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Plenarsitzung

Transkript

Dr. Heide Richter-Airijoki (SPD):

Vielen Dank, Herr Präsident. - Liebe Kolleginnen und Kollegen! Arbeitsgelegenheiten können in der Phase der Unterbringung in einer Erstaufnahmeeinrichtung ein sinnvolles Angebot für Asylbewerberinnen und -bewerber sein, um ihren Tag zu strukturieren und um ihnen einen Beitrag zur Gemeinschaft zu ermöglichen. Selbst eine nahezu unbezahlte, aber wertgeschätzte Arbeit - fragen Sie mich gern, was ich damit meine - 

(Holger Hövelmann, SPD, und Katrin Gensecke, SPD, lachen)

ist besser als ein dumpfes Brüten unter ohnehin schwierigen Wohn- und Lebensumständen. 

Der Alternativantrag der Koalition, für dessen Annahme ich werbe, stellt das in nüchterner Weise dar. Das ist auch schon alles, was zum Thema Arbeitsgelegenheiten zu sagen ist. 

Aber Arbeit in der umfassenden Bedeutung, die wir diesem Wort beimessen, echte Arbeit - wir kennen auch den Begriff gute Arbeit  , ist das natürlich nicht. Solche Arbeitsgelegenheiten sorgen eben nicht dafür, dass Menschen selbst für ihren Lebensunterhalt sorgen können. Sie sorgen nicht dafür, dass Migrantinnen und Migranten zur Wertschöpfung in unserer Gesellschaft beitragen oder dass sie schnell die Sprache erlernen oder dass sie schnell wirklich produktiv werden können. Solche Arbeitsgelegenheiten sorgen nicht dafür, dass Menschen ihre Potenziale entfalten können. Aber das Wichtigste ist: Solche Arbeitsgelegenheiten tragen nicht dazu bei, die Probleme unserer Gesellschaft zu lösen, vor allem das immer drängendere Problem des Arbeitskräftemangels. 

Aber darum geht es der antragstellenden Fraktion auch gar nicht - im Gegenteil. Die Alltagserfahrung vieler Menschen mit Geflüchteten ist tatsächlich: Die arbeiten gar nicht. Das sorgt wahrscheinlich mehr als alles andere für mangelnde Akzeptanz und für Unverständnis in der Bevölkerung. Das ist aber ein selbst gemachtes Problem unserer Gesellschaft. 

(Zustimmung bei der SPD)

Denn seit Jahrzehnten ist die Lage von Asylbewerberinnen und -bewerbern durch Arbeitsverbote geprägt, was vielen Menschen aber bis heute unbekannt ist. Durch die bewusst hochgezogene Mauer zwischen der Zuwanderung über einen Asylantrag und dem Zugang für ausländische Arbeitskräfte in den Arbeitsmarkt werden diese Hürden immer weiter aufrechterhalten. Wer, wie die AfD, von Arbeitspflicht für Geflüchtete schwärmt, der negiert diese Tatsachen, um das Bild vom Flüchtling als „Sozialschmarotzer“ zu zeichnen, um die Gräben in unserer Gesellschaft weiter zu vertiefen und um die Ablehnung gegenüber Migrantinnen und Migranten zu verstärken. Das Narrativ von der Einwanderung in die Sozialsysteme soll Menschen wie ein Mühlstein um den Hals gehängt werden, denen der Zugang zum Arbeitsmarkt bislang versperrt geblieben ist und die eben nicht für sich selbst aufkommen können. 

Die SPD-geführte Bundesregierung hat in dieser Wahlperiode entscheidende Schritte unternommen, um Wege zur geordneten Zuwanderung zu eröffnen. Bei allen Defiziten im Erscheinungsbild der Ampel muss man feststellen: Die Koalition in Berlin packt damit eine der wichtigsten Zukunftsaufgaben für unsere Gesellschaft an; das betrifft das modernisierte Zuwanderungsrecht und die erleichterte Einbürgerung. 

Im Zusammenhang mit dem heutigen Thema will ich aber ganz besonders das Chancenaufenthaltsrecht nennen. 

