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Plenarsitzung

Transkript

Dr. Tamara Zieschang (Ministerin für Inneres und Sport): 

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren Abgeordneten! Das Jahr 2022 ist im Hinblick auf die Migration nach Deutschland und auch nach Sachsen-Anhalt ein Jahr mit großen Herausforderungen gewesen, die Sachsen-Anhalt, um es vorwegzusagen, bislang sehr gut bewältigt hat. 

Insbesondere der anhaltende völkerrechtswidrige russische Angriffskrieg gegen die Ukraine führte zu einer Flucht einer großen Zahl von Menschen auch nach Sachsen-Anhalt. Besonders herausfordernd waren die ersten Wochen nach Kriegsbeginn. Sachsen-Anhalt nahm seit dem 24. Februar bis Ende März fast 16 000 Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine auf. Bis Ende April kamen nochmals mehr als 4 500 Menschen dazu. Derzeit sind in Sachsen-Anhalt gut 29 000 Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine untergebracht.

Der Dank für diese hervorragende Leistung geht an die Landkreise und die kreisfreien Städte, aber auch an viele Menschen in unseren Gemeinden, die sich engagiert haben, um diesen Kriegsflüchtlingen ein Dach über den Kopf zu geben, und die sie aufgenommen und versorgt haben. Der Abg. Schulenburg hat es gesagt, allen Beteiligten gebührt dafür außerordentlicher Dank.

(Zustimmung bei der CDU)

Im Bundesvergleich hat Sachsen-Anhalt seine Verpflichtung zur Aufnahme von Flüchtlingen nach dem Königsteiner Schlüssel insbesondere am Anfang des Krieges deutlich übererfüllt. Aufgrund dessen erhält unser Land auch seit Monaten keine Zuweisung von Kriegsflüchtlingen durch den Bund. Die Landkreise und die kreisfreien Städte können stattdessen aufgrund der Übererfüllung der Aufnahmequote nach dem Königsteiner Schlüssel neu ankommende Kriegsflüchtlinge, für deren Aufenthalt in Sachsen-Anhalt kein besonderer Integrationsgrund besteht, in andere Bundesländer weiterleiten. In enger Abstimmung mit dem Freistaat Bayern erfolgt, soweit keine Integrationsgründe für die Weiterleitung in ein anderes Bundesland bestehen, die Weiterleitung nach Bayern.

Mittlerweile haben sich die Zugangszahlen von Kriegsflüchtlingen aus der Ukraine deutlich reduziert. Es gibt momentan keine Erkenntnisse dazu, dass trotz der zielgerichteten russischen Angriffe auf die kritische Infrastruktur und insoweit insbesondere die Stromversorgung in der Ukraine kurzfristig ein verstärktes Zugangsgeschehen aus dem Kriegsgebiet zu erwarten ist. Der Bund geht er von Binnenfluchtbewegungen innerhalb der Ukraine als von ansteigenden Flüchtlingszahlen im Ausland aus. 

Neben Kriegsflüchtlingen aus der Ukraine hat unser Bundesland auch Asylsuchende aufzunehmen. Die Anzahl der neu eintreffenden Asylsuchenden ist in diesem Jahr und vor allem in der zweiten Jahreshälfte deutlich gestiegen. Bis Anfang Dezember hat Sachsen-Anhalt bereits mehr als 5 000 Asylsuchende aufgenommen. Das bedeutet im Vergleich zum Vorjahr - damals waren es rund 3 000 - einen klaren Anstieg. Es muss daher deutlich gesagt werden, die Aufnahmesituation im Land ist angespannt. Die Erstaufnahme in der ZASt ist trotz temporärer Nutzung zusätzlicher Unterbringungsobjekte hoch ausgelastet. Für die Aufnahmekommunen besteht die immense Herausforderung darin, weiteren Wohnraum zu finden, diesen rechtzeitig zu möblieren und die erforderlichen Handwerkerleistungen zur Herrichtung von Wohnraum zu binden. An der Sicherstellung der Aufnahme und Unterbringung wird mit Hochdruck in allen Bereichen gearbeitet. Land und Kommunen kommen damit ihren gesetzlichen Pflichten nach. Auch dafür danke ich den Kommunen.

