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Plenarsitzung

Transkript

Susan Sziborra-Seidlitz (GRÜNE): 

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Für ein kleines bisschen Klassenkampf bin ich kulturell eigentlich immer zu haben. Wir sind uns auch komplett darin einig, dass es verboten sein sollte, mit der Gesundheit von Menschen Renditen zu erwirtschaften, aber an dieser Stelle, verehrte Linke, zielt Ihr Aufruf gegen kapitalistische Umtriebe ins Leere.

Die finanzielle Schieflage vieler Häuser liegt nicht daran, dass Investoren Geld aus dem System ziehen. Das Problem ist nicht, dass Mehrwert generiert oder auf Kosten der Gesundheitsversorgung der Bevölkerung abgeschöpft wird. Die aktuellen Geldsorgen vieler Krankenhäuser, ob kommunal, gemeinnützig oder privatwirtschaftlich betrieben, liegen neben den steigenden Betriebskosten   das hat die Ministerin erwähnt   an den nach Corona nicht wieder erreichten Fallzahlen.

(Zustimmung von Olaf Meister, GRÜNE, und von Dr. Katja Pähle, SPD)

Das hat uns das kürzlich veröffentlichte Krankenhausgutachten sehr klar vor Augen geführt. Da das aktuell noch bestehende Finanzierungssystem für Kliniken in Deutschland einzig auf Fallzahlen basiert, gerät der Boden der Klinikfinanzierung natürlich ins Schwanken. Dieses Fallzahlenkonstrukt hat mit seinen Fehlanreizen die Gesundheitsfinanzierung in Deutschland ohnehin massiv geschädigt. Aber gehen die Fallzahlen dauerhaft zurück, entstehen für die Kliniken finanzielle Einbußen, die nicht zu beheben sind. Das ist die aktuelle Lage.

Verschärft wird die Lage   wir sind alle davon betroffen   durch das uns alle betreffende Biest der Inflation. Nach dem vielen Herumdoktern am Finanzierungssystem durch die früheren FDP- und CDU-Gesundheitsminister, wodurch hier noch ein spezieller Sicherstellungszuschlag eingefügt wurde und dort eine Sonderfallpauschale geschaffen wurde, hat die Ampel das DRG-System jetzt überwunden. Dieser gordische Knoten wurde nach 16 Jahren CDU-Regierung endlich durchschlagen. - Ja, manchmal trägt ein linker Revoluzzer Fliege.

(Zustimmung bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Was ich sagen will: Die Krankenhausreform der Ampelkoalition stellt das Finanzierungssystem der Krankenhäuser endlich vom Kopf auf die Füße. Sie schiebt der Ökonomisierung der Krankenhäuser einen Riegel vor. Sie beendet das Schielen der kaufmännischen Geschäftsführer auf möglichst lukrative Leistungen mit möglichst hohen Fallpauschalen. Das finde ich auch für die kaufmännischen Geschäftsführer gut.

Wenn wir durch die Reform jetzt eine 60-prozentige Vorhaltefinanzierung in den Kliniken haben, dann sichern wir die Gesundheitsversorgung, dann garantieren wir Daseinsvorsorge. Das ist mehr Gemeinwohl und weniger Marktlogik.

(Zustimmung bei den GRÜNEN)

Ja, das wird gesteuert über Strukturvorgaben und Mindestmengen. Das bedeutet notwendigerweise Veränderungen im Krankenhausnetz. Das ist aus Sicht der Qualitätssicherung aber auch absolut sinnvoll. Das kann für ein Flächenland mit kleinen, aber bedarfsnotwendigen Häusern, wie es Sachsen-Anhalt ist, eine Unwucht mit sich bringen, bei der der Ausgleich herausfordernd werden kann.

Aber statt zu lamentieren, sollte man daraus die richtigen, produktiven und nach vorne gedachten Schlüsse ziehen z. B. wie im Harz, wo sich das Harzklinikum mit der Idee eines Zentralklinikums auf den Weg macht: hoch qualifizierte und spezialisierte Versorgung an zentralen Orten, für alle erreichbar, und in der Fläche ambulante und niedrigschwellige Anlaufpunkte für alle Gesundheitsbedarfe.

(Zustimmung bei den GRÜNEN)

Also, den Impuls Ihres Antrags und Ihrer Aktuellen Debatte, verehrte Linke, Gesundheit ist keine Ware, den hat die Ampel begonnen umzusetzen.

(Zustimmung bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Ja, es gibt schwarze Schafe auf dem Gesundheitsmarkt, aber die Herausforderungen im Gesundheitsbereich sind nicht die Bekämpfung von Heuschrecken und das Herausdrängen privater Investoren und Träger. Ich denke, mit der Trägervielfalt in Deutschland können wir gerade im Klinikbereich sehr gut leben.

Die Herausforderungen bestehen darin anzuerkennen, dass wir gerade in der Gesundheitsversorgung vor einem grundlegenden und tiefgreifenden Strukturwandel stehen. Ob es uns passt oder nicht, er steht bevor. Wir haben allein die Wahl, ihn entweder geschehen zu lassen   d. h., wir gucken, was passiert; was dann passiert, das sehen wir aktuell bei Pfeiffers in Magdeburg oder auch in Dessau   oder endlich damit anzufangen, diesen Strukturwandel zu gestalten.

Wir entwickeln endlich   wirklich!   intersektorale Angebote in der Fläche. Wir stimmen die ambulante Bedarfsplanung und die stationäre Krankenhausplanung endlich aufeinander ab und verzahnen sie miteinander. Wir befördern echte Multiprofessionalität, bei der sich Therapeutinnen, Pflegekräfte und Ärzteschaft auf Augenhöhe begegnen, miteinander kooperieren und die Versorgung gemeinsam und jeweils eigenverantwortlich sichern. Wir nutzen dafür die Kompetenzen von allen Gesundheitsberufen; denn die Ressource, an der es in der Gesundheitsversorgung am allermeisten mangelt, ist nicht das Geld. Es sind die Menschen, die sich in unserem Land um die Gesundheit anderer bemühen.

