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Plenarsitzung

Transkript

Susan Sziborra-Seidlitz (GRÜNE):

Vielen Dank, Herr Präsident. - Sehr geehrte Damen und Herren! Ich möchte Ihnen von einer Grundschule erzählen, die ich in der letzten Woche besucht habe. Dort wurde ich von vier Schülerinnen empfangen. Diese vier Schülerinnen haben mich durch die Schule geführt, haben mir ihre Lehrkräfte und Mitschülerinnen vorgestellt und die bunten Klassenräume gezeigt. Fast alle diese Klassenräume waren mit digitalen Tafeln ausgestattet. Es gab sogar digitalisierte Polyluxe; so etwas habe ich vorher noch nie gesehen.

(Zuruf von Matthias Redlich, CDU)

In den Klassen habe ich neugierige und aufgeweckte Kinder getroffen, die mir Löcher in den Bauch gefragt haben. Die Schulatmosphäre wirkte auf mich sehr herzlich, sehr wertschätzend und sehr entspannt. Was ich bei der Führung durch die Schülerinnen alles gesehen habe, war fabelhaft. Es hat mich nachhaltig positiv beeindruckt.

Und dann habe ich die Kehrseite erlebt, die Kehrseite einer Schule, in der auf den ersten Blick alles gut läuft, einer Schule, in der die Schülerinnen glücklich sind und Spaß am Lernen haben. Es zeigte sich, dass diese Schule vor allem deswegen so gut läuft, weil sich die Lehrerinnen und die Schulleiterin dafür aufopfern, weil sie bis über ihre Belastungsgrenze hinweg arbeiten, weil ihnen das Wohl und die Bildung ihrer Schülerinnen mehr wert sind, als auf ihre eigene Gesundheit zu achten.

Das erste Mal angedeutet hat sich das, als ich am Ende der Führung die Schülerinnen fragte, ob sie Wünsche an die Politikerinnen im Allgemeinen hätten. Ihre Antwort darauf war, es wäre schön, wenn die Lehrerinnen nicht mehr so oft krank wären, damit nicht mehr so viel Unterricht ausfällt. Ich musste ein bisschen schlucken, das von Schülerinnen im Alter von zehn bis elf Jahren zu hören. In dem Alter hätte ich wahrscheinlich ganz andere Antworten gehabt.

Das anschließende Gespräch mit den Lehrkräften setzte nahtlos an diesem Punkt an, mit dem uns die Schülerinnen zurückgelassen haben. Die Lehrerinnen haben uns erklärt, dass die sogenannte Vorgriffstunde ein riesiger Schlag ins Gesicht für sie ist, und zwar nicht, weil sie zu faul seien, eine Stunde länger zu unterrichten   das machen sie sowieso schon regelmäßig; das haben sie alle betont  , sondern weil es verkennt, welche Mehrbelastung sie schon vorher geleistet haben, weil es suggeriert, dass die Lehrkräfte schuld an der geringen Unterrichtsversorgung sind, weil es das gesellschaftliche Bild der unterbeschäftigten Lehrkraft bedient, die in jeden Ferien Urlaub hat und täglich bereits mittags zu Hause ist. Das ist genau das Bild, das Herr Tillschneider gerade gezeichnet hat.

Doch am emotionalsten war das Gespräch mit der Schulleiterin, welches zum Abschluss des Termins stattfand. Aus jeder Pore war zu spüren, wie wichtig ihr die Schule und ihre Schülerinnen sind, wie begeistert sie Direktorin und Lehrerin ist.

Gleichzeitig merkte man ihr auch an, wie sehr sie mental und körperlich am Ende ist durch ihre Arbeit, weil sie sich so sehr für den Beruf und die Kinder aufreibt. Sie kann nachts nicht mehr richtig schlafen, weil selbst an dieser Schule, an der der Schulalltag für die Schülerinnen so gut läuft, der Lehrkräftemangel so groß ist, dass es Tage gibt, an denen aufgrund von Krankheitsfällen zwei Lehrerinnen allein den Unterricht für die ganze Schule gewährleisten müssen, an denen alle Schülerinnen in den Räumen auf einer Etage untergebracht waren und die beiden Lehrerinne auf dem Flur saßen und von Klassenraum zu Klassenraum pendelten, weil sie, als sie sich hilfesuchend als Schulleiterin an das Landesschulamt wendete, als sie nicht mehr weiter wusste, am Ende ihrer Kraft war, als erste Antwort bekam: Sie schaffen das schon.

Es ist keinesfalls so, dass es keinen regelmäßigen und häufigen Kontakt zwischen ihr und dem Landesschulamt bzw. dem Ministerium gebe; das hat sie betont. Dennoch fühlt sie sich nicht gehört. Dennoch hat sie das Gefühl, dass weder das Landesschulamt noch das Bildungsministerium und letztlich auch nicht wir Abgeordnete ihr wirklich zuhören, wirklich die Probleme verstehen und nachvollziehen können, mit denen sie täglich konfrontiert ist.

Genau deswegen ist das Anliegen, ein regelmäßiges Dialogformat zwischen den Praktikerinnen, Expertinnen und der politischen Ebene einzuführen, äußerst wichtig und unterstützenswert, damit es regelmäßige Runden gibt, in denen wir wirklich zuhören können, in denen wir gemeinsam Lösungsansätze erarbeiten können, die nicht, wie die Vorgriffstunde, an der Realität der Schule und aller Betroffenen vorbei entschieden werden.

Auch die Lehramtsausbildung muss dringend überarbeitet werden. Wir brauchen eine bundesweite Einigung und Zusammenarbeit, wie es dabei weitergehen soll. Dennoch wird sich natürlich auch in Zukunft nicht vermeiden lassen, dass alle Bundesländer gemeinsam um denselben Pool an Nachwuchskräften, an Lehrerinnen und Lehrern buhlen. Dazu gibt es einfach viel zu wenige junge Menschen in der gesamten Bunderepublik. Auch das ist Teil der Realität.

Nicht alle können Lehrer werden, genauso wenig wie alle Pflegekräfte oder Ärzte werden können. Wir haben einfach zu wenig junge Menschen. Dagegen hilft kein Klagen und dagegen hilft auch kein Gejammer. Dagegen hilft letztlich nur eines: Wir müssen die Schulen in Sachsen-Anhalt zu einem attraktiven Arbeitsort machen, das auch bundesweit. Dafür kämpfen wir Bündnisgrüne. Deswegen stimmen wir beiden Anträgen zu. - Vielen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN - Zustimmung bei der LINKEN)