Im Gegenzug können Land und Kommunen vom Bund erwarten, dass er alles in seiner Macht Stehende unternimmt, um die illegale Migration über die Balkanroute und auch die illegale Sekundärmigration einzudämmen.

(Zustimmung von Guido Heuer, CDU)

Politische Maßnahmen zur Vermeidung illegaler Migration, z. B. über die Balkanroute nach visafreier Einreise über Serbien, müssen durch den Bund künftig vorausschauender und nicht erst auf erheblichen Druck der Länder ergriffen werden. Mittlerweile hat auch auf Druck des Bundesinnenministeriums Serbien die Visumspflicht für Burundi und Tunesien wieder eingeführt. Weitere Staaten wie Indien müssen aber noch folgen. 

Eine Reform des europäischen Migrations- und Flüchtlingsrechts ist weiterhin dringend geboten. Das gilt insbesondere mit Blick auf die illegale Sekundärmigration innerhalb der Europäischen Union. Dieses Thema habe ich daher auch auf die Tagesordnung der letzten Innenministerkonferenz Anfang Dezember gesetzt. Ich bin froh darüber, dass sich die Innenministerkonferenz einstimmig für eine dringend notwendige Reform des europäischen Migrations- und Flüchtlingsrechts ausgesprochen hat. Mit einer solchen Reform sollen insbesondere die irreguläre Sekundärmigration aus Mittelmeerstaaten, also die ungehinderte Weiterreise von Schutzsuchenden und von in anderen EU-Mitgliedstaaten bereits anerkannten Schutzsuchenden wirksam verhindert werden.

Zudem muss der Bund darauf hinwirken, dass in anderen EU-Mitgliedstaaten bessere Aufnahme- und Versorgungsbedingungen geschaffen werden. Dies ist Voraussetzung dafür, um dorthin auch sogenannte Dublin-Rücküberstellungen zu ermöglichen. Es kann nicht sein, dass Dublin-Verfahren durch Staaten wie Italien und Bulgarien schlicht unterlaufen werden.

(Zustimmung bei der CDU)

Auch mit Blick auf die in Sachsen halt sehr angespannte Aufnahmesituation in den Kommunen erwarte ich vom Bund deutlich mehr Aktivitäten auf der europäischen Ebene und gegenüber einzelnen EU-Mitgliedstaaten. Es bedarf eines klaren Signals, dass die irreguläre Sekundärmigration nicht weiter hingenommen wird.

Zudem sollte der Bund auch mit Blick auf die schwierige Unterbringungssituation in den Kommunen von weiteren Aufnahmeprogrammen Abstand nehmen. Auf Druck des Auswärtigen Amtes hat der Bund Mitte Oktober dieses Jahres ein neues Aufnahmeprogramm für Afghanistan angekündigt. Danach sollen ab dem Jahr 2023 monatlich bis zu 1 000 Afghanen mit ihren Familienangehörigen vom Bund eine Aufnahmezusage erhalten. Sachsen-Anhalt hat dieses Aufnahmeprogramm wie andere Länder auch deutlich abgelehnt. Der Bund kann es gleichwohl umsetzen, da das Aufenthaltsgesetz bislang nur vorsieht, dass für solche Aufnahmeprogramme das Benehmen mit den Ländern hergestellt wird.