Dafür braucht es eine weitere Akademisierung der Gesundheits- und Pflegeberufe und, damit verknüpft, neue Berufsfelder und Berufsbilder. Ich werde nicht müde zu betonen   das kennen Sie von mir  , dass wir dann, wenn wir Pflege und Therapie nicht mehr als Assistenzberuf begreifen, wenn wir sie hingegen endlich als eigenständige Profession anerkennen, basierend auf eigenem, evidenzbasiertem Wissen, auf Augenhöhe mit der ärztlichen Allheilkunde, die Gesundheitsversorgung auf mehr fähige und tragende Schultern verteilen können. Dann wirken wir dem Fachkräftemangel entgegen, dadurch, dass mehr Leute im System sind und auch durch attraktive Karrierewege.

Was braucht es noch? - Die Kommunen. Sie müssen eine tragende Rolle bei der Gestaltung einer gesunden Lebenswelt und einer lebensweltnahen Gesundheitslandschaft spielen. Darin müssen wir sie als Land bestärken und deutlich einfordern, dass sie sich dem Thema Gesundheit gezielt widmen.

Die in letzter Zeit geschaffenen Stellen kommunaler Gesundheitsmanagerinnen in Sachsen-Anhalt sind ein guter erster Schritt. Darauf aufbauend wollen wir GRÜNEN kommunale Gesundheitskonferenzen befördern. Im besten Fall sind sie verbindlich geregelt im Gesetz über den öffentlichen Gesundheitsdienst. So machen das einige Bundesländer. Solche Konferenzen sollen vor Ort Antworten auf die Frage entwickeln, wie Gesundheitsförderung vor Ort bestmöglich umgesetzt werden kann, von den Kitas bis zu den Pflegeheimen. Es geht darum, Public Health in Sachsen-Anhalt zu verankern.

Wenn ich von Public Health spreche, dann meine ich, die Perspektive, die Gesundheit der gesamten Bevölkerung in den Blick zu nehmen, sozialräumliche und populationsbezogene Maßnahmen zur Gesundheitsförderung, einfach eine gesunde Lebensumgebung zu entwickeln.

Vor einiger Zeit wurde dieses Thema prominent verknüpft mit dem Thema Gesundheitskioske. Public Health setzt an den Ursachen von Krankheit und Gesundheit an, sei es bei Umweltfaktoren wie Luftqualität und Wasser- und Bodenreinheit, bei sozialen Lebensbedingungen oder im Bereich Prävention und Gesundheitsaufklärung. Ziel ist es, allen Menschen ein möglichst langes und gesundes Leben zu ermöglichen.

Wir wollen gesundheitliche Chancengerechtigkeit. Um diese steht es wahrlich nicht gut. Menschen aus den unteren Einkommensgruppen leben signifikant kürzer und sind währenddessen häufiger krank als Menschen mit besserem Einkommen. Das ist nicht naturgegeben, sondern liegt eben auch an Ungleichheiten im Gesundheitswissen, an Barrieren im Zugang zum Gesundheitssystem und an mehr oder weniger gesundheitsdienlichen Wohn- und Lebensverhältnissen, also an Faktoren, die wir politisch bearbeiten und verändern können, damit Gesundheit eben nicht am Geldbeutel hängt.

(Zustimmung bei den GRÜNEN)

Wir sehen in Sachsen-Anhalt, wie der demografische Wandel fortschreitet, wie medizinisches Fachpersonal fehlt und wie Ungleichheiten in der Versorgung zunehmen. Eine nachhaltige und gerechte Gesundheitsversorgung bedeutet, präventiv zu handeln, Ressourcen sinnvoll einzusetzen und überall dort anzusetzen, wo Krankheiten entstehen, anstatt erst zu reagieren, wenn es zu spät ist.

Dafür haben wir mit der Landesvereinigung für Gesundheit und der Beratungsstelle für kommunale Quartiersentwicklung zwei hoch qualifizierte Stellen im Land. Dafür kann man auch über eine abschließende Evaluierung und Neuformulierung der Gesundheitsziele unseres Landes sprechen. Also, ja, für die Sicherung unserer Gesundheitsversorgung in Sachsen-Anhalt braucht es revolutionären, wenigstens reformerischen Mut.

Aber kapitalismuskritisches Blaming einzelner Träger bringt uns an dieser Stelle keinen Schritt weiter. Stattdessen braucht es den Mut, die Dinge, die Rollen, die Verhältnisse und, ja, auch die Orte der Gesundheitsversorgung radikal zu verändern, damit diese Orte weiterhin Anlaufpunkte in allen Fragen der Gesundheit sein können.

Wer Menschen heute erzählt, alles würde so bleiben können, wie es vor 20 Jahren war, wenn man nur mehr Medizinstudienplätze schaffen würde, wenn die Kliniken alle kommunal wären, wenn weniger Ausländer im Land wären oder wenn die Regierung eine andere wäre, der hat die Herausforderungen in diesem Bereich nicht begriffen 

(Zustimmung von Konstantin Pott, FDP)

und nicht im Ansatz die Chancen, die darin stecken können, wenn wir diesen Herausforderungen mutig begegnen. Das ist die Revolution, die es für die Gesundheitsversorgung jetzt braucht. Dafür gehe ich auch mit Ihnen, wenn Sie mitgehen, gerne auf jede Barrikade. - Vielen Dank.