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Plenarsitzung

Transkript

Holger Hövelmann (SPD): 

Vielen herzlichen Dank, Herr Präsident. - Ich hoffe, Sie steigen nicht in die SPD ein. Ich überlege gerade, wie wir das machen; aber alles gut. 

Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich finde es immer wieder erstaunlich, wie einfach man Dinge von außen betrachten kann. Ich will Ihnen ein Beispiel bringen. Der Bundesvorsitzende der Jungen Union hat angesichts der Haushaltskrise verkündet: Die Milliardensubventionen für die Chipfabriken in Dresden und in Magdeburg überschreiten die Schwelle der Vernunft und sollten infrage gestellt werden.

Dass mit diesen Fabriken eine einzigartige Chance auf Wirtschaftsentwicklung für unseren mitteldeutschen Raum besteht, wird dabei völlig übersehen. Aber vielleicht haben wir es bei der Vollendung der Deutschen Einheit nicht geschafft, dass man auch in Nordrhein-Westfalen einen solchen Blick einnehmen kann. Ich würde mir jedenfalls wünschen, dass das mit Blick auf die Chancen des Ostens häufiger geschieht. 

(Zustimmung bei der SPD)

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Industriepolitik hat sich zu allen Zeiten dadurch ausgezeichnet, dass der Staat Anstöße für neue Wirtschaftsentwicklungen gegeben hat. Das war über viele Jahrhunderte so. Manche Entwicklung, die wir als Industrieland erleben durften, hätte es nicht gegeben, wenn der Staat nicht Geld in die Hand genommen hätte, um Forschung und Entwicklung zu unterstützen und um neue Dinge zu ermöglichen. 

Dabei geht es natürlich nicht darum, dass der Staat selbst zum Unternehmer wird. Aber er kann durch die Förderung verschiedenster Bereich dazu beitragen, Wachstums- und Wirtschaftsimpulse entstehen zu lassen; so eben auch bei Chipfabriken. 

Eine zukunftsfähige Industriepolitik muss daher auf Subventionen und Förderungen setzen. Davon bin ich überzeugt. Der Staat hat einen entscheidenden Vorteil gegenüber anderen Kapitalgebern: Er kann Verluste verschmerzen. Nützliche Technologie, die vielleicht erst in einigen Jahrzehnten aus sich heraus profitabel wird, kann durch staatliche Unterstützung entwickelt werden. Das betrifft im Land Sachsen-Anhalt nicht nur Mikrochips, sondern auch die Herstellung von grünem Wasserstoff oder die Algenbiotechnologie. 

(Zustimmung bei der SPD)

Natürlich gilt dabei: Um Geld für solche Dinge auszugeben, braucht man erst einmal welches. Das Verhalten einiger Abgeordnetenkollegen im Bundestag, aber auch hier im Hohen Haus, fand ich jedenfalls etwas befremdlich. Erst kam die Schadenfreude über das Urteil des Bundesverfassungsgerichts gegen den Klima- und Transformationsfonds der Bundesregierung, dann, als man begriffen hat, was es bedeutet, kam der Aufschrei, weil das Urteil wichtige Projekte für unser Bundesland natürlich infrage gestellt hat. 

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Und, meine sehr verehrten Damen und Herren, dass jetzt noch mit möglichst schrillen Parolen und Forderungen das Geld, das uns jetzt fehlt, bei Sozialleistungsempfängern eingesammelt werden soll, finde ich, ist keine besonders sinnvolle Wirtschaftspolitik. 

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Ich bin - das will ich deutlich sagen - unserem Ministerpräsidenten ausgesprochen dankbar dafür, dass er in der Haushaltsfrage einen anderen Weg vorschlägt. Die Reform der Schuldenbremse ist der Schlüssel zu einer erfolgreichen Industriepolitik. Für Investitionen sollte der Staat genauso Kredite aufnehmen können, wie das Unternehmen tun können. Das sieht selbst der Erfinder der Schuldenbremse, der ehemalige Bundesfinanzminister Peer Steinbrück, so. So wichtig sparsame Haushaltspolitik ist, aber Sparen um jeden Preis ist angesichts des enormen Investitionsbedarfs in so vielen Bereichen unseres Landes einfach der falsche Weg. 

(Zustimmung bei der SPD)

Die Transformation unserer Wirtschaft ist für die meisten Unternehmen nicht aus eigener Kraft zu stemmen. 