Die Länder und ihre Kommunen sind an die vom Bund erteilten Aufnahmezusagen sowie an die Verteilentscheidungen des BAMF gebunden. Sie haben damit neben der gebotenen ausländerrechtlichen Begleitung insbesondere die Unterbringung der aufgenommenen Personen und ihre Integration zu gewährleisten. Obwohl also die Länder und Kommunen die Hauptlast aus den Aufnahmezusagen des Bundes zu tragen haben, sind ihre Möglichkeiten, Einfluss auf diese Aufnahmezusagen zu nehmen, nur schwach ausgeprägt. Das möchte ich gern ändern. Daher werde ich dem Kabinett vorschlagen, eine Bundesratsinitiative unseres Bundeslandes auf den Weg zu bringen, wonach künftig die Zustimmung des Bundesrates für neue Aufnahmeprogramme erforderlich ist.

(Beifall bei der CDU)

Eine dahin gehende Stärkung der Beteiligungsrechte der Länder stellt zugleich sicher, dass die Aufnahmesituation in den Kommunen bei neuen Aufnahmeprogrammen des Bundes ausreichend Berücksichtigung erfährt. 

Zum Schluss kann ich festhalten, das Land Sachsen-Anhalt erfüllt seine Aufnahmeverpflichtungen und bewältigt das aktuelle Zugangsgeschehen. Ein „Weiter so!“ auf Bundesebene darf es aber nicht geben.

(Zustimmung bei der CDU)


Vizepräsidentin Anne-Marie Keding:

Vielen Dank, Frau Dr. Zieschang. Es gibt zwei Fragen, und zwar von Herrn Roi und von Herrn Loth. - Bitte.


Daniel Roi (AfD): 

Vielen Dank. - Frau Ministerin, ich habe eine konkrete Frage; denn der Redner Schulenburg hat darüber nicht gesprochen, und zwar ist allseits bekannt, in 16 Jahren Bundesinnenministerium - CDU  , also Herr Schäuble, Herr de Maizière, Herr Friedrich und zuletzt Herr Seehofer, wurde eine Zahl von ziemlich genau 300 000 Ausreisepflichtigen in Deutschland aufgebaut, unter Verantwortung der Bundes-CDU. 

In Sachsen-Anhalt, seitdem Sie als Ministerin in der Regierung sind, haben wir auch eine Anzahl ausreisepflichtiger Ausländer, die sich erhöht hat, nämlich von 6 450 auf 6 600 dieses Jahr. Darüber hat Herr Schulenburg natürlich nicht gesprochen - ist klar  , weil die CDU das zu verantworten hat.

(Guido Heuer, CDU: Oh!)

Ich frage Sie jetzt als Ministerin, was Sie konkret dagegen tun. - Dazu müssen Sie nicht „Oh!“ sagen. Das sind Fakten, Herr Heuer.

(Lachen bei der CDU)


Vizepräsidentin Anne-Marie Keding:

Herr Roi, stellen Sie Ihre Frage?


Daniel Roi (AfD): 

Ich frage Sie jetzt konkret als Ministerin, was tun wir denn dagegen. Wir halten hier schöne Reden darüber, was wir alles machen wollen, und kritisieren die Ampel, aber die Frage ist ja, Sie sind in Verantwortung, was machen Sie im Bund, was machen Sie im Land, um die Zahl der Abschiebungen erst einmal der Ausreisepflichtigen zu erhöhen, damit wir die 6 600 hier in Sachsen-Anhalt endlich abschieben.

(Beifall bei der AfD)


Dr. Tamara Zieschang (Ministerin für Inneres und Sport): 

Ich habe gerade schon gesagt, dass auch Sachsen-Anhalt für die Innenministerkonferenz einige Themen angemeldet hat, ob es das Thema illegale Sekundärmigration ist oder ob es um die Frage von Dublin-Überstellungen geht. Dublin-Überstellungen sind nur ein Beispiel. Wenn die Bundesrepublik Deutschland hinnimmt, dass Staaten wie Italien oder Bulgarien Dublin-Überstellungen schlicht und ergreifend mit bürokratisch aufgebauten Hindernissen nicht ermöglichen, dann können wir vorbereiten, was wir wollen, in dem Augenblick, in dem der Flieger, der hier losfliegt, keine Flug- und Landegenehmigung in Italien bekommt, können wir schlicht und ergreifend nichts machen. 

