar nicht erst anfallen oder aus dem Ruder laufen.

Für Fälle, in denen dies nicht gelingt, braucht es Vereinbarungen mit den Stromanbietern im Land, um bei Stromsperren die dramatischsten Härten zu vermeiden. Ein generelles Verbot von Stromsperren bzw. eine garantierte Mindestversorgung mit Strom wäre mir persönlich und uns GRÜNEN sehr lieb. Aber wenn wir uns im Rahmen kurzfristig umsetzbarer Maßnahmen bewegen, dann geht es um einen noch vor diesem Winter verbindlich vereinbarten Schutz vor großen Härten.

Es geht um eine verbindliche Vereinbarung darüber, Stromsperren nicht vor Feiertagen und dem Wochenende scharfzustellen und nicht vor besonderen Kälteperioden, also im besten Fall gar keine Stromsperren im Winter. Denn diese Punkte führen zu besonderen sozialen Härten, die es zu verhindern gilt.

Stromsperren vor arbeitsfreien Tagen etwa verzögern die Wiederfreischaltung der Stromzufuhr. Ein Beispiel: Wird der Strom am 23. Dezember abgeschaltet, dann können Betroffene frühestens am 27. Dezember überhaupt in Aktion treten, um wieder Strom zu beziehen. Bis dahin sind dann alle Lebensmittel aufgetaut, alle Akkus leer, Smartphones und schnurlose Telefone unbrauchbar, seit Tagen kein warmes Essen, Tagesbeginn und Tagesende in Dunkelheit und je nach Vorrichtung auch seit Tagen kein warmes Wasser.

Das kann und darf tatsächlich nicht sein, insbesondere nicht in Haushalten mit Kindern, mit chronisch erkrankten Menschen, mit Senioren. Hier muss das Sozialstaatsgebot immer Vorrang haben. Hier geht es um elementare Aspekte der Daseinsvorsorge, um existenzielle Güter. Da kann und darf kapitalistische Marktwirtschaft nicht voll durchschlagen.

Dieses Ansinnen ist vergleichbar mit der Festlegung von bestimmten Besitztümern, die nicht pfändbar sind. Denn letztlich geht es dabei um die Wahrung der Würde des Einzelnen, und die ist unantastbar. Die Würde des Menschen ist unantastbar, auch bei Stromschulden.

Weil dieser Punkt derart fundamental für die Betroffenen ist und aufgrund der steigenden Preise an Dramatik gewinnt, ist die Ansetzung eines Gipfeltreffens zur Verabredung entsprechender Vereinbarungen nur angemessen. Daher bitte ich um Zustimmung zu unserem Antrag. - Vielen Dank.

(Beifall)


Präsident Dr. Gunnar Schellenberger:

Danke. Ich sehe keine Wortmeldung? - Doch? Augenblick, es gibt es eine Wortmeldung? Es gibt eine Frage? Wollen Sie die beantworten?


Susan Sziborra-Seidlitz (GRÜNE):

Wenn ich kann.


Präsident Dr. Gunnar Schellenberger:

Wenn Sie können. Okay. Dann hören wir uns die mal an.

(Christian Albrecht, CDU: Es ist eine Intervention!)

- Ach, eine Intervention. Okay.

(Zurufe)


Christian Albrecht (CDU):

Ich wollte nur sagen, bevor bei jemandem der Strom oder das Gas gesperrt wird, bekommt er mehrere Androhungen, bekommt Mahnungen, bekommt Angebote, wie man das Problem lösen kann. Für Energieversorgungsunternehmen ist der Winter bzw. die Zeit, in der es dringend gebraucht wird, die Zeit, wo sie ein bisschen Druck ausüben können und wo die Schuldner auch bereit sind, doch einmal eine Ratenzahlungsvereinbarung einzugehen oder sich irgendwie zu bewegen, anstatt sich zu verkriechen. Zu sagen, man darf im Winter nicht sperren, wäre also eine Katastrophe für die Energieversorgungsunternehmen.


Präsident Dr. Gunnar Schellenberger:

Das war eher eine Feststellung. Aber wenn Sie diese Feststellung kommentieren wollen, dann dürfen Sie das.


Susan Sziborra-Seidlitz (GRÜNE):

Die Würde des Menschen ist unantastbar.

(Zustimmung)

Das gilt auch für Menschen, die nicht in der Lage sind, Briefe zu öffnen, die nicht in der Lage sind, adäquat auf Mahnungen zu reagieren. Das hat nicht nur mit psychischen Krankheiten zu tun, das hat mitunter auch mit Druck zu tun, unter dem Menschen stehen.

Ich nehme an, Sie können sich nicht vorstellen, wie es ist, mit zu wenig Geld über den Monat kommen zu müssen.

(Zuruf: Warum sollte ich mir das nicht vorstellen können?)

Aber die Würde des Menschen und der Schutz vor dem Frieren gelten auch für Menschen, denen es so geht.

(Beifall)