(Zustimmung bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Dieser Einstieg in den sogenannten Spurwechsel ist aus meiner Sicht der Schlüssel, um aus einem heute von vielen als drängend empfundenen Problem einen Gewinn für alle zu machen. Für den Weg nach Deutschland muss es dauerhaft zwei Türen geben - eine Tür für alle, die Schutz vor Verfolgung und Krieg suchen

(Beifall bei den GRÜNEN)

- diesen Schutz garantieren unsere Verfassung und unsere völkerrechtlichen Verpflichtungen  , und eine Tür für die, die in Deutschland arbeiten wollen und die uns hochwillkommen sein sollen. 

(Zustimmung von Sebastian Striegel, GRÜNE, und von Olaf Meister, GRÜNE)

Heute versperren wir fast allen, die einmal durch die falsche Tür gegangen sind, dauerhaft den Weg durch die andere Tür, egal was sie für Qualifikationen haben und egal wie ihre Mitarbeit auch gebraucht wird. Der Ansatz des Spurwechsels muss deutlich ausgebaut werden. 

Ich habe auch noch Zahlen aus jüngsten Untersuchungen des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung - ganz kurz; denn ich möchte zu Dänemark auch noch etwas hinzufügen  : Rund zwei Drittel der Geflüchteten, die im Jahr 2015 kamen, nämlich 64 %, haben heute einen Arbeitsplatz. 

(Zustimmung von Katrin Gensecke, SPD)

Davon sind fast drei Viertel in Vollzeit tätig. Nach acht und mehr Jahren Aufenthalt haben geflüchtete Männer mit 86 % eine höhere Erwerbstätigenquote als die durchschnittliche männliche Bevölkerung mit 81 %. 

(Zustimmung bei der SPD - Beifall bei den GRÜNEN)

Zum Abschluss. Bei dem eben genannten Zitat aus Dänemark ging es nicht um straffällig Gewordene, sondern das war viel allgemeiner gefasst. Und nein, es liegt mir völlig fern, anderen Ländern Vorschriften machen zu wollen. 

(Zuruf von der AfD: Doch!)

Aber das, was wir für uns als vorbildlich empfinden und übernehmen oder nicht, ist noch eine ganz andere Sache. - Vielen Dank. 

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)


Vizepräsident Wulf Gallert: 

Frau Richter-Airijoki, es gibt ein Fragebegehren von Herrn Roi. Wollen Sie die Frage beantworten? 


Dr. Heide Richter-Airijoki (SPD):

Ja. 


Vizepräsident Wulf Gallert: 

Dann können Sie sie stellen, Herr Roi. 


Daniel Roi (AfD):

Vielen Dank. - Das war fast ein bisschen gemein von Ihnen. Sie haben gesagt, wir wollen jedem Ausländer oder jedem Asylbewerber den Mühlstein „Sozialschmarotzer“ umhängen. Das ist völliger Unsinn. 

(Holger Hövelmann, SPD: Doch! - Olaf Meister, GRÜNE: Hören Sie sich einmal Ihre Reden an!)

Darum geht es doch überhaupt gar nicht. Wenn Sie der Innenministerin zugehört hätten, dann hätten Sie vernommen, dass Sie die Rechtslage erklärt hat. Darum geht es. Dabei ist sehr deutlich geworden, dass die Möglichkeit schon seit 30 Jahren besteht. 

(Dr. Katja Pähle, SPD: Genau! - Tobias Krull, CDU: Ja!)

Die Frage ist einfach nur, ob wir es umsetzen. Meine Frage ist: Wollen Sie denn, dass wir jedem Asylbewerber   und das ist das, was wir wollen; das kann ich schon einmal vorwegnehmen   diese Arbeitsgelegenheit anbieten? Denn dann kann er beweisen, ob er sich in unsere Gesellschaft einbringen will. Dann gelingt ihm auch viel eher das, wovon Sie gerade geredet haben, nämlich irgendwann einen anderen Job zu übernehmen oder sich hier zu integrieren, wenn er das überhaupt will. Denn wir lesen heute, dass viele es gar nicht erst annehmen. Es geht einfach um die Frage: Wollen Sie denn, dass wir allen, die hier Sozialleistungen bekommen, das anbieten, damit sie zeigen können, ob sie es überhaupt wollen? - Danke. 


