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Plenarsitzung

Transkript

Eva von Angern (DIE LINKE):

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren Abgeordneten! Die Debatte zu den Klimaprotesten ist hier eigentlich ganz richtig; denn im Parlament wird Klimapolitik durchgesetzt oder eben auch nicht. Hier könnte z. B. schon morgen eine Entscheidung pro 9-€-Ticket für Sachsen-Anhalt beschlossen werden; denn meine Fraktion, die Linksfraktion, hat genau das beantragt.

(Kathrin Tarricone, FDP: Das muss bezahlt werden!)

Das wird aber nicht geschehen. Und immer mehr Menschen in diesem Land fragen sich, warum eigentlich nicht.

(Zuruf von Kathrin Tarricone, FDP)

Abgeordnete bspw. fahren übrigens mit dem Null-Euro-Ticket erster Klasse. Wenn erstklassige Mobilität für Volksvertreterinnen so selbstverständlich ist, warum nicht auch fürs Volk?

(Beifall bei der LINKEN - Zuruf von Guido Kosmehl, FDP)

Meine Damen und Herren! Wer im Sommer Bahn gefahren ist, der hat gesehen, wie viele Leute ansonsten ausgeschlossen sind. In Straßen- und Regionalbahnen saßen Jugendliche, migrantische Familien, Rentnerinnen und Rentner. Das 9-€-Ticket war eigentlich auch ein großes Teilhabeprogramm. Die Bahnen waren voll.

Ökologie und Demokratie kamen in diesem Fall perfekt zusammen. Bekanntlich ist diese Mischung für manche Parteien äußerst schwer verdaulich; wir merken es gerade. Die FDP musste im Bund beim 9-€-Ticket noch mitziehen. Hier in Sachsen-Anhalt drängt sich der Verdacht auf, dass die Koalition das Nachfolge-Ticket am Liebsten beerdigen möchte.

(Beifall bei der LINKEN - Guido Kosmehl, FDP: So ein Quatsch!)

Auch ein Tempolimit kommt für die Jetzt-komm-ich-Parteien FDP, CDU und CSU und selbstverständlich auch die AfD nicht infrage. Im anderen Team, im Team für Tempolimit, spielen bekanntlich die evangelische Kirche, die Linken, die Grünen, die SPD, aber eben auch der Automobilclub mit, und nicht zu vergessen, die Mehrheit der Deutschen, die auch diese Forderung aufmachen, und eben auch die Klimaaktivistinnen.

Wenn ein Pfarrer mit einer Geschwindigkeit von 100 km/h auf der Autobahn fährt, dann haben wir in der Regel kein Problem mit Extremismus, und wenn es Klimaaktivisten brav auf Pappschildern fordern, eben auch nicht. Es ist schon interessant, wer versucht, aus diesem gesellschaftlichen Konflikt derzeit eine innenpolitische Bedrohungslage zu machen.

(Beifall bei der LINKEN)

Auf der einen Seite stehen die Jetzt-komm-ich-Parteien, die rufen nach der Polizei, und auf der anderen Seite die Gruppe „Letzte Generation“, die nach der Verantwortung des Staates für eine lebensfähige Zukunft ruft.

Wie sieht es denn mit dieser Verantwortung aus? Wer vom schönen Sachsen-Anhalt mit dem Zug ins schöne Bayern fährt, der braucht keinen Aufsatz zum Ausbaustand der erneuerbaren Energien zu lesen. Wer mit den Kindern gern Windräder zählen will, der schaut aus dem Zugfenster, aber er sollte im Osten beginnen, weil spätestens in Bayern und Baden-Württemberg finden sich keine Windräder mehr zum Zählen.

(Zustimmung bei der LINKEN)

Meine Damen und Herren! Seit 50 Jahren liegen die Analysen und Vorschläge auf dem Tisch, aber eine Energiewende hin zu den Erneuerbaren, und zwar sicher und bezahlbar für alle, steht bekanntlich aus, und das trotz der Erkenntnis, dass Wachstum Grenzen hat und fossile Ressourcen endlich sind. Warum ist das so? - Weil es sich rechnet. Weil es sich lohnt.

Die Gaslieferungen aus Russland waren doch kein Freundschaftsprogramm deutscher Diplomatie, schon gar kein ostdeutsches; denn wir spielen im diplomatischen Korps der Bundesrepublik bekanntlich keine so große Rolle. Die Abhängigkeit war zuvörderst eine bewusste Entscheidung der Großindustrie. Die Pipelines aus Russland gehen direkt zum Werk von BASF in Ludwigshafen am Rhein; denn es geht ganz klar vor allem um eines: um Kosten und um Nutzen.

(Zustimmung von Stephen Gerhard Stehli, CDU - Zurufe von der FDP: Ja!)