Das sind vielfach außenpolitische Fragen. Insofern sind die Innenminister auf europäischer Ebene nur ein Part des Ganzen. Es geht um außenpolitische Fragen, die vielfach nicht gelöst werden. Das betrifft dann eben Fragen von Dublin-Überstellungen innerhalb der EU, es betrifft aber auch die Frage, wenn die Bundesrepublik Deutschland nicht darauf hinwirkt, dass sich die Aufnahmesituation in Griechenland verbessert, dann werden wir im Rahmen von Dublin-Überstellungen niemand nach Griechenland zurückführen können, weil deutsche Gerichte das aufgrund der Versorgungsbedingungen in Griechenland untersagen.

Das andere große Thema - darüber haben wir hier, glaube ich, auch schon mehrfach gesprochen - ist: Ich kann niemand in ein anderes Land zurückführen, wenn er nicht über einen Pass verfügt. Das Thema Passersatzbeschaffung ist ein Thema, das vollständig nur der Bund organisieren und regeln kann. 

Ich bin froh darüber, dass die Bundesinnenministerin auf der Innenministerkonferenz deutlich gemacht hat, dass sie im Augenblick versucht, mit mehreren Ländern Rücknahmeabkommen zu schließen. Sie hat gesagt, dass im Augenblick auch ein Rücknahmeabkommen mit Indien vorgesehen ist. Wir kennen den Wortlaut nicht im Detail. Die Gruppe indischer Staatsangehöriger ist bei uns noch die größte Gruppe derjenigen, die ausreisepflichtig ist. 

Die vorherige Bundesregierung hatte nach deutsch-indischen Regierungskonsultationen bereits ermöglicht, dass die Inder, die sozusagen mit einem Visum nach Europa gekommen sind, Passersatzpapiere bekommen und abgeschoben werden können, aber jetzt will man sich offensichtlich der neuen Gruppe zuwenden. 

Die Bundesinnenministerin hat auch angekündigt, dass sie weitere Rücknahmeabkommen zum Teil vielleicht auch mit westafrikanischen Staaten schließen will, was für Sachsen-Anhalt besonders wichtig wäre.

Insofern: Wir haben darüber bei der Innenministerkonferenz intensiv diskutiert. Mehrere Themen von mir sind dort auch für die Tagesordnung angemeldet worden. Was dann am Ende kommt, das hängt von den Aktivitäten beim Bund ab.


Vizepräsidentin Anne-Marie Keding:

Vielen Dank, Frau Dr. Zieschang. - Herr Loth, bitte.


Hannes Loth (AfD): 

Sehr geehrte Frau Ministerin, nachdem die Abschiebehaftanstalt in Dessau gescheitert ist, soll jetzt eine in Volkstedt entstehen. Wie viele Plätze sind dort geplant, und denken Sie, dass es ausreicht, um alle, die es benötigen, dort auch unterzubringen?


Dr. Tamara Zieschang (Ministerin für Inneres und Sport): 

Ich meine, dass die Zahl der vorgesehenen Plätze bei 25 liegt.

(Dr. Jan Moldenhauer, AfD: Das ist ein Witz!)

Das resultiert aus einer Verpflichtung bei einer Ministerpräsidentenkonferenz, bei der sich alle Bundesländer dazu verpflichtet haben, Abschiebehaftanstalten vorzusehen. Damit kommen wir auch dieser Verpflichtung nach. Wir haben damals berechnet, wie viele Haftplätze wir idealerweise haben. Das heißt aber auch, wenn wir einen übrig hätten, dann könnten den andere Länder nutzen, genauso wie wir auch immer auf Haftplätze anderer Bundesländer zurückgreifen können. Das funktioniert sozusagen im Augenblick schon, weil wir profitieren unter anderem davon, dass wir Abschiebehaftplätze in Niedersachsen nutzen können.

(Zustimmung von Guido Heuer, CDU)