Investitionsförderung, meine sehr verehrten Damen und Herren, ist aber nur ein Aspekt guter Industriepolitik. Eine wichtige Ressource unseres Landes sind kluge Köpfe. Bildungs- und Wissenschaftspolitik sind daher nicht von kluger Wirtschaftspolitik zu trennen. Wir brauchen eine mutige und breite Forschungsförderung in unserem Land. Je mehr kluge Köpfe wir dadurch an unser Bundesland binden können, desto besser. Wir müssen den Schulbereich so weiterentwickeln und umgestalten, dass jeder Schüler und jede Schülerin die bestmögliche Ausbildung erhält. 

Es mag, meine sehr verehrten Damen und Herren, eine Binsenweisheit sein oder es mag so klingen; aber haben wir es nicht erst in den letzten Tagen erlebt: Die Ergebnisse der PISA-Studie haben uns gezeigt, dass wir hier eine große Aufgabe haben. Wenn unsere Sekundarschulen bei den Ergebnissen der PISA-Studie teilweise um 100 Punkte schlechter dastehen als unsere Gymnasien, dann, meine Damen und Herren, läuft etwas verkehrt. 

(Beifall bei der SPD)

Wenn man dann noch bedenkt, dass die Sekundarschulen überdurchschnittlich von ärmeren Bevölkerungsschichten und von Migrantinnen und Migranten besucht werden, läuft noch viel mehr verkehrt. Dann sind gute Bildung und spätere Chancen auf dem Arbeitsmarkt tatsächlich vom Geldbeutel oder der Herkunft der Eltern abhängig. 

(Tobias Rausch, AfD: Das stimmt doch gar nicht!)

Das, meine sehr verehrten Damen und Herren, darf einfach nicht sein.

(Beifall bei der SPD)

Besonders die Sekundarschulen sind ein wichtiger Pool für die Berufsausbildung; und Auszubildende, liebe Kolleginnen und Kollegen, das wissen wir, fehlen an allen Ecken und Enden. 

Industriepolitik ist damit auch Fachkräftepolitik. Diese Fachkräfte werden wir aber nicht nur im Inland gewinnen. Deutschland ist ein Einwanderungsland. Jeder Kopf, der hier arbeiten kann, soll willkommen sein. Wir begehen aber leider immer noch viel zu häufig den Fehler, dass Zugewanderte vor ein Labyrinth an Bürokratie gestellt werden. 

(Zuruf von der AfD)

Bis ein Mensch hier eine Aufenthaltsgenehmigung oder gar eine Arbeitserlaubnis erhält, kann schon einmal viel Zeit vergehen. 

(Zuruf von der AfD)

Das schadet nicht zuletzt der Integration. Wir müssen daher Verwaltungsstrukturen verschlanken und einen Mentalitätswechsel in den Ämtern erreichen. Die Unternehmen, liebe Kolleginnen und Kollegen, bitten uns - übrigens seit Jahren - inständig darum. 

Gute Investitionspolitik muss aber noch mehr machen. Gute Industriepolitik muss mehr machen. Es gibt eine Subvention, die wir wirklich dringend streichen könnten und auch sollten: Das ist die Subvention von schlechten Löhnen. 

(Beifall bei der SPD)

Jeden Euro, den ein Unternehmen an Lohn zu wenig für einen ordentlichen Lebensunterhalt an seine Mitarbeiter zahlt, geben wir als Gesellschaft dazu. 

Ich habe es bereits beim letzten Plenum gesagt und will es gern wiederholen: Ein Unternehmen, dessen Geschäftsmodell nur durch die Zahlung schlechter Löhne funktioniert, hat auf dem Markt nichts zu suchen. 

(Beifall bei der SPD)

Deswegen, meine sehr verehrten Damen und Herren, sollten wir von allen staatlichen Unterstützungen und Angeboten für die Wirtschaft nur tarifgebundene Unternehmen profitieren lassen. 

Natürlich müssen in den Unternehmen am Ende auch die Maschinen laufen. Mit der Energieversorgung der Zukunft schließt sich der Kreis zur Subventionspolitik. Ohne Subventionen in die Herstellung von Wasserstoff und ohne staatliche Investitionen in den Netzausbau wird uns das nicht gelingen. 

Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Eine in die Zukunft gerichtete Industriepolitik wird sich also nicht nur mit den Unternehmen selbst befassen können, sondern sie muss in der Lage sein, nach rechts und nach links zu schauen. Themen wie Subventionen, Bildung, Integration, Energieversorgung oder auch Bürokratieabbau und Steuerpolitik gehören zwangsläufig zu einer guten und erfolgreichen Wirtschaft dazu. 

Das alles gibt es aber nicht zum Nulltarif. Es darf in den jetzigen und zukünftigen Haushaltsverhandlungen nicht ausschließlich um Geld für die Wirtschaft gehen. Erfolgreiche Unternehmen können nur dort gedeihen, wo es gute Bildung, ein gutes Sozialwesen und eine gute Verwaltung gibt. Wir als SPD-Fraktion wollen eine Industriepolitik, die das alles beachtet und von der alle profitieren: 

(Zustimmung bei der SPD)

Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber, Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und die Gesellschaft als Ganzes. Das, meine sehr verehrten Damen und Herren, ist nach unserer Überzeugung der Schlüssel zum Erfolg für unser Land. - Herzlichen Dank. 

(Beifall bei der SPD)


Präsident Dr. Gunnar Schellenberger:

Danke, Herr Hövelmann. Sie haben die Möglichkeit, auf drei Fragen zu antworten. Die erste Frage stellt Herr Kosmehl.


Guido Kosmehl (FDP): 

Vielen Dank, Herr Präsident. - Herr Hövelmann, Sie haben hergeleitet, was Unternehmen in der industriellen Revolution und der Entwicklung über die letzten Jahrhunderte angetrieben hat. Stimmen Sie mir zu, dass das Fehlen von gesetzlichen Regelungen und Bürokratie es ermöglicht hat, dass sich Menschen aufgemacht haben, Unternehmen zu gründen und Arbeitsplätze zu schaffen?


Holger Hövelmann (SPD):

Herr Kollege Kosmehl, diese Situation wird es mit Sicherheit gegeben haben. Ich will uns gemeinsam nur daran erinnern, dass wir als Industrienation auf diesem Kontinent eine Entwicklung genommen haben, die ich als sehr wohltuend empfunden habe. Wir sind nämlich weg vom Manchester-Kapitalismus hin zu einer sozialen Marktwirtschaft gekommen. 

(Beifall bei der SPD)

Das ist der Punkt, den wir mit unserem Politikansatz besonders hervorheben - bei aller Wertschätzung für die Kolleginnen und Kollegen aus der Wirtschaft, die aus sich heraus ohne staatliche Subventionen und ohne Antrieb von außen wirtschaftlich tätig sind. Das soll gut und gern so sein und das wird auch in Zukunft immer so sein. Aber, ich glaube, einen klugen gesellschaftlichen und gesetzlichen Rahmen für das, was wir als gesellschaftliche Werte nennen, braucht es - in Zukunft vielleicht noch mehr, als wir es im Moment kennen. 

(Zustimmung von Dr. Katja Pähle, SPD)


Präsident Dr. Gunnar Schellenberger: 

Danke. - Die nächste Frage stellt Frau Hohmann. - Bitte. 


Monika Hohmann (DIE LINKE):

Sehr geehrter Herr Hövelmann, alle Ausführungen, die Sie zum Bereich Bildung getroffen haben, kann ich vollends unterstützen. Ich war in der letzten Sitzung des Wirtschaftsausschusses und habe genau über diese Problematik der zukünftigen Gewinnung von Fachkräften, wie wir sie beim Übergang von der Schule in den Beruf unterstützen können, gesprochen. Dazu kam von der Koalition im Ausschuss eine Ablehnung. 

Meine Frage dazu: Können Sie diesen aus meiner Sicht bestehenden Unterschied erklären, warum Sie auf der einen Seite heute so argumentieren und auf der anderen Seite das im Ausschuss ablehnen?


Präsident Dr. Gunnar Schellenberger:

Herr Hövelmann, bitte. 


Holger Hövelmann (SPD):

Nun heißt das ja nicht, dass jede Idee, die einer von uns in Sachen Verbesserung der Situation hat, immer gleich auf den fruchtbaren Boden fällt und auch bei allen anderen auf Zustimmung stößt. Das will ich ausdrücklich sagen. 

Ich wollte mit meinem Beitrag deutlich machen, dass wir bei dem Thema Bildung und Investition in junge Menschen eine riesige Aufgabe vor uns haben und dass wir es mit den vorhandenen Strukturen, mit denen wir im Moment versuchen, dieser Herausforderung entgegenzutreten, wahrscheinlich nicht schaffen werden. Jedenfalls hat die Vergangenheit gezeigt, dass es nicht an jeder Stelle erfolgreich war. Das Zeugnis, das uns die PISA-Studie vor einigen Tagen gegeben hat, ist etwas schlechter als ein Schulzeugnis, in dem „versetzungsgefährdet“ steht. Wir sollten uns tatsächlich um dieses Thema bemühen und schauen, was man besser machen kann, um jungen Menschen ein besseres Leben in diesem Land zu ermöglichen.