Vor dem furchtbaren Krieg in der Ukraine war die heutige Abhängigkeit über Jahrzehnte hinweg ein Standortvorteil, der Milliarden eingebracht hat. Kohle und Öl bringen die Ökosysteme an den Abgrund, aber die Börse in Bewegung. Der Kurs des „Weiter so“ hat hier und weltweit mächtige Verbündete. Insofern ist es eher erstaunlich, dass wir heute überhaupt noch über Klimaproteste sprechen können.

Man muss ganz nüchtern feststellen: Erst die so viel gescholtene, aber im Zusammenhang mit der Jugendbewegung stehende Greta Thunberg hat den industriegemachten Klimawandel wirklich zum Thema gemacht. Erst die Schulstreiks haben unsere Aufmerksamkeit erzwungen.

(Zustimmung bei der LINKEN - Zuruf von Frank Bommersbach, CDU)

Was ist seitdem passiert? - Das neue Umweltbewusstsein ist längst vom kapitalistischen Markt absorbiert worden. Renitente Teenager sind längst neue Rollenmodelle in der Werbeindustrie. Plastikfreie Trinkhalme, Fleischersatz und Hafermilch machen das Verkaufsregal zwar voller, aber eben nicht aufgeräumter. Nicht weniger Waren sind die Konsequenz, nicht Jute statt Plastik, sondern mehr Waren und neue Marktanteile, also Jute und Plastik. - Die Wirtschaft freut’s, viele in der Politik nicht minder; ist halt für jeden etwas dabei.

Den Job der Regulierung, den die Politik ausdrücklich verweigert, den haben die Verbraucherinnen und Verbraucher zu machen. Aber die haben eben nur die Wahl und nicht die Macht. Wer also macht derzeit noch Druck für den Klimaschutz? - Ehrlicherweise muss man sagen: Schulstreiks haben sich, auch wenn sie immer wieder benannt werden, abgenutzt. In Sachsen-Anhalt herrscht Lehrermangel, sodass der Unterricht freitags eh ausfällt.

(Marco Tullner, CDU: Quatsch! - Guido Kosmehl, FDP: Was für ein Quatsch! - Zuruf von der AfD)

Wir müssen uns eher Sorgen darüber machen, dass sich die Jugendliche nicht an den Schreibtischen festkleben und damit Unterricht ertrotzen.

(Beifall bei der LINKEN - Marco Tullner, CDU: 5 € in die Phrasenkasse!)

Um es noch einmal ganz deutlich festzustellen - deswegen meine Frage an die Innenministerin  : Die Klimabewegung tritt mit offenem Visier auf. Wer sich filmt, ist nicht in geheimer Mission unterwegs. Wer sich festklebt, kann nicht türmen - welche Überraschung. Wer das 9-€-Ticket fordert, der plant keinen Staatsstreich, sondern will, dass diese Bundesregierung sich selbst und die eigenen Entscheidungen ernstnimmt.

(Frank Bommersbach, CDU: Das kann man nicht miteinander vergleichen!)

  Sie sehen doch, dass ich das kann.

(Beifall bei der LINKEN - Tobias Rausch, AfD: Das sind extremistische Maßnahmen, die dort ergriffen werden!)

Mit Blick auf die innenpolitischen Diskussionen muss man sich schon wundern. Sitzblockaden sind sehr wohl vom Versammlungsrecht gedeckt und dazu gibt es entsprechende Entscheidungen.

(Zustimmung bei der LINKEN - Guido Kosmehl, FDP: Wenn sie angemeldet sind!)

Auch wer dafür Sekundenkleber mitbringt, der kann Akteur bei einer politischen Meinungsäußerung sein. Nach dem Freispruch einer Klimaaktivistin in Berlin erklärte der zuständige Richter, jede Aktion müsse generell differenziert beurteilt werden und eine binnen Minuten beendete Klebeblockade sei vom Demonstrationsrecht gedeckt.

(Unruhe)

Jede politische Demonstration sei zwar lästig, aber unerlässlich für unseren Rechtsstaat.

(Beifall bei der LINKEN - Guido Kosmehl, FDP: So ein Schwachsinn!)

Ich kann dem Vorsitzenden nur zustimmen. Die allermeisten Menschen in Sachsen-Anhalt wissen sehr wohl, dass die Aktionen der „Letzen Generation“ letztlich einfach nur Nadelstiche in einem ungleichen Kampf sind. Manche der Aktiven wirken so aufgewühlt, dass es einen betroffen macht.