Vizepräsident Wulf Gallert: 

Sie können antworten. 


Dr. Heide Richter-Airijoki (SPD):

Herr Roi, wenn Sie in den sozialen Medien nachsehen, dann werden Sie sehen, wie sehr der Begriff „Sozialschmarotzer“ mit dem Begriff der Arbeitspflicht verbunden ist. Mit Rhetorik wird ein bestimmtes Bild geschaffen. Das ist ganz klar damit verbunden. Deswegen ist der Begriff Arbeitsgelegenheiten gut und richtig. Natürlich haben die Gemeinden auch die Möglichkeit, den voll auszuschöpfen. Dafür haben wir Beispiele gesehen. 

Ich möchte aber wirklich sehr vor einer diskriminierenden Rhetorik warnen und auch vor manchen zynischen Angeboten, die es gibt. Das meinte ich mit wertgeschätzter Arbeit. Arbeit wird z. B. gern in der Abfallverwertung und im Werkstoffhof angeboten. Ich kann aus dem Ankerzentrum in Ingolstadt Beispiele nennen. 

(Nadine Koppehel, AfD: Wir sind hier in Sachsen-Anhalt!)

Ich möchte das aber nicht zu tief ausweiten. 

(Zurufe von der AfD: Ja! - Danke!)

Aber es werden zum Teil Arbeiten angeboten, die schon in der Rhetorik mit einer mangelnden Wertschätzung verbunden sind. 

(Dr. Hans-Thomas Tillschneider, AfD: Eu, eu, eu! - Weitere Zurufe von der AfD: Oh!)

Ich denke, auch die Abfallentsorgung und die Arbeit auf dem Werkstoffhof sind professionelle Arbeiten, die wertgeschätzt werden müssen. Das ist völlig unabhängig davon, ob diese Arbeiten ein Asylbewerber im Rahmen einer Arbeitsgelegenheit erledigt oder ob sie Profis erledigen, die dafür eingestellt worden sind. Auch diese Arbeiten müssen wertgeschätzt werden. Es sind qualifizierte Arbeiten. 


Vizepräsident Wulf Gallert: 

Frau Richter-Airijoki, Ihr Debattenbeitrag ist vorbei.


(Guido Kosmehl, FDP: Ja!)

Sie haben eine kurze Frage gestellt bekommen und Sie versuchen, sie   k u r z   zu beantworten - nicht so, wie die Regierungsmitglieder es bei der Befragung der Landesregierung immer machen, sondern wirklich kurz. 


Dr. Heide Richter-Airijoki (SPD):

Ich dachte, ich kann davon etwas lernen. Aber vielen Dank für den Hinweis. 

(Lachen und Zustimmung bei der SPD)


Vizepräsident Wulf Gallert: 

Ich weiß nicht. Gab es ein Genöle? - Jetzt hat Herr Roi noch eine Nachfrage. Wollen Sie auch diese Nachfrage beantworten, Frau Richter-Airijoki? 


Dr. Heide Richter-Airijoki (SPD):

Herr Roi, wollen wir es nicht dabei belassen? 

(Lachen und Zustimmung bei der SPD und bei den GRÜNEN - Ja! bei den GRÜNEN)


Vizepräsident Wulf Gallert: 

Dann ist das so. Wir sind am Ende angelangt. Deswegen können wir zum nächsten Debattenbeitrag kommen. 

(Daniel Roi, AfD: Ein Ja oder ein Nein hätte gereicht!)

- Wir sind beim nächsten Debattenbeitrag. - Danke, Frau Richter-Airijoki. Das ist damit verbunden, dass Sie das Rednerpult verlassen dürfen. 


Dr. Heide Richter-Airijoki (SPD):

Genau. 

(Lachen)


Vizepräsident Wulf Gallert: 

Danke.