Sebastian Striegel (GRÜNE):
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Nach 99 Prozesstagen ging das Verfahren am Oberlandesgericht in Dresden gegen vier mutmaßliche Linksextremist*innen zu Ende. Der Prozess hatte bundesweit hohe Aufmerksamkeit erregt. Die vier Angeklagten wurden wegen Mitgliedschaft und Unterstützung einer kriminellen Vereinigung zu mehreren Jahren Freiheitsstrafe verurteilt.
Die Bewertungen des Prozesses gehen weit auseinander. Gegen das Urteil wurde Revision eingelegt. Und bei aller Kritik, die es an diesem Prozess gab - dass der Staat gegen gewalttätige Linksextreme nicht handlungsfähig ist, lässt sich nun gerade mit Blick auf diesen Prozess nicht behaupten,
(Zustimmung bei den GRÜNEN und bei der LINKEN)
gerade wenn zu sehen ist, wie die Strafverfolgung hierbei auch mit einem Signalanspruch versehen wurde. Der Staat duldet keine Selbstjustiz und Gewalttaten gegen Bürger*innen mit anderer politischer Überzeugung. Das ist sein Anspruch und der muss eingelöst werden.
Wird der Strafanspruch eingelöst? - Häufig ja, aber nicht über alle Gewaltdelikte hinweg gleichmäßig. Wo linksextreme Gewalt völlig zu Recht gesellschaftlich geächtet ist und durch Polizei und Sicherheitsbehörden konsequent verfolgt wird, sehen wir bei rechter Gewalt, wenn wir über die Jahrzehnte zurückschauen, darüber hinweg.
Erstens gibt es zu wenig Ächtung durch die Gesellschaft, auch weil rechte Gewalt häufig an den Rand gedrängte Personen betrifft. Zweitens erfolgt viel zu oft nicht oder noch nicht ausreichend genug eine konsequente Ahndung.
Der Antrag der AfD ist ein so plumper wie offenkundiger Versuch, von der gesichert rechtsextremen Position ihrer Jugendorganisation und ihrer selbst als extremistischer Verdachtsfall abzulenken.
(Tobias Rausch, AfD: das stimmt doch gar nicht mehr! - Weitere Zurufe: Herr Striegel, das stimmt nicht! - Nicht lügen! - Das wurde zurückgenommen, Herr Striegel! - Falschaussage! - Fake News!)
- Sie bleiben weiterhin gesichert rechtsextrem. Das Bundesamt für Verfassungsschutz behauptet es bloß nicht weiter öffentlich. Das ist ein feiner Unterschied. Machen Sie hier keine Propaganda!
Ihr Versuch, weite Teile der zivilgesellschaftlichen antifaschistischen Bürgerinnen und Bürger in diesem Land in eine extreme gewalttätige Ecke zu stellen und zu kriminalisieren, erinnert - das ist ja heute schon angesprochen worden - an den Versuch zur Einrichtung eines Untersuchungsausschusses in der letzten Legislaturperiode.
Ihre Bemühungen werden nicht fruchten. Wir sind alle Antifaschisten.
(Beifall bei den GRÜNEN und bei der LINKEN)
Wir leben, was in Artikel 37a unserer Verfassung geschrieben steht - ich zitiere :
„Die Wiederbelebung oder Verbreitung nationalsozialistischen Gedankenguts, die Verherrlichung des nationalsozialistischen Herrschaftssystems sowie rassistische und antisemitische Aktivitäten nicht zuzulassen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt und Verantwortung jedes Einzelnen.“
Ich wiederhole: ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.
(Daniel Rausch, AfD: Ja, das ist richtig!)
Diesem Anspruch muss der Staat auch mit Blick auf rechte Gewalttaten gerecht werden. Wir lehnen den Antrag der AfD ab. - Herzlichen Dank.
(Zustimmung bei den GRÜNEN und bei der LINKEN)
Vizepräsidentin Anne-Marie Keding:
Herr Striegel, es gibt eine Frage von Herrn Borgwardt.
Sebastian Striegel (GRÜNE):
Sehr gern.
Vizepräsidentin Anne-Marie Keding:
Herr Borgwardt, bitte.
Siegfried Borgwardt (CDU):
Herr Kollege Striegel, als Nichtjurist - das bin ich auch - geben Sie mir doch sicherlich recht, dass das Verwenden von „mutmaßlich“, nachdem ein Urteil gesprochen wurde, grundsätzlich falsch ist.
Sebastian Striegel (GRÜNE):
Nein, das ist nicht grundsätzlich falsch, Herr Kollege Borgwardt. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Ich hatte berichtet, dass Revision zum BGH eingelegt worden ist. Insofern ist es zum gegenwärtigen Zeitpunkt mutmaßlich. Auch deswegen ist ja Lina E. aus der Untersuchungshaft freigekommen, weil tatsächlich noch kein rechtskräftiges Urteil an dieser Stelle vorliegt.
(Zustimmung bei den GRÜNEN)
Das ist ein Rechtsgrundsatz.
(Matthias Redlich, CDU: Weil sie einen Großteil schon abgesessen hat!)
Ich glaube, darüber brauchen wir uns hier nicht zu streiten, sondern das ist so festgelegt. Sobald der BGH entschieden hat, fällt das „mutmaßlich“ weg und dann haben wir abschließende Klarheit. Aber noch hat der BGH nicht entschieden.
Siegfried Borgwardt (CDU):
Herr Kollege Striegel, nur noch einmal, bitte: Das kann man juristisch so sehen.
(Cornelia Lüddemann, GRÜNE: Das ist so!)
Das ist kein Problem. Das wird auch so sein. Aber die Verurteilung - das möchte ich jetzt richtigstellen - ist nicht erfolgt, weil sie „rechtsextrem“ oder „vermeintlich“ sind, sondern wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung. Das ist das Urteil. Ich würde Sie einmal bitten, das nachzulesen.
Sebastian Striegel (GRÜNE):
Nein, Herr Borgwardt, ich muss Sie an dieser Stelle wirklich korrigieren, da liegen Sie falsch. Sie müssten bitte noch einmal selbst recherchieren. Es handelt sich hierbei um ein erstinstanzliches Urteil wegen Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung, nicht in einer terroristischen Vereinigung. Das ist ein deutlicher Unterschied.
Das Urteil ist, wie gesagt, noch nicht rechtskräftig. Ich glaube, gerade an dieser Stelle sollten wir alle miteinander korrekt unterwegs sein.
Was die Verwerflichkeit der Taten im Übrigen anbelangt, haben wir, glaube ich, keinen Dissens. - Herzlichen Dank.
(Zustimmung bei den GRÜNEN und bei der LINKEN)