(Zuruf von Guido Kosmehl, FDP)

Gerade die Wahrnehmung eines Generationskonfliktes wirkt verstörend; denn in aller Regel ist es so, dass die Eltern das Beste für ihre Kinder wollen. Grundsätzlich gilt, dass sich natürlich keine Gesellschaft selbst abschaffen will, aber beim Klimawandel steht dies augenscheinlich zur Debatte.

Um darüber zu diskutieren, muss man im Dialog bleiben. Dieser Dialog ist augenscheinlich gestört und er soll weiter gestört werden. Wer die Aktivisten kritisiert, der muss auch die Ursachen für Ignoranz und Zähigkeit in der Klimapolitik reflektieren.

Ich sage aber auch deutlich: Die Klimabewegten müssen sich selbst fragen lassen, ob sie die Verantwortung zum Teil nicht falsch adressieren. Das breite Unverständnis etwa für die unkalkulierbare Bilderstürmerei oder gegenüber lebensgefährlichen Autobahnaktionen sind eine gesellschaftliche Rückkoppelung.

(Zustimmung von Stefan Gebhardt, DIE LINKE)

Meine Damen und Herren! Aber all das will die AfD ausdrücklich nicht hinterfragen. Sie will keine Vermittlung, sondern sie will Gräben tiefer machen. Ich bedauere, dass Sie sich daran beteiligen. Ihnen, der AfD, ist nicht an Aufklärung und Mäßigung gelegen,

(Tobias Rausch, AfD: Da muss man nichts aufklären! Das muss unterlassen werden! Das ist extremistisches Handeln!)

sondern eher am Nebelkerzen zünden, da sind Sie groß.

Der Klimawandel verschärft die Probleme der Ärmeren und des globalen Südens. Das ist nicht neu. Das passt perfekt für Trump, für Bolsonaro aber eben auch für die AfD in unserem Land; denn der Westen und die Gutsituierten haben bisher immer von den Ungerechtigkeiten in dieser Welt profitiert.

(Zustimmung bei der LINKEN)

Autokraten leugnen den Klimawandel öffentlich, nicht weil sie ihn nicht zur Kenntnis nehmen und er ihnen nicht bewusst ist, sondern weil sie wissen, dass es zuerst die Länder derjenigen trifft, die derzeit im Mittelmeer ertrinken.

(Zuruf: So ein Schwachsinn!)

Ausgerechnet eine Partei, gegen die bereits das Verbotsverfahren diskutiert wird,

(Zuruf von Tobias Rausch, AfD - Unruhe)

will über die Klimabewegung richten. Schicken Sie Ihre juristischen Einschätzungen doch an die Beschuldigten im Verfahren gegen die Reichsbürgerbewegung. An dieser Stelle scheint auch bei Mitgliedern Ihrer Partei grundsätzlich etwas durcheinanderzugehen. Während die Klimaaktivisten einen in Zukunftsfragen handlungsfähigen Staat fordern, also am Staat festhalten, zweifelt eine ehemalige Bundestagsabgeordnete der AfD daran, dass es diesen Staat überhaupt gibt.

(Sebastian Striegel, GRÜNE: Als die Diätenzahlungen kamen, hat sie das nicht gefragt! - Zurufe von der AfD)

Die einen sitzen friedlich auf der Straße, die andern trainieren für den bewaffneten Straßenkampf. Ich muss Ihnen sagen: Sie können heute aufwiegeln, wen Sie wollen, aber von einem Prinz Reuß, noch dazu einem 13., möchte sich niemand in diesem Land regieren lassen.

(Beifall bei der LINKEN - Hannes Loth, AfD: Und von Frau von Angern auch nicht! - Unruhe - Zuruf: Ja, das ist so! - Lachen - Zuruf: Ja, wenn man so etwas reinhaut...!)

- Das ist einfach nur billig. Ich sage es Ihnen genauso, wie ich es meine: Ich bin enttäuscht, wie Sie hier den Rechtsstaat zur Grabe tragen.

(Frank Bommersbach, CDU: Wir sind enttäuscht von dem, was Sie vortragen! - Unruhe)

Das eine ist - deswegen die Frage an die Innenministerin - über Straftaten zu richten.

(Zurufe)

Das müssen Gerichte tun. Aber über Verfassungsfeindlichkeit mal eben so lapidar zu reden, finde ich schwierig. Darüber müssen wir reden.

(Zuruf von Tobias Rausch, AfD - Unruhe)

Sie haben aber auch nicht ausdrücklich widersprochen, Frau Ministerin. Sie haben nicht ausdrücklich gesagt, dass es sich nicht um Verfassungsfeinde handelt.

(Unruhe)

Deshalb muss ich sagen: Ich bin ein Stück weit überrascht gewesen     


Vizepräsident Wulf Gallert:

Frau von Angern, Sie müssen zum Ende kommen.


Eva von Angern (DIE LINKE):

Mein Ende ist jetzt ein anderes geworden, als geplant. Aber, ich glaube, das ist unproblematisch. - Ich danke für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der LINKEN)


Vizepräsident Wulf Gallert:

Danke. - Es geht weiter. Als Erster will Herr Hövelmann eine Frage stellen. - Wollen Sie sie beantworten.


Eva von Angern (DIE LINKE):

Natürlich.


Vizepräsident Wulf Gallert:

Dann können wir loslegen. - Bitte.


Holger Hövelmann (SPD):

Vielen herzlichen Dank, Herr Präsident. - Vielen Dank, Frau von Angern, für die Möglichkeit, diese Frage zu stellen. Ich meine sie genauso, wie ich sie formuliere. Sie haben die Problemlage beschrieben, in der diese Diskussion gerade stattfindet und auch die Aktionen stattfinden. Aber damit ich Sie nicht falsch verstehe: Sie sind mit mir einer Auffassung - wenn nicht, dann können Sie es bitte darstellen  , dass all dies, der Konflikt und all die Unzufriedenheit nicht rechtfertigend dafür sind, Straftaten zu begehen? Oder habe ich Sie falsch verstanden?


Eva von Angern (DIE LINKE):

Sie haben mich nicht falsch verstanden. Ich sage gleich vorweg: Ich finde es auch nervig, wenn ich zu bestimmten Punkten nicht so schnell kommen kann, wie ich kommen möchte und ich verstehe, dass gerade die Pendlerinnen und Pendler am frühen Morgen genervt sind.

(Matthias Büttner, Staßfurt, AfD: Und der Rettungsdienst!)

Über die Strafbarkeit müssen die Gerichte entscheiden.

(Zuruf von Frank Bommersbach, CDU)

Wir können heute nur eine politische Bewertung abgeben.

(Frank Bommersbach, CDU: Das ist eine Verharmlosung!)

Und die politische Bewertung habe ich heute abgegeben. Ich sehe es tatsächlich so: Sie wissen teilweise nicht weiter. Sie wissen teilweise nicht mehr, wie sie auf ihre Sorgen und Probleme aufmerksam machen sollen.

(Oh! bei der CDU und bei der FDP - Unruhe)

Insofern kann ich nur sagen: Hut ab!


Vizepräsident Wulf Gallert:

Es gibt eine Intervention von Herrn Scharfenort, wie immer eigentlich. - Er verzichtet. - Wollen Sie eine Frage von Herrn Tillschneider beantworten?


Eva von Angern (DIE LINKE):

Nein.


Vizepräsident Wulf Gallert:

Und von Herrn Kosmehl?


Eva von Angern (DIE LINKE):

Ja.

(Zuruf von der AfD: Sie hat Angst vor dir, Hans-Thomas!)


Vizepräsident Wulf Gallert:

Herr Kosmehl, bitte.


Guido Kosmehl (FDP):

Vielen Dank, Frau Kollegin von Angern. Da ich Ihren Kunstgeschmack nicht genau kenne, nenne ich einfach einmal drei Kunstwerke: Raffaels Sixtinische Madonna, Monets Getreideschober und ein Werk von Gustav Klimt. Sind Sie der Auffassung, dass das Beschädigen, das Bewerfen mit Suppe, Kartoffelbrei oder Öl von Kunstwerken eine zu rechtfertigende, eine erlaubte Aktion ist, oder ist das strafrechtlich relevant?


Eva von Angern (DIE LINKE):

Herr Kosmehl, wenn Sie mir zugehört hätten, hätten Sie das gehört.

(Zustimmung bei der LINKEN)

Ich finde es ätzend, was da gemacht worden ist. Aber ich finde - darüber sind wir uns dann    

(Zurufe von der AfD und von der FDP)

- Nein. - Worin Sie mit mir aber wahrscheinlich einig sind, ist, dass es der Fraktion ganz rechts außen, doch nicht um Monet oder Raffael geht.

(Zuruf von Guido Kosmehl, FDP - Zuruf von der AfD: Na klar!)

Wenn es nach denen gehen würde, würden die in deutschen Museen doch gar nicht hängen; das ist doch die Wahrheit.

(Beifall bei der LINKEN - Unruhe bei der FDP - Zurufe von der AfD: Pfui! - Hexe! - Kannst du vergessen! - Pfui! - Das ist alles Hass! Menschenverachtend! - Zuruf von Guido Kosmehl, FDP - Holger Hövelmann, SPD: Mit der Wahrheit muss man leben! - Zuruf von der AfD: Na sicher! Das ist doch Ihre Wahnvorstellungen in der Sache! Das kann doch nicht sein! - Zuruf: Doch! Entschuldigung! - Weitere Zurufe von